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ASIEN/790: China - Hongkong und Peking auf Konfrontationskurs (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 13. Februar 2012

China: 'Hunde' gegen 'Heuschrecken' - Hongkong und Peking auf Konfrontationskurs

von Clarissa Sebag-Montefiore


Peking, 13. Februar (IPS) - Heftige verbale Auseinandersetzungen zwischen Einwohnern Hongkongs und Festlandchinesen haben ein Schlaglicht auf die Spannungen geworfen, die zwischen der Regierung in Peking und der früheren britischen Kronkolonie existieren. Bald 15 Jahre sind seit der Übernahme Hongkongs durch die Volksrepublik vergangen, doch nie waren die Ressentiments größer.

In einem umstrittenen Interview bezeichnete Kong Qingdong, ein Wissenschaftler an der Universität von Peking, die Bevölkerung Hongkongs als "Hunde britischer Kolonialisten". Die Reaktion aus der Sonderverwaltungszone ließ nicht lange auf sich warten, und Hongkonger beschimpften die Festlandchinesen als 'Heuschrecken".

Der Zwist hat inzwischen Zweifel an der Wirksamkeit der Formel 'Ein Land, zwei Systeme' aufkommen lassen. Darauf hatten sich Peking und Hongkong bei der Übergabe der britischen Kolonie an die Volksrepublik verständigt. Politische Beobachter rechnen mit einer zunehmenden Identitätskrise in Hongkong, die sich ihrer Meinung nach durch den wachsenden globalen und kulturellen Einfluss Chinas weiter verschärfen wird.


Touristin in der U-Bahn beschimpft

Den Stein ins Rollen brachte ein Video, auf dem ein Mann aus Hongkong zu sehen war, wie er eine Festlandchinesin anpöbelte, weil sie in der U-Bahn etwas aß. Tausende Internetnutzer in China sahen sich die Aufnahme an.

Kong Qingdong, der nach eigenen Angaben von dem Philosophen Konfuzius abstammt und für seine nationalistischen Ansichten bekannt ist, griff auf der Nachrichtenwebsite 'v1.cn' in den Streit ein. "Soweit ich weiß, betrachten sich die Leute aus Hongkong nicht als Chinesen. Sie sind daran gewöhnt, die 'Hunde britischer Kolonialisten' zu sein", erklärte der Sinologe. "Sie sind Hunde, keine Menschen."

"Jeder sollte dazu verpflichtet sein, Mandarin zu sprechen", forderte der Professor. Die Beleidigungen in der U-Bahn hatte der Mann aus Hongkong in seiner Muttersprache Kantonesisch ausgestoßen und nicht in der offiziellen Sprache der Volksrepublik, Putonghua.

Als Revanche sammelten etwa 800 Hongkonger über das soziale Internet-Netzwerk 'Facebook' und die Website 'Hong Kong Golden Forum' umgerechnet 12.900 US-Dollar, um eine ganzseitige Anzeige in der chinesischsprachigen Zeitung 'Apple Daily' zu schalten. Abgebildet war eine Heuschrecke, die auf die Skyline von Hongkong schaute.

Die Kritik bezog sich auf die Millionen Chinesen, die wegen besserer Bildung und Gesundheitsversorgung sowie wegen der eleganten Geschäfte in die ehemalige Kronkolonie kommen. "Wir Menschen in Hongkong haben lange genug still vor uns hingelitten", hieß es in der Anzeige.

Während des Chinesischen Neujahrsfestes rüsteten die Hongkonger zu einer Kampagne gegen die 'Heuschrecken'. Sie brüllten und sangen, sobald Chinesen auftauchten, um sich Luxusgüter zu kaufen.

Eine kürzlich veröffentlichte Meinungsumfrage zeigt, dass sich zurzeit nur noch so wenige Einwohner Hongkongs als Chinesen betrachten wie zuletzt vor zwölf Jahren. Obwohl seit der Übergabe der Kolonie fast 15 Jahre vergangen sind, sehen sich lediglich 16,6 Prozent der Hongkonger als der Volksrepublik zugehörig. Vor drei Jahren waren es hingegen noch 38,6 Prozent gewesen.

Die Sorge um die Pressefreiheit in Hongkong, der Ärger über schlechte Manieren der chinesischen Touristen und Frust über das Gerangel um öffentliche Mittel haben dem Konflikt weiteren Zündstoff gegeben. Die Designerboutique Dolce & Gabbana musste sich erst kürzlich bei den Hongkongern entschuldigen, weil sie den Einheimischen nicht erlaubt hatte, Fotos von dem Laden zu machen, die Festlandchinesen hingegen gewähren ließ.


Chinesen shoppen gern in Hongkongs Luxusboutiquen

Während des Chinesischen Neujahrsfestes hatten Chinesen einen Anteil von 69 Prozent an allen Luxuskäufen in Hongkong. Staatlichen Medien zufolge gaben sie im Ausland die Rekordsumme von 7,2 Milliarden Dollar für hochwertige Waren aus.

Eine starke Abneigung haben die Hongkonger auch gegen schwangere Chinesinnen entwickelt, die zur Entbindung in ihre Krankenhäuser kommen. Im Jahr 2000 waren es lediglich 700 gewesen, während im vergangenen Jahr mehr als 33.000 Chinesinnen die Kreissäle in Hongkong aufsuchten.

Grace Leung, die Medizingeschichte an der Chinesischen Universität von Hongkong lehrt, erklärt die Feindseligkeit durch den Aufstieg Chinas zur zweitstärksten Wirtschaftsmacht der Welt. "Die Chinesen glauben inzwischen, dass der Wohlstand in Hongkong nur durch die finanzielle Unterstützung vom Festland entstehen konnte", sagte Leung.

"Die Menschen in Hongkong reagieren zunehmend allergisch auf den Ansturm der Chinesen, die ihnen das gesamte Milchpulver für Babys vor der Nase wegkaufen, die Grundstückspreise in die Höhe treiben und die Mietpreise verderben", meinte die Wissenschaftlerin. "So trivial der Streit in der U-Bahn auch erscheinen mag - er war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte."


Schlagabtausch in Internet-Foren

Die verbalen Scharmützel setzen sich auch im Internet fort. "Alles, was sie trinken, essen und benutzen, wird auf dem Festland produziert und subventioniert", schrieb ein Nutzer auf der größten chinesischen Mikroblogging-Website 'Sina Weibo'. "Mainland-Mütter werden oft dabei beobachtet, wie sie ihre kleinen Kaiser und Kaiserinnen hochheben, damit sie bei McDonald's und KFC in die Waschbecken urinieren konnten", regte sich ein Besucher der 'China Daily'-Forums auf.

Professor Kong drohte den Hongkongern gar: "Wenn ihr uns weiter diskriminiert, werden wir euch weder Wasser noch Gemüse, Obst und Reis schicken. Könnt ihr dann noch überleben? Holt euch doch Hilfe von eurem britischen Daddy!" (Ende/IPS/ck/2012)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Februar 2012