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ASIEN/915: Indien - Landrechte und Bildung sollen Volksgruppe der Oberen Bonda schützen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 20. August 2014

Indien: Landrechte und Bildung sollen Volksgruppe der Oberen Bonda vor dem Untergang bewahren

von Manipadma Jena


Bild: © Manipadma Jena/IPS

Bonda-Frauen in Tulagurum im ostindischen Bundesstaat Odisha lassen sich nur selten fotografieren
Bild: © Manipadma Jena/IPS

Malkangiri, Indien, 20. August (IPS) - Die Oberen Bonda gehören zu Indiens ältesten Volksgruppen. Sie leben verstreut in 31 entlegenen Bergdörfern auf einem Gebirgszug 1.500 bis 4.000 Meter über dem Meeresspiegel im Bezirk Malkangiri im östlichen Bundesstaat Odisha und haben ihren Lebensstil im Verlauf der letzten 1.000 Jahre kaum verändert.

Entschlossen meidet die Gemeinschaft aus knapp 7.000 Mitgliedern auch heute noch den Kontakt zur Außenwelt und versucht ihren traditionellen Lebensstil zu bewahren. Doch die grassierende Armut - fast 90 Prozent der Bonda leben von weniger als einem US-Dollar am Tag - in Verbindung mit der verbreiteten innerkommunalen Gewalt sorgt in der jungen Generation für Frust.

Die Oberen Bonda gehören zu den 75 Volksgruppen des südasiatischen Landes, die von der Regierung als besonders gefährdete Ethnien ('Particularly Vulnerable Tribal Group' - PTG) eingestuft werden und somit die größte Aufmerksamkeit genießen.

Staatliche Programme zur Ausstattung der Bonda mit Landtiteln haben sich positiv auf das Leben der Ethnie in den letzten Jahren ausgewirkt. So kommen die Mädchen und Jungen inzwischen in den Genuss einer höheren Schulbildung.


Geringes Bevölkerungswachstum

Die Oberen Bonda haben anders als die Unteren Bonda das Land ihrer Vorväter nicht verlassen. Dass sie stärker an ihrem traditionellen Lebensstil festhalten, bringt gewisse Nachteile mit sich. So beschränkte sich ihr Bevölkerungswachstum in den Jahren 2001 bis 2010 auf 7,65 Prozent, wie das Institut für Forschung und Fortbildung der registrierten Kasten und Ethnien (SCSTRTI) herausfand. Der Zuwachs beider Gruppen betrug im gleichen Zeitraum 30,42 Prozent.

Als Untere Bonda werden diejenigen Familien bezeichnet, die im 20. Jahrhundert ihr traditionelles Land aufgaben und sich an den Ausläufern des Malkangiri-Gebirges niederließen, um leichter in den Genuss von staatlichen Leistungen wie Bildung und Arbeit zu kommen. Sie sind inzwischen in 14 der 30 Bezirke Odishas anzutreffen.

Auch beim Geschlechterverhältnis schneiden die Oberen Bonda mit einem Frauenüberschuss von 16 Prozent deutlich schlechter ab. Bei einer Zählung in Tulagurum im Jahr 2009 kamen in der Altersgruppe der 0- bis 6-Jährigen 18 Mädchen auf drei Jungen. Eine in 30 weiteren Dörfern durchgeführte SCSTRTI-Studie von 2010 ergab, dass 3.092 Männern 3.584 Frauen gegenüber standen.

In einer fensterlosen Lehmhütte in Bonda Ghati, einer Gebirgsregion im Südwesten von Odisha, lebt Saniya Kirsani mit seiner Familie, die seit kurzem einen Titel über ein 0,4 Hektar großes Stück Land erhalten hat. Der 50-jährige Familienvater möchte gern auf dem neuen Besitz in seinem Dorf Tulagurum einen Mango-Hain anlegen und aus den Früchten den Likör herstellen, dem er offensichtlich selbst sehr zugetan ist.

Doch seine Frau Hadi verfolgt bodenständigere Pläne. Für sie bedeutet der Landtitel in erster Linie, dass der gemeinsame 14-jährige Sohn Buda endlich die weiterführende Schule besuchen kann. Bisher fehlte der Familie ein Dokument über die ethnische Zugehörigkeit, das Buda die Aufnahme in die nächstliegende Internatsschule in Mudulipada erlaubt hätte. Für den Besuch einer anderen High School in der gleichen Ortschaft hätte der Junge einen Fußmarsch von zwölf Kilometern in Kauf nehmen müssen.

Die Kirsanis hatten wie 531 weitere Obere-Bonda-Familien zunächst nicht von der Reformwelle im Jahr 2010 im Zuge eines Gesetzes über Waldrechte profitiert, die 1.248 Oberen-Bonda-Familien zu Landtiteln verhalf. Doch im vergangenen Oktober konnte die Familie dank der Unterstützung der internationalen Hilfsorganisation 'Landesa' von der Regierung in Odisha einen Titel erwerben, der sie gleichzeitig als Mitglieder der Oberen Bonda und somit der PTG ausweist.

Sorgfältig verpackt Hadi die gewaschenen Kleidungsstücke, die der Sohn mit ins Internat nehmen wird. Die Tränen kann die stolze Mutter kaum zurückhalten, während sie erzählt, dass Buda eines von 31 Kindern des 44 Haushalte zählenden Dorfes ist, die die Chance bekommen, die Sekundarstufe zu besuchen.


Familien an Bildung ihrer Kinder interessiert

Hadi ist nicht die einzige Obere Bonda, der die Bildung des Nachwuchses am Herzen liegt. Das hat mit der niedrigen Alphabetisierungsrate der Ethnie zu tun. Sie liegt bei mageren zwölf Prozent. Von den Frauen sind gerade einmal sechs Prozent alphabetisiert, wie aus einer Untersuchung von SCSTRTI von 2010 hervorgeht. Landesweit können 74 Prozent der Jungen und 65 Prozent der Mädchen lesen und schreiben.

Jahrhundertelang stand den Bonda nicht der Sinn nach Bildung. Ihre alte Sprache Remo wurde ausschließlich mündlich weitergegeben. Die Gemeinschaft aus Jägern und Sammlern lebte von den sie umgebenden Wäldern und tauschte Hirse, Pilze, Süßkartoffeln, Früchte, Beeren, wilden Spinat und andere Produkte auf den lokalen Märkten. Aus der als 'Kereng' bekannten Pflanze webten sie Stoffe. Es bestand für sie lange Zeit kein Bedarf, sich der Mainstream-Gesellschaft anzuschließen.

Doch eine Waldabholzungswelle brachte sie um ihre Lebensgrundlagen und auch um das Wasser, mit dem sie ihre Felder bewässerten. Die zunehmende Unregelmäßigkeit der Niederschläge wirkt sich negativ auf ihre Ernten aus. Auch das offizielle Verbot der Landrodung, eine traditionelle Methode der Bonda, Boden für die Landwirtschaft vorzubereiten, hat die Fähigkeit der Gemeinschaft, sich selbst zu ernähren, beeinträchtigt.

Die indische Regierung versucht der Gemeinschaft über die 1976 gegründete Bonda-Entwicklungsbehörde mit Bildungsangeboten, dem Zugang zu Sanitär- und Wasserversorgung sowie Landrechten den Anschluss an die Restbevölkerung zu ermöglichen. "Durch Landbesitz können sie auf eigenen Beinen stehen und sich wieder selbst versorgen", heißt es von Seiten der Nationalen Kommission für registrierte Ethnien (NCST). "Er verleiht ihnen mehr Einfluss, da ihr wirtschaftliches Wohlergehen weitgehend von Land und Wäldern abhängt."

Doch die Versuche, die Volksgruppe in das Mainstream-Indien zu integrieren, erlitten Ende der 1990er Jahre einen herben Rückschlag, als linksgerichtete Extremisten die Gebirgsregionen längs des indischen 'Roten Korridors' als Operationsbasis auswählten. Der Rote Korridor erstreckt sich über neun zentral- und ostindische Bundesstaaten. Dort soll es auch heute noch viele Maoisten geben.

Doch ist der für die Entwicklung der Ethnien Odishas zuständige Lokalminister Lal Bihari Himirika zuversichtlich, das neue Programme die Bonda nach vorne bringen werden. "Sobald das '5.000-Wohnheime-Programm' abgeschlossen ist, wird eine halbe Million indigener Jungen und Mädchen in den Genuss von Bildung kommen", meinte er am Rande einer Veranstaltung zum Start der Kampagne 'Weil ich ein Mädchen bin' des Kinderhilfswerks 'Plan International' in der Odisha-Hauptstadt Bhubaneswar im letzten Jahr.

Die 9,6 Millionen Indigenen in Odisha machen fast ein Viertel der indischen Ureinwohner aus. Obere und Untere Bonda zählen zusammen 12.231 Mitglieder.

Sozialaktivisten wie der 34-jährige Dambaru Sisa, der in diesem Jahr als erster Oberer Bonda ins Bundesstaatenparlament eingezogen ist, hält die Integration seiner Gemeinschaft in die indische Gesellschaft für eine Existenzfrage. Sisa, der ohne Eltern groß geworden ist und eine christliche Missionsschule in Malkangiri besucht hatte, kann einen Master in Mathematik und einen weiteren in Rechtswissenschaften vorweisen.


Heiraten zwischen Frauen und Knaben

"Unsere kulturelle Identität und insbesondere unsere Sprache Remo muss erhalten werden", meint er im Gespräch mit IPS. Durch die Einbindung der Ethnie würden zudem schädliche Traditionen wie die Heirat von Frauen mit zehn Jahre jüngeren Männern automatisch verschwinden, ist er überzeugt. Bei den Bonda ist es üblich, dass eine 22-Jährige einen 15-jährigen Jungen zum Mann nimmt.

Bild: © Manipadma Jena/IPS

Bonda-Frauen heiraten oftmals Teenager
Bild: © Manipadma Jena/IPS

Die Frauen führen traditionell den Haushalt, während die Männer für die Beschaffung der Nahrung zuständig sind. Um sich als Jäger zu bewähren, werden sie zu Bogenschützen ausgebildet. Doch der Besitz von Waffen führt häufig zu gewaltsamen Auseinandersetzungen, zumal die Bonda-Männer als Heißsporne bekannt sind, die unter Alkoholeinfluss schnell handgreiflich werden und ihre Frauen entschlossen verteidigen.

Vor einem Jahrzehnt kam es häufig vor, dass Männer von ihren Neffen im Streit um ihre Frauen getötet wurden, wie Manoranjan Mahakul vom 'Odisha Tribal Empowerment & Livelihood Programme' (OTELP) berichtet. Auch heute noch säßen etliche Bonda-Männer wegen Mordes im Gefängnis, kämen aber aufgrund der laxen Gesetze meist nach drei Jahren wieder frei.

"Die hohe Säuglingssterblichkeit, Alkoholismus und unhygienische Lebensbedingungen verbunden mit einem Mangel an nährstoffreichen Lebensmitteln und medizinischen Einrichtungen fordern ihr Tribut", meint Sukra Kirsani von der Hilfsorganisation Landesa. Das Trinkwasser der Bonda stammt aus Gebirgsflüssen. Alle Familien praktizieren die offene Defäkation, meist in Flussnähe, was dazu führt, dass in der Regenzeit Durchfallerkrankungen endemische Ausmaße annehmen.

Experten zufolge wird die Integration der Bonda noch eine ganze Weile auf sich warten lassen. "Doch die Kinder in die Schulen zu bekommen, ist schon die halbe Miete", meint Sisa. Allerdings liefen viele an den Schulen angemeldete Bonda-Kinder davon, um in den Straßenrestaurants zu arbeiten oder nach Hause zurückzukehren.

Das Problem besteht nach Ansicht von Sisa darin, dass die Schüler nicht in ihrer Muttersprache, sondern in Odia oder einem anderen häufig praktizierten Dialekt unterrichtet werden, den sie nicht verstehen. Die Regierung hat inzwischen jedoch ihre Bereitschaft signalisiert, die Ansprüche an die Lehrer zu senken, um auch Bonda die Möglichkeit zu geben, an den Schulen zu unterrichten. (Ende/IPS/kb/2014)


Link:

http://www.ipsnews.net/2014/08/can-land-rights-and-education-save-an-ancient-indian-tribe/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. August 2014