Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → AUSLAND

AFRIKA/948: Äthiopien - Zwei prominente Journalisten im Interview zum Thema Entwicklungzusammenarbeit (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 25. Januar 2011

Äthiopien: Gräuel-resistente Entwicklungszusammenarbeit - Zwei prominente Journalisten im Interview

Von Karina Böckmann


Berlin, 25. Januar (IPS) - Nach Ansicht des äthiopischen Journalisten Eskinder Nega verteilen westliche Staaten ihre Entwicklungshilfe "mechanisch und nicht unbedingt klug". Zudem interessiert sich seiner Meinung nach niemand wirklich dafür, wozu die Gelder letztlich verwendet werden. Den 'Hilfsbürokratien' der Industriestaaten wirft der prominente Journalist, den seine kritische Berichterstattung mehrfach ins Gefängnis brachte, "Zynismus" vor. "Und ich fürchte, dass sich (Bundesentwicklungsminister) Dirk Niebel von diesen Zynikern mitreißen ließ."

Nega und seine Frau, die ebenfalls prominente äthiopische Journalistin Serkalem Fasil, rufen in einem E-Mail-Interview mit IPS die westlichen Staaten einschließlich Deutschland auf, von ihren Empfängerländern grundsätzlich Rechtstaatlichkeit einzufordern. Eine strenge Einhaltung demokratischer Standards als Voraussetzung für die Auszahlung von Hilfsgeldern werde sich unweigerlich positiv auf die Menschenrechtslage auswirken.

Den Kampf gegen den Hunger, der oft als Erklärung für die Zusammenarbeit mit autokratischen Staaten angeführt wird, lässt Fasil nicht gelten. Äthiopien sei auch nach dem 20-jährigen Regime von Ministerpräsident Meles Zenawi ein hungergeplagtes Land. "Was für ein Entwicklungserfolg soll das sein? Sicher nicht der, auf den jeder gescheite Mensch stolz wäre. Wie sehr werden sich die Kenianer, die halb so viele Menschen zählen wie wir und doppelt so viel exportieren, über unsere 'Entwicklung' amüsieren!"

Die Journalistin und Mitherausgeberin von drei unabhängigen Zeitungen saß wegen der Veröffentlichung kritischer Berichte über die durch Betrug gekennzeichneten Parlamentswahlen von 2005 eineinhalb Jahre hinter Gittern. In der Gefangenschaft brachte sie ein Kind zur Welt, dass sie nur selten sehen durfte. Sie stand 2007 wegen Landesverrat vor Gericht und wurde auf internationalen Druck hin freigesprochen. Für ihren Mut als Journalistin wurde sie im gleichen Jahr von der International Women's Media Foundation (IWMF) ausgezeichnet.

Auch Eskinder Nega wurde 2007 von dem Vorwurf des Landesverrats freigesprochen. Es folgt das E-Mail-Interview mit dem Paar im Anschluss an den jüngsten Niebel-Besuch in Äthiopien.


*


Frage: Wie würden Sie die derzeitige Menschenrechtslage in Äthiopien beschreiben?

Serkalem Fasil und Eskinder Nega: In einem Wort ausgedrückt: Sie ist furchtbar. Äthiopien ist Afrikas Rückfallstar seit 2005, als ähnlich wie in Burma der Sieg der Opposition in den ersten Mehrparteienwahlen durch brutale Gewalt (in einen Sieg der Regierung) verkehrt wurde. Die Abwesenheit einer starken Zivilgesellschaft und freien Presse - beide wurden 2005 geknebelt - beschleunigte den Abstieg. Auf Aufstände minderer Intensität in den Regionen Oromo und Somali reagierte das Militär mit unverhältnismäßiger Härte. In einem Fall - und Satellitenbilder von 'Human Rights Watch' beweisen das - wurden in der Somali-Region ganze Dörfer in Brand gesetzt. Alle internationalen Menschenrechtsorganisationen zählen Äthiopien zu den schlimmsten Menschenrechtsverletzern der Welt.

Frage: Wie viele Dissidenten und Journalisten sitzen derzeit im Gefängnis?

Nega: Genaue Angaben zu den exakten Zahlen waren noch nie bekannt. Doch wird allgemein angenommen, dass es im Verlauf der 20 Jahre, die die 'Ethiopian People's Revolutionary Democratic Front' (EPRDF) an der Macht ist, Tausende wenn nicht gar Zehntausende gewesen sein dürften. Eine erschreckend hohe Zahl wurde ohne fairen Prozess entweder zum Tode oder zu lebenslanger Haft verurteilt.

Äthiopien hat mehr politische Gefangene zum Tode verurteilt als die Subsahara-Staaten zusammen - Ruanda und Sudan ausgenommen. Das Gleiche gilt für die lebenslangen Haftstrafen.


"Wir sind höchst privilegiert, Teil dieser Geschichte zu sein"

Frage: Viele Ihrer Kollegen haben das Land verlassen. Sie sind geblieben und machen weiter. Was hält Sie?

Fasil und Nega: Die Hoffnung. Der Erfolg von Mehrparteiendemokratien in anderen Teilen Afrikas - in Botswana, Ghana, Namibia, Sambia, Senegal, Südafrika etc. - beflügelt unseren Optimismus: Wir glauben nicht nur, dass Demokratie möglich ist, sondern dass sie unser unabänderliches Schicksal ist: für uns als Volk und als Land. Die Hochs und Tiefs, die wir als Einzelne und als Volk erleben, sind nicht nur unabdinglich, wie die Beispiele aus anderen Teilen der Welt lehren (...). Sie sind die Zutaten, die dem ultimativen Preis - der Demokratie - ihren wirklichen Wert verleihen. Wir sind höchst privilegiert, Teil dieser Geschichte zu sein. Das werden wir niemals für etwas anderes aufgeben.

Frage: Bei den letzten Wahlen 2010 beanspruchte die Partei Zenawis 99,6 Prozent der Parlamentssitze. Ein Ergebnis zu schön um wahr zu sein?

Fasil: Das ist noch gelinde gesagt. Ministerpräsident Meles Zenawi hat sogar als vorläufigen Höhepunkt der Absurdität darauf gepocht, dass der einzige Sitz für die Opposition im 547 Abgeordnete zählenden Parlament als Konsequenz des 99,6 Prozent-Siegs mit mehr Demokratie denn je einhergeht.

Frage: Mit welchen Problemen sahen Sie sich als politische Gefangene und als vehemente Kritiker der Zenawi-Regierung konfrontiert - sowohl privat als auch beruflich?

Nega: Ich saß wegen meiner journalistischen Arbeit sieben Mal im Gefängnis. Ich wurde gefoltert und zusammengeschlagen. Meine Frau - Serkalem Fasil - gebar unseren Sohn in Gefangenschaft unter unsäglichen Bedingungen. Obwohl unser Kind untergewichtig zur Welt kam, wurde ihm der Brutkasten verweigert.

Alle diese Vorfälle haben das Gegenteil von dem bewirkt, was sie erreichen sollten. Wir sind entschlossener denn je. So wirkt sich die Kraft der Wahrheit auf durchschnittliche Menschen aus, die wir unserem Gefühl, unserer Veranlagung und unserer Erziehung nach verkörpern. Die Lektion lautet: Die Wahrheit ist mächtiger als die Macht des Staates.


Im Blick der 'Polizeistaat-Paparazzi'

Frage: Werden Sie unter Druck gesetzt?

Fasil und Nega: Sagen wir mal, dass die Paparazzi-Version des Polizeistaates sehr an uns interessiert ist. Zum Glück sind wir international bekannt. Das ermöglicht uns ein gewisses Maß an Schutz, den einzigen Schutz. Es wäre nicht fair, nur über uns zu reden, wo so viele andere Menschen größeres Leid erfahren als wir.

Frage: Frau Fasil, Sie waren Mitherausgeberin dreier unabhängiger Zeitungen, die 2005 aufgrund ihrer kritischen Berichte über den Wahlprozess geschlossen wurden. Wie stehen die Chancen, dass Sie und ihr Mann in nächster Zeit als Journalisten wieder arbeiten können?

Fasil: Darauf hoffen wir, doch sollte dies nicht geschehen, werden wir nicht aufgeben. Der Kampf geht weiter - in einer breiteren und intensiveren Form und im rechtlichen und friedlichen Rahmen. Die Zeit arbeitet für uns. Die Wahrheit ist auf unserer Seite. Am Ende werden wir gewinnen.


Subventionierte Tyrannei

Frage: Äthiopien ist mit jährlich zwei Milliarden US-Dollar Entwicklungshilfe ein Liebling der Geberstaaten. Segen oder Fluch?

Nega: Es gibt international anerkannte Messlatten für gute Regierungsführung wie Mehrparteiendemokratie und freie Wahlen, die allen Ländern abverlangt werden sollten. Das ist kein Aufruf an die reichen Staaten, sich in die Angelegenheiten der armen Staaten einzumischen. Eine strenge Einhaltung demokratischer Standards als Voraussetzung für die Auszahlung von Hilfsgeldern wird unvermeidlich dazu führen, dass sich die innerstaatliche Dynamik zugunsten der Einhaltung dieser Standards auswirkt.

Der Standard der guten Regierungsführung sollte für alle Länder gleichermaßen gelten. Kein Land hat Armut je mit Hilfsgeldern besiegt. Äthiopien ist da keine Ausnahme. (Ethiopia will not be the first shatter this record). Es wäre unredlich, wenn ein Entwicklungsminister etwas anderes behaupten würde. Allerdings wird Tyrannei, wie dies Human Rights Watch eloquent ausgedrückt hat, durch Geberstaaten subventioniert.

Frage: Internationale Medien bezeichnen Ministerpräsident Zenawi gern als Mann mit Januskopf, der auf der einen Seite Entwicklung fördert und auf der anderen Seite gegen grundlegende Rechte verstößt. Sind Sie der gleichen Ansicht?

Fasil: Selbst nach 20 Jahren unter der Herrschaft von Ministerpräsident Meles Zenawi kann Äthiopien seine Millionen Hungernden nicht ernähren. Das Land ist nach wie vor von Nahrungsmittelhilfe abhängig - 37 Jahre nach Ankunft der ersten Schiffsladungen. Einen solchen Fall hat es in der Weltgeschichte noch nicht gegeben.

Ministerpräsident Meles regiert Äthiopien mehr hungergeplagte Jahre - 20 Jahre - als jeder anderer politische Führer in der Geschichte. Was für ein Entwicklungserfolg soll das sein? Sicher nicht der, auf den jeder gescheite Mensch stolz wäre. Wie sehr werden sich die Kenianer, die halb so viele Menschen zählen wie wir und doppelt so viel exportieren, über unsere 'Entwicklung' amüsieren! Den internationalen Medien ist die wahre Geschichte wirklich entgangen.


Degenerierte Hilfe

Frage: Der deutsche Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel hat Äthiopien unlängst mit dem Versprechen verlassen, die Entwicklungsbemühungen des Landes weiter zu unterstützen. Wie bewerten Sie den Besuch Niebels im Hinblick auf die Menschenrechte in Äthiopien?

Nega: Es ist ein Strategiegebot des Westens, Hilfsgelder mechanisch und nicht unbedingt klug zu verteilen. Auch wenn die Hilfe zunächst erhabenen und schätzenswerten Zielen diente, führten tiefe Enttäuschungen dazu, dass sie zu wenig mehr als der Besänftigung des schlechten Gewissens der Reichen in einer armen, Mangel leidenden Welt degeneriert ist.

Niemand interessiert sich wirklich dafür, was mit dem Geld geschieht - es konnte die Welt nicht ändern, und das wird auch nicht erwartet. Der Zynismus der Hilfsbürokratien ist einfach grauenhaft. Unbestritten regiert hier die Apathie. Und ich fürchte, dass sich Dirk Niebel von diesen Zynikern mitreißen ließ. Paradoxerweise braucht die Welt mehr und nicht weniger Hilfsgelder. Sie könnten Gutes bewirken. Sie müssten aber von Trägheit und Zynismus abgekoppelt werden.

Frage: Minister Niebel hat Zenawi zur Münchener Sicherheitskonferenz vom 4. bis 6. Februar eingeladen. Der autoritäre Staatspräsident Weißrusslands, Alexander Lukaschenko, der nach den äußerst umstrittenen Wahlen im Dezember seinen Sieg mit angeblich 79,7 Prozent der Stimmen besiegelte, wurde hingegen ausgeladen. Was sagen Sie dazu?

Frage: Weißrussland befindet sich in Europa, Äthiopien in Afrika. Hier liegt die Lösung des Rätsels. Wen interessiert schon, was in Afrika geschieht, solange dort Kriege nicht für Schlagzeilen sorgen? Vermeide einen aktiven Krieg und du wirst als Erfolg hingestellt. Die Messlatte für den Erfolg wird lächerlich niedrig angelegt - die Arbeitsweise der Trägheit und des Zynismus, die die Beziehungen zwischen Äthiopien und dem Westen nun schon seit zwei Jahrzehnten definieren. Das hat nicht nur zu Abhängigkeit, sondern zu einem hartnäckigen Hilfsanspruch der Regierung geführt. Das ist nicht gut für Äthiopien und sicher nicht das, was der Westen wirklich beabsichtigt oder gewollt hat. (Ende/IPS/kb/2011)


© IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH


*


Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 25. Januar 2011
IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 28 482 361, Fax: 030 28 482 369
E-Mail: redaktion@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Januar 2011