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AFRIKA/853: Sudan - Katz- und Mausspiel mit Präsident Baschir, ICC machtlos gegen Justizflüchtling (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 1. September 2010

SUDAN:
Katz- und Mausspiel mit Präsident Baschir - ICC machtlos gegen Justizflüchtling

Von Thalif Deen


New York, 1. September (IPS) - Das Katz- und Mausspiel zwischen dem Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC), Luis Moreno-Ocampo, und Sudans Staatspräsident Omar Hassan al-Baschir nimmt immer abstrusere Züge an. Obwohl wegen Völkermord und Kriegsverbrechen international gesucht, geht der Staatschef in afrikanischen Ländern auch weiterhin ein und aus.

Zuletzt provozierte Baschir den ICC, als er unbehelligt den Tschad und Kenia besuchte. Die beiden Länder sind Vollmitglieder des Gerichtshofs und hätten den Gast eigentlich verhaften und ausliefern müssen. Die Regierungen in N'Djamena und Nairobi machten jedoch keine Anstalten, gegen den Präsidenten vorzugehen.

Der kenianische Außenminister Moses Wetangula erklärte dazu lediglich, dass Baschir das "Oberhaupt einer befreundeten Staates" sei. Den ICC-Haftbefehl habe seine Regierung nicht vollstreckt, weil die Afrikanische Union (AU) entschieden habe, dass keines ihrer Mitglieder den sudanesischen Präsidenten festnehmen solle.

Baschir besuchte Ende August Kenia, um der Einführung der neuen Verfassung beizuwohnen. Im Tschad nahm er im Juli an einer Konferenz der Gemeinschaft der Sahel-Saharanischen Staaten teil.


Gravierender Verstoß gegen nationales und internationales Recht

William Pace von der nichtstaatlichen Koalition für den Internationalen Strafgerichtshof (CICC) sieht das Verhalten Kenias als gravierenden Verstoß, nicht nur gegen das ICC-Statut und die UN-Charta, sondern auch gegen nationales kenianisches Recht. "Auch in der neuen Staatsverfassung wird anerkannt, dass internationales Recht direkt angewendet werden muss."

Nach Ansicht von Pace hat sich Kenia durch den freundlichen Empfang für Baschir international schwer kompromittiert. "Eigentlich wollte das Land seinen Einsatz für Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit feiern", sagte er. "Dieser Tag wurde jedoch dadurch überschattet, dass die Regierung einen Justizflüchtling willkommen geheißen hat."

Nairobi habe damit die Notlage Tausender Opfer des Konflikts in der westsudanesischen Unruheregion Darfur missachtet, kritisierte Pace. In der Koalition für den ICC haben sich etwa 2.500 Nichtregierungsorganisationen aus mehr als 150 Ländern zusammengeschlossen.

Seit Inkrafttreten des Haftbefehls im März 2009 hat Baschir außerdem Äthiopien, Eritrea, Ägypten, Libyen, Katar und Saudi-Arabien besucht. Anders als Kenia und der Tschad haben diese Staaten aber entweder das dem ICC zugrunde liegende Rom-Statut nicht unterzeichnet oder bisher nicht ratifiziert.

Der Haager Gerichtshof machte deutlich, dass er die Verweigerungshaltung seiner Vollmitglieder nicht hinnehmen will. "Die Republik Kenia und die Republik Tschad sind verpflichtet, mit dem Gericht zusammenzuarbeiten und den Haftbefehl gegen Baschir zu vollstrecken", hieß es in einer kürzlich verbreiteten Mitteilung des ICC. Keines der beiden Länder hat jedoch darauf reagiert.


ICC Messen mit zweierlei Maß vorgeworfen.

Afrikanische Staaten halten dem ICC allerdings auch vor, insbesondere ihren Kontinent an den Pranger zu stellen. Kriegsverbrechen, die von den USA im Irak und Afghanistan oder von NATO-Staaten begangen worden seien, träten in den Hintergrund.

Wie CICC berichtete, hat der Strafgerichtshof bislang Ermittlungen gegen die Zentralafrikanische Republik, Darfur, Sudan, Uganda, die Demokratische Republik Kongo und Kenia aufgenommen. Zwölf Haftbefehle und drei Vorladungen wurden ausgestellt. Zwei Verfahren sind anhängig, ein dritter Prozess soll noch in diesem Jahr beginnen.

Das Büro des Chefanklägers gab nun bekannt, auch Vorfälle in Afghanistan, Kolumbien, Côte d'Ivoire, Georgien, Guinea und den Palästinensergebieten zu untersuchen. Mit Blick auf Baschir forderte Ocampo, dass der UN-Sicherheitsrat nun seine Verhaftung durchsetzen sowie die Menschen in Darfur und die Nachbarländer schützen solle.

Dem ICC sind insofern die Hände gebunden, als er keine eigene Polizei- oder Militäreinheit ins Ausland schicken kann, um Baschir verhaften zu lassen. Der Gerichtshof wandte sich daher um Unterstützung an den UN-Sicherheitsrat und die Versammlung der Mitgliedsstaaten des Rom-Statuts. Aber auch das 15-köpfigen UN-Gremium verfügt weder über Truppen, die die Vollstreckung des Haftbefehls erzwingen könnten. (Ende/IPS/ck/2010)


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http://www.icj-cij.org/homepage/index.php?lang=en
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. September 2010