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ITALIEN/010: Italiens Premier Monti in den Fußstapfen von Berlusconi (Gerhard Feldbauer)


Italiens Premier Monti in den Fußstapfen von Berlusconi

Eine Regierung der Confindustria und der Manager der Banken (1)

von Gerhard Feldbauer, 20. November 2011


Man könnte meinen, dass Regime des Mediendiktators Berlusconi sei bereits Geschichte. In Wirklichkeit ist es so, dass an die Stelle der Alleinherrschaft des reichsten Kapitalisten des Landes jetzt ein Konsortium des Industriellenverbandes Confindustria und der Manager der Banken mit dem langjährigen EU-Kommissar, darunter in der Schlüsselposition des Wettbewerbers (wofür ihn übrigens Berlusconi einst vorschlug), Mario Monti, getreten ist. Gab es gegen Berlusconi noch eine, wenn auch heterogene, aber doch einigermaßen geschlossene Opposition, so erhielt Monti, ausgenommen die Lega Nord (die nicht zu Unrecht hofft, davon bei Wahlen zu profitieren), eine in der Parlamentsgeschichte Italiens kaum gekannte Zustimmung aller übrigen Parteien (Abgeordnetenkammer 556:61). Im gefährlichen trauten Verein haben sich die Freiheitspartei Berlusconis und die (liberale) Demokratische Partei Luigi Bersanis zur Stützung der Technokraten-Regierung zusammengefunden.


Der diskrete Scharm der Bourgeoisie

Geändert hat sich, dass Monti nicht den rüden Ton der Gosse seines Vorgängers übernommen hat und sein Agieren an den "diskreten Scharm der Bourgeoisie" in Luis Bunnels Film von 1972 erinnert. Ansonsten tritt er mit seinem sogenannten Spar- und Reformprogramm an, um das Werk Berlusconis fortzuführen, was heißt, das unter dem Diktat der EU angenommene Sparpaket durchzusetzen. Dessen schon weit über 100 Milliarden Euro gehender Umfang soll erneut um weitere zehn Mrd. aufgestockt werden. Da im Augenblick beim Sozialabbau die Schmerzgrenze schon lange überschritten ist, kann man den Bogen, auch Angesichts bevorstehender Wahlen - entweder vorgezogen auf 2012 oder am Ende der Legislatur 2013 - derzeit nicht noch mehr überspannen. So gehen die Vasallen von Brüssel in Rom wie bereits in Athen daran, dass Tafelsilber zu verscherbeln, was heißt die noch in der Hand des Staates verbliebenen Unternehmen an private Konzerne zu veräußern. Das schafft für einen Augenblick Luft, aber in der Perspektive gibt der Staat beträchtliche Einnahmequellen preis und liefert sich noch mehr dem Diktat der Banken aus. Wenn Monti erklärte, gegen die Krise suche er "den Schulterschluss mit Berlin und Paris", dann sind das die Käufer, denen der Vorzug gegeben wird.


Zur Disposition steht vor allem der Energie- und Raumfahrtsektor

An der Spitze der zur Disposition stehenden Betriebe in Staatsbesitz bzw. mit starker Beteiligung stehen zwei Riesenunternehmen: Die Ente Nazionale Idrocarburi - ENI (Kohlenwasserstoffe) und der Industrie- und Rüstungskonzern Finmeccanica. Der Energie-Konzern ENI ist in den Bereichen Erdöl, Erdgas, Stromerzeugung, Petrochemie, Ingenieurwesen und Services auf Ölfeldern tätig und unterhält das Tankstellennetz Agip, das in Italien mit einem Marktanteil von 29,3 Prozent 4.356 Servicestationen unterhält und damit größter Tankstellen-Betreiber des Landes ist. Im Rest Europas ist Agip mit weiteren 1.938 Tankstellen und Shops, davon rund 600 in Deutschland, über 300 in Österreich und 240 in der Schweiz vertreten. 2010 mit 79.941 Mitarbeitern, einem Umsatz von 98,360 Mrd. und einem Nettogewinn von über 10 Mrd. Euro ist die ENI das zwölftgrößte Unternehmen Europas.

Finmeccanica ist einer der größten Industriekonzerne des Landes (Schwerpunkt Informationstechnik, Maschinen- und Anlagenbau, Eisenbahnwesen), in den in den 1990er Jahren fast alle italienischen Rüstungs-, Luft- und Raumfahrtunternehmen eingegliedert wurden. Finmeccanica baut Flugzeuge, Hubschrauber, Satelliten, Raketen und Raumfahrtkomponenten, Geräte für die Kommunikations- und Informationstechnik, Panzerfahrzeuge, Torpedos und Schiffsgeschütze, sowie Hochgeschwindigkeitszüge, U-Bahnen und Trambahnen. Der Konzern beschäftigt in Italien etwa 43.000 Mitarbeiter, in Standorten in den USA, Großbritannien, Frankreich, Deutschland und Polen weitere rund 30.000. 2009 betrug der Umsatz 18,176 Mrd. Euro. Besonders hier gilt unter Insidern als sicher, dass das Rennen um Finmeccanica deutsche Anbieter machen werden. Die italienische kommunistische Zeitung Contropiano nannte die Vorgänge unter Anspielung auf die Okkupation Italiens durch Hitlerdeutschland im Zweiten Weltkrieg deutlich beim Namen: Es handele sich um eine Invasion, nicht mit Panzern, sondern "durch eine Truppe von Inspektoren der Troika EU, FMI und EZB."

Bekanntlich hat die Bundesregierung gerade einen strategischen Coup eingeleitet, um sich die Vorherrschaft in der European Aeronautic Defence and Space Company N. V. (EADS), u. a. zu sichern.(2) Zu EADS gehört der Flugzeughersteller Airbus, das weltweit größte Hubschrauber-Unternehmen Eurocopter und EADS Astrium, mit den Programmen Galileo und Ariane, die europäische Nummer eins im Raumfahrtgeschäft. Käme hier das Potenzial der Finmeccanica hinzu, würden sich die von Deutschland beherrschten Kapazitäten in diesem Bereich enorm vervielfachen und ausreichen, Konkurrenten aus den USA in die Schranken zu weisen.


In Athen geht es um 50 Milliarden Euro Staatskapital

In Griechenland war der "Rettungsschirm" kaum aufgespannt, da tauchten 70 Manager deutscher Unternehmen im Tross von Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler in Athen auf, um ihre Schäfchen ins Trockene zu bringen. Mit Milliarden-Investitionen kaufen sie griechische Staatsbetriebe auf oder erwerben Anteile daran. Für 50 Milliarden Euro stehen dort staatliche Unternehmen zum Verkauf, Liegenschaften zur Verpachtung. Die Deutsche Telekom übernimmt weitere zehn Prozent von Hellenic Telekom (OTE), womit ihre bisherigen Anteile auf 40 Prozent anwachsen. Im Visier liegt auch hier vor allem der strategische Energiesektor, darunter die staatlich kontrollierten Elektrizitätswerke DEI und die großen Sonnenstromprojekte. Der deutsche Alternativenergie-Konzern Solarworld, einer der drei größten Hersteller von Solarstromprodukten weltweit, will bis 2020 rund 10.000 Megawatt installieren, was bei optimaler Sonneneinstrahlung die Leistung von rund zehn Atomkraftwerken erbringen würde. 2500 Megawatt davon sollen exportiert werden. Die E.on Ruhrgas hat vor, sich am Bau der Trans-Adriatic Gaspipeline, die 1,5 Milliarden Euro kosten soll, zu beteiligen. Die Leitung soll Gas aus Aserbaidschan via Türkei und Griechenland nach Süditalien bringen. Von den insgesamt 800 Kilometern würden 478 durch Griechenland führen. Zum Verkauf stehen die Landwirtschaftsbank ATE und Athens International Airport (AIA), an dem der Staat noch 55 Prozent hält; 40 Prozent besitzt bereits der deutsche Baukonzern Hochtief, der den Flughafen auch unterhält. Während des Rösler-Besuches wurde bekannt, dass deutsche Unternehmen bereits jetzt mit zwölf Prozent an der Erwirtschaftung des Bruttoinlandsprodukts Griechenlands beteiligt sind. Rösler "empfahl" der Regierung in Athen außerdem, Sonderwirtschaftszonen mit niedrigeren Unternehmenssteuern einzurichten, von dem deutsche Unternehmen profitieren würden.


Streit mit Paris wegen Tarnkappen-Fregatten für Athen

Der "Euro-Rettungsschirm" dient aber auch den lukrativen Geschäften der deutschen Rüstungsindustrie. Athen, in dem jetzt wieder die Neofaschisten mitregieren, kauft laut SIPRI elf Prozent der weltweiten Rüstungsexporte ein. Deutschland, nach den USA und Russland weltweit drittgrößter Lieferant, verbuchte schon bisher 35 Prozent davon. Derzeit streitet Thyssen-Krupp, wie einem "Spiegel"-Bericht zu entnehmen war, mit der halbstaatlichen griechischen Werft "Direction des Constructions Navales, Systemes et Services" (DCNS) um einen Milliardenauftrag über die Lieferung von sechs Tarnkappen-Fregatten an das Verteidigungsministerium in Athen, der bisher Frankreich zugesagt ist. Zu Hilfe kam Krupp-Thyssen Uwe Karl Beckmeyer von der SPD-Bundestagsfraktion, der forderte, "Die Kanzlerin muss ihren Freund Sarkozy stoppen." Ganz gleich zu wessen Gunsten der Deal, in dem Krupp das Kanzleramt persönlich angerufen haben soll, ausgehen wird, bezahlen werde Athen "letztlich wohl mit deutschem Geld", so der "Spiegel", mit dem das Regime dort "subventioniert und am Leben" erhalten werde.

Die bisherige Entwicklung beweist, die Euro-Rettungsschirme, die in immer breiteren Größen für die vom eigenen Kapital in den Staatsbankrott getriebenen Länder wie Griechenland und Italien aufgespannt werden, nutzen vor allem deutschen Konzernen und damit der Durchsetzung der Hegemonie der Bundesrepublik in der EU. Dazu werden aus der Geschichte höchst unrühmliche Schlagworte von der deutschen Kanzlerin persönlich wieder belebt, wie von der "Schicksalsgemeinschaft" Europa, das sich in seiner vermutlich "schwersten Stunde seit dem Zweiten Weltkrieg" befinde. Um die deutsche Vorherrschaft in der EU festzuschreiben, verlangt Berlin, wie das außenpolitische Journal German Foreign Policy schrieb, eine dominierende Stimmenmehrheit in zentralen EU-Institutionen, darunter eine Neuverteilung der Stimmengewichtung in der Europäischen Zentralbank, die in Zukunft auf der Grundlage des Bruttosozialprodukt erfolgen soll. Damit bekäme Deutschland nicht nur heute, sondern mutmaßlich auf Dauer eine beherrschende Stellung in der wichtigsten geldpolitischen Institution Europas. Der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Volker Kauder, ein enger Vertrauter der Kanzlerin, fasst das mit knappen Worten zusammen: "Jetzt wird in Europa Deutsch gesprochen."

Die nächste Schlacht wird in Italien geschlagen. Monti will bis zum Ende der Legislatur 2013 regieren, das EU-Diktat auf den Weg bringen und damit vollendete Tatsachen schaffen. Wird es Mitte Links, wird es national bewusst denkenden bürgerlichen Kräften in Italien gelingen, den Ausverkauf der Wirtschaft und damit der Souveränität des Landes zu stoppen. Ein erster Schritt müsste sein, den Staatspräsidenten zur Auflösung des Parlaments zu zwingen und sofort vorgezogene Parlamentswahlen auszuschreiben.


Anmerkungen

(1) Siehe "Der Mediendiktator ist gestürzt. Die weitere Entwicklung ist ungewiss. Wird es der Linken gelingen, sofortige Neuwahlen durchzusetzen?"
In: Schattenblick, 14. November 2011
Schattenblick -> INFOPOOL -> POLITIK -> AUSLAND
ITALIEN/009: Der Mediendiktator ist gestürzt (Gerhard Feldbauer)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/ausland/paei0009.html

(2) Siehe "Daimler AG verkauft 7,5 Prozent ihrer Anteile von EADS an KfW Bankengruppe. Scharfer Widerspruch in EADS-Führung."
In: Schattenblick, 11. November 2011
Schattenblick -> INFOPOOL -> POLITIK -> WIRTSCHAFT
UNTERNEHMEN/2226: Daimler AG verkauft EADS-Anteile an KfW Bankengruppe (Gerhard Feldbauer)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/wirtsch/pwun2226.html


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Quelle:
© 2011 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. November 2011