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FRAGEN/039: Die vergessenen Heldinnen von Eritrea (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 137, 3/16

Die vergessenen Heldinnen von Eritrea

Interview mit der Journalistin Amal Ali

von Ishraga Mustafa Hamid


Seit der Unabhängigkeit Eritreas von Äthiopien - vor 25 Jahren - ist Isayas Afewerki Präsident. Frauen in Eritrea haben eine wichtige Rolle im Widerstand und für die Unabhängigkeit gespielt. Trotzdem herrscht ein repressives Regime. Unzählige Journalist_innen und Kulturschaffende sind seit Jahren in Haft, darunter die seit 2001 gefangen genommene Menschenrechtsaktivistin und Direktorin des Eritrean Cinema Board Miriam Hagos. Ishraga Mustafa Hamid hat die eritreisch-britische Journalistin und Menschenrechtsaktivistin Amal Ali, die seit 2001 in London lebt, über die Rolle der Frauen im Widerstand interviewt.


Wie haben sich Frauen im Befreiungskampf involviert?

Amal Ali (A.A.): Frauen waren von Anfang an am Befreiungskampf beteiligt. Seit 30 Jahren kämpfen sie um die Unabhängigkeit. Aber die Realität ändert sich. Sie fanden keine Anerkennung. Sie sind unsichtbar geworden im Zuge eines politischen Systems, das ihre Fähigkeiten und Kompetenzen ausnützt.


Viele Aktivistinnen sind seit Jahren in Haft, darunter Miriam Hagos. Was sagen Sie dazu?

A.A.: In Eritrea herrscht eines der repressivsten Regime in unserer Region. Isayas Afewerki regiert seit 1991 - gedacht als Übergangsregierung. Das ist illegal. Obwohl viele während des Befreiungskampfes auf der Seite von Afewerki waren, mit der Hoffnung auf eine faire und friedliche Demokratie, wurden alle Stimmen, die für Reformen, Gleichheit und Gerechtigkeit waren, massiv unterdrückt. Frauen und Mädchen, die den Militärdienst absolvieren, kommen ins Gefängnis, wenn sie gegen die Folter- und Unterdrückungsmethoden, die gegen die Gefangenen praktiziert werden, auftreten. Viele Journalist_innen und Aktivist_innen wurden und werden in Haft genommen, darunter auch Miriam Hagos. Sie sind ohne Gerichtsverfahren im Gefängnis gelandet. Niemand weiß von ihnen.


Wie schaut es mit Frauenrechten in Eritrea aus?

A.A.: Schlecht! Frauen und Mädchen werden in den Militärdienst gezwungen, wo sie sexueller Ausbeutung ausgesetzt sind. Sie werden in den verschiedenen Arbeitssektoren ausgebeutet, wo sie lange Arbeitszeiten haben und wenig verdienen. Sie müssen in der offiziellen Frauenunion Dienst leisten. Wenn sie das nicht tun, werden sie vom Regime verfolgt. Das Gesundheitssystem ist miserabel, weshalb viele Frauen an chronischen Krankheiten leiden und Angst vor Schwangerschaft bzw. Geburt haben. Sowohl Frauen als auch Männer haben nicht das Recht auf freie Meinungsäußerung.


Wer wehrt sich gegen diese Menschenrechtsverletzungen?

A.A.: Es gibt Feministinnen, Jurist_innen, Journalist_innen und auch politische Organisationen, die sich für die Freilassung von Gefangenen einsetzen. Auch Appelle von internationalen Organisationen wie Amnesty International und der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen und der Europäischen Union oder Komitees wie Writers in Prison des PEN-Club Österreich helfen. Alle diese Organisationen haben die Freilassung von Miriam Hagos und anderen politischen Aktivist_innen gefordert. Das Regime reagiert nicht. Es gibt eine internationale Bewegung, aber es dauert, bis sich etwas ändert. Unsere Widerstandsgeschichte und die Träume der Befreiung wurden leider durch das diktatorische Regime begraben.


Welche Unterstützung ist für die feministische Bewegung in Eritrea notwendig?

A.A.: Die eritreische Frauenbewegung soll mehr ins Licht rücken, damit die Welt von unserer Geschichte und unserem Widerstand erfährt. Frauen der Revolution, die gegen die äthiopische Kolonisation kämpfen, müssen sichtbar gemacht werden wie die Heldin Sadiya Tesuf, die die Befreiung einer ganzen Stadt geleitet hat. Oder Rahma Omar, Aster Testfation, Nesreet Karar, die sich geweigert haben zu heiraten und ihr Leben der revolutionären Arbeit widmeten. Wir brauchen globale feministische Unterstützung, die sich mit den Frauen in Eritrea solidarisiert. Das stärkt unsere Bewegung!

Vielen Dank für das Interview!


Zur Autorin:
Ishraga Mustafa Hamid ist Schriftstellerin, Publizistin, Buchautorin, Übersetzerin, Aktivistin und Stellvertretende Vorsitzende des PEN-Club-Frauenkomitees in Österreich. Sie lebt in Wien.

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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 137, 3/2016, S. 28
Medieninhaberin und Herausgeberin:
Frauensolidarität im C3 - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen
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E-Mail: redaktion@frauensolidaritaet.org,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. November 2016

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