Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → AUSLAND

ASIEN/745: Taiwan - Hinrichtung nach erzwungenem Geständnis, schwerer Justizirrtum aufgeklärt (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 7. Juni 2011

Taiwan: Hinrichtung nach erzwungenem Geständnis - Schwerer Justizirrtum aufgeklärt

Von Dennis Engbarth


Taipeh, 7. Juni (IPS) - Die Staatsanwaltschaft in Taiwan hat einen folgenschweren Justizirrtum bestätigt. Demnach wurde in dem Inselstaat vor 14 Jahren ein Angehöriger der Luftwaffe aufgrund eines erzwungenen Geständnisses hingerichtet. Die neun Offiziere, die ihn zuvor gefoltert hatten, wurden bisher jedoch nicht rechtlich belangt.

Chiang Kuo-ching war für schuldig befunden worden, auf einem Truppenstützpunkt in Taipeh ein fünfjähriges Mädchen vergewaltigt und getötet zu haben. Nachdem Chiangs Eltern mit Unterstützung von Menschenrechtsaktivisten eine jahrelange Kampagne zur Rehabilitierung des Gefreiten geführt hatten, entschieden die Behörden, den Fall im Mai 2010 neu aufrollen zu lassen.

Laut der Staatsanwaltschaft ist inzwischen eindeutig erwiesen, dass Chiang Kuo-ching unschuldig war. Gegen seinen Kameraden Hsu Jung-chou wurde Anklage wegen Mordes erhoben. Ihm droht nun eine Freiheitsstrafe von 20 Jahren.

Die Justiz fand heraus, dass zuvor gegen Chiang verwendete Beweise - ein blutbefleckter Rasierer, Toilettenpapier und ein Handabdruck - nicht mit dem Verurteilten in Verbindung gebracht werden konnten. Der Mann war demnach trotz mangelnder Beweise exekutiert worden.

Fest steht außerdem, dass Mitglieder des Luftwaffen-Geheimdienstes den Gefreiten durch Einschüchterung und Misshandlungen zu einem Geständnis zwangen. Weder die an der Folter beteiligten Offiziere noch zwei ehemalige Verteidigungsminister wurden jedoch belangt.


Ex-Verteidigungsminister in Fall verstrickt

Ganz oben auf der Liste der Verdächtigen steht Chen Chao-min, ein früherer Luftwaffengeneral, der unter der konservativen Regierung von Präsident Ma Ying-jeou von Mai 2008 bis September 2009 das Verteidigungsressort leitete. Zur Zeit der Ermittlungen gegen Chiang hatte er ein Untersuchungsteam gebildet. Widerrechtlich holte er Geheimdienstoffiziere dazu und instruierte sie, den "mentalen Widerstand" Chiangs und anderer Verdächtiger zu brechen, indem sie die Verhörmethoden "intensivierten".

Aus einem Bericht der Staatsanwaltschaft geht jetzt hervor, dass Chiang in Handschellen und mit verbundenen Augen in einen unterirdischen Bunker der Luftwaffe gezerrt wurde. Dort wurde er vier Stunden lang bei extrem grellem Licht verhört. Mehrmals musste er ein Video ansehen, in dem die Autopsie des Mordopfers gezeigt wurde. Chiang wurde außerdem mit einem elektrischen Viehtreiber misshandelt.

In dem folgenden Verfahren vor einem Militärtribunal wurde das von dem Gefreiten erzwungene Geständnis als Hauptbeweismittel benutzt, obwohl der Angeklagte sein Geständnis widerrufen und angegeben hatte, gefoltert worden zu sein.

Den neun Offizieren steht schlimmstenfalls eine Anklage wegen Nötigung, Einschüchterung und Gefährdung bevor. Darauf steht eine Höchststrafe von knapp drei Jahren Gefängnis. Chiangs Familie und Menschenrechtsaktivisten sind empört. Staatspräsident Ma habe noch im Februar zugesichert, dass die Verantwortlichen für den Tod von Chinag Kuo-ching zur Rechenschaft gezogen würden, erinnerte Lin Feng-cheng von der 'Judicial Reform Foundation' (JRF). (Ende/IPS/ck/2011)


Links:
http://www.jrf.org.tw/newjrf/english.htm
http://ipsnews.net/news.asp?idnews=55885

© IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH


*


Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 7. Juni 2011
IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 28 482 361, Fax: 030 28 482 369
E-Mail: redaktion@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Juni 2011