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ASIEN/567: Positionspapier aus Talibankreisen (Christoph R. Hörstel)


Positionspapier aus Talibankreisen

übermittelt von Christoph Hörstel


Am 25. März erhielt der Schattenblick von dem deutschen Afghanistan-Experten Christoph Hörstel per E-Mail aus Kabul ein inoffizielles, auf Englisch verfaßtes Positionspapier aus Kreisen der Taliban zur Beilegung des Konfliktes am Hindukusch. Es folgt eine von der Schattenblick-Redaktion ins Deutsche übertragene Version des Dokuments:

Kabul, den 24. März 2009

Die mögliche Taliban-Position bezüglich

- des Abzugs der NATO (OEF/ISAF) aus Afghanistan
- der künftigen afghanischen Innenpolitik

Einleitende Bemerkungen

Die folgenden Informationen erhielt ich am 24. März in Kabul von Mullah Abdulsalam Zaeef, dem ehemaligen Botschafter des Islamischen Emirats Afghanistan in der Islamischen Republik Pakistan. Herr Zaeef ist zwar nicht mehr offizielles Mitglied der Taliban, der Bewegung jedoch von ganzem Herzen verbunden. Hiermit bringt er seine persönliche Meinung ohne jegliche Garantie auf politische Gültigkeit zum Ausdruck. Wie man aus seinem seit langem bestehenden und hochaktuellen Engagement für die Politik der Taliban und seiner Beteiligung an den Friedensbemühungen Saudi-Arabiens und der VAE sowie aus den täglichen Besuchen von Botschaftern und anderen Regierungsmitgliedern in seinem Haus schließen kann, sollten seine Aussagen dennoch als nicht allzu weit entfernt von der Position der Taliban bewertet werden.

Atmosphäre und Inhalt unseres zweistündigen Gesprächs deuten auf eine fundamentale Veränderung in der politischen Vorgehensweise der Taliban hin. Diese Veränderung scheint kein Täuschungsmanöver zu sein, mit dem die Bevölkerung dazu gebracht werden soll, die Herrschaft der Taliban zu akzeptieren, sondern ich halte sie aufgrund meiner Kenntnisse für eine genuine Tatsache, der eine auf harte Weise erlernte Lektion zugrundeliegt.

Alle hiermit gelieferten Informationen sollen die Basis für Verhandlungen bilden und stellen kein endgültiges Ergebnis dar.

Jedem, der mit dem Friedensplan und den verfahrenstechnischen Vorschlägen vertraut ist, die ich in der Vergangenheit ("Disengagement Plan") gemacht habe, sei hiermit gesagt, daß diese nicht mehr gültig, sondern im wesentlichen politisch überholt und von daher nur noch von akademischem Interesse sind. Dennoch möchte ich nachdrücklich die Fortsetzung ernst gemeinter Entwicklungshilfe in Absprache mit den afghanischen Behörden als Maßnahme empfehlen, um die Enttäuschung und den Haß, welche die Präsenz und die Kriegspolitik der NATO in der afghanischen Bevölkerung ausgelöst haben, in Grenzen zu halten. Mein Rückflug nach Deutschland ist für den 25. März 2009 nachmittags geplant.

Hauptergebnisse

Die Ergebnisse des Gesprächs betreffen hauptsächlich zwei Aspekte:

Liberalisierung: Welche zum Teil bizarren Nachrichten auch immer während der Zeit des Emirats über die Taliban-Regierung Verbreitung fanden - Schulverbot für Mädchen, das Verprügeln von Taxifahrern, die indische Musik in ihren Autos hörten, und das Messen der Bartlänge einschließlich diverser Strafen bei entsprechenden Verstößen -, dazu wird es mit Sicherheit nicht mehr kommen. Diese repressive Politik gehört offenbar nicht mehr zu den politischen Ambitionen der Taliban. Vorgeschriebene Merkmale eines bestimmten Lebensstils werden nicht mehr durchgesetzt, und es wird kein Verbot von Fernsehen oder Rockmusik in privaten Wohnhäusern geben. Was in der Öffentlichkeit geschieht, ist zwar eine andere Sache, doch die frühere Grobheit wird es nicht mehr geben; Bärte werden nicht mehr vorgeschrieben, Burkhas dagegen werden empfohlen.

Teilnahme der Taliban an Politik und Verwaltung: Die Taliban beanspruchen zukünftig keine persönliche Zuständigkeit oder Macht für einige ihrer Mitglieder bei der nationalen Regierung oder den Provinzregierungen. Statt dessen streben sie an, eine Regierung, die aus "Gelehrten" hauptsächlich islamischer Prägung besteht, zu "kontrollieren". In einigen Bereichen könnten auch "Technokraten" das Sagen haben. Doch auf Gebieten wie Bildung und Wissenschaft ("Islamische Anleitung"), Justiz und Rechtssystem, die den Befürwortern einer islamischen Regierung wichtig sind, soll der Einfluß der Taliban stark sein, (aber auch hier wird die Sonne nicht um die Erde kreisen).

Details

Die Taliban verlangen internationale Garantien für die persönliche Sicherheit und das Wohlergehen für die von ihnen genannten Unterhändler, namentlich für Mullah Mutassim Agha Jan.

Die Zentralregierung soll künftig nach einer Entscheidung einer Loyah Jirgah gebildet werden. Wahlen werden nicht generell ausgeschlossen, doch wären eher unwahrscheinlich. Für alle Bereiche des sozialen und öffentlichen Lebens gilt islamisches Gesetz.

Provinzregierungen werden von der Zentralregierung ernannt. Die traditionelle Gliederung der Provinzen und der Bezirke wird beibehalten.

Die Rückkehr von Flüchtlingen ist hochwillkommen. Die Taliban beanspruchen nicht das Recht, irgend jemandem die Rückkehr zu verwehren.

Menschen, die des Mordes oder anderer Kapitalverbrechen schuldig sind, wird empfohlen, Afghanistan zumindest für eine Weile zu verlassen, damit die Emotionen abkühlen können. Rache wegen Mordes wird als nachvollziehbar erachtet. ("Das Volk wird wissen, ob jemand bleiben soll oder nicht").

[Dies ist Bestandteil des paschtunischen Stammesgesetzes, Paschtunwali, sowie der sozialen Kultur in Afghanistan. Dennoch ist es nicht unüblich, daß Stammesälteste Vereinbarungen treffen, wonach Geld an die Familien der Opfer gezahlt wird, um weiteres Blutvergießen zu vermeiden.]

Ehemalige "Spione" sind nicht willkommen. Soldaten, Mitglieder der Polizei, Regierungsmitarbeiter usw. werden nicht bestraft, brauchen nichts zu befürchten und dürfen ohne weiteres bleiben.

Vereinbarte Entwicklungshilfe ist willkommen und soll in Übereinstimmung mit der Islamischen Regierung fortgesetzt werden.

Übergang und Truppenabzug

Die Regierung Hamid Karsais darf für eine Übergangsperiode von sechs Monaten im Amt bleiben.

Ein Waffenstillstand erscheint möglich.

Zuerst sollen die US-Streitkräfte innerhalb von drei Monaten vollständig abziehen.

Danach sollen die britischen Streitkräfte innerhalb eines Monats abziehen.

Danach sollen die australischen und kanadischen Streitkräfte innerhalb eines Monats abziehen.

Danach sollen alle verbliebenen ausländischen Streitkräfte innerhalb eines Monats abziehen.

Das bedeutet, daß alle ausländischen Streitkräfte innerhalb von sechs Monaten abziehen müssen.

Solange US-Streitkräfte im Lande sind, wird kein Taliban-Büro in Kabul eingerichtet.

Alle Botschaften müssen ihren Personalbestand auf maximal 100 Mitarbeiter beschränken. Die US-Botschaft muß ihr derzeit riesiges Anwesen räumen und sich mit ihrem traditionellen Gebäude begnügen.

Ein Abkommen über eine Übergangsregierung erscheint möglich.

Copyright 2009 by Christoph R. Hörstel


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Quelle:
Christoph R. Hörstel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. März 2009