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ASIEN/908: Pakistan - Militante Gruppen als Flüchtlingshelfer (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 4. August 2014

Pakistan: Militante Gruppen als Flüchtlingshelfer

von Ashfaq Yusufzai


Bild: © Ashfaq Yusufzai/IPS

Aus Sorge vor der Präsenz militanter Kämpfer behalten die pakistanischen Streitkräfte die von Hilfsorganisationen eingerichteten Flüchtlingslager im Blick
Bild: © Ashfaq Yusufzai/IPS

Peshawar, Pakistan, 4. August (IPS) - Ihm sei die Not von fast einer Million Landsleuten, die seit Beginn der neuen pakistanischen Militäroffensive im Bezirk Nord-Wazisristan in den Stammesgebieten unter Bundesverwaltung (FATA) geflohen sind, zu Herzen gegangen, sagt der 22-jährige Muhammad Tufail. Deshalb hat er sich als freiwilliger Helfer gemeldet und hilft nach eigenen Angaben bei der Betreuung von rund 10.000 Familien in den Vertriebenenauffanglagern.

"Wir können doch die Menschen nicht ihrem Schicksal überlassen", sagt Tufail, der selbst aus Mardaan, einem der 26 Bezirke der nordpakistanischen Provinz Khyber Pakhtunkhwa (KP), stammt, voller Überzeugung.

So lobenswert sein Einsatz auch sein mag, die Organisation, für die er arbeitet, ist bestenfalls als fragwürdig zu bezeichnen. Die Hilfsorganisation, die sich 'Al-Rehmat Trust' (ART) nennt, wird der seit 2002 verbotenen 'Armee Mohameds' ('Jaish-e Mohammed oder JeM) zugeordnet. JeM, die ihren Sitz in Kaschmir hat, gilt als Terrororganisation, die für den Anschlag auf das indische Parlament 2001 verantwortlich gemacht wird.

Obwohl sich die Gruppe selbst seit 2003 im Hintergrund hält, erweist sich die Zahl ihrer Mitglieder auch in Zeiten der nationalen Krise als stabil. Außerdem verfügt sie über ein wahres Heer an Helfern. "Wir waren die ersten, die nach dem schweren Erdbeben im Norden Pakistans 2005 zur Stelle waren", sagt Tufail stolz. "Unsere Ehrenamtlichen haben die Menschen aus den Trümmern geholt und gerettet. Ich habe mich dem Dienst am Menschen verschrieben, und der ART ist die richtige Plattform, weil er den Menschen selbstlos dient."


"Wir behalten die Hilfslager im Auge"

Es ist diese euphorische Entschlossenheit der jungen Leute, die sich für diese Gruppen engagieren, die bei Regierungsvertretern und Sicherheitskräften die Alarmglocken schrillen lassen. "Wir behalten die Hilfslager, die von einigen Dschihadistengruppen geleitet werden, im Auge", versichert Akram Khan, Polizeiinspektor in Bannu, wo sich die meisten Vertriebenen aufhalten. "Wir wollen sichergehen, dass sie nicht zur Rekrutierung von Zivilisten für Terroraktivitäten missbraucht werden."

Khan fürchtet, dass die Lager mit den vielen verzweifelten und traumatisierten Zivilisten zu Rekrutierungsstätten der radikalen Organisationen werden könnten. Die Vertriebenen brauchen Geld und soziale Unterstützung, die ihnen die Dschihadisten liebend gern bereitstellen würden, fügt er hinzu. "Der Terrorismus macht dem Land ohnehin schon zu schaffen. Wir können es uns nicht leisten, militanten Gruppen freie Hand zu lassen."

Doch ist das nach Ansicht des politischen Analysten Khadim Hussain, dem Vorsitzenden der Stiftung des Baacha-Khan-Bildungstrusts genau das, was derzeit geschieht. Außer dem JeM-Charity-Arm ART ist auch die 'Jamat ud-Dawa' (JuD), eine Frontgruppe der berüchtigten 'Lashkar-e-Taiba' ('Armee Gottes' oder LeT) in Hilfs- und Rettungsaktivitäten involviert. Mit Einsätzen bei Naturkatastrophen hatte die JuD die Herzen vieler gewonnen, die von den Maßnahmen der Regierung enttäuscht waren.

Die Stiftung 'Falah-e-Insaniyat' (FIF) steht ebenfalls in Verdacht, eine Frontgruppe der LeT zu sein. Sie hat Medikamente und Nahrungsmittel an tausende hilfsbedürftige Familien verteilt. "Wir waren die ersten, die in Bannu zur Stelle waren, um den Menschen zu helfen. Wir konnten doch der Not unserer muslimischen Brüder nicht tatenlos zusehen", meint Muhammad Shafiq, ein weiterer freiwilliger Helfer, gegenüber IPS.

Einer der Hilfeempfänger ist der sechsfache Familienvater Shaukat Ali Mahsud. Wie er erklärt, ist er den Gruppen für die "Aufrichtigkeit und die Zuwendung" sehr dankbar. "Diese Menschen helfen uns. Das sind keine Terroristen, sondern einfach nur gute Muslime. Wir werden nie vergessen, was sie in diesen schwierigen Zeiten für uns getan haben."

Für etliche Staaten wie Indien, die USA und Großbritannien sind Gruppen wie JeM und LeT gefährliche Terrororganisationen und auch für die Gewalt im von Indien besetzten Kaschmir verantwortlich. Der internationale Druck hat beiden Gruppen dazu veranlasst, sich im Hintergrund zu halten. Doch die jüngste humanitäre Krise, ausgelöst durch Versuche der pakistanischen Regierung, die Taliban in ihrer Hochburg an der afghanischen Grenze auszuheben, habe den JeM und LeT die Chance gegeben, sich wieder zu profilieren, warnt Muhammad Shoaib, Analyst an der Universität von Peshawar. "Diese Gruppen haben mit Hilfe des Staates ihre Hilfsorganisationen am Leben gehalten, um zu zeigen, dass sie mehr sind als militante Formationen."


Normale Hilfsorganisationen brauchen Unbedenklichkeitszertifikate

Der Vorwurf, dass die größeren Terrorverbände die Unterstützung der Regierung genießen, ist nicht neu und ist insbesondere in Krisenzeiten immer wieder zu hören. Zum Beispiel haben sich zahlreiche säkulare Nichtregierungsorganisationen, die liebend gern den Binnenflüchtlingen zu Hilfe eilen würden, vergeblich um ein Unbedenklichkeitszertifikat ('No Objection Certificate' - NOC) bemüht. Die NOCs werden von der Regierung ausgegeben und bestätigen im Grunde nur, dass bestimmte Programme oder Aktivitäten von der Regierung genehmigt wurden.

Zu denen, die bisher an der NOC-Hürde gescheitert sind, gehört Jawadullah Shah, Leiter der Ländlichen Gesundheitsstiftung. Er hatte einen entsprechenden Antrag bereits am 18. Juni gestellt. Auf diese Weise sei viel Zeit ungenutzt verstrichen, meint er und kritisiert, dass die ART ohne NOC den in Not geratenen Bevölkerungsgruppen helfen könne. "Die Regierung und die Armeeoffiziere zeigen sich uns gegenüber extrem kooperativ", bestätigt der freiwillige Helfer von ART, Shafiq.

Dem JuD wird vorgeworfen, hinter dem Anschlag im letzten Jahr auf das indische Konsulat in Jalalabad im Westen Afghanistans zu stecken. Obwohl vom UN-Sicherheitsrat 2008 als Terrorgruppe gebrandmarkt, ist er an der Katastrophenhilfsfront aktiv. Der pakistanischen Regierung zufolge gibt es keine Beweise dafür, dass der JuD in Terroraktivitäten verstrickt ist.

"Wir betreiben Krankenhäuser, Grund- und weiterführende Schulen für die Armen in Pakistan", erklärt Hafiz Muhammad Saeed, der JuD-Gründer, den die indische Regierung für den Drahtzieher hinter den Terroranschlägen in Mumbai im Jahre 2008 hält. "Den Vertriebenen zu helfen, ist unser oberstes Gebot. Wir haben nach der Katastrophe 2010 Hilfsgüter im Wert von mehr als fünf Millionen Dollar in die pakistanischen Überschwemmungsgebiete geschickt. Nach Bannu haben wir bereits Lieferungen im Wert von zwei Millionen Dollar geschickt."

Auch der FIF, der angeblich enge Beziehungen zu LeT und JuD unterhält, kommt an der Hilfsfront eine große Bedeutung zu. "Wir haben 500 Freiwillige nach Bannu entsandt und schicken fast jeden Tag zehn Lkws mit Hilfsgütern in die Region", versichert der FIF-Vorsitzende Hafiz Abdur Rauf im IPS-Gespräch.

Für Hussain von der Stiftung des Baacha-Khan-Bildungstrusts sind die Aktivitäten der Gruppen jedoch systematische Rekrutierungsversuche, wie sie bereits während des Erdbebens 2005, der Militäroperation im Swattal 2009 und den Überschwemmungen 2010 zu beobachten waren. Anstatt die Radikalisierung der Vertriebenen indirekt zu erlauben, sollte die Regierung die militanten Gruppen de-radikalisieren, um einen dauerhaften Frieden zu erreichen. "Der Krieg gegen die Taliban in der nördlichen Provinz macht keinen Sinn, wenn man anderen militanten Verbänden erlaubt, sich auszuweiten." (Ende/IPS/kb/2014)


Link:

http://www.ipsnews.net/2014/08/in-pakistan-militants-wear-aid-workers-clothing/

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IPS-Tagesdienst vom 4. August 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. August 2014