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EUROPA/782: Berlusconi will Urteil gegen Ex-Sozialistenchef Craxi aufheben lassen - Warum wohl? (NRhZ)


NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung
Online-Flyer Nr. 240 vom 10.03.2010

Berlusconi will Urteil gegen Ex-Sozialistenchef Craxi aufheben lassen
Warum wohl?

Von Gerhard Feldbauer


Silvio Berlusconi bleibt als Regierungschef Italiens (seit 2008 zum dritten Mal) im Visier der Justiz. Von gegen ihn noch immer anhängigen fünf Prozessen will ein Mailänder Gericht demnächst gegen ihn im Korruptionsfall um seinen früheren Anwalt David Mills das Verfahren fortsetzen. Berlusconi soll ihn in zwei Fällen mit 600.000 Euro für eine Falschaussage bestochen haben. Nun hat sich der trickreiche Mediendiktator etwas ganz besonderes einfallen lassen. Er will den in den Korruptionsprozessen Mitte der 90er Jahre zu 26 Jahren Gefängnis verurteilten und im Jahr 2000 verstorbenen früheren Sozialistenführer Bettino Craxi rehabilitieren.

Was veranlasst den faschistoiden Premier und ausgesprochen fanatischen Feind aller Linken, den früheren Sozialistenchef zum unschuldig Verurteilten zu erklären zu wollen? Um seine Beweggründe kennen zu lernen muss man in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts beginnen. In dieser Zeit gründete der Altfaschist aus Mussolinis Zeiten Licio Gelli mit Hilfe der CIA und ihrer einheimischen Handlanger die faschistische Putschloge Propaganda Due (P2), die mittels eines Colpo bianco (kalten Staatstreiches) ein Regime faschistischen Typs an die Macht bringen sollte. Nach der Aufdeckung der Loge 1981 wurde bekannt, dass ihre weit über 2500 Mitglieder, wie die Parlamentskommission zur Untersuchung der P2 enthüllte, "den hohen Rängen des Militärs, der Geheimdienste, der Pressewelt, der Finanzen, der Politik" angehörten und "ein Machtzentrum innerhalb der staatlichen Einrichtungen" darstellten.

Zusammen mit Gelli und Berlusconi gehörte Craxi der Leitung der P2, dem sogenannten "Dreigestirn", an. In den Korruptionsprozessen Mitte der 90er Jahre kam ans Licht, dass Craxi von der P2 an die Spitze der Sozialistischen Partei (ISP) gehievt wurde, um ihn als einen neuen "Duce" aufzubauen. "Der Einfluss der P2 auf die Sozialistische Partei wird für die Führerschaft Craxis von grundlegender Bedeutung. Die Regie der P2, die sie aus dem Off heraus führt, zeigt sich besonders an den riesigen Geldsummen, die der P2-Bankier Roberto Calvi der Partei zukommen lässt, aber auch an der Existenz der Schweizer Nummernkonten, auf denen die durch Korruption erwirtschafteten Gelder liegen" schrieben die Autoren Giovanni Ruggeri und Mario Guarino.

Seit 1972 stellvertretender Parteisekretär, stürzte Craxi in der sogenannten Midas-Verschwörung im Juli 1976 den Parteilinken Francesco De Martino und brachte sich selbst an die Parteispitze. Binnen kurzem richtete er die ISP auf eine stramm rechte, wenn auch zunächst noch demagogisch links getarnte, antikommunistische Linie aus. Als Parteichef vermittelte Craxi der von Roberto Calvi beherrschten Ambrosiano-Bank immense Kredite von staatlichen Konzernen, wofür er Tangenten (Anteile) von Dutzenden Millionen Dollar kassierte. Calvi floh nach der Aufdeckung der P2 vor den polizeilichen Ermittlungen nach London, wo er am 18. Juni 1982 unter der Black Friars-Bridge erhängt aufgefunden wurde. Die Mafia hatte einen unliebsamen Mitwisser ausgeschaltet, der nicht nur die Pläne der P2 kannte, Craxi als "neuen "Duce" aufzubauen, sondern auch das Schweizer Nummernkonto, auf das er "für den kommenden Mann, der Italiens politische Zukunft bestimmen würde", Dutzende Millionen Dollar überwiesen hatte.


Dank Loge P2 Ministerpräsident

Dank der P2 wurde Craxi 1983 Ministerpräsident. Den Weg ebnete ihm Logenbruder Berlusconi, der sein Emporkommen zu einem der Großen des Kapitals (später überhaupt des größten in Italien und vor allem im Medienbereich) seinerseits der P2 verdankte. Craxi verhinderte eine gesetzliche Beschränkung des Fernsehmonopols Berlusconis und sicherte es stattdessen per Regierungsdekret ab. Dem Medientycoon wurde zugestanden, Live- und Nachrichtensendungen auszustrahlen und die Beschränkung aufgehoben, neben dem Fernsehmonopol landesweite Print-Medien zu unterhalten.

Ab 1992 kam die Korruptionspraxis der Christdemokraten (DC), ihres Hauptverbündeten, der ISP und weiterer Koalitionspartner ans Licht. Das traditionelle System der Regierungsparteien brach einem Erdrutsch gleich zusammen. Die Ermittlungen erfassten etwa 6.000 Politiker, darunter ein Drittel der 945 Senatoren und Abgeordneten, ehemalige und im Amt befindliche Minister, unzählige Bürgermeister, Stadt- und Provinzräte. Anfang 1993 saßen 1.356 Staats- und Parteifunktionäre sowie Wirtschaftsmanager in Haft. Die von den Beschuldigten kassierten und auf Schweizer Konten gelagerten Bestechungsgelder wurden auf 30 Milliarden US-Dollar beziffert. Gegen Craxi begannen 41 Ermittlungsverfahren. In einem Fall wurde er wegen der Kassierung von 200 Millionen DM Bestechungsgeldern angeklagt. Auf sein Nummernkonto in der Schweiz hatte er selbst 600 Mio. US-Dollar transferiert. 1993 floh er vor der Vollstreckung des Haftbefehls nach Tunesien. Zwischen 1994 und 1996 verhängten die Gerichte gegen ihn insgesamt 26 Jahre Gefängnis. Tunis verweigerte seine Auslieferung. Im Januar 2000 verstarb er in dem mondänen Badeort Hammamat.


"Die wahre Macht in den Händen der Massenmedien"

Nach dem Zusammenbruch der alten Regierungsparteien befürchtete man im rechten Lager den Übergang eines Großteils ihrer Wähler zu der 1991 aus der IKP hervorgegangenen sozialdemokratischen Linkspartei PDS. Da Craxi als neuer "Duce" ausgefallen war, orientierte sich die nach wie vor ihr Unwesen treibende P2 nun darauf, Silvio Berlusconi an die Macht zu hieven. Ruggeri und Guarino belegten, dass die Logenbrüder auch "eine entscheidende Rolle für die Karriere des Unternehmers Berlusconi gespielt haben: allen voran die Bankiers der P2", die ihm "Unterstützung und Finanzierungshilfen, die weit über jede Kreditwürdigkeit hinausgehen" verschafften. Die P2 lenkte ihren Günstling vor allem in den Medienbereich, da ihre Experten - nicht zu Unrecht - meinten, dass "die wahre Macht in den Händen der Massenmedien" liege. Gemäß dieser Konzeption stieg Berlusconi groß ins Fernsehgeschäft ein und errang in den entscheidenden Bereichen das private Fernsehmonopol. In den 80er Jahren kamen durch Aufkauf oder Erwerb entsprechender Anteile ferner zirka 40 Prozent aller italienischen Presseerzeugnisse hinzu.

Am 6. Februar 1994 gründete Berlusconi die Partei, Forza Italia, die faktisch innerhalb seiner Fininvest-Holding entstand. Anschließend bildete er mit der in Alleanza Nazionale umgetauften Mussolini-Nachfolgerpartei Movimento Sociale Italiano und den Rassisten der Lega Nord ein Wahlbündnis. Gestützt vor allem auf seinen Medieneinfluss gewann er im April 1994 die Parlamentswahlen und bildete die Regierung.


13 Verfahren - alle bisherigen Urteile aufgehoben

Während der Korruptionsprozesse trat Berlusconi als "Saubermann" an. Schon kurz nach seinem Regierungsantritt wurde jedoch bekannt, dass in seinen Unternehmen genauso mit Schmiergeldern und Bestechungen gearbeitet wurde wie anderswo auch. Er wurde in den folgenden Jahren in insgesamt 13 Verfahren der gleichen Praktiken, der Geldwäsche, des illegalen Waffenhandels, der Führung von Tarnfirmen, des illegalen Kapitaltransfers und weiterer Delikte angeklagt und zu über zehn Jahren Freiheitsstrafe und zehn Mio. DM Geldstrafe verurteilt. Die Aufhebung dieser Urteile setzten seine Anwälte bereits vor seiner erneuten Berufung zum Premier 2001 teilweise durch. Übrig blieben noch fünf Prozesse. Danach setzte er mit seiner Parlamentsmehrheit die sogenannte "Lex Berlusconi" durch, ein Gesetz, das ihm während seiner Amtszeit Immunität gegenüber weiteren richterlichen Ermittlungen sicherte. Dieses von Anfang an verfassungswidrige Gesetz wurde 2009 dann auch vom Obersten Verfassungsgericht als solches aufgehoben. Seitdem droht Berlusconi die Aufnahme alter und neuer Verfahren. Vertreter der Justiz, die gegen ihn vorgehen, diffamiert er in bekannter übelster antikommunistischer Weise als rote und kommunistische Richter, Anwälte und als persönliche Feinde.

Um seine Hetze zu untermauern und auszuschließen, dass er nun dennoch angeklagt und verurteilt wird und das zu seinem Sturz führen könnte, hat er sich die Rehabilitierung Craxis einfallen lassen. Die Aufhebung der gegen den Sozialistenchef ergangenen Urteile würde, wie die "Neue Zürcher Zeitung" schrieb, dem "gegen ihn gerichteten Korruptionsprozess den Riegel vorschieben".


Interessierte Leser verweisen wir auf das Buch des Autors "Geschichte Italiens. Vom Risorgimento bis heute", Papyrossa, Köln 2008. 360 Seiten, EUR 19,90 [D]; EUR 20,50 [A]; SFR 35,90, ISBN 978-3-89438-386-2


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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. März 2010