Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → AUSLAND

ASIEN/755: Japan - Atomdebatte nimmt Fahrt auf, Gegner und Befürworter melden sich zu Wort (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 23. Juni 2011

Japan: Atomdebatte nimmt Fahrt auf - Gegner und Befürworter der Atomkraft melden sich zu Wort

Von Suvendrini Kakuchi


Tokio, 23. Juni (IPS) - Drei Monate nach dem verheerenden Erdbeben und der Havarie eines Atomreaktors in Fukushima steht die Zukunft der Kernenergie in Japan im Mittelpunkt einer äußerst kontrovers geführten Debatte. Eines jedoch räumen Befürworter und Gegner ein: Für einen Kurswechsel in der Energiepolitik müssen Japans Wirtschaft und Verbraucher einen hohen Preis bezahlen. Bei Umfragen im Mai hatten sich 70 Prozent der Japaner gegen die Kernkraft ausgesprochen.

Mit der von der Regierung in Tokio angekündigten Umrüstung auf mehr Sicherheit in Atomkraftwerken, einer deutlich verstärkten Nutzung von erneuerbarer Energie oder dem von Atomkraftgegnern geforderten Abschalten riskanter Kernkraftwerke sind hohe Kosten verbunden. Ganz zu schweigen von Schadensersatzleistungen und der aufwändigen Beseitigung der durch die Havarie der Atommeiler entstandenen Milliardenschäden.

Takao Kashiwagi, Fachwissenschaftler am renommierten Technologie-Institut in Tokio und Mitglied des von der Regierung eingerichteten neuen Energiekomitees, versuchte mit Ausgewogenheit, die beunruhigte Öffentlichkeit zu besänftigen. "Das Entsetzen über den Atomunfall in Fukushima lässt sich gewiss nicht leugnen. Dennoch gilt es, die künftige Bedeutung der Kernenergie für Japans Wirtschaft klug abzuwägen", forderte er und verwies auf die große Abhängigkeit des Landes von der Kernkraft, die 30 Prozent des Energiebedarfs deckt. "Vor dieser Realität dürfen wir nicht die Augen verschließen, sondern müssen neue Technologien entwickeln, damit die Kernkraftwerke sicher werden. Der beste Weg dahin ist die internationale Kooperation."

Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) übte in einem lange erwarteten, am 1. Juni veröffentlichten Bericht scharfe Kritik an den derzeitigen Rettungseinsätzen und Notstandsmaßnahmen in Fukushima. Jetzt verlangt sie weltweit geltende, umfassende Sicherheitsvorschriften für Kernkraftwerke.

Der engagierte Atomkraftgegner Reiichi Suzuki, ein Experte für Materialwissenschaft, hat in Fukushima einen Ausschuss gegründet, dem regionale Wirtschaftsvertreter und Akademiker angehören. Nach seinen Angaben unterstützen in der Region immer mehr Menschen die Forderung, die Atommeiler in der Region abzuschalten.

"Kernenergie hat keinen Wert, das ist die erschreckende Wahrheit. Sie ist nicht nur unsicher, sondern bedeutet für die Menschen zudem eine schwere finanzielle Belastung", kritisierte der Aktivist. "Sie müssen die in die Atomindustrie gesteckten Subventionen zurückzahlen. Zudem lässt man es zu, dass reiche Unternehmen unsere Naturressourcen kontrollieren."

Wirtschaftsexperten warnen vor dem Abschalten von Reaktoren und den daraus für die japanische Industrie entstehenden Verlusten. Zudem befürchten sie hohe Kompensationsforderungen. Die Prognosen für Japans Wirtschaftswachstum für 2011 liegen bei unter einem Prozent.


Exodus der Unternehmen befürchtet

Die Energieknappheit könnte nach Ansicht von Experten mehr japanische Unternehmen zum Abwandern ins Ausland zwingen. Geringere Steuereinnahmen und eine höhere Arbeitslosigkeit wären die Folgen.

Auch die von der japanischen Regierung versprochenen Sicherheitsgarantien für die Atomenergie sowie die Ankündigung Tokios, 20 Prozent des nationalen Energiebedarfs durch alternative Energien zu decken, lässt nach Ansicht des Wirtschaftsanalysten Takeshi Inoguchi die Alarmglocken schrillen. "Die Regierung war gezwungen, unter dem Eindruck der atomaren Verseuchung in Fukushima ihre früheren Fehler einzuräumen und bessere Sicherheitsstandards zu versprechen", sagte er.

Vor der Katastrophe von Fukushima sahen Japans energiepolitische Pläne ganz aus. Um den nationalen Energiebedarf zu 50 Prozent aus Kernkraftwerken decken zu können, sollte die Kapazität der 54 vorhandenen Atomkraftwerke durch weitere Meiler aufgestockt werden. In einem Punkt sind sich Suzuki und Kashiwagi, der Atomkraftgegner und der Befürworter der Kernenergie, jedoch einig: Nach Fukushima muss sich Japan von seiner ehrgeizigen Atompolitik verabschieden.

"Der Kampf um unseren künftigen Umgang mit der Atomkraft beginnt gerade erst", bekräftigte Suzuki. "Bleibt es bei dem Versprechen, das gesamte alte System abzuschaffen, oder wird man sich bei den Veränderungen mit Stückwerk begnügen?" (Ende/IPS/mp/2011)

Links:
http://www.iaea.org
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=56163

© IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH


*


Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 23. Juni 2011
IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 28 482 361, Fax: 030 28 482 369
E-Mail: redaktion@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Juni 2011