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ASIEN/599: Philippinen - Schamlose Führung (jW)


junge Welt - Die Tageszeitung - Ausgabe vom 7. Dezember 2009

Schamlose Führung

Präsidentin der Philippinen verhängt das Kriegsrecht
und macht Verbündete als Rebellen aus.
Scharfe Kritik von Medien und Opposition

Von Rainer Werning


Nach einer eilig anberaumten Krisensitzung des Nationalen Sicherheitsrates hat die philippinische Präsidentin Gloria Macapagal-Arroyo am Sonnabend die Provinz Maguindanao unter Kriegsrecht gestellt. Bereits am 24. November war dort sowie in der Nachbarprovinz Sultan Kudarat und in der Stadt Cotabato der Notstand erklärt worden. In der Region hätten »schwerbewaffnete Gruppen Stellung bezogen, um sich den Regierungstruppen zu widersetzen«, begründete die Präsidentin ihre drakonische Maßnahme. »Ruhe und Ordnung in Maguindanao« seien derart gestört gewesen, »daß das Rechtssystem in der Provinz nicht mehr funktionierte.« Nun hätten die Sicherheitskräfte größeren Spielraum bei den Ermittlungen und seien autorisiert, Verdächtige ohne Haftbefehl gefangenzunehmen.

Die Opposition im Kongreß, zahlreiche Senatoren und große Teile der außerparlamentarischen linken Opposition zeigten sich empört über Arroyos Schritt. Sie verglichen ihn mit dem 21.September 1972, als sich der damalige Staatschef Ferdinand E. Marcos mittels des Kriegsrechts sämtlicher Widersacher entledigte. Demgegenüber begrüßte die Mehrheit der Kongreßmitglieder die Verhängung des Kriegsrechts.

Hintergrund des Ausnahmezustandes ist ein offenbar politisch motiviertes Massaker vor zwei Wochen, das mindestens 57 Menschenleben gefordert hatte. Hinter dem Verbrechen wird der mächtige Ampatuan-Clan vermutet, der sich dadurch der Konkurrenten um die Vorherrschaft in der Region entledigen wollte. Der Ampatuan-Clan verdankte seinen politischen, wirtschaftlichen und militärischen Höhenflug bislang der Protektion durch die seit Ende Januar 2001 amtierende Präsidentin Arroyo. Die Familie besitzt mehrere exklusive Liegenschaften in Maguindanao und Davao City sowie ein mit Schußwaffen ausgerüstetes Heer von Bodyguards. Insider des Innenministeriums schätzen die Gesamtzahl der bewaffneten Gefolgschaft der Ampatuans auf etwa 1000 Mann, die in der Vergangenheit mit Hilfe des Militärs und der Nationalpolizei schrittweise aufgebaut wurde. Im Gegenzug wurden Arroyo von ihrem zuverlässigsten Statthalterclan in Mindanao bei der Präsidentschaftswahl 2004 und bei den Senatswahlen 2007 massenhaft Wählerstimmen zugeschanzt.

Nach dem Massaker ist dieses Bündnis nun offenbar beendet. Laut geltender Verfassung aus dem Jahr 1987 kann das Kriegsrecht nur »im Falle einer Invasion oder Rebellion« verfügt werden. Allerdings wird das Land weder von einer Invasion heimgesucht, noch droht eine ernsthafte Rebellion. So muß Arroyo ihre bisher engsten Verbündeten auf Mindanao nun als Verschwörer ausmachen.

Nachdem sich der Gouverneur der Provinz, Andal Ampatuan, den Behörden gestellt hatte, wurden am Sonnabend sieben weitere Verdächtige festgenommen, darunter mehrere seiner Verwandten. Sein Sohn Andal Ampatuan jr. sitzt bereits seit Tagen in Manila in Haft, wo gegen ihn eine Anklage wegen 25fachen Mordes vorbereitet wird.

Teodoro Casiño von der linken Partei Bayan Muna kritisierte am Wochenende, das Kriegsrecht sei nicht notwendig, wenn sich Polizei, Militär und andere Regierungsinstitutionen nur ernsthaft ihrer eigentlichen Aufgabe verpflichtet fühlen würden, bestehende Gesetze auch zu vollziehen. »Was vielmehr geboten ist«, so Casiño, »ist der politische Wille seitens Präsidentin Arroyo, endlich die Nabelschnur zu den Ampatuans zu kappen und das Gesetz ernsthaft und umsichtig zu befolgen.« Was die täglich wachsende Schar der Arroyo-Kritiker vor allem auf die Palme bringt, ist, daß die Präsidentin bislang die Hauptverdächtigen des Ampatuan-Clans mit Glacéhandschuhen angefaßt hat. Statt Mitgefühl mit den Opfern des Massakers zu zeigen, besuchte die Präsidentin lieber ihre Heimatprovinz Pampanga, um dort ihre Kandidatur als Kongreßabgeordnete bei den nächsten Wahlen im Mai 2010 zu verkünden. In der auflagenstarken Philippine Daily Inquirer kommentierte Kolumnist Ramon Tulfo dieses Verhalten am 30. November mit dem Satz: »Ein schamloser Führer verdient keinen Respekt«.


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Quelle:
junge Welt vom 07.12.2009
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Dezember 2009