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ASIEN/903: Sri Lanka - Gewalt gegen Muslime im Südwesten reißt Wunden auf (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 20. Juni 2014

Sri Lanka: Gewalt gegen Muslime im Südwesten reißt Wunden auf

von Amantha Perera


Bild: © Amantha Perera/IPS

Muslimische Frauen sind nach den tödlichen Unruhen im Südwesten Sri Lankas als erste zum Ort des Geschehens zurückgekehrt
Bild: © Amantha Perera/IPS

Colombo/Aluthgama, 20. Juni (IPS) - In der Küstenstadt Aluthgama im Südwesten Sri Lankas ist nach den jüngsten Unruhen, die radikalisierte Buddhisten gegen die lokalen Muslime losgetreten hatten, eine relative Ruhe eingekehrt. Der Schaden, den der kommunale Frieden genommen hat, ist gewaltig und der Zorn der Opfer groß, zumal die Regierung nach allgemeiner Ansicht die Ausschreitungen hätte verhindern können.

Der Konflikt hatte sich über Monate zusammengebraut und erstmals im Mai dieses Jahres entladen, als Singhalesen den Laden eines Moslems überfielen, nachdem dessen Bruder wegen sexueller Belästigung eines singhalesischen Mädchens festgenommen worden war. Keinen Monat später, am 12. Juni, umzingelte eine wütende Menschenmenge im Anschluss an einen Streit zwischen einem buddhistischen Mönch und einigen Muslimen die lokale Polizeistation.

Als dann Pläne der buddhistischen Hardliner-Gruppe 'Bodu Bala Sena' (BBS) bekannt wurden, am 15. Juni in Aluthgama ein Treffen abzuhalten, schrillten bei den Behörden sowohl in Aluthgama als auch in Colombo sämtliche Alarmglocken. Wirksame Gegenmaßnahmen blieben trotz zahlreicher Warnungen aus.

Faiszer Musthapha, Vizeminister der regierenden Vereinigten Volksfreiheitsallianz (UPFA), forderte den Polizeigeneralinspektor auf, die Sicherheitsvorkehrungen zu verschärfen. "Die Lage ist gefährlich und könnte leicht in größere Unruhen münden", mahnte auch ein Schreiben von 'All Ceylon Jamiyyathul Ulama', dem Srilankischen Rat der Muslime, dem Srilankischen Wakf-Ausschuss, von 'All Ceylon YMMA' und von der Colombo-Masjid-Föderation.

Am 15. Juni fand sich die BBS wie geplant in Aluthgama ein. Kurz darauf kam es in der Nähe des Veranstaltungsortes, in der muslimischen Enklave Dharga-Stadt, zu gewaltsamen Zusammenstößen, während sich ein Konvoi aus BBS-Mitgliedern auf die örtliche Moschee zubewegte.

Bis zur Abenddämmerung gelang es der Polizei zwar eine Ausgangssperre zu verhängen. Doch kam die Maßnahme zu spät, um den Mob unter Kontrolle zu halten. Auch im Verlauf der nächsten drei Tage kam es in Aluthgama zu sporadischen Ausschreitungen, mit kleineren Zwischenfällen in der Nachbarstadt Beruwela. Nach Angaben der Einwohner starben acht Menschen, die Polizei spricht von zwei Todesopfern. Weitere 80 Menschen wurden verletzt.

Familien, die ihre Wohnstätten und Geschäfte in Flammen aufgehen sahen, flüchteten sich in Schulen. Dort drängten sich die Frauen und Kinder zusammen, während die Männer aus Angst vor weiteren Anschlägen vor den Türen Wache schoben.

Die Übergriffe in Aluthgama sind nicht die ersten im Land seit dem Ende des blutigen Bürgerkriegs, wohl aber die bislang einzigen, die Todesopfer forderten. Im Zusammenhang mit den BBS-Aktivitäten war es unter anderem am 13. Mai zu einem Angriff auf den Laden eines Moslems am Stadtrand von Colombo und am 11. April zur Stürmung einer von buddhistischen und muslimischen Führer veranstalteten Pressekonferenz gekommen.

Als die BBS erstmals Anfang 2013 in Erscheinung trat, erklärten ihre Anführer, dass es ihnen darum gehe, dem Buddhismus den ihm "gebührenden Platz" in Sri Lanka zuzuweisen. Obwohl bereits am 7. Mai 2012 offiziell gegründet, stellte die Gruppe ihre Zehn-Punkte-Erklärung erst im Februar 2013 vor. Darin forderte sie unter anderem die Abschaffung der Halal-Zertifizierung bestimmter Nahrungsmittel, die Aussetzung einer Regelung, die singhalesischen Frauen erlaubt, in Nahost zu arbeiten, und ein Verbot der Geburtenkontrolle.

BBS-Sprecher haben auf Versammlungen wiederholt vor der Gefahr des "muslimischen Extremismus" gewarnt. Die Muslime sind in dem 20 Millionen Einwohner zählenden Land mit einem Bevölkerungsanteil von zehn Prozent eine Minderheit. Auch brüsten sich die Anführer häufig damit, beste Beziehungen zur Regierung zu unterhalten. Regierungsvertretern zufolge gibt es keine offiziellen Verbindungen zu der Gruppe.


Ruinen, wo einst kommunaler Frieden herrschte

Doch Menschenrechtsaktivisten und besorgte Bürger suchen nach einer Erklärung für die laxe Haltung der Regierung gegenüber der Gewalt und der ihr vorangegangenen Spannungen. Vom G77-Gipfel der Entwicklungsländer in Bolivien aus hatte der srilankische Staatspräsident Mahinda Rajapaksa getwittert, dass die Regierung "niemandem erlaube, das Recht in die eigenen Hände zu nehmen". Er rief zudem alle betroffenen Parteien zu Zurückhaltung auf. Zurück in Colombo besuchte er am 18. Juni die Unruhegebiete und versprach eine unabhängige Untersuchung. Doch nach Ansicht zivilgesellschaftlicher Akteure und einiger Regierungsvertreter muss mehr getan werden, um die Gefahr weiterer Gewalt ein für alle Mal zu bannen.

Nach Ansicht von Justizminister Rauf Hakeem "hat die Recht-und-Ordnung-Maschinerie komplett versagt". 72 Stunden lang habe man die Regierung aus Sorge vor solchen Unruhen bekniet, die BBS-Versammlung zu verhindern. "Ich schäme mich. Ich konnte meine Leute nicht schützen", sagte der Minister, der gleichzeitig die größte muslimische Partei im Lande, den Muslimischen Kongress, leitet.

Erst nach massivem Druck nahm die Polizei am 16. Juni rund 50 Personen fest, die mit der Gewalt gegen die muslimische Minderheit in Verbindung gebracht werden. 30 von ihnen sitzen nach Angaben des Polizeisprechers und Superintendanten Ajith Rohana in Untersuchungshaft.

Augenzeugen zufolge hätten die Behörden die Übergriffe verhindern können. Als die BBS-Mitglieder versuchten, bis zur Moschee in Dharga-Stadt vorzudringen, seien sie zwar auf polizeilichen Widerstand gestoßen, hätten sich aber nicht aufhalten lassen. "Die Polizisten wurden entweder überwältigt, hatten Angst oder verhielten sich passiv. Hätten sie durchgegriffen, wären Menschenleben gerettet worden", erklärt Iqbal Asgar, ein Bewohner, der der Gewalt durch Flucht entkommen konnte. Wie er berichtet, wurde der Großteil muslimischen Eigentums in Brand gesetzt, darunter mindestens ein Autohaus und eine kleine Fabrik.

Auch nach den Unruhen sind die Spannungen in der Stadt nach wie vor allgegenwärtig. Rauchsäulen stiegen mehrere Tage nach den Ausschreitungen von den niedergebrannten Gebäuden auf, und der Zorn der Opfer, die sich im Stich gelassen fühlen, ist noch nicht abgeebbt.

Die muslimischen Frauen waren die ersten, die aus dem Außenbezirk Dharga zurückkehrten, um sich den Schaden anzuschauen. Nur diejenigen, die in Zentrumsnähe gewohnt hatten, trauten sich bisher nicht zurück. Das Gleiche gilt für die Männer, die aus Sicherheitsgründen nach wie vor in den Schulen ausharren. Ihre Angst ist begründet. Selbst als die Armee die Stadt auf der Suche nach Extremisten durchkämmte, hörten die Vertriebenen Asgar zufolge Gerüchte, wonach der Mob vielerorts noch frei herumlaufe und ein Fahrzeug mit Nahrungsmitteln für die Opfer angegriffen habe.

Es wird lange dauern, bis in der Stadt der kommunale Frieden wiederhergestellt ist. "Wenn du siehst, dass dein Haus niedergebrannt und dein Leben zerstört wurde, ist es sehr schwer, das Vertrauen in diejenigen zurückzugewinnen, von denen du Schutz erwartet hattest", erläutert Asgar im IPS-Gespräch.

Jehan Perera vom unabhängigen Nationalen Friedensrat hat die Regierung zu einer öffentlichen Stellungnahme aufgefordert. Darin soll sie erklären, dass alle Minderheiten im Land, inklusive die Muslime, die vollen Bürgerrechte besitzen, dass man gegen die Unruhestifter rechtlich vorgehen und die Opfer für die erlittenen Verluste entschädigen werde. Fürs erste hat Präsident Rajapaksa den Muslimen staatliche Hilfe beim Wiederaufbau zugesagt. (Ende/IPS/kb/2014)


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http://www.ipsnews.net/2014/06/anti-muslim-violence-reaches-new-heights-in-sri-lanka/

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IPS-Tagesdienst vom 20. Juni 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Juni 2014