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ASIEN/576: Sri Lanka - "Alle sind verdächtig" (jW)


junge Welt - Die Tageszeitung - Ausgabe vom 25. Mai 2009

»Alle sind verdächtig«

Sri Lanka: Nach dem militärischen Sieg über die Befreiungstiger
hält die Unterdrückung der tamilischen Minderheit an.

Ein Gespräch mit Peter Schalk von Gerd Schumann


FRAGE: Die srilankische Regierung verkündete am vergangenen Montag den endgültigen Sieg über die LTTE. Zugleich hieß es, daß Hunderte LTTE-Aktivisten getötet worden sind, darunter auch Villupilai Prabhakaran, der Chef der Befreiungsbewegung. Wie werten Sie diese jüngsten dramatischen Ereignisse?

PETER SCHALK: Die Lage ist widersprüchlich. Im srilankischen Fernsehen wurden Bilder eines Toten gezeigt, bei dem es sich um Prabhakaran handeln soll. Zugleich dementierte der LTTE-Verantwortliche für internationale Beziehungen: Prabhakaran lebe und sei in Sicherheit. Ich kann nicht sagen, was die Wahrheit ist.

FRAGE: Den LTTE-Darstellungen zufolge waren zwei Führungsmitglieder der Organisation am Morgen des 18. Mai auf internationale Vermittlung hin zu Verhandlungen mit den srilankischen Militärs bereit, hätten sich den gegnerischen Offizieren vereinbarungsgemäß unbewaffnet und unter weißer Fahne genähert und seien dann erschossen worden...

PETER SCHALK: Ich habe das auch gelesen. Es ist schrecklich und tragisch. Ein anderes Ende wäre möglich gewesen, doch für wahrscheinlich halte ich, daß Colombo ein Programm zur totalen Vernichtung der LTTE umsetzt - auf alle Fälle aber der »Ausrottung« der Führungsschicht; davon war in Colombo schon seit längerem die Rede.

FRAGE: Werden folglich auch nach Verkündung des »endgültigen Sieges« die militärischen oder mindestens repressiven Maßnahmen gegen die tamilische Bevölkerung weitergehen?

PETER SCHALK: Die Gefangenenlager beispielsweise dienen ja nicht zur Rehabilitierung, sondern zur Untersuchung. Man will herausbekommen, wo die einzelnen Insassen, Flüchtlinge, Vertriebenen stehen, will LTTE-Mitglieder aufspüren - und die wird man dann einer Sonderbehandlung unterwerfen.

FRAGE: Jüngste Zahlen der hinter Stacheldraht sitzenden Flüchtlinge liegen bei 290 000. In Meldungen ist von Übergriffen und Vergewaltigungen durch die Armee die Rede. Liegen genauere Informationen vor?

PETER SCHALK: Es gibt die Berichte von jenen drei Ärzten, die vor einigen Tagen von der Armee verhaftet wurden, wegen angeblich falscher Angaben gegenüber der Weltöffentlichkeit. Dieses Vorgehen seitens der Regierenden signalisiert, daß Informationen unterdrückt werden sollen und die Repression weitergeht.

FRAGE: In der Hauptstadt Colombo und anderswo kam es zu singhalesischen Jubelfeiern in tamilischen Vierteln. Eine Welle des Nationalismus scheint über die Insel zu schlagen. Die Lage für die Tamilen, also fast 20 Prozent der Bevölkerung, stellt sich als hoffnungslos dar.

PETER SCHALK: Es sieht nicht gut aus - jüngst kam es sogar zu Demonstrationen vor der britischen Botschaft in Colombo, weil diese gesagt hatte, die srilankische Regierung würde die Menschenrechte verletzen. Dabei ist die britische Äußerung eine Reaktion auf die Lage. Daß es nun zu den Protesten kam, deutet indes darauf hin, daß inhaltlich unterschiedliche Positionen existieren; und das nicht nur im singhalesischen, sondern auch im tamilischen Lager.

FRAGE: Welche politischen Gegensätze sehen Sie unter den Tamilen?

PETER SCHALK: Innerhalb der LTTE gab es schon seit langem Spannungen wegen der Frage, wie weit man in Verhandlungen gehen soll. Anton Balasingham beispielsweise, 2005 Chefunterhändler der Tiger in Oslo, wo über den weiteren Umgang mit dem Waffenstillstandsabkommen von 2002 geredet wurde, suchte einen föderalistischen Weg für »Tamil Eelam«, also dem propagierten Tamilenstaat im Osten und Norden. Er fand damit wenig Widerhall bei den Radikalen in der LTTE. Aber es war ein Versuch, eine Lösung unterhalb des eigenen Staats zu finden.

FRAGE: Das scheiterte aber nicht nur innerhalb der LTTE, sondern wurde auch von Colombo abgelehnt...

PETER SCHALK: Sicherlich ist es an der singhalesischen Seite gescheitert. Die lehnten selbst einen Föderalismus ab. Trotzdem ist der Verhandlungswille unter sogenannten moderaten Tamilen stark verankert. Und die sehen nunmehr eine Möglichkeit, daß man eine neue Verhandlungsposition einnehmen kann. Es gibt viele im Exil, die so denken. Das wird dann auch international registriert. Und man verspricht sich von dieser Gruppe sehr viel.

FRAGE: Bisher gibt es keinerlei Andeutungen seitens Colombos, etwa verhandeln zu wollen. Die Regierung fühlt sich stark. Warum sollte sie auch angesichts ihres militärischen Triumphs einlenken?

PETER SCHALK: Das singhalesische Lager ist nicht einheitlich. Die Scharfmacher versuchen, jegliche Kompromisse mit den Tamilen zu vermeiden und wollen einen »Einheitsstaat« durchsetzen. Das stimmt. Andere Kräfte jedoch drängen auf Mäßigung. Es gibt Gegensätze innerhalb der singhalesischen und auch innerhalb der tamilischen Gemeinschaft.

FRAGE: Ist denn mit ihrer schweren militärischen Niederlage die LTTE selbst am Ende, oder wie geht es mit ihr weiter?

PETER SCHALK: Nein, die LTTE ist nicht am Ende. Nach meinem Eindruck stand zumindest die tamilische Gemeinschaft im Exil noch nie so zusammen wie eben jetzt. Alte wie junge Menschen, auch Dissidenten, treffen sich. Die LTTE im Exil existiert. Sie gibt es in vielen Ländern, und sie bildet den Rückhalt für die Tamilen auf Sri Lanka.

Es werden Gelder zur Unterstützung der Landsleute auf der Insel gesammelt. Die Tigerfahne war bei allen Protesten in jüngster Zeit dabei. In Kanada wehrt man sich ausdrücklich dagegen, das riesige Flüchtlingsproblem als ausschließlich humanitäre Frage zu betrachten. Die Situation der Flüchtlinge sei politisch verursacht worden und müsse also auch politisch angegangen werden. Das ist nur unter Einbeziehung der LTTE möglich.

FRAGE: Wenn also die LTTE ein wichtiger politischer Faktor bleibt und ohne die Befreiungstiger letztlich der singhalesisch-tamilische Konflikt in Sri Lanka nicht gelöst werden kann, müßten dann nicht die Sanktionen gegen die Organisation aufgehoben und die LTTE von der EU-Terrorliste gestrichen werden?

PETER SCHALK: Das wäre dringend geboten und vernünftig. Es wäre sinnvoll gewesen, die LTTE gar nicht erst mit Sanktionen zu belegen. Und so war es ja auch über lange Zeit vor der Bush-Regierung. Doch dann wurde die sogenannte Pax Americana propagiert, also der »Kampf gegen den Terror«. Die EU akzeptierte dies in Sachen LTTE 2006.

FRAGE: Und jetzt hoffen Sie auf einen Wechsel durch den neuen US-Präsidenten?

PETER SCHALK: Vielleicht wird die Doktrin verändert und die »Pax Americana« nicht mehr so aufgefaßt wie unter Bush. Ich trete für ein neues Verständnis dessen ein, was geschehen ist. Es war, obwohl Sri Lankas Präsident darauf beharrt, eben kein »Kampf gegen den Terrorismus«. Es handelte sich um einen Kampf gegen die ethnische Gemeinschaft der Tamilen. So sollte man die Frage in Zukunft betrachten, dann entstände ein neues Verständnis über die LTTE. Tatsache ist, daß nicht die Politik der LTTE die mörderische Politik der Regierung verursacht hat, sondern umgekehrt. Die LTTE ist eine Folge der mörderischen Politik der Regierung.

FRAGE: Woran machen Sie Ihre These fest?

PETER SCHALK: An der Diskriminierungslage. Jede und jeder, der tamilisch spricht, ist verdächtig - und das seit Jahrzehnten. Bereits in den fünfziger Jahren kam es zu Pogromen gegen die tamilische Bevölkerung. Es folgten seitdem fünf Übergriffe mit Pogromcharakter - also nicht auf einzelne Tamilen, sondern auf die gesamte Bevölkerungsgruppe. Der schwerste davon geschah im Juli 1983, als Tausende Tamilen ermordet wurden und ungeahnte Gewalt auch gegen Frauen und Kinder ausgeübt wurde. Das führte dazu, daß die LTTE zu den Waffen griff.

FRAGE: Nunmehr ging die militärisch weit überlegene Armee Sri Lankas mit rücksichtsloser Brutalität sowohl gegen die LTTE als auch gegen die Bevölkerung vor. Betroffen sind Hunderttausende - die Wut ist groß. Wird sie zu einem neuen Zulauf zur Guerilla führen?

PETER SCHALK: Das kann sein. Die LTTE kann man nicht vernichten, man kann sie schwächen. Doch die ethnische Unterdrückung wird bleiben, also der Nährboden für Widerstand, und die Unterstützung im Exil wird anhalten. Insbesondere die zweite Generation, die nicht in Sri Lanka gekämpft hat, drängt voran, und dabei vor allem die Frauen. Das gab es vorher nicht.

FRAGE: Sie hoffen sehr auf die tamilischen Gemeinden im Exil. Bedeutet das im Umkehrschluß, daß der innersrilankische Widerstand am Boden liegt?

PETER SCHALK: Nein. Da gibt es beispielsweise immer noch die TNA, ein Zusammenschluß von Tamilenparteien. Sie ist im Parlament vertreten. Derzeit arbeitet diese allerdings unter sehr komplizierten Bedingungen. Die 22 TNA-Abgeordneten befinden sich ständig in Lebensgefahr, wagen sich nicht zu äußern, weil sie wissen, daß sie eine Kugel in den Kopf bekommen könnten. Manche sind ins Ausland gegangen, weil sie nicht mehr überleben konnten in Colombo. Unter den Bedingungen eines unerträglichen Chauvinismus im Lande zu bleiben, ist wirklich Heroismus.

FRAGE: Und welche Zukunftschancen sehen Sie für die LTTE innerhalb des Landes?

PETER SCHALK: Da müßte ich zunächst einmal wissen, wer überhaupt überlebt hat. Aber sicher gibt es fähige Leute.


Peter Schalk, Jahrgang 1944, Professor für Religionsgeschichte an der Universität Uppsala in Schweden, Experte für Hinduismus und Buddhismus. Schalk forscht zu den religiösen Hintergründen in sozial-ökonomischen Konflikten sowie zum Märtyrerkonzept der Befreiungstiger von Tamil Eelam (LTTE) auf Sri Lanka.


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Quelle:
junge Welt vom 25.05.2009, Seite 3
mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Redaktion
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Mai 2009