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ASIEN/784: Kasachstan - Regierung unter Druck, Ölarbeiter-Streik spielt Opposition in die Hände (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 10. Januar 2012

Kasachstan: Regierung unter Druck - Ölarbeiter-Streik spielt Opposition in die Hände

von Christopher Pala

Der Chef der Sozialdemokraten, Bulat Abilow - Bild: © Christopher Pala/IPS

Der Chef der Sozialdemokraten, Bulat Abilow
Bild: © Christopher Pala/IPS

Almaty, 10. Januar (IPS) - Unruhen während eines Erdölarbeiter-Streiks in der Stadt Schangaösen nahe dem Kaspischen Meer haben die Regierung offenbar in politische Bedrängnis gebracht und zur Rücknahme eines Wahlverbots veranlasst.

In Schangaösen wurde angeblich aus Sicherheitsgründen erwogen, den Einwohnern die Stimmabgabe bei den anstehenden Parlamentswahlen zu verwehren. Politische Beobachter vermuten dagegen, dass die Regierung in erster Linie Stimmengewinne für die Opposition verhindern wollte.

Bei den Protesten in der Erdölstadt im äußersten Westen von Kasachstan kamen mindestens 16 Menschen ums Leben. Mehr als 40 Gebäude wurden niedergebrannt. Seit Mitte Dezember gilt dort der Notstand. Mehrere Rädelsführer des Streiks sitzen in Haft.

Staatspräsident Nursultan Nasarbajew, dessen Nur-Otan-Partei bisher an der Spitze der Regierungskoalition steht, unterzeichnete kürzlich ein Dekret, das eine Verlängerung des Notstandes bis Ende Januar vorsieht. Ein Beschluss der zentralen Wahlkommission, demzufolge unter solchen Umständen keine Parlamentswahlen abgehalten werden könnten, sorgte vorübergehend für neue Aufregung.

Augenzeugen berichteten IPS, dass in Schangaösen mittlerweile fast alle Spuren der Schussgefechte beseitigt worden sind. Auch der Wiederaufbau des ausgebrannten Rathauses und des benachbarten Hauptsitzes der staatlichen Erdöl- und Gasgesellschaft 'UzenMunaiGaz' sind demnach in vollem Gang. Obwohl inzwischen selbst die Regierung die Lage in der Stadt mit rund 120.000 Einwohnern als ruhig einstuft, beharrte die Wahlkommission zunächst auf ihrer umstrittenen Entscheidung.


Nasarbajews Anhänger dominieren im Parlament

Beobachter sehen die eigentlichen Beweggründe darin, dass die von Nur Otan angeführte Koalition bisher fast alle Sitze im Parlament hält. Die Kommission zog sich auf das zweifelhafte Argument zurück, dass die etwa 50.000 Wähler in Schangaösen das Ergebnis angesichts der erwarteten hohen Wählerbeteiligung im gesamten Land ohnehin nicht beeinflussen könnten.

Der politische Kommentator Aldos Sarym vermutet dahinter jedoch vor allem die Furcht der Regierung vor einer Wahlschlappe. "Ich glaube nicht, dass viele Menschen für die Regierungspartei stimmen würden", meinte er. Der Streik der Arbeiter habe in der Stadt ein großes Echo gefunden. Die Einwohner hätten mit vielen Problemen wie Arbeitslosigkeit, Stromausfällen und Wasserknappheit zu kämpfen.

Die Regierung befand sich daher in der Zwickmühle. Wenige Tage nach der Ankündigung der Kommission legte Nasarbajew per Dekret fest, dass die Wahlen nun doch stattfinden werden. "Der Präsident zog den Einwand der Bewohner von Schangaösen in Betracht, dass durch die Entscheidung des Verfassungsgerichts ihr Wahlrecht eingeschränkt wurde", hieß es in der offiziellen Erklärung. Nasarbajew wolle nun allen Bewohnern von Schangaösen die Möglichkeit geben, ihre durch die Verfassung garantierten Rechte auszuüben.

Aufgrund des Ölbooms hat sich die Einwohnerzahl der Stadt von 55.000 im Jahr 1999 auf 120.000 2009 erhöht. Der Bau von Wohnhäusern, Schulen und Krankenhäusern konnte mit diesem rapiden Bevölkerungsanstieg nicht Schritt halten. Dieses Missverhältnis ist in ganz Kasachstan zu beobachten.

Obwohl das Land im vergangenen Jahrzehnt ein spektakuläres Wachstum verzeichnete, lagen die Ausgaben für Gesundheit und Bildung weit unter denen vergleichbarer Staaten, die ebenfalls zum ehemaligen Ostblock gehörten. Mehreren Studien zufolge verhinderte zudem die tief im Staatsapparat verwurzelte Korruption, dass alle verfügbaren Mittel diejenigen Kasachen erreichten, die sie am dringendsten benötigten.

Meinungsumfragen belegen zwar, dass Nasarbajew, der das ölreiche Land seit 1989 regiert, weiterhin in der Bevölkerung beliebt ist. Westliche Beobachter stellten jedoch bei allen Wahlen Manipulationen fest. Kandidaten der Regierung erhielten oftmals mehr als 90 Prozent der Stimmen.


Sozialdemokraten drohen mit Protesten

Bislang haben die Wahlergebnisse allerdings keine Proteste hervorgerufen, die mit den Unruhen im Nachbarstaat Russland oder in der arabischen Welt vergleichbar wären. Bulat Abilow, der Vorsitzende der oppositionellen Sozialdemokraten, kündigte aber an, Proteste zu organisieren, sollten die Wahlen diesmal nicht transparent verlaufen.

Auf dem zentralen Platz der Republik der Wirtschaftshauptstadt Almaty stellte sich Abilow kürzlich an die Spitze einer Gruppe Demonstranten, die in einer Schweigeminute der Opfer von Schangaösen gedachten. Die geplanten Proteste würden genau an jener Stelle stattfinden, kündigte er an.

Bereits im vergangenen Mai waren fast 10.000 Beschäftigte von zwei großen staatlichen Öl- und Gasunternehmen in den Ausstand getreten. Grund war, dass ein wieder eingeführter Zuschuss zu den Lebenshaltungskosten, der nach der Sowjetzeit abgeschafft worden war, geringer ausfallen sollte als zunächst zugesagt. Etwa 2.000 Streikende, die den harten Kern der Protestierenden bildeten, wurden im Sommer gefeuert.

Für Kasachstan zog der Streik einen Verlust von 1,1 Millionen Tonnen Erdöl im Wert von rund 700 Millionen US-Dollar nach sich, wie der Staatskonzern KMG EP mitteilte. Das Unternehmen verzeichnet einen jährlichen Gewinn von etwa einer Milliarde Dollar. (Ende/IPS/ck/2012)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Januar 2012