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ITALIEN/005: Berlusconis letzte Schandtat (Gerhard Feldbauer)


Berlusconis letzte Schandtat

Ein nie gekanntes gigantisches soziales Sparpaket durchpeitschen

von Gerhard Feldbauer, 23. August 2011


Führende Kapitalkreise haben Berlusconi fallengelassen (siehe "Geht es mit Berlusconis zu Ende", Schattenblick, 15. Juli 2011 [1]). Sein Sturz ist in den nächsten Monaten gewiss. Aber er erhält eine Galgenfrist. Um den drohenden Staatsbankrott abzuwenden (mit einer Staatsverschuldung von 120 Prozent des Bruttoinlandsprodukts belegt Italien hinter Griechenland den zweiten Platz), soll er nach den Vorgaben aus Brüssel, ein gigantisches "Sparpaket" genanntes Programm des Sozialabbaus von über 90 Mrd. Euro durchpeitschen, dass alles Bisherige noch in den Schatten stellt. Das soll seinem Nachfolger eine Verschnaufpause beim Sozialabbau gewähren und ihm insgesamt ermöglichen, Berlusconi die Schuld am wirtschaftlichen Desaster zu geben und zu erklären, es sei kaum möglich, eine rasche Änderung herbeizuführen.

Zunächst war Mitte Juli ein sogenannter Dreijahresplan mit Einsparungen von 48 Mrd. Euro beschlossen worden. Bezeichnenderweise nutzte die Opposition, eingeschlossen die Partito Democratico (die Linke ist nicht mehr im Parlament vertreten), die Verabschiedung im Parlament nicht zur Auseinandersetzung mit diesem Sozialabbau, sondern trug ihn durch Stimmenthaltung aus "nationalem Interesse" mit. Am 12. August wurde ein ergänzendes Paket nachgeschoben, das weitere Einsparungen von 45,5 Mrd. Euro in den nächsten zwei Jahren vorsieht. Damit soll bis 2013 ein "ausgeglichener Haushalt" erreicht werden. Die Maßnahmen sollen durch Notverordnungen durchgesetzt werden.

Der von Berlusconi zynisch "Blut- und Tränen" genannte soziale Kahlschlag trifft die Armen und den Mittelstand während er die Reichen, die Großverdiener und die Steuerhinterzieher ungeschoren lässt. Im öffentlichen Dienst sollen 265.000 Stellen abgebaut werden, in den Regionen (Ländern), Provinzen und Kommunen über 50.000, was Universitäten und Schulen, Krankenhäuser, Altenheime und alle Kulturbereiche trifft. Für jeden Arztbesuch, schon das Ausstellen eines Rezepts müssen in Zukunft 25 Euro gezahlt werden. Das Rentenalter wird auf 67, für Frauen auf 65 angehoben. Dadurch sollen 50 Mrd. Euro eingetrieben werden. Viele nicht religiöse Feiertage werden gestrichen. Das Sparpaket gibt den Forderungen des Verbandes der Großindustriellen Confindustria Raum, die Tarifverträge und den Kündigungsschutz generell aufzuheben, die Gewerkschaftsrechte drastisch einzuschränken, um Entlassungen besser durchsetzen, das Arbeitstempo erhöhen und die Löhne einfrieren oder auch senken zu können.

Welche Auswirkungen das für die sozial Ausgegrenzten, für die Armen und Ärmsten haben wird, sollen einzige Zahlen verdeutlichen: Schon jetzt leben laut Statistisches Amt Istat 8,7 von zirka 60 Millionen Italienern in relativer Armut, 1,15 Millionen Familien sogar in absoluter Armut. In Süditalien sind es 47 Prozent der Familien ab drei Kindern.

Italien steht ein "heißer Herbst" bevor. Die mit 5,7 Millionen Mitgliedern stärkste Gewerkschaft CGIL hat an die beiden weiteren Verbände (CISL und UIL) appelliert, gemeinsam mit einem Generalstreik gegen die "Blut- und Tränen" Politik vorzugehen.


[1] www.schattenblick.de -> Infopool -> Politik -> Ausland -> Italien
ITALIEN/003: Geht es mit Berlusconi zu Ende? (Gerhard Feldbauer)


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Quelle:
© 2011 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. August 2011