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EUROPA/823: Die "Zukunftspartei" Schwedens? - Die Schwedische Sozialdemokratie ... (FES)


Friedrich-Ebert-Stiftung
Internationale Politikanalyse

Die »Zukunftspartei« Schwedens?
Die Schwedische Sozialdemokratie zwischen erfolgreicher Vergangenheit und unsicherer Zukunft

von Jens Gmeiner
März 2013




Inhalt

1. Schweden als Utopie und Dystopie - Die Konstruktion einer imaginären Landschaft

2. Die schwedische Sozialdemokratie zwischen vergangenem Mythos und zukünftigen Herausforderungen

3. Die Ausgangslage seit der Wahlniederlage 2010

4. Das kurze Zwischenspiel von Håkan Juholt und die schwere Krise der SAP

5. Ein gelernter Schweißer als Hoffnungsträger? Der neue Parteivorsitzende Stefan Löfven

6. Die »fantastischen Vier« - Das neue Team an der Spitze der SAP

7. Zurück zur »gesellschaftstragenden« Partei - Die Betonung von Regierungsvermögen und Lösungskompetenz

8. Soziostruktureller Abschied von der Mitte? Wähler und Mitglieder

9. Wahlfreiheit und Kontrolle - Der Umgang mit privaten Dienstleistern im Wohlfahrtssektor

10. Erneuerung auf allen Ebenen - Auf dem Weg zur »Zukunftspartei«?

11. Die Wahl 2014 als politischer und rhetorischer Kampf um die »Zukunft«

12. Zusammenfassung und Ausblick - Die aktuelle Situation der schwedischen Sozialdemokratie

Literatur

*

• Lange Zeit war die Schwedische Sozialdemokratie die wohl erfolgreichste sozialdemokratische Partei Europas. Nach zwei Wahlniederlagen in den Jahren 2006 und 2010 und drei Personalwechseln an der Parteispitze versucht die Partei, nach einer schweren Vertrauenskrise wieder an die erfolgreiche Vergangenheit anzuknüpfen.

• Seit 2012 hat die Partei mit Stefan Löfven einen neuen Vorsitzenden. Der ehemalige Metallgewerkschaftsvorsitzende soll mit einem neuen Team die Sozialdemokratie wieder kompetent und lösungsorientiert aufstellen sowie für breite Arbeitnehmerschichten wählbar machen.

• Statt scharfer ideologischer Polarisierung mit der bürgerlichen Minderheitsregierung setzt die Sozialdemokratie auf einen pragmatischen Mitte-Kurs. Die Partei versucht damit an Modernität, Regierungsvermögen sowie Wirtschafts- und Lösungskompetenz wiederzugewinnen. Umverteilungs- und Wohlfahrtsthemen werden zu Gunsten der Haushaltsdisziplin und der Arbeitsmarktpolitik zurückgestellt.

• Die schwedische Sozialdemokratie unterstreicht ihre Neuausrichtung mit einem modernen Image. Seit November 2012 bezeichnet sich die Sozialdemokratie selbst als »Zukunftspartei« und hat eine Erneuerung in allen relevanten Parteibereichen wie Organisation, Kommunikation und Programmatik angekündigt.

• Die Partei betont stärker als zuvor nicht nur die Rechte, sondern auch die Pflichten der Arbeitnehmer. Die rhetorische und programmatische Leistungsorientierung unter dem neuen Vorsitzenden Löfven ist risikoreich und könnte traditionelle sozialdemokratische Wähler verprellen.


1. Schweden als Utopie und Dystopie - Die Konstruktion einer imaginären Landschaft

Wohl keine sozialdemokratische Partei in Europa war im 20. Jahrhundert so erfolgreich wie die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Schwedens (Sveriges socialdemokratiska arbetareparti / SAP). Die Partei von Olof Palme und Tage Erlander regierte ab den 1930er Jahren fast durchgängig die schwedische Politik; die einzigen Ausnahmen bilden die Jahre 1976 bis 1982 sowie 1991 bis 1994. Der norwegische Historiker Francis Sejersted nannte seine umfassende Monographie zur norwegischen und sozialdemokratischen Sozialdemokratie im 20. Jahrhundert deshalb auch »das Zeitalter der Sozialdemokratie« (Sejersted 2005), weil beide Parteien als Hauptantriebskräfte der Modernisierung agierten und nicht nur eine elektorale, sondern auch eine kulturelle Dominanz in ihren Ländern erringen konnten. Viele Sozialdemokraten im kontinentaleuropäischen Raum haben immer reflexartig in den Norden geschaut, wenn sie Vorbilder und Argumente für die inländischen Debatten gesucht haben. Schweden galt daher lange Zeit als ein sozialdemokratisch geführtes »Modellland«, das den Spagat zwischen wirtschaftlicher Dynamik, gerechter Umverteilung und hohen Sozialleistungen meistern konnte.

Das »Modell Schweden« wurde bereits in den 1930er Jahren von dem Amerikaner Marquis Childs als Mittelweg zwischen Kapitalismus und Sozialismus angepriesen und als Vorbild für den New Deal angesehen (vgl. Childs 1936). Einige Dekaden später entwarf der Brite Roland Huntford einen dystopischen Gegenentwurf zum Reisebericht von Childs und sprach scharfzüngig von einer »Wohlfahrtsdiktatur« und einem »neuen Totalitarismus«, der sich in Schweden in einer hierarchischen Staatsgläubigkeit mit Hang zur technokratischen Oligarchie zeige (vgl. Huntford 1971). Diese polarisierenden Reiseberichte durch das moderne Schweden des 20. Jahrhunderts sind nur zwei paradigmatische Beispiele, die zeigen, wie wenig das Land bei solchen Realitätskonstruktionen selbst im Zentrum des Interesses stand. Stattdessen geben solche utopischen und dsytopischen Verklärungen mehr Rückschlüsse über die ideologische Verortung des Autors als über das eigentliche Untersuchungsobjekt. »Es ist die Projektionsfläche der eigenen Hoffnungen und Sorgen, nicht anders als den Europäern »Amerika« seit dem 19. Jahrhundert« (Etzemüller 2010: 12), schreibt der Historiker Thomas Etzemüller über das Land Schweden.


2. Die schwedische Sozialdemokratie zwischen vergangenem Mythos und zukünftigen Herausforderungen

Was auf das Land Schweden zutrifft, kann auch auf die schwedische Sozialdemokratie übertragen werden. Zwar dominierte die SAP die schwedische Politik im 20. Jahrhundert und erreichte fast durchgehend zwischen 40 und 50 Prozent, doch wird vielfach die Rolle der bürgerlichen Parteien unterschätzt, die zu großen Teilen den Ausbau des Wohlfahrtsstaates und die Modernisierung des agrarischen Landes mitgetragen haben. Henry Werner spricht in diesem Zusammenhang völlig zu Recht davon, dass der skandinavische Wohlfahrtsstaat »keineswegs ein sozialdemokratisches oder sozialistisches, sondern ein gesamtgesellschaftliches Projekt« sei, das jedoch eine politische Kultur institutionalisiert habe, die auf ein »sozialdemokratisches Weltbild abstellt« (Werner 2002). Der Aufstieg der SAP seit den 1930er Jahren ist auch darauf zurückzuführen, dass die Partei bündnispolitische Klassenallianzen mit der damaligen Bauernpartei einging und sich daraus eine rot-grüne pro-wohlfahrtsstaatliche Koalition herausbildete. Die Rolle der natürlichen Regierungspartei SAP wurde zudem dadurch zementiert, dass der bürgerliche Block intern gespalten und fragmentiert erschien und eine ersthafte Konkurrenz zur Sozialdemokratie somit fehlte.

Die Schaffung einer breiten sozialdemokratischen Wählerbasis wurde auch dadurch begünstigt, dass die Arbeiterschaft relativ homogen war und innere Fragmentierungen durch regionale oder konfessionelle Bruchstellen fehlten. Die SAP erreichte darüber hinaus mit ihrer integrierenden »Volksheimrhetorik« weite Teile der Bevölkerung und entfernte sich somit zunehmend von der traditionellen sozialdemokratischen Klassenkampfauffassung (vgl. Dahlqvist 2002: 461). Die schwedische Sozialdemokratie wandelte sich damit früh von einer Klassenpartei hin zu einer breiten Volkspartei, obwohl sie »ihr Image als linke gesellschaftsverändernde Kraft« pflegte, aber auch zugleich »immer als pragmatische Partei« (Hinck 1998: 1167) handelte.

Durch die enge Verzahnung mit dem Arbeiterdachgewerkschaftsverband LO (Landsorganisationen i Sverige) hatte die SAP das elektorale Monopol über die gewerkschaftlich organisierten Arbeiter und wurde langsam zu einer Massenbewegung, die bis heute ein weitmaschiges Organisationsnetz in der schwedischen Gesellschaft etabliert hat. Dazu gehören neben der LO und ihrer hohen Organisationsdichte am Arbeitsplatz vor allem ein Wohnungsbaugenossenschaftsverband und Erwachsenenbildungseinrichtungen sowie Volkshochschulen, die sich ideell zur Arbeiterbewegung zählen (vgl. Lindström 2005: 90 f.).

Der Mythos der sozialdemokratischen »Staatspartei« wurde zu Beginn der 1930er Jahre geboren, als die SAP unter Führung des Cheftheoretikers Ernst Wigforss den Weg aus der internationalen Wirtschaftskrise ebnete und Ministerpräsident Per Albin Hansson mit seiner klassenlosen »Volksheimrhetorik« die agrarische Gesellschaft Schwedens ins industrielle Zeitalter führte. Das »Volksheim« wurde zum gesellschaftlich-politischen Zukunftsprojekt erkoren, im dem die soziale und private Sphäre Schwedens auf die Kernforderungen der Effektivität, Rationalität und Vorsorge eingeschworen wurden, um den Herausforderungen der Moderne begegnen zu können.(1)

Hier hat auch der viel zitierte »vorsorgende Sozialstaat« seinen Ursprung, als die gesellschaftlichen und industriellen Umbrüche ein Klima der Modernisierung, der sozialen Absicherung, aber auch der Kontrolle und Sozialisierung durch das Kollektiv begünstigten (vgl. Etzemüller 2005: 24 f.). Das »Volksheim« unter überwiegend sozialdemokratischer Führung ist somit nicht nur als geborgener, umfassender Sozialstaat zu sehen, sondern auch als erziehendes und normalisierendes Projekt, das Rationalität und das Ziel einer neu organisierten Gesellschaft verband. »Mehr als anderswo griffen Gesellschaftsentwürfe der Intellektuellen und Gesellschaftssteuerung der Politik ineinander, weil beide Seiten von denselben Voraussetzungen und Vorstellungen ausgingen und dasselbe Ziel vor Augen hatten: eine vernünftig organisierte Gesellschaft« (Etzemüller 2005: 26).

Wenn über Schweden, den umfassenden Wohlfahrtsstaat und die Quasi-Staatspartei SAP gesprochen wird, sind allzu blumige und vereinfachende Stereotype, die die Ambivalenzen und Paradoxien innerhalb des Landes ausblenden oder ganz negieren, also nicht ganz fern. Denn abseits dieser meist reinen ausländischen Modelldiskussionen hat die schwedische Gesellschaft und Politik von ihrem genuinen »Volksheim« langsam Abschied genommen.

Was sich schon seit den 1980er Jahren abzuzeichnen begann und mit der schweren Wirtschaftskrise zu Beginn der 1990er kulminierte, schlägt sich parteipolitisch spätestens seit den Wahlniederlagen der SAP in den Jahren 2006 und 2010 nieder. Die SAP befindet sich seit dem Jahr 2006 in der Opposition und hat mit Göran Persson, Mona Sahlin und Håkan Juholt bereits drei Vorsitzende während der letzten sieben Jahre verschlissen. Die SAP erreichte bei der Parlamentswahl 2006 noch 35 Prozent und sank vier Jahre später auf knapp 30 Prozent ab. Damals konnte sie sich noch knapp vor den regierenden Konservativen, der Moderaten Sammlungspartei (Moderata samlingspartiet) unter Führung des Ministerpräsidenten Fredrik Reinfeldt, behaupten und fuhr ihr schlechtestes Wahlergebnis seit dem Jahr 1914 ein (vgl. ausführlich Gmeiner 2011b).

Die Dominanz der Sozialdemokratie bröckelt nun auch sichtbar in ihrer ehemaligen Hochburg. Abseits der strukturellen Erosionsprozesse, die sich vor allem im Abschmelzen der gewerkschaftlichen Stammwählerschaft, der Auflösung von Parteibindungen und der Erosion des universellen Wohlfahrtsstaates manifestieren, muss sich die SAP auch neuen Herausforderungen im Parteienwettbewerb stellen. Neben der Konkurrenz mit den Grünen droht nun auch eine rechtspopulistische Partei, die Schwedendemokraten (Sverigedemokraterna), Arbeiterstimmen abzuschöpfen. Zudem konkurriert die SAP nun auch zunehmend mit der konservativ-liberalen Moderaten Sammlungspartei, die seit dem Jahr 2003 einen - zumindest suggerierten - pro-wohlfahrtsstaatlichen Kurswechsel angeregt hat.

Die Partei, die eigentlich seit den 1980er Jahren als neoliberaler Akteur und als eindimensionale Steuersenkungspartei der Oberklasse angesehen wurde, richtete sich unter dem 2003 gewählten Vorsitzenden Fredrik Reinfeldt rhetorisch und inhaltlich neu aus (vgl. Ljunggren 2006). Anknüpfend an den Wandel der Labour Party firmierten die Moderaten nun unter dem Namen »Neue Moderate« (Nya moderaterna) und rückten weiter in die politische Mitte (vgl. Sundström 2012a). Das Versprechen ging auf. Der »Dritte Weg« von rechts der Moderaten hat die schwedische Sozialdemokratie seitdem vor allem diskursiv und sprachlich entwaffnet. Im Jahr 2006 wechselten dann vor allem viele Angestellte mit mittlerem und höherem Einkommen, die mitnichten anti-wohlfahrtsstaatlich eingestellt sind, von den Sozialdemokraten zu den Konservativen und sind seitdem Teil der Wählerkoalition der »Neuen Moderaten«.

Die gegenwärtigen Entwicklungen in der politischen Arena und die strukturellen Erosionsprozesse stellen auch die einstigen Vorzeigegenossen aus Schweden vor ernsthafte Herausforderungen, die in der Oppositionsrolle seit 2006 besonders deutlich zu Tage treten. Die SAP sucht nach neuen Strategien, Zielsetzungen und programmatischen Fluchtpunkten, die zwischen ihrer erfolgreichen Vergangenheit und der krisenhaften Gegenwart vermitteln und Brücken schlagen in die Zukunft. Somit ist das Ziel dieser Studie, die programmatischen, personellen und kommunikativen Reformbemühungen der SAP hinsichtlich der neuen Rahmenbedingungen im Parteienwettbewerb zu analysieren und ihre Anstrengungen seit der Wahl 2010 nachzuverfolgen. Der Fokus liegt auf dem Jahr 2012 und der programmatischen Ausrichtung unter dem gegenwärtigen Vorsitzenden Stefan Löfven.


Wahlergebnisse- und Veränderungen bei den Parlamentswahlen 2006 
 und 2010


Stimmen % 2010
Stimmen % 2006
Veränderung
zur Wahl 2006 %
S
MP
V
30,7
7,3
5,6
35,0
5,2
5,9
-4,3
+2,1
-0,3
Linker Block
43,6
46,1
-2,5
M
FP
C
KD
30,1
7,1
6,6
5,6
26,2
7,5
7,9
6,6
+3,9
-0,4
-1,3
-1,0
Bürgerlicher Block
49,4
48,2
+1,2
SD
Übrige
5,7
1,3
2,9
5,7
+2,8

Erläuterung zur Tabelle Wahlergebnisse- und Veränderungen bei den Parlamentswahlen 2006 und 2010:
Linker Block: S = Sozialdemokraten, MP = Umweltpartei / Die Grünen, V = Linkspartei;
Bürgerlicher Block: M = Moderate Sammlungspartei / Moderate, FP = Volkspartei / Die Liberalen, C = Zentrumspartei, KD = Christdemokraten;
SD = Schwedendemokraten;

Quelle: Gerundete Daten der schwedischen Wahlbehörde 2006 und 2010, Valmyndigheten, Val till riksdagen - Röster,
(http://www.val.se/val/val2010/slutresultat/R/rike/index.html, 15.01.2013).


3. Die Ausgangslage seit der Wahlniederlage 2010

Will man die aktuellen programmatischen und personellen Diskussionen innerhalb der SAP verstehen, dann bedarf es einer genaueren Analyse der Ausgangslage der SAP nach der Wahlniederlage 2010. Die Sozialdemokratie erreichte mit 30,7 Prozent einen historischen Tiefpunkt und konnte die bürgerliche Vier-Parteien-Regierung unter Führung der Moderaten nicht aus dem Amt drängen.

Als Grund für die Niederlage wurde vielfach die erstmalige Bildung eines Drei-Parteien-Bündnisses im Vorfeld der Wahl durch Sozialdemokraten, Grüne (Miljöpartiet / De gröna) und Linkspartei (Vänsterpartiet) angesehen. Selbst wenn es zu einfach ist, einen direkten Kausalzusammenhang zwischen der Bildung des linken Bündnisses und der Wahlniederlage im Herbst 2010 zu ziehen, lassen sich doch einige Faktoren benennen, die zumindest partielle Erklärungsansätze für das schlechte Abschneiden der SAP und der erstmaligen Bildung eines linken Bündnisses unter Führung der SAP zulassen. Zum einen verlief die Bildung des Bündnisses keinesfalls reibungslos.

Die damalige Parteivorsitzende Mona Sahlin wollte eigentlich nur eine Koalition mit den Grünen anstreben, da diese sich weitaus liberaler präsentierten als die Linkspartei und die Grünen in Schweden als unorthodoxe Partei der Mitte angesehen werden. Damit versuchte Sahlin die SAP weiter in die politische Mitte zu führen, um insbesondere mittlere Angestellte und Wähler mit höherem Einkommen zurückzugewinnen, die man bei der Wahl 2006 vornehmlich an die bürgerlichen Parteien verloren hatte. Durch diesen Kurs gerieten Sahlin und ihr Modernisierungsflügel aber in Konflikt mit Distrikten der Industriegürtel und mit Teilen der mächtigen Gewerkschaften innerhalb der LO, welche die industriekritischen Politikvorstellungen der Grünen immer kritisch beäugt haben. Der Druck dieser parteiinternen Gruppierungen hätte, so zumindest der mediale Tenor, die Inklusion der Linkspartei möglich gemacht (gegenteilig argumentiert Isaksson 2010: 23 ff.). Mit dem Einbezug der Linkspartei wurden allerdings die markanten Bruchstellen innerhalb der sozialdemokratischen Wählerkoalition deutlich. Während Teile der großstädtischen Bevölkerung die Linkspartei aufgrund ihrer Steuerpolitik und ihrer Außenpolitik ablehnten, standen vor allem Wähler in den sozialdemokratischen Hochburgen in Nordschweden den Grünen aufgrund ihrer Umwelt- und Jagdpolitik kritisch gegenüber (vgl. Nordström 2010). Obwohl das linke Dreier-Bündnis lange Zeit in den Umfragen gegenüber der bürgerlichen Vier-Parteien-Koalition geführt hatte, brachen die Umfragewerte ab Mai 2010 langsam ein, als die linken Parteien ihre gemeinsamen Haushaltsvorschläge im Falle eines Wahlsieges öffentlich machten. Nach Aussagen der Wahlanalyse der SAP hätten vor allem Vorschläge zur Erhöhung der Benzinsteuer und der Grundstückssteuer breite Wählergruppen verunsichert, obwohl nur einzelne Bevölkerungsgruppen davon betroffen gewesen wären (vgl. Wahlanalyse der Krisenkommission der SAP 2010: 38). So blieb das linke Bündnis hinter seinen Erwartungen zurück und führte zu einer Verwässerung der Identität der SAP.

Ein weiteres beunruhigendes Ergebnis stellten die Zustimmungswerte bei der erwerbstätigen Bevölkerung dar. Die SAP kam in dieser Gruppe gerade noch auf 22 Prozent der abgegebenen Stimmen und musste besonders hohe Verluste in den prosperierenden Zuwachsregionen verbuchen. In den drei Großstädten Stockholm, Göteborg und Malmö schnitt die Partei im Vergleich zum landesweiten Ergebnis unterdurchschnittlich ab. In Stockholm, dem wirtschaftlichen und kulturellen Zentrum Schwedens, wo ein Großteil der Wähler beheimatet ist, verzeichnete die SAP knapp über 20 Prozent der Stimmen.

Die SAP befand sich nach der katastrophalen Wahlniederlage 2010 in einem Schockzustand. Obgleich einige Sozialdemokraten das linke Dreier-Bündnis als Hauptgrund für die Wahlniederlage ausmachten, so schien doch die SAP mit ihrer unklaren Botschaft und ihrer diffusen anfänglichen Bündnispolitik selbst für die Niederlage verantwortlich zu sein. Ungeachtet der markanten Bruchstellen in der Wählerschaft resümierte die Wahlanalyse der SAP doch selbstkritisch. Die Botschaft bei der Wahl 2010 »wurde von vielen als gespalten und diffus erlebt und dass wir keine übergreifende Botschaft besaßen, in welche Richtung wir Schweden führen wollen« (Wahlanalyse der Krisenkommission der SAP 2010: 40). Die SAP, die lange Zeit in Minderheitsregierungen die Geschicke des Landes geführt und das eigentliche politische Gravitationszentrum Schwedens verkörpert hatte, schien mit der Wahlniederlage 2010 endgültig eine Partei unter anderen geworden zu sein (vgl. Stenberg 2010). Die Partei, die nun vor allem mit Regierungsvermögen assoziiert wurde, waren die Moderaten unter Führung von Fredrik Reinfeldt, der während der Wirtschaftskrise 2009 an Handlungskraft und Lösungskompetenz innerhalb der Bevölkerung gewinnen konnte. Obwohl Mona Sahlin einen erfolgreichen Wahlendspurt hinlegte, wurde der Druck aus der Partei immer größer, weil sie die zentrale Architektin des erfolglosen Bündnisses darstellte und ihre Modernisierungspolitik nicht nur bündnispolitisch, sondern auch innerparteilich gescheitert war (vgl. Gmeiner 2011a: 92). Die erste Frau an der Spitze der SAP, die mit dem Versprechen angetreten war, die Sozialdemokratie organisatorisch, programmatisch und bündnispolitisch zu modernisieren und neue Wählersegmente abseits der Arbeiterklasse anzusprechen, kündigte im November 2010 ihren Rücktritt an. Vor allem der Jugendverband SSU und Teile des linken Flügels hatten gegen die unbeliebte Modernisiererin aus dem Stockholmer »Parteiadel« aufbegehrt. Sahlin hatte nur vier Jahre als Parteivorsitzende amtiert. Auch dies konnte als Zeichen des Abwärtstrends der SAP gedeutet werden, hatte die SAP in der Vergangenheit doch für Beständigkeit und Kontinuität an der Parteispitze gestanden. Zwischen 1925 und 2007 standen der schwedischen Sozialdemokratie nur fünf Parteivorsitzende vor.


Parteivorsitzende der SAP von den Jahren 1925-2012
 Jahre
Parteivorsitzende
 1925-1946
 1946-1969
 1969-1986
 1986-1996
 1996-2007
 2007-2011
 2011-2012
 2012-
Per Albin Hansson
Tage Erlander
Olof Palme
Ingvar Carlsson
Göran Persson
Mona Sahlin
Håkan Juholt
Stefan Löfven

4. Das kurze Zwischenspiel von Håkan Juholt und die schwere Krise der SAP

Die Suche nach einem neuen Parteivorsitzenden, der im März 2011 auf dem Parteikongress gewählt werden sollte, machte noch einmal symbolisch deutlich, wie schwer die innerparteilichen Spaltungen und Divergenzen nach der Wahlniederlage 2010 wogen. Als Hoffnungsträger und Versöhner wurde erst Pär Nuder gehandelt, der zwei Jahre zuvor von Mona Sahlin als wirtschaftspolitischer Sprecher entmachtet wurde und aus dem Parlament ausgeschieden war. Der Jurist Nuder, der unter Göran Persson Staatssekretär und Finanzminister war, verkündete jedoch, dass er kein Interesse an der Übernahme des Parteivorsitzes habe und setzte seine Karriere als Berater in dem Consulting-Unternehmen von Madeleine Albright in den USA fort. Als weitere Kandidaten kristallisierten sich auf Seiten des Modernisierungsflügels Thomas Östros, Sven-Erik Österberg sowie Mikael Damberg heraus. Da Thomas Östros, der damalige wirtschaftspolitische Sprecher, und Sven Eric-Österberg, Fraktionsvorsitzender bis 2011, aber zum engen Kreis um Sahlin gehört hatten und zudem verantwortlich gemacht wurden für die Wahlniederlage 2010, zog sich die Kandidatensuche in die Länge und erschwerte den Findungsprozess. Der damalige schulpolitische Sprecher und Stockholmer Mikael Damberg galt als junges Gesicht einer modernen Politik, die darauf abzielte, die Wähler in den urbanen Zentren wieder an die SAP zu binden. Gleichwohl schien seine Kandidatur wieder tiefe Gräben innerhalb der Partei aufzureißen, da Damberg während der 1990er Jahre im Jugendverband SSU, deren Vorsitzender er auch war, in tiefgreifende Konflikte um die zukünftige Ausrichtung des Wohlfahrtsstaates und des Arbeitsrechts involviert war. Die zermürbenden Kämpfe im Jugendverband, die größtenteils zwischen den großen Parteidistrikten Stockholm Land und Schonen ausgetragen wurden, schwangen bei der Kandidatur von Mikael Damberg immer mit (vgl. Kielos 2011). Da sich auch Distrikte des rechten Flügels gegenseitig blockierten, konnte sich am Ende Håkan Juholt durchsetzen, der insbesondere von linken Parteidistrikten und Distrikten der Peripherie unterstützt wurde. Juholt galt als provinzieller Gegenkandidat für die Stockholmdominanz des »Parteiadels« und wurde somit von ganz unterschiedlichen Parteidistrikten aus dem Land unterstützt, die diese Dominanz der Hauptstadt innerhalb der Partei beenden wollten. Ein klares Mandat besaß aber auch Juholt nicht (vgl. ausführlich Nilsson 2011a).

Der im Jahr 1962 geborene Verteidigungsexperte Juholt stellte kein Schwergewicht der Partei dar, obwohl er als routinierter und gut vernetzter Parlamentarier angesehen wurde (vgl. Isaksson 2010: 219 f.). Juholt bekam in den Medien schnell den Ruf, ein dezidierter Parteilinker zu sein - insbesondere, weil er eben von den eher linken und gemäßigten Distrikten unterstützt wurde und gegen exponierte Personen des rechten Flügels der SAP angetreten war. Håkan Juholt ist allerdings als typischer »gråsosse« zu bezeichnen, also als ein traditionsverwurzelter Sozialdemokrat mittleren Alters, eigentlich als ein traditioneller Kommunalpolitiker, der eher Göran Persson als Mona Sahlin gleichen würde, schrieb die Zeitung Fokus kurz vor seinem Amtsantritt (vgl. Lönegård/Garme 2011). Der gelernte Journalist aus der südöstlichen Hafenstadt Oskarshamn, der im Jahr 2004 bereits zum stellvertretenden Generalsekretär ernannt wurde und als Mann der Basis auftrat, strebte zumindest in seiner Rhetorik als Parteivorsitzender einen traditionellen Kurs an, der die Umverteilung und die Bewahrung des Wohlfahrtsstaates wieder markiger betonte. Weitere Themen, die Juholt in den Fokus seiner Politik rücken wollte, stellten die ansteigende Kinderarmut dar, aber auch die staatliche Investitionspolitik in Bildung und Kultur (vgl. Kellermann 2012). Bündnispolitisch nahm er jedoch Abschied von einer festgefügten Konstellation und sprach sich für die blockübergreifende Zusammenarbeit in Form von Minderheitsregierungen aus. Als Brückenbauer hatte Juholt schon in der Regierung Persson erfolgreiche Absprachen mit den Christdemokraten und der Zentrumspartei über das Absenken des Verteidigungshaushalts geführt. Der traditionelle Kurs Juholts sollte jedoch nur von kurzer Dauer sein, da er aus der Partei immer mehr Gegenwind verspürte.

Der Rücktritt von Juholt im Januar 2012 ist auf eine Häufung von Skandalen und Kommunikationsfehlern und eine bisweilen sehr sprunghafte, nicht verankerte inhaltliche Politik zurückzuführen. Als Beispiele lassen sich seine unklaren Aussagen zum schwedischen Militäreinsatz in Libyen, zur Krisenpolitik in Europa, aber auch innerparteiliche Abweichungen im Haushaltsentwurf der SAP aufführen. Der Journalist Peter Wolodarski sah einen möglichen Erklärungsansatz des Scheitern Juholts auch in den nicht beigelegten Flügelkämpfen der SAP begründet. Neben seinem Übermut sei Juholts Sprunghaftigkeit dadurch hervorgerufen worden, dass »sich Juholt nicht für eine Position entscheiden konnte. Er versuchte alle Flügel der Partei bei Laune zu halten« (Wolodarski 2012). Als Katalysator seines Abstieges diente allerdings seine Wohnungsaffäre, die ihm nicht nur innerparteilich schadete, sondern auch die Unterstützung in der Wählerschaft drastisch absinken ließ. Die Ära Juholt, darauf deuteten im Oktober 2011 schon viele Indizien hin, schien schneller als erwartet wieder zu Ende zu sein (vgl. Nilsson 2011b). Der Verlegenheitskandidat der SAP, mit dem in den Medien und in der Partei vorher niemand richtig gerechnet hatte, stürzte so schnell, wie er aufgestiegen war. Selbst seine Vertrauenstour durch das Land konnte das verloren gegangene Vertrauen nicht wieder erneuern. Die manifeste Krise der SAP potenzierte sich damit weiter und sollte sich erst im Januar 2012 durch einen Führungswechsel an der Parteispitze wieder langsam abkühlen. Die SAP stand nach der nur zehnmonatigen Amtszeit von Juholt in Umfragen bei unter 25 Prozent. Im Januar 2012 übernahm dann Stefan Löfven den Parteivorsitz der schwedischen Sozialdemokraten, die sich damals in einer der dunkelsten Stunden der Parteigeschichte befanden.


5. Ein gelernter Schweißer als Hoffnungsträger? Der neue Parteivorsitzende Stefan Löfven

Am 27. Januar 2012 wurde Stefan Löfven als neuer Vorsitzender der SAP gewählt, obwohl auch er nicht als Topfavorit für den Parteivorsitz gehandelt wurde. Einige Pressestimmen vermuten, dass Löfven ernannt wurde, weil er nicht in die innerparteilichen Konflikte seit der Wahlniederlage 2010 involviert war und von allen Flügeln und Parteidistrikten akzeptiert werden konnte. Gewiss ist diese Beobachtung richtig, aber ein weiterer Grund besteht wohl auch darin, dass Löfven die schwedische Sozialdemokratie wieder näher an die Moderne heranrücken und vor allem ihre Wirtschafts- und Arbeitsmarktkompetenz in den Mittelpunkt stellen soll (vgl. Lönegård 2012). Unter Sahlin wurde die SAP, auch aufgrund der kompromissbehafteten Bündnispolitik und der gezielten Angriffe der Moderaten, in die Richtung einer reinen »Beitragspartei« (bidragspartiet) für die sozial schwächeren Gesellschaftsgruppen gedrängt. Mit Stefan Löfven als profiliertem Wachstumspolitiker soll wieder ein wirtschafts- und lohnzentrierter Kurs eingeschlagen werden, der die SAP näher an mittlere Soziallagen und breite Arbeitnehmerschichten heranführt. Seine beiden Vorgänger Sahlin und Juholt besaßen weder seine Kompetenzen noch seine weitmaschigen Netzwerke, die er als Gewerkschafter geknüpft hat (vgl. Borgnäs 2012).

Stefan Löfven ist seit seiner Jugend Mitglied der schwedischen Sozialdemokratie und ein personifiziertes Paradebeispiel für die enge Verzahnung von LO und schwedischer Sozialdemokratie in den Industriegebieten Mittel- und Nordschwedens. Löfven wuchs als Pflegekind in einer nordschwedischen Arbeiterfamilie in Ådalen auf und wurde nach dem Gymnasium und einem nicht beendeten Studium an der Universität Umeå Schweißer in der Metallindustrie (vgl. Larsson 2012). Der gelernte Schweißer war danach seit dem Jahr 1995 fest angestellter Mitarbeiter des damaligen Metallarbeiterverbandes und wurde 2001 zum stellvertretenden Vorsitzenden des Verbandes gewählt. Zuvor hat er sich vor allem mit Tarif- und Vertragsregelungen im Metallbereich beschäftigt und mit internationalen Fragestellungen der Gewerkschaftsarbeit. Von 2006 bis zu seiner Wahl als Parteivorsitzender der SAP bekleidete er das Amt des Vorsitzenden der Industriegewerkschaft Metall (IF Metall). Er gilt als dezidierter EU- und Globalisierungsbefürworter. Man könnte sagen, dass Löfven wohl dem Typus eines modernen, international agierenden Gewerkschafters am nächsten kommt (vgl. Lönegård 2012). Löfven steht symbolisch mit seinem steilen Aufstieg vom klassischen Arbeiter zum international vernetzten Gewerkschaftsfunktionär für eine Musterkarriere in der schwedischen Arbeiterbewegung.

Innerhalb des Gewerkschaftsverbandes LO, dem die Industriegewerkschaft Metall angehört, ist aber auch Löfven nicht unumstritten gewesen, weil er während der Wirtschaftskrise im Jahr 2009 eine Kurzarbeiterregelung mit den Arbeitgebern in der Industrie traf, die auch Lohnsenkungen einschloss. Nach Angaben von Löfven sei diese Regelung aber nötig gewesen, um 12.000 bis 15.000 Arbeitsplätze in der Industrie während der Wirtschaftskrise zu erhalten (vgl. Åsblad 2012). Stefan Löfven geht auch energiepolitisch eigene Wege. Er hat den weiteren Ausbau der Kernkraft in Schweden als Vorsitzender der IF Metall gefordert, um erschwingliche Energie für die Industrie bereitzustellen und einen Energiemix zu garantieren. Ob er diese Position aufrechterhalten kann, ist fraglich, da die SAP offiziell den Ausbau weiterer Kernkraftwerke ablehnt. Allerdings ist die Partei in diesem Punkt teilweise gespalten, weil die noch immer mächtigen Industriegewerkschaften und Parteidistrikte in den Industriegürteln eine drastische Kehrtwende in der Atompolitik schwerlich mittragen können. Löfven hatte sich zudem gegen den sogenannten »jämstelldhetspott« der LO gestellt, einen Topf, der vorsah, zusätzliche Gelder in gewerkschaftliche Vertragsbereiche zu geben, die unterdurchschnittliche Löhne vorzuweisen hatten (vgl. Åsblad 2012). Dies hätte vor allem Frauen begünstigt, die in schlecht entlohnten Branchen vorrangig tätig sind. Löfven lehnte allerdings nicht eine gleiche Entlohnung der Frauen ab, sondern sah seine Gewerkschaft benachteiligt, weil dort zwar auch Frauen unterdurchschnittlich verdienen, aber die Löhne in der Metallbranche allgemein über dem Durchschnitt liegen und die weiblichen Mitglieder der IF Metall damit von diesem Zusatztopf nicht profitiert hätten.

Die Verbindung von Tradition und Moderne soll wohl auch Löfven mit seiner eigenen Person symbolisch verkörpern und die Partei mit sich selbst und den veränderten ökonomischen und kulturellen Rahmenbedingungen versöhnen. Löfven wird von der Industrie für seine undogmatische und flexible Art geschätzt. So befürwortete er neben der Kurzarbeiterregelung und Lohnabsenkungen in Krisenzeiten auch geringere Einstiegsgehälter für junge Arbeitnehmer, wenn diese länger beschäftigt werden. Persönlich gilt Löfven als ruhiger, sachlich und pragmatisch agierender Akteur, der seine Worte bedacht wählt und seine Standpunkte ausführlich begründet. Er wurde in der Konsenskultur der Gewerkschaftsarbeit sozialisiert und steht für keinen aggressiven Kurs gegen Industrie und Arbeitgeber, sondern für sozialpartnerschaftliche Kooperation. Auch dies kann als Vorteil gegenüber Juholt gelten, der zwar rhetorisch versierter erschien, aber auch durchtriebener, unüberlegter und emotionaler agierte. Löfven, so könnte man es auf den Punkt bringen, steht für Ruhe, Berechenbarkeit und eine lösungsorientierte Ausrichtung. Also idealtypisch für all das, was die SAP lange Zeit ausgezeichnet hat und sie zum Aggregationszentrum vieler Interessen machte. Als innovativer Vordenker und Intellektueller der schwedischen Sozialdemokratie ist Löfven gleichwohl nicht anzusehen.

Problematisch für die mediale und politische Sichtbarkeit kann sich erweisen, dass Löfven kein Mandat im Parlament besitzt, die Parteiführerdebatten im Parlament muss also der neue Fraktionsvorsitzende, Mikael Damberg, mit Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt führen. Hinzu kommt, dass Löfven ein traditioneller Wachstums- und Industriepolitiker ist, der bisher seinen Fokus dezidiert auf Wirtschafts- und Arbeitsmarktfragen und weniger auf die Umwelt- und Gesellschaftspolitik gerichtet hat. Ob er mit diesem Kurs die urbanen Milieus der Dienstleistungs- und IT-Zentren in Stockholm und Göteborg wieder für die SAP begeistern kann, wird sich zukünftig zeigen.


6. Die »fantastischen Vier« - Das neue Team an der Spitze der SAP

Neben Löfven soll vor allem auch Magdalena Andersson die wirtschaftspolitisch kompetente Ausrichtung der SAP untermauern. Die Volkswirtin Andersson, die unter anderem an der renommierten Harvard University, der Universität Wien und an der Handelshochschule in Stockholm studiert hat, gilt als künftige Finanzministerin der SAP. Andersson hat seit Mitte der 1990er Jahre unter Göran Persson hochrangige Posten begleitet und war von 2004 bis 2006 Staatssekretärin im Finanzministerium unter Pär Nuder. Von 2005 bis 2009 saß sie im Vorstand der sozialdemokratischen Denkfabrik Policy Network. Von 2007 bis 2009 war sie außerdem Beraterin von Mona Sahlin, bevor sie bis 2012 den Posten als Direktorin der Steuerverwaltungsbehörde bekleidete. Andersson ist nach der Wahl Löfvens zur neuen wirtschaftspolitischen Sprecherin der SAP aufgestiegen. Allerdings sitzt Andersson nicht im Reichstag und ist eher als kompetente Fachfrau im Hintergrund bekannt, weniger als charismatische Persönlichkeit, die es mit dem beliebten konservativen Finanzminister Anders Borg aufnehmen könnte. Im Parlament übernimmt, aufgrund des fehlenden Mandats von Andersson, der eher unbekannte Parlamentarier Fredrik Olovsson die Rolle des wirtschaftspolitischen Redners (vgl. Färnbo 2012). Im Duell mit dem gegenwärtigen Finanzminister Borg wird Andersson im Hinblick auf die Wahl 2014 eine tragende Rolle zukommen, da sie einerseits eine markante sozialdemokratische Wirtschafts- und Haushaltspolitik erkennbar umreißen, aber gleichzeitig als kompetent und solide wahrgenommen werden muss. Kurzum: Andersson kommt die nicht einfache Aufgabe zu, den Drahtseilakt zwischen Anpassung und Abgrenzung zur bürgerlichen Wirtschafts- und Finanzpolitik zu meistern und die SAP weder als »Beitragspartei« noch als sozialdemokratische Kopie der Moderaten aussehen zu lassen.

Die Rekrutierung von Andersson außerhalb des Parlaments ist auch ein Zeichen dafür, dass die SAP sich von ihr neue wirtschaftspolitische Impulse erhofft, um die Moderaten in den Kernbereichen Wirtschaft und Arbeit herauszufordern. Magdalena Andersson verfolgt bisher vorrangig eine Austeritätspolitik und betont dezidiert die Wichtigkeit eines ausgeglichenen Staatshaushalts. Die 1967 geborene Ökonomin, die während der Sanierungsjahre unter Göran Persson eine tragende Rolle als Beraterin gespielt hat, wird von der Zeitschrift Fokus als Kind dieser staatlichen Umbruchsjahre bezeichnet. »Für ihre Generation ist die Schuldensanierung alles, Haushaltsregeln selbstverständlich, Privatisierungen etwas Gutes« (Nilsson 2012). Allein mit ihrer Person soll Andersson wohl wieder an die erfolgreichen Sanierungsjahre der 1990er Jahre erinnern, als die SAP den Haushalt konsolidierte und Schweden aus der schweren Banken- und Wirtschaftskrise holte.

Andererseits ist mit Mikael Damberg als neuem Fraktionsvorsitzenden ein junger exponierter Großstadtpolitiker in die erste Reihe der SAP zurückgekehrt. Der im Jahr 1971 geborene Damberg gilt als junger Vertreter einer modernen, urbanen Politik. Damberg, der sich aus dem rechtslastigen Distrikt Stockholm Land rekrutiert, war unter Juholt schulpolitischer Sprecher und soll nach der Übernahme von Löfven nunmehr die Zügel der Fraktion in der Hand halten. Damberg und Andersson entstammen dem näheren Umfeld von Mona Sahlin und sind im Stockholmer Machtzentrum gut vernetzt. Man könnte auch sagen, dass nach dem Intermezzo mit Juholt wieder stärker auf Kompetenzen und machtpolitische Verbindungen geachtet wird. Zugleich hat mit der Nominierung von Damberg und Andersson auch ein Verjüngungsprozess an der Spitze der Partei stattgefunden. Generalsekretärin der SAP bleibt Carin Jämtin, die über alle Flügel hinweg geachtet und an der Parteibasis gut verankert ist. Trotz ihrer lokalen Vernetzung hatte sie immer ausgezeichnete Kontakte zur Parteispitze und tritt als unersetzliche Vermittlerin von Basis und Parteiführung auf. Jämtin weist außerordentliche Kompetenzen im Feld der Umwelt- und Bildungspolitik auf. Zudem hat die ehemalige Entwicklungsministerin viel Erfahrung im Bereich der internationalen Zusammenarbeit vorzuweisen (vgl. Isaksson 2010: 179).

Die Auswahl der in den schwedischen Medien als »Fantastischen Vier« bezeichneten Personen ist durchweg strategisch und programmatisch motiviert. Löfven soll mit seinen guten Kontakten zu Gewerkschaften und Industrie die SAP wieder in das Zentrum des Modernisierungskurses führen. Persönlich steht er für das »schwedische Modell« des Korporatismus unter Federführung der SAP und ist darauf bedacht, eine Vermittlungsinstanz zwischen Kapital und Arbeit darzustellen. Andersson ist die kompetente Wirtschaftsfrau, die den wirtschaftspolitischen Kurs der SAP untermauern soll. Sie soll als ebenbürtige Gegenspielerin des beliebten konservativen Finanzministers Anders Borg aufgebaut werden. Damberg tritt als junger Großstadtpolitiker auf, der nicht nur die Fraktion auf Kurs bringen muss, sondern auch Attraktivität in die urbanen Wählerschichten ausstrahlt, die seit den letzten zwei Wahlen besonders schwer für die SAP zu erreichen sind. Wie Mikael Damberg ist auch Carin Jämtin eine Politikerin, die inhaltlich ein breites Feld absteckt, aber vornehmlich in der Schul- und Entwicklungspolitik Kompetenzen aufzuweisen hat. Zudem koordiniert Carin Jämtin als gut vernetzte Generalsekretärin die verschiedenen Bereiche der SAP und vermittelt zwischen Basis und Parteiführung.


7. Zurück zur »gesellschaftstragenden« Partei - Die Betonung von Regierungsvermögen und Lösungskompetenz

Das programmatische Profil der SAP konvergiert sehr stark mit dem personellen Profil. Der Hauptfokus der SAP unter Löfven besteht darin, wieder an Wirtschaftskompetenz, Modernität und Regierungsvermögen zu gewinnen. Von der vorherrschenden Umverteilungsrhetorik und der Kritik an privaten Alternativen im Wohlfahrtsbereich unter Juholt hat sich Stefan Löfven größtenteils verabschiedet. Nach den personellen und innerparteilichen Zerwürfnissen als Folge der Wahlniederlage 2010 setzt die SAP auf eine Strategie, die an die Neuausrichtung des konservativen Hauptgegenspielers erinnert. Ähnlich wie die Moderaten, die sich ab 2003 als die »neue Arbeiterpartei« stilisierten und den Wohlfahrtsstaat symbolisch umarmten, hat Stefan Löfven nun auch verstärkt die schwedischen Arbeitgeber ins Zentrum seiner inhaltlichen und rhetorischen Agenda gerückt. So sollte der Staat, nach Aussagen von Löfven, im Krankheitsfall des Arbeitnehmers die zweite Woche bezahlen und somit vor allem kleinere Unternehmen entlasten, die bisher 14 Tage für den krankgeschriebenen Beschäftigten aufkommen mussten.

In eine ähnliche Richtung zielt ein Fünf-Punkte-Plan, den die Parteispitze Ende September 2012 in der Tagezeitung Dagens Nyheter lanciert hat und der den Namen »Geschäftsplan für Schweden« (affärsplan för Sverige) trägt (Löfven et al. 2012a). Allein der Name des Plans macht schon deutlich, welcher Kursschwenk hiermit nach außen suggeriert werden soll. Der Sprachgebrauch soll wohl, so die Hoffnung der Parteistrategen, den Fokus buchstäblich auf die Wirtschaftskompetenz der SAP richten und einen neuen pragmatischen Kurs untermauern. Inhaltlich bezieht sich die SAP in ihrem »Geschäftsplan« gleichwohl auf bewährte sozialdemokratische Konzepte. Im Zentrum stehen Forschung, Innovation, Kompetenzen und Ausbildung, um Schweden zukunftstauglich zu machen und ausdrücklich mehr Arbeitsplätze zu schaffen. Diese Bereiche will die SAP in Form von verschiedenen Forschungs- und Innovationskommissionen verzahnen, um die Zusammenarbeit von politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Akteuren zu erreichen. So heißt es auch deutlich im Fünf-Punkte-Plan: »Vor allem muss die Entwicklung von Innovation in umfassender Weise in Zusammenarbeit geschehen« (Löfven et al. 2012a). Ordnet man die Stoßrichtung historisch ein, so könnte man von einem Schritt hin zu den vergangenen Zeiten des »schwedischen Modells« unter SAP-Führung sprechen. Die SAP profiliert sich deutlich in ihrem Plan als politisches Aggregationszentrum, das zwischen den Interessen von Gewerkschaften, Arbeitgebern und zivilgesellschaftlichen Akteuren vermittelt und sich im Mittelpunkt des Modernisierungsprozesses positioniert. Die Partei soll eben gerade nicht mehr als Partei der sozial schwachen Gesellschaftssegmente oder als beinharter Vertreter der Gewerkschaften wahrgenommen werden, sondern als potenzielle Regierungspartei der Mitte, die Wachstum, Modernität und soziale Fragen verbinden kann. Geschichtliche Andeutungen an die Harpsund Treffen unter dem ehemaligen Ministerpräsidenten Tage Erlander schwingen hier unweigerlich auch mit.(2) Unter Führung der regierenden SAP trafen hier Vertreter der großen Gewerkschafts- und Industrieverbände auf dem Regierungssommersitz in Harpsund zusammen, um informelle Gespräche über wichtige soziale sowie ökonomische Weichenstellungen zu führen (vgl. Henningsen 1986: 252 ff.).

Die SAP versucht mit ihren angekündigten sozialpartnerschaftlichen Kooperationen, ihre ehemals zentrale Scharnierstellung in der schwedischen Politik wieder zu unterstreichen. Konsens und Pragmatismus werden scharfen ideologischen Positionierungen vorgezogen. Im Prinzip unterscheidet sich die SAP mit ihren bisherigen Vorstellungen eigentlich nicht gravierend von der bürgerlichen Regierung, nur dass noch mehr Investitionen in das »Humankapital« und eine stärkere Rolle des Staates bei der Innovationssteuerung gefordert werden. Differenzen gibt es vor allem bei der Höhe des Unternehmenssteuersatzes, der Ersatzleistungen der Arbeitslosenkassen und dem Arbeitgeberanteil für Jugendliche.

Beide dominanten Parteien des bürgerlichen und linken Parteienspektrums, also Moderate und Sozialdemokraten, wollen sich somit deutlich in der Mitte des schwedischen Parteiensystems positionieren und versuchen, ihren politischen Gegenspieler aus dieser suggerierten Medianposition zu verdrängen. Dabei geht es aber nicht unbedingt um einen genauen geographischen Ort dieser Mitte, obwohl er häufig in den wahlentscheidenden urbanen Zentren Schwedens ausgemacht wird, sondern darum, »das Lebensgefühl und das Selbstbild der Mehrheit der Bürger und Bürgerinnen auf den Punkt zu bringen und mit dem eigenen politischen Lager zu verbinden« (Dürr 2002: 32). Die Semantik der Mitte, die sich in Schweden auch im Begriff »gesellschaftstragend« (samhällsbärande) manifestiert, steht hierbei auch angesichts der Auflösung der sozialen Parteimilieus und der Abschwächung der Parteibindungen für ein Image, das eine Partei als vernünftig und anti-ideologisch sowie als Vertreterin eines nachweislich kulturellen und mentalen Mehrheitsinteresses wahrnehmen lässt. Die Tendenz zur imaginären Mitte und die Hinwendung zum Allgemeininteresse gelten jedenfalls auch in Schweden als Ausweis für Verantwortung, Balance und Regierungsfähigkeit.(3)

Dies wurde auch beim Haushaltsentwurf der SAP im Herbst letzten Jahres evident, als die wirtschaftspolitische Sprecherin Magdalena Andersson die bürgerliche Minderheitsregierung für ihre Ausgabenpolitik kritisierte und mehr Sparsamkeit einforderte. Getreu dem Motto von haushaltspolitischer Solidität und einer strengen Austeritätspolitik veranschlagte die SAP fünf Milliarden Kronen weniger Mittel im Haushalt und gerierte sich als verantwortungsvolle Wirtschaftspartei, die besser mit den Steuergeldern haushalten könne als die bürgerliche Regierung (vgl. Eriksson 2012). Die Publizistin Katrine Kielos sprach hinsichtlich des Haushaltsentwurfs der SAP davon, dass dieser nichts mit Wirtschaft zu tun habe, sondern lediglich mit Kommunikation und dem Senden der richtigen Signale nach außen (vgl. Kielos 2012). Die Anknüpfungspunkte zu der von einigen britischen Wissenschaftlern und Publizisten vorgeschlagenen disziplinierten soliden Haushaltspolitik mit dem Namen »Black Labour« sind hier offensichtlich, um dadurch Vertrauen, Stabilität und Sicherheit wiederzugewinnen (vgl. dazu auch Steffen 2012: 14 f.). Angesicht dieses Politikstils, der sich dezidiert um die Betonung von Lösungskompetenz, Vertrauen und Regierungsvermögen dreht, sprach der Publizist Martin Ådahl davon, dass sich die Identitäten der beiden großen Parteien überlappen würden. »Es ist, als ob Schweden nicht mehr länger eine, sondern zwei sozialdemokratische Machtparteien hat, eine hellrosa und eine hellblaue [Partei, Anm. JG]« (Ådahl 2012).


8. Soziostruktureller Abschied von der Mitte? Wähler und Mitglieder

Während die SAP also wieder alles daran setzt, sich als modern und pragmatisch aufzustellen, wird aber auch deutlich, dass ein Großteil ihrer Anhänger, Aktivistengruppen und Mitglieder gewiss nicht mehr in der Mitte des gesellschaftlichen Modernisierungsprozesses verhaftet ist. Im Jahr 2010 gab es mehr Mitglieder im Alter von 90 bis 94 Jahren als in der Altersgruppe der 20- bis 24-Jährigen (vgl. Geschäftsbericht der SAP 2010: 5). Die Überrepräsentation von älteren Mitgliedern, die nicht mehr erwerbstätig sind oder kurz vor Ende des Arbeitslebens stehen, dürfte auch die zunehmenden Schwierigkeiten der SAP erklären, bei jüngeren erwerbstätigen und modernen Bevölkerungsschichten zu reüssieren. Die SAP speist ihre Mitgliederstärke noch immer aus den »Volksheim-Generationen«, die in einem funktionierenden Wohlfahrtsstaat und sicheren Rahmenbedingungen sozialisiert wurden. Die Mitgliederstruktur der SAP spiegelt in ihrer Schlagseite hin zu älteren Bevölkerungsschichten nicht nur generell ein Modernitätsproblem wider, sondern macht auch offensichtlich, dass der Partei zukünftig wichtige Seismographen und Deuter einer sich transformierenden Gesellschaft fehlen werden.

Bei der Wahl 2010 schnitt sie bei der Altersgruppe der 22 bis 30-Jährigen, bei Angestellten im privaten Sektor und Mitgliedern des Dienstleistungsgewerkschaftsverbandes TCO besonders unterdurchschnittlich ab (vgl. Gmeiner 2011b: 86). Dies ist aber auch nur die eine Seite der Medaille. Denn der Verlust bei kleineren Angestellten und gewerkschaftlich organisierten Arbeitern ist genauso dramatisch. Von 65 bis 70 Prozent in den 1980er Jahren sank die SAP bei der letzten Wahl auf knapp über 50 Prozent der LO-Stimmen (vgl. Werne 2010). Die schwedische Sozialdemokratie büßt somit in beiden wahlentscheidenden Gruppierungen ein, bei den Angestellten und den gewerkschaftlich organisierten Arbeitern (vgl. Wahlanalyse der Krisenkommission der SAP 2010: 22 f.).

Ein ähnlicher Befund ergibt sich, wenn man die Hochburgen der SAP betrachtet. Die Partei ist noch immer stark verankert in den altindustriellen, strukturschwachen Gebieten Mittel- und Nordschwedens und in den westlichen Hafen- und Werftstädten. In den prosperierenden Zuwachsregionen der großen Städte und den Universitätszentren fährt sie dagegen weitaus schlechtere Ergebnisse ein. Für die SAP bedeutet dies, dass sich ihre soziostrukturellen Voraussetzungen, die sie lange Zeit mit der Modernisierung und einem Großteil der Mehrheitsgesellschaft Schwedens zusammenbanden, partiell abgeschwächt haben.

Man könnte pointiert formulieren, dass die SAP sich zwar eindeutig als integrative Partei der Mitte sieht, es aber diese »sozialdemokratische Mitte« heute gar nicht mehr gibt, weil sich die gesellschaftlichen Rückbindungen an die Partei durch Modernisierungs- und Individualisierungsschübe gewandelt haben. Aus dieser Feststellung sollte kein deterministischer Abwärtsgesang auf die noch immer weitmaschig verankerte Volkspartei SAP erfolgen. Gleichzeitig sollte jedoch klar werden, dass die Symbiose von SAP und Mehrheitskultur nicht mehr automatisch gegeben ist und für sich reklamiert werden kann. Die Rufe nach Erneuerung und Modernisierung sind seit einigen Jahrzehnten wohl deshalb so deutlich zu vernehmen, weil die Partei sukzessive der Modernisierung im eigenen Land hinterherläuft und, statt aktiv zu gestalten, größtenteils nur noch defensiv reagieren kann.


9. Wahlfreiheit und Kontrolle - Der Umgang mit privaten Dienstleistern im Wohlfahrtssektor

Die Modernisierung der SAP zielt vor allem auf eine Neupositionierung im Umgang mit privaten Dienstleistern im öffentlichen Wohlfahrtssektor. Die SAP strebt nicht an, wie von Gewerkschaften und einigen Distrikten gefordert, Gewinne im privaten Wohlfahrtsbereich ganz zu verbieten. Bereits Mona Sahlin hatte sich auf dem Parteikongress im Jahr 2009 gegen ein generelles Verbot von Gewinnen ausgesprochen und auch die Parteimehrheit damals hinter sich gebracht. Stattdessen sollen nach Darstellungen der Parteiführung private Dienstleister in diesen Bereichen durch transparente Qualitätsstandards und eine härtere Regulierung überwacht werden (vgl. Karlsson / Holmqvist 2012). Statt eines kompletten Verbots pocht die SAP nun auf Transparenz, Kontrolle und auf eine Balance aus Wahlfreiheit und den Interessen der Steuerzahler, die private Dienstleistungen mitfinanzieren. Die Linie der SAP kann als Kompromissvorschlag angesehen werden, da ein restriktives Gewinnverbot die SAP hätte unglaubwürdig erscheinen lassen. Besonders die Distrikte in den Großstädten hatten für einen ausgewogeneren Vorschlag zur Behandlung von Gewinnen im privaten Wohlfahrtssektor plädiert, damit urbane und liberale Wählergruppen nicht abgeschreckt werden. Allerdings ist diese Position umstritten in der Partei und zeugt davon, wie sehr sich die Kämpfe der 1990er Jahre um die Öffnung des Wohlfahrtsstaates in der SAP bis heute verfestigt haben.

Die SAP hatte bereits ab den 1980er Jahren Privatisierungen im Wohlfahrtsbereich initiiert und eine Dekade später Gesetze der bürgerlichen Regierung zur Öffnung des Wohlfahrtsstaates für private Dienstleister nicht zurückgenommen, weshalb eine radikale Kehrtwende in dieser Frage der SAP die Glaubwürdigkeit genommen hätte. Dabei fällt es der Partei, weil sie während dieser Zeit selbst eine Privatisierungspolitik betrieben hat, unglaublich schwer, nach den Privatisierungen und Deregulierungen in den 1990er Jahren eine glaubhafte Gegenposition zur bürgerlichen Politik einzunehmen (vgl. Borgnäs 2012). Obwohl die selektive Verteilung von Ressourcen innerhalb des Wohlfahrtsbereichs zugenommen hat, ist es nicht einfach, diese Bereiche wieder zu regulieren und zu einer rein öffentlich verwalteten Wohlfahrtsstruktur zurückzukehren. Insofern wird augenfällig, dass die SAP zwar den Erhalt des generösen Wohlfahrtsstaats weiter ins Zentrum ihrer Programmatik stellt, es aber aufgrund der eigens betriebenen Privatisierungspolitik in den 1990er Jahren unglaubwürdig wäre, einen markanten wohlfahrtsstaatlichen rollback zu fordern.

Strategisch zielt auch diese Linie unter Löfven vor allem darauf, Wähler mit höherem und mittlerem Einkommen, die vornehmlich von privaten Dienstleistungen im Wohlfahrtsbereich profitieren, nicht zu verunsichern, und die SAP mit ausbalancierten und pragmatischen Konzepten in Verbindung zu bringen. Wahlfreiheit im Wohlfahrtsbereich soll nicht gegen Qualität und einen effektiven Einsatz der Steuergelder ausgespielt werden, so der Tenor der Parteiführung. Damit versucht die Parteiführung nicht nur den innerparteilichen Druck abzumildern, sondern auch nach außen einen anti-ideologischen Anschein zu vermitteln, da ein polarisierendes Ja oder Nein für Gewinne im Wohlfahrtssektor von Qualitäts- und Effektivitätsstandards abgelöst werden soll.


10. Erneuerung auf allen Ebenen - Auf dem Weg zur »Zukunftspartei«?

Der pragmatische Kurs wird dadurch unterstützt, dass die SAP kommunikationspolitisch alles daran setzt, sich als »Zukunftspartei« (framtidspartiet) zu etablieren, als moderne zukunftsgerichtete und innovative Kraft Schwedens. Obwohl die SAP bereits unter dem ehemaligen Parteivorsitzenden Juholt an einer neuen Plattform für die Entwicklung der Organisation, der Politik und der Kommunikation gearbeitet hatte, wurde erst Mitte November 2012 der Begriff der »Zukunftspartei« in den medialen Diskurs eingespeist und danach ein prägnantes Strategiepapier publiziert (vgl. SAP 2012). Der Erneuerungsprozess hin zur »Zukunftspartei« begann zuerst an der Basis, wo die Mitglieder befragt wurden, dann führte die Partei auf Distriktebene Workshops durch und analysierte die politischen Vorstellungen der Bevölkerung in Fokusgruppen. Wohl kein Prozess innerhalb der SAP war so gut verankert und vorbereitet wie die Lancierung der Plattform »Zukunftspartei«. Die Kommunikationschefin der SAP, Nina Wadensjö, wies darauf hin, dass die SAP eingesehen hat, dass die Partei sich verändern und deutlicher, glaubwürdiger und zukunftsorientierter agieren muss. »Die Wähler haben uns verlassen, weil es uns nicht geglückt ist zu vermitteln, was wir wollen« (Zitiert nach van den Brink 2012), sagte sie der Zeitschrift Dagens Opinion. Nach den Worten der Parteiführung handelt es sich hierbei um die »weitreichendste Erneuerungsarbeit seit 20 Jahren« (Löfven et al. 2012b). Neben einer neuen inhaltlichen Ausrichtung sollen auch organisatorische Innovationen und graphische Neuerungen im Parteilogo deutlich werden.

Liest man die inhaltlichen Vorschläge der SAP, fällt der Erneuerungsprozess doch etwas nüchterner aus. Die schwedischen Sozialdemokraten bewegen sich hier auf traditionellem Terrain: mehr Innovation und Investition in Bildung, bessere Voraussetzungen für Unternehmen, eine aktive Wirtschaftspolitik für mehr Arbeitsplätze, kleinere Schulklassen in unteren Stufen und eine obligatorische Sommerschule für schwächere Schüler (vgl. SAP 2012: 4). Der Blick auf die Organisationsentwicklung lässt mehr Hoffnung auf Erneuerung zu. So wird darauf hingewiesen, dass die Partei anstrebt, 25 Prozent der Listenplätze für Personen unter 35 Jahren zu reservieren. Zudem soll der Rekrutierungsprozess der wählbaren Kandidaten der SAP modernisiert werden. Deshalb will die SAP Kompetenzprofile der Kandidaten erstellen und darauf achten, dass eine bessere Mischung verschiedener Erfahrungs- und Kompetenzwerte innerhalb der Partei vorherrscht (vgl. SAP 2012: 4). Darüber hinaus soll auch eine Zusammenarbeit in effektiver Kampagnenführung mit der Kommunikationsschule Berghs in Stockholm angestrebt werden.

Die Verjüngung der Kandidaten war allerdings schon vor der Wahl 2010 angedacht und scheiterte damals deutlich. Vieles von dem, was als organisatorische und programmatische Reform verkündet wurde, dominierte schon zu Beginn von Mona Sahlins Amtszeit den angekündigten Erneuerungsdiskurs und verpuffte im Laufe der Zeit. Der Sozialdemokrat Eric Sundström hat den medial verkündeten Modernisierungsprozess und die Zukunftsstrategie der SAP deshalb kritisch hinterfragt und offengelegt, wie wenig junge Mitglieder und Kandidaten mit Migrationshintergrund in den beschlussfassenden Organen sitzen, die für die Zukunft der SAP eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen werden (vgl. 2012b).


11. Die Wahl 2014 als politischer und rhetorischer Kampf um die »Zukunft«

Der Kampf um die politische Macht in Schweden schlägt sich somit in einem rhetorischen und inhaltlichen Kampf um die Zukunft nieder. Die sozialdemokratische Erzählung von Stefan Löfven reklamiert für seine Partei genau das, was er der bürgerlichen Regierung abspricht: Innovation, Investitionen in die Zukunft, Ideenreichtum. Die Moderaten werden als Partei des Status quo und der Vergangenheit betitelt, als ausgelaugte politische Kraft ohne neue Ideen für die Zukunft (vgl. Löfven et al. 2012b). Gleichwohl ist die Vermutung nicht unbegründet, dass die Veränderung zur »Zukunftspartei« teilweise doch nur oberflächlicher Natur ist. Denn wirklich inhaltlich neue Wege oder ein genuines Gegenmodell zur bürgerlichen Agenda hat die SAP mit ihrer Plattform nicht begangen. Der kommunikationspolitische Transformationsprozess erinnert dabei auch an die Schaffung der »Neuen Moderaten« durch den konservativen Kommunikationsspezialisten Per Schlingmann (vgl. Strömberg 2012). Der große Unterschied zur Erneuerung der Moderaten liegt aber darin, dass die Moderaten teilweise Grundfesten ihrer neoliberalen Programmatik selbstkritisch zerschlugen und nicht nur ihre Fassade neu anstrichen. Die Chefstrategen der Moderaten suchten bewusst den Konflikt mit dem politischen Gegner, als sie sich provokant als »neue Arbeiterpartei« (det nya arbetarpartiet) bezeichneten und die unterschwellige Diskrepanz zwischen Arbeit und Beitragsabhängigkeit in Schweden prägnant thematisierten. Die Moderaten haben mit dieser Strategie eine Art Gesellschaftsallianz von oben entworfen, in der sich breite Arbeitnehmerschichten und nicht mehr nur die begünstigte Oberklasse Schwedens politisch und kulturell wiederfinden können.

Selbst wenn man die suggerierte Wandlung der Moderaten zu Recht hinterfragen kann - was besonders an der Steuersenkungspolitik für die reicheren Bevölkerungsschichten, der Kürzung der Arbeitslosenversicherung sowie der hohen Anzahl von jugendlichen Arbeitslosen deutlich wird - , sollte der politische Kampf um die Zukunft von der SAP mit klaren politischen Alternativen und einer eindeutig erkennbaren Agenda geführt werden. Diesen Mangel an Abgrenzung und Kampfeslust beklagte auch der Chefredakteur der sozialdemokratischen Zeitschrift Dagens Arena, Eric Sundström (vgl. 2012c), als er mehr Mut und politische Schärfe von der Parteiführung gegenüber den Moderaten einforderte.

Nach den innerparteilichen Zerwürfnissen seit der Wahlniederlage 2010 und der schweren Krise der SAP war das erste Gebot der Stunde, wieder Ruhe, Berechenbarkeit und Kontinuität in die Partei zu bringen. Dies ist Stefan Löfven mit seinem starken und kompetenten Team durchaus gut gelungen. Doch ohne klare alternative Vorschläge zur bürgerlichen Agenda, ohne sozialdemokratisches Profil wird es auch die schwedische Sozialdemokratie schwer haben, die Zukunft politisch gestalten zu können. So resümierte auch die Zeitschrift Fokus kritisch zur Erneuerung der SAP: »Wer in der Sozialdemokratie - oder in der Welt - könnte gegen den Gedanken sein, für eine Politik der Zukunft oder gegen die Vision 'Alle sollten ein besseres Leben leben können?' Die am besten verankertste Profiländerung jemals zeugt von der Angst, die Partei nach holprigen Zeiten wieder aufzurühren« (Strömberg 2012). Ob die SAP zur wirklichen »Zukunftspartei« aufsteigt, entscheidet sich daher nicht allein an einem Zusatz im Parteilogo oder an einem neuen medialen Image, sondern daran, ob sie die brennenden gesellschaftlichen Fragen der Zukunft lesen, antizipieren und politisch artikulieren kann. Mit dem vorherrschenden ökonomischen Sprachduktus wird es der SAP jedenfalls nicht leicht fallen, an Deutungshoheit in den breiten Arbeitnehmerschichten zurückzugewinnen und den geistlich-politischen Ort, das kohärente Zukunftsprojekt der SAP, sichtbar zu machen.


12. Zusammenfassung und Ausblick - Die aktuelle Situation der schwedischen Sozialdemokratie

Die schwedische Sozialdemokratie hat sich nach der Wahlniederlage 2010 und dem Abwärtstrend unter dem ehemaligen Parteivorsitzenden Juholt wieder erholt. Zwar erreicht die Partei gegenwärtig nicht mehr Umfragewerte deutlich über 35 Prozent, aber Stefan Löfven hat die Partei mit seiner berechenbaren Art als stärkste Partei stabilisieren können und die SAP in ruhigere Fahrwasser zurückgeholt. Neben ihm haben vor allem auch die wirtschaftspolitische Sprecherin Magdalena Andersson, der Fraktionsvorsitzende Mikael Damberg und die Generalsekretärin Carin Jämtin dazu beigetragen, die Zerwürfnisse innerhalb der Partei beizulegen und die zerrissene Partei wieder kompetent aufzustellen. Das Team an der Parteispitze genießt innerhalb der Partei und in der Wählerschaft großes Vertrauen und versucht nicht nur personell, sondern auch inhaltlich, die SAP wieder ins Zentrum der gesellschaftlichen Modernisierung zu rücken.

Dabei steht die Wiedererlangung von Regierungsvermögen und Lösungskompetenz an erster Stelle der sozialdemokratischen Politikagenda. Die Partei will wieder mit Modernität und der Zukunft assoziiert werden und nicht mit der Bewahrung des Status quo und rückwärtsgewandter Politik, wie es ihr bei den Wahlen 2006 und 2010 nachgesagt wurde. Deshalb umgarnt der ehemalige Gewerkschafter Löfven nicht nur die Arbeitgeber, sondern versucht auch, alle inhaltlichen Festlegungen, welche die SAP in die Ecke einer reinen »Beitragspartei« der sozial schwächeren Bevölkerungsgruppen drücken könnten, zu vermeiden. Neben den Rechten in der schwedischen Gesellschaft betont die SAP nun auch vermehrt die Pflichten, die jeder zu erbringen hat (vgl. Löfven et al. 2012b).

Ein flüchtiger Blick in die programmatische Zielsetzungen der SAP unter dem Image der »Zukunftspartei« zeigt deutlich, dass die SAP mit ihrem Fokus auf Innovation, Bildung und staatlich gelenkter Investition in Zukunftsbranchen sich dezidiert auf die Chancengesellschaft beruft und den Impetus der Leistungsgesellschaft deutlicher als zuvor akzentuiert.(4) Dies ist verständlich, weil die SAP bei der Wahl nur 22 Prozent unter den Erwerbstätigen erringen konnte und keine genuine »Arbeitnehmerpartei« mehr verkörpert.

Die Hinwendung zur meritokratischen Leitidee,(5) in der es jeder auch mit eigener Anstrengung nach oben schaffen kann, wenn genügend in Bildung investiert wird, ist auch nichts genuin Neues für die SAP, die immer die Bildungs- und Sozialpolitik als »vorsorgendes« Element ansah. Dagegen ist von der Balance von umverteilender Sozialstaatlichkeit und leistungsorientierter persönlicher Freiheit in den Programmentwürfen der »Zukunftspartei« SAP nicht mehr sonderlich viel übrig geblieben. Die übermäßige Betonung der Chancengesellschaft birgt auch Gefahren für die SAP. Die Aufstiegsrhetorik kann natürlich auch Solidaritäten, Traditionen und Zugehörigkeiten untergraben, die vielleicht gerade in Zeiten der bedrohlich empfundenen persönlichen Entfremdung durch Modernisierungsprozesse, internationale Finanzkrisen und Globalisierung wichtiger denn je als gesellschaftliches Bindemittel dienen können (vgl. Marg/Walter 2012: 16 f.). Unter diesem Solidaritätszerfall würden insbesondere die SAP und ihre Anhängerschaft und nicht die liberal-konservativen Moderaten leiden. Ob die SAP mit ihrem gegenwärtigen Modell der Chancengesellschaft und dem Bild des selfmade Schweden einen integrativen schichtübergreifenden Bogen spannen kann, dürfte bezweifelt werden. Zumindest liegt die Vermutung nahe, dass nach den Wahlen 2006 und 2010 eine ruckartige Hinwendung in Richtung der Leistungsträger die Wählerkoalition der SAP nicht erneuert. Bisher hat die SAP augenscheinlich kein Erfolgsrezept gefunden, den Wählerabfluss auf der einen Seite durch Zugewinne auf der anderen Seite auszugleichen und erschien daher seit einigen Jahren als programmatisch unbestimmt und verwechselbar.

Klare Konturen und polarisierende Alternativen zur bürgerlichen Regierung scheut die SAP bisher, um nicht wieder von den Moderaten als Vertreterin von Einzelinteressen gebrandmarkt zu werden. Stattdessen dominieren wirtschaftlicher Realismus, Haushaltsdisziplin, Maß und Zurückhaltung. Die politische Transzendenz ist gänzlich einem bodenverhafteten Pragmatismus gewichen. Sprachliche Formeln und Begrifflichkeiten, die Unterscheidbarkeit herstellen, werden vom einem ökonomisch aufgeladenen Duktus abgelöst. Die Sprachlosigkeit, die Christian Kellermann nach der Wahl 2010 bei den schwedischen Sozialdemokraten ausmachte, ist bisher nicht behoben, sondern zeugt weiterhin davon, dass eine unterscheidbare, glaubhafte Gesellschaftsvorstellung gegenüber der bürgerlichen Regierung auf Seiten der SAP fehlt (vgl. 2010: 58). Der Politikprofessor und Sozialdemokrat Ulf Bjereld warnte die SAP davor, sich den wirtschaftlichen Marktgesetzen sprachlich und politisch weiter anzupassen, ansonsten würde sie ihre eigene Existenzberechtigung verlieren (vgl. 2012). Diese Kritik hat auch die Wirtschaftshistorikerin Jenny Andersson schon früher geäußert, als sie anstatt einer Anpassungstaktik eine Strategie zur Wiedergewinnung von Deutungshoheit in der Mitte forderte. »Anstatt zu versuchen die Wählerschaft zu beeinflussen, hat man versucht, sich diesen Werten anzupassen, die man in der Mitte vermutet« [...] Zitiert nach Werne 2010).

Gleichwohl bietet dieser pragmatische Kurs Chancen und Risiken zugleich. Zum einen besteht die Hoffnung, dass Löfven mit seinem Team den Moderaten die politische Deutungsmacht über die Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik wieder aus den Händen nehmen kann und die SAP als lösungskompetente Partei für breite Arbeitnehmerschichten wählbar macht. Zum anderen könnten traditionelle Wähler verloren gehen, wenn die SAP soziale Ungleichheiten und den Wohlfahrtsstaat nicht mehr so deutlich akzentuiert. Diese Wähler laufen bereits teilweise zur Linkspartei über, sind allerdings immer noch im linken Block integriert. Andererseits könnten generell kleinere Parteien von der partiell identischen Positionierung der Moderaten und Sozialdemokraten profitieren. Bisher haben aber nur Parteien des linken und dezidiert rechten Spektrums Zugewinne zu verbuchen. Der Mitte-Kurs beider großen Parteien hat Freiräume an den beiden Flanken des Parteiensystems geschaffen und damit die Linkspartei und die Schwedendemokraten in Umfragen gestärkt.

Die kleinen bürgerlichen Parteien der Minderheitsregierung sind im Schatten der Moderaten unter Führung ihres omnipräsenten Führungsduos Anders Borg und Fredrik Reinfeldt in die Existenzkrise geraten. Die Zentrumspartei (Centerpartiet) und die Christdemokraten (Kristdemokraterna) sind gegenwärtig wieder knapp über oder unter der Vier-Prozenthürde anzusiedeln. Somit könnte der Mitte-Kurs für die SAP ebenfalls den gewünschten Machtwechsel 2014 bringen, wenn die bürgerlichen Stützparteien schlecht abschneiden oder ganz aus dem Parlament ausscheiden. Generell ist der bürgerliche Wähler der mobilste und wechselt häufiger die Partei im eigenen politischen Lager (vgl. Henningsen 1993: 142). Die Stärke der Moderaten ist folglich nicht nur die Schwäche der SAP, sondern auch die der bürgerlichen Mitte-Parteien und würde somit auch indirekt die Machtposition der SAP festigen. Ein Vorteil der SAP ist nämlich, dass sie mit fast allen Parteien zumindest punktuelle Bündnisse eingehen und somit in Minderheitsregierungen nach der Wahl regieren kann. Allerdings heißt die Vielzahl an Bündnisoptionen nicht, dass damit wieder gesellschaftliche Mehrheiten für die SAP errungen werden, sondern dass andere Parteien die strukturelle Schwäche der SAP in einer Art Komplementärfunktion ausgleichen müssen. Somit könnte der Spagat der heterogenen Wählermilieus für die schwedischen Sozialdemokraten zumindest bündnispolitisch gelingen. Ob dann politische Mehrheiten in einem punktuellen rot-rot-grünen Bündnis oder unter Einbezug bürgerlicher Parteien gesucht werden, ist bislang noch offen. Jedenfalls wird es keine formale Koalitionsaussage vor der Wahl 2014 von Seiten der SAP geben.

Die weitaus wichtigere Frage ist aber diejenige, ob und wie die »Volksbewegungspartei« (folkrörelsepartiet) SAP es zukünftig schaffen kann, die traditionelle Facharbeiterschaft, Jungwähler, Intellektuelle und mittlere Angestellte wieder in ihre Wählerkoalition zu integrieren und tatsächlich Vertreterin der Mehrheitsgesellschaft zu werden. Für diesen Integrationsbogen bedarf es aber erst wieder einer eigenen Sprache und eigener Begriffe, die Unterscheidbarkeit zu den Moderaten herstellen und mit sozialdemokratischen Vorstellungen aufgeladen werden. Falls ihr dieses Unterfangen wieder gelingen würde, wäre sie nicht nur die politische Mitte der Gesellschaft, sondern auch die wirkliche »Zukunftspartei« Schwedens.



Anmerkungen

(1) Besonders hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang die Sozialingenieure Gunnar und Alva Myrdal, die in ihrem 1934 erschienenen Buch »Kris i befolkningsfrägan« (Krise in der Bevölkerungsfrage) die alte Gesellschaftsordnung als dysfunktional und ungesund ansahen und daher die Reorganisation der schwedischen Gesellschaft forderten.

(2) Die Modernisierungsstrategie und die Interessensaggregation um die schwedischen Sozialdemokraten gingen so weit, dass in den 1970er Jahren Sozialwissenschaftler von einem Komplex aus Sozialdemokratie, Gewerkschaften und Großindustrie sprachen (vgl. Israel 1978: 352).

(3) So haben die Moderaten bewusst Wert darauf gelegt, sich von den Arbeitgebern als Einzelinteressensgruppe rhetorisch zu entfernen und sich selbst als Partei der breiten Allgemeinheit zu stilisieren. Die Moderaten drängen zudem die SAP in die Ecke von Einzelinteressen, wie es Fredrik Reinfeldt vor der Wahl 2010 überdeutlich ausdrückte (vgl. Reinfeldt 2010).

(4) Mona Sahlins Vision im Wahlkampf 2010 »Das Land der Möglichkeiten« (möjligheternas land) erinnerte dabei an Versatzstücke des Drittens Weges.

(5) Eher kritisch und pointiert zur Meritokratie vgl. Marg/Walter 2012; weitaus abwägender vgl. Horowitz 2006.


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Über den Autor

Jens Gmeiner ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Göttinger Institut für Demokratieforschung.

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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Februar 2013