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FRAGEN/009: Mali - Humanitäre Intervention gegen menschenverachtende Schariapraktiken? (SOLIDAR WERKSTATT)


SOLIDAR WERKSTATT für ein solidarisches, neutrales und weltoffenes ÖSTERREICH
WERKSTATT-Blatt Nr. 2/2013

Mali - Humanitäre Intervention gegen menschenverachtende Schariapraktiken?

Interview des Werkstatt-Blatts mit Olaf Bernau



Olaf Bernau, skizziert den aktuellen Konflikt in Mali und die militärische Intervention im Norden sowohl aus geostrategischer Perspektive als auch im Kontext der innermalischen und westafrikanischen Kräfteverhältnisse - wobei die aktuelle Situation nicht zuletzt durch die Brille der malischen Zivilgesellschaft betrachtet wird. Das Werkstatt-Blatt führte mit ihm das folgende Interview.


Werkstatt-Blatt: Knapp ein Jahr nach Beginn der Staatskrise in Mali Anfang 2012 mit der Rebellion der Tuareg-MNLA, deren Zusammenarbeit mit den diversen islamistischen Gruppen, die dann im Endeffekt den Norden Malis allein kontrollieren, und dem erfolgreichen Putsch gegen Amadou Toumani Touré wurde die Situation so weit zugespitzt, dass der Vormarsch der islamistischen Kämpfer Richtung Bamako drohte, sodass eine militärische Intervention Frankreichs ohne Alternative zu sein schien - so auch Euer Fazit von Europe-Afrique-Interact. Inwiefern wurde diese scheinbar alternativlose Situation herbeigeführt und wozu eigentlich? War das eigentlich 'business as usual' von Frankreich & Co oder ist da etwas schief gegangen? Welche Rolle spielt Mali im postkolonialen kapitalistischen System Westafrikas?

Olaf Bernau: Nein, schief gelaufen ist da unseres Erachtens nichts. Die Entstehung einer scheinbar alternativlosen Situation ist vielmehr Ergebnis systematischer Interessenpolitik, auch wenn man sich das Ganze sicherlich nicht als großes Drehbuch vorstellen sollte, bei dem jeder einzelne Schritt von Anfang geplant gewesen wäre.

Werkstatt-Blatt: Welche Interessen waren genau im Spiel?

Olaf Bernau: Grundsätzlich durfte Frankreich mit seiner Intervention vor allem drei Interessen verfolgt haben, teilweise auch stellvertretend für die Interessen des Westens insgesamt: Zunächst die Verhinderung eines so genannten Sahelistans, also eines Rückzugsgebiets für islamistische Dschihadisten. Des Weiteren die Sicherung des langfristigen Zugangs zu strategischen Ressourcen wie Öl, Gas oder Uran. Erinnert sei nur daran, dass Frankreichs Energieversorgung zu rund 80 Prozent auf Atomkraft basiert und dass ca. dreiviertel des dafür erforderlichen Urans aus dem Niger in direkter Nachbarschaft zu Mali stammen. Und schließlich die kapitalistische Durchdringung der Sahara, mit der vor allem westliche Interessen geschützt werden sollen. Hierzu gehört der derzeitige Bau einer 4.000 Kilometer langen Gaspipeline von Nigeria nach Algerien genauso wie die Einrichtung riesiger Solarenergiefelder oder die Kontrolle der irregulären Migration Richtung Europa.

Werkstatt-Blatt: Und welche Rolle spielen die innenpolitischen Vorgänge in Mali, auf die ihr in eurer Öffentlichkeitsarbeit immer wieder hin gewiesen habt?

Olaf Bernau: Ja, es stimmt, dass die Verquickung innermalischer Dynamiken und französischer Interessenpolitik in Europa bis heute viel zu wenig zur Kenntnis genommen wird. Begonnen hat es im März 2012 mit einer Art improvisierten Militärputsch niedriger Ränge, in dessen Verlauf der langjährige Präsident Amadou Toumani Touré samt größerer Teile seiner hochgradig korrupten Regierungsmannschaft abgesetzt wurde. Seitens der Bevölkerung ist der Putsch und der dadurch angestoßene demokratische Aufbruch auf große Zustimmung gestoßen, und das aus mindestens drei Gründen: Erstens, weil sich die malische Armee durch jahrelange Korruption in einem derart desolaten Zustand befunden hat, dass ihre einfachen Soldaten in den Kämpfen mit den unter anderem aus Libyen zurückgekehrten Tuareg-Rebellen buchstäblich verheizt wurden. Zweitens, weil Mali trotz garantierter Meinungs- und Versammlungsfreiheit keineswegs jene Musterdemokratie gewesen ist, wie insbesondere im "Westen" immer wieder behauptet wird. Dies zeigen nicht nur hoffnungslos veraltete Wahlregister und eine durchschnittliche Wahlbeteiligung von gerade mal 20 bis 30 Prozent, sondern auch die Tatsache, dass im Parlament französisch gesprochen wird, obwohl nur maximal ein knappes Drittel der Bevölkerung überhaupt französisch versteht. Drittens, weil es schon lange zu krassesten Formen von Korruption und Misswirtschaft gekommen ist, wozu natürlich auch die von sämtlichen Regierungen Malis seit Mitte der 1980er Jahre rücksichtslos durchgesetzten Strukturanpassungsprogramme von IWF und Weltbank gehören. Mit anderen Worten: Der Putsch ist keineswegs in eine Militärdiktatur eingemündet, wie selbst in linken Stellungnahmen zu lesen war. Die von ihm frei gesetzte Dynamik massenhafter Partizipation von unten steht vielmehr im Kontext jener Massenproteste und Aufstände, die seit Ende 2010 nicht nur in Südeuropa oder der arabischen Welt, sondern auch in zahlreichen Ländern südlich der Sahara mehr oder weniger hoffnungsstiftende Veränderungsprozesse angestoßen haben.

Werkstatt-Blatt: Aber was hat all dies mit Frankreich oder anderen Ländern innerhalb Westafrikas zu tun?

Olaf Bernau: Die handfeste Verschiebung des politischen Kräfteverhältnisses in Mali war nicht nur der politischen Elite des Landes ein Dorn im Auge, sondern auch externen Akteuren: Zum einen zahlreichen westafrikanischen Regierungen, die Nachahmungseffekte befürchteten, zum anderen Frankreich, das die Sorge umtrieb, hierdurch in seiner politischen und ökonomischen Vormachtstellung in Mali und somit der gesamten Region empfindlich geschwächt zu werden. Ich möchte in diesem Zusammenhang ein Zitat vorlesen, das die Ex-Kulturministerin Malis und bekannte Globalisierungskritikerin Aminata Traoré erst kürzlich präsentiert hat, nachdem sie von Frankreich mit einem Einreiseverbot belegt wurde. Denn danach heiße es in einer internen Vorlage für den französischen Senat klipp und klar: "Frankreich kann sein Interesse für Afrika nicht aufgeben, das seit Jahrzehnten seine strategische Stärke ausmacht, morgen eine größere Bevölkerung als Indien und China haben wird (...), den Großteil knapp werdender Bodenschätze birgt und einen zwar ungleichmäßigen aber ungekannten Wirtschaftsaufschwung erlebt, der nicht mehr nur vom Höhenflug der Rohstoffpreise, sondern auch vom Entstehen einer echten Mittelklasse getragen ist". Spätestens vor diesem Hintergrund dürfte also verständlich werden, wie es am 11. Januar, einen Tag nach Beginn der französischen Militärintervention, in der französischen Tageszeitung Le Monde zu der eigenartigen Überschrift gekommen ist, wonach die Intervention die malische Regierung vor dem Zugriff der Putschisten schützen würde. Denn deutlich wird, dass die Intervention nicht zuletzt darauf abzielt, Partei im innermalischen Konflikt zu ergreifen, um eine basisdemokratische Selbstermächtigung in ganz Westafrika zu verhindern, die sich wiederum auch für Frankreich ungünstig auswirken würde.

Werkstatt-Blatt: Nochmal zurück zur alternativlosen Ausgangssituation: Wie ist es dazu gekommen. Und vor allem: Würdet ihr sagen, dass Frankreich mit seiner Politik erfolgreich war?

Olaf Bernau: Nun, hier müsste ein ganzes Bündel von Maßnahmen genannt werden, wobei ich mich nur auf die drei wichtigsten konzentrieren möchte: Erstens wurde direkt nach dem Putsch ein zweiwöchiges Totalembargo gegen Mali verhängt, das extreme Versorgungsengpässe für die Bevölkerung nach sich gezogen und auf diese Weise zur zwangsweisen Widereinsetzung des ebenfalls zur alten Garde zählenden Ex-Parlamentspräsidenten Dioncunda Traoré als Übergangspräsident geführt hat. Zweitens wurde die Entwicklungszusammenarbeit seitens der Industrieländer bis heute weitgehend gestoppt. Und drittens wurden kaum ernsthafte Versuche unternommen, die politischen Akteure in Mali darin zu stärken, eine genuin malische Lösung des Problems zu finden - ob durch gezielte Unterstützung der malischen Armee oder Stärkung zivilgesellschaftlicher Interventionen, beispielsweise die immer wieder als Vision aufgeflammte Idee eines gewaltfreien Massenmarsches Richtung Norden. Konsequenz war, dass die ohnehin chancenlose malische Armee in den Wochen nach dem Putsch zusätzlich geschwächt wurde, so dass es für Tuareg-Rebellen und Islamisten ein Leichtes war, den Norden Malis endgültig zu erobern - ganz zu schweigen davon, dass der demokratische Aufbruch auch politisch und ökonomisch massiv unter Druck geraten ist. Es war insofern auch folgerichtig, dass nach der Intervention viele der durch den Putsch angestoßenen Errungenschaften wieder rückgängig gemacht wurden. Und zwar nicht nur durch einen bis heute gültigen Ausnahmezustand, der die politische Auseinandersetzung über den zukünftigen Weg Malis quasi über Nacht abgewürgt hat. Nein, noch dramatischer ist der frühe, vom Westen aufgezwungene Wahltermin im Juli, der in Mali massiv kritisiert wird, nicht zuletzt dessen erpresserische Koppelung an die Wiederaufnahme der Entwicklungshilfe. Denn je früher gewählt wird, desto stärker spielt dies den alten Eliten in die Hände. Einfach deshalb, weil die etablierten Akteure als einzige in der Lage sind, ohne längeren Vorlauf eigene KandidatInnen aufzustellen.

Werkstatt-Blatt: Was können wir angesichts dieser Situation in Österreich oder in Europa insgesamt tun?

Olaf Bernau: Afrique-Europe-Interact unterstützt politisch und finanziell jene Friedens- und Dialogbemühungen, die bei ihrer Suche nach Lösungsstrategien den Antagonismus zwischen Bevölkerung und Staat ins Zentrum rücken. Beispielhaft erwähnt sei eine Friedenskonferenz, die die malische Sektion unseres Netzwerks Anfang Mai in Bamako ausgerichtet hat: Über 300 Leute aus zahlreichen Orten waren gekommen, unter anderem Vertriebene aus dem Norden, Tuareg und Angehörige arabisch-stämmiger Communities. Im Mittelpunkt stand insbesondere die Verständigung darüber, dass es 20 Jahre nach dem Friedensabschluss zwischen Tuareg und malischer Gesellschaft irreführend wäre, von einem ethnisch aufgeladenen Nord-Süd-Konflikt zu sprechen. Vielmehr müsse hervorgehoben werden, dass sämtliche Teile der Bevölkerung von Korruption und Misswirtschaft betroffen seien und dass es daher eines neuen "sozialen Vertrages" zwischen Bevölkerung und politischer Sphäre insgesamt bedürfe.


Der Soziologe Olaf Bernau arbeitet in einer gewerkschaftlichen Antidiskriminierungsstelle, ist im Netzwerk Afrique-Europe-Interact und im antirassistischen Bündnis NoLager Bremen aktiv und besuchte im März mit einer kleinen Delegation zwei Wochen lang Mali.

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Quelle:
WERKSTATT-Blatt (guernica) 2/2013, Seite 12
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. August 2013