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ASIEN/818: Indien - Kampf gegen Privilegien und Korruption, Bürger nutzen Recht auf Information (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 5. November 2012

Indien: Kampf gegen Privilegien und Korruption - Bürger nutzen Recht auf Information

von Athar Parvaiz


Aktivisten protestieren gegen Änderung des Gesetzes über Informationsfreiheit - Bild: © Athar Parvaiz/IPS

Aktivisten protestieren gegen Änderung des Gesetzes über Informationsfreiheit
Bild: © Athar Parvaiz/IPS

Srinagar, Indien, 5. November (IPS) - Bashir Ahmad Malik staunte nicht schlecht, als plötzlich ein Hubschrauber in seinem Dorf Drang landete. An Bord befand sich Omar Abdullah, der Regierungschef des indischen Bundesstaates Jammu und Kaschmir, der kurz zuvor in Srinagar, der Sommerhauptstadt des indischen Teils Kaschmir, gestartet war. Doch dann fragte sich Malik, der wie alle anderen Dorfbewohner weder über fließendes Wasser noch über Strom verfügt, wie teuer die Reise Abdullahs wohl gewesen sein mag.

"Als Mitglied der Bewegung für das Recht auf Information (RTI) habe ich im Juni 2011 eine Anfrage nach den Kosten für die Hubschrauberflüge des Ministerpräsidenten gestellt", sagt der 41-Jährige. Als keine Antwort kam, reichte er eine Beschwerde bei dem staatlichen Ausschuss für Information in Kaschmir ein, der 2009 im Rahmen eines Gesetzes zur Informationsfreiheit gebildet worden war.

Da es solche Ausschüsse mittlerweile in ganz Indien gibt, erhielt Malik rasch eine Antwort. Nach wenigen Tagen erfuhr er, dass für die Helikopter-Flüge von Abdullah und mehreren Kabinettskollegen in nur drei Jahre umgerechnet etwa 2,5 Millionen US-Dollar ausgegeben worden sind. Vielen Einwohnern von Kaschmir fehlt es dagegen am Allernötigsten.

Wie aus einer offiziellen Untersuchung der Wirtschaftslage 2011 hervorgeht, sind 35 Prozent der besiedelten Gebiete in Jammu und Kaschmir nicht ans Straßennetz angeschlossen. In dem einzigen Krankenhaus, das 'Sher-i-Kashmir Institute of Medical Sciences' (SKIMS), das Anlaufstelle für sechs Millionen Menschen ist, sind selbst die grundlegenden Medikamente und Geräte knapp.

"Wir haben nur zehn Ventilatoren und bräuchten eigentlich mindestens 25", sagt SKIMS-Direktor Showkat Zargar. In diesem Jahr starben bereits 378 Säuglinge im 'GB Pant'-Kinderkrankenhaus, da es nicht genug Ventilatoren und Brutkästen gab. Laut Statistiken des Bildungsministeriums von Kaschmir haben 77 Prozent der Schulen keine Toiletten. In 64 Prozent fehlt ein Zugang zu Trinkwasser.


Geländewagen statt Hubschrauber

Die Nachricht von Maliks kühner Anfrage machte in Jammu und Kaschmir rasch die Runde und führte dazu, dass sich der Regierungschef und seine Minister gezwungen sahen, auf weniger kostspielige Vehikel umzusteigen. So müssen sie nun oft lange Autofahrten über holprige Straßen in Kauf nehmen.

Dorfbewohner in ganz Kaschmir nutzen seither die durch das RTI-Gesetz eingeführten Mechanismen, um Korruption auf allen Ebenen der Regierung publik zu machen. Im vergangenen August musste ein Dorfältester umgerechnet 10.000 Dollar an öffentlichen Geldern zurückerstatten, die er bei einem Projekt für Häuserbau in ländlichen Regionen in die eigene Tasche abgezweigt hatte. Ein Dorfbewohner hatte den Betrug aufgedeckt und dem Ausschuss gemeldet.

Das in Indien 2005 und in Kaschmir vier Jahre später eingeführte RTI-Gesetz verpflichtet Beamte dazu, binnen 30 Tagen auf Informationsgesuche zu antworten. Früher hatten die Bürger dagegen keine Möglichkeit, die Regierung zur Offenlegung ihrer Handlungen zu bewegen.

Vor 2009 wurde der Zugang zu Informationen in Kaschmir durch mehrere Gesetze beschränkt, unter anderem durch den 'Official Secrets Act' (OSA) von 1923, der lange nach dem Ende der britischen Kolonialzeit immer noch gilt. Wie Showkat Hussain von der Zentralen Universität von Kaschmir kritisiert, sieht OSA Strafen von drei bis 14 Jahren Haft vor, wenn Verdächtige der 'Spionage' oder 'anti-nationaler Handlungen' schuldig gesprochen werden.

Hussain erinnerte an den Fall des kaschmirischen Journalisten Iftikhar Gilani, der 2002 gemäß OSA verhaftet wurde und nur nach einer Kampagne von Menschenrechtsaktivisten wieder freigelassen wurde. Dabei wurde deutlich, dass die Vorwürfe gegen ihn nicht erhärtet werden konnten.

Nach Ansicht von Hussain ist das RTI-Gesetz das beste Korrektiv drakonischer Gesetze wie OSA. "Es stärkt die Rechte normaler Bürger und gibt ihnen den Mut, gegen Staatsbeamte und Politiker vorzugehen."


Aktivist deckt Betrug bei Infrastrukturprojekt auf

Im April kündigten Vertreter des Bezirks Kupwara den Abschluss eines Projekts zur Behebung von Flutschäden an Bewässerungskanälen im Umfang von 2,6 Millionen Dollar an. Nachdem ein lokaler RTI-Aktivist auf mögliche Korruption hingewiesen hatte, fanden Inspektoren heraus, dass keine einzige Reparatur durchgeführt worden war.

Anfang September beschuldigten der staatliche Informationsausschuss und Sozialaktivisten in Kaschmir die Lokalregierung, das Gesetz durch willkürliche Änderungen auszuhöhlen. Kürzlich vorgenommene Ergänzungen hätten die Kompetenzen des Ausschusses geschwächt, kritisiert das Kommissionsmitglied Ghulam Rasool Sofi. "Durch die Änderungen wurden Richtlinien abgeschafft, die die Arbeit des Ausschusses regelten", beschwert sich Raja Muzaffar Bhat, einer der Pioniere der RTI-Bewegung. "Die Maßnahmen verstoßen gegen den grundlegenden Geist der Transparenz." (Ende/IPS/ck/2012)


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http://www.ipsnews.net/2012/10/kashmiris-demand-the-right-to-know/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. November 2012