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INITIATIVEN/007: USA - Die Bewegung will überwintern (ZLV)


Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek - 7. Dezember 2011

Die Bewegung will überwintern
»Occupy Wall Street« vor dem Jahr des Präsidentschaftswahlkampfes

von Max Böhnel, New York


Bei der Räumung einer für illegal erklärten Schutzhütte im Washingtoner Lager der Occupy-Bewegung sind am Sonntag 31 Personen festgenommen worden. Die Demonstranten hatten in der Nacht zu Sonntag auf dem McPherson-Platz nahe des Weißen Hauses, wo sie seit September campieren, eine acht Meter hohe Holzhütte errichtet.

Die zahlreichen polizeilichen Räumungen von »Occupy Wall Street«-Zeltlagern in den vergangenen Wochen halten die Aktivisten nicht vom Weitermachen ab. Am gestrigen Dienstag fanden in zahlreichen Städten und Ortschaften Sit-ins vor zwangsgeräumten Häusern statt. Dabei kam es auch zu der einen oder anderen wirklichen Besetzung. Am Samstag steht erneut ein globaler Aktionstag auf dem Kalender. Zwei Tage darauf wollen Tausende von Aktivisten sämtliche Verladehäfen an der Westküste der USA blockieren. Vorbild ist dabei die erfolgreiche Blockade des Hafens von Oakland am 2. November durch bis zu 50.000 Menschen.

Obwohl die größten »Occupy«-Niederlassungen wie Oakland, Seattle, Los Angeles, Denver, Chicago und New York als Übernachtungslager nicht mehr existieren, treffen sich die Aktivisten weiter örtlich. Sie diskutieren, demonstrieren und planen auf längere Sicht. So gibt es in New York seit mehreren Wochen zwei sichere und überdachte Orte, an denen sich die »Occupy Wall Street«-Aktivisten treffen. Im »Occupied Office« am Broadway, gerade einen Häuserblock von der eigentlichen Wall Street entfernt, finden täglich Treffen statt. Vom Medienkomitee über das Finanzkomitee bis zum Aktionsausschuß kümmern sich mehrere Dutzend Leute regelmäßig um die Belange der Bewegung. Es handelt sich allesamt um Freiwillige. Die Miete, die im Finanzdistrikt mehrere tausend Dollar pro Monat beträgt, übernimmt ein anonymer Spender.

Darüber hinaus nutzen die Bewegungsaktivisten ironischerweise die Eingangshalle des Gebäudes der Deutschen Bank an der Adresse 60 Wall Street für Strategiedebatten. Denn die Halle gilt, obwohl das Gebäude in Privatbesitz ist, als »öffentlich«. Tag um Tag sitzen hier Dutzende von Aktivisten, viele mit Laptops auf dem Schoß, im Kreis und debattieren die nächsten Schritte.

Klar ist mit den zunehmenden Räumungen, daß die Zeit der Camps im Freien abläuft. Es ist deshalb kaum mehr möglich, die berühmten Vollversammlungen mit »direkter Demokratie« abzuhalten. Aber in den wenigsten Fällen wurden Grundsatzentscheidungen in diesen Volksversammlungen getroffen. Oft war es sogar unmöglich, überhaupt zu diskutieren. Die »General Assemblies«, stellt sich jetzt heraus, waren meist Zeitverschwendung, und nicht dazu geeignet, politische Strategien zu entwickeln.

Der letzte Fall in dieser Hinsicht war die Räumung des bis zu 500 Zelte fassenden »Occupy«-Lagers in Los Angeles. Die Stadt hatte den Occupy-Leuten große Büroräume, einen Bauernhof und Betten für die Obdachlosen angeboten - wenn sie das Zeltlager nur räumen würden. Doch die entsprechende Strategiedebatte einen Tag vor der angekündigten Räumung ging in Sprechchören wie »Wessen Platz? unser Platz!« unter.

Inzwischen ist »Occupy LA« geräumt - und ohne Büro, Bauernhof oder Betten. Eine in »außerparlamentarischen Dingen« erfahrene Aktivistin äußerte sich dazu so: »Wir müssen lernen, einen Konsens über unsere Strategie zu erzielen, über eine Strategie, wie wir die Bewegung verbreitern und schließlich die Verhältnisse zum Tanzen bringen können«. Noch nie in den letzten Jahrzehnten sei die Gelegenheit, als radikale Linke in den USA massenhaft Gehör zu finden, »so groß gewesen« wie zur Zeit mit der sich verschärfenden sozialen Krise. Die kommenden Wochen bezeichnet sie als »Winter der Strategiedebatten«.

Eine strategische Überlegung wird sich dabei entlang der Frage bewegen müssen, wie die Bewegung die Mainstream-Massenmedien vor sich hertreiben kann, statt ihr Opfer zu werden. Der linke Medienexperte Danny Schechter schlägt deshalb Diskussionen und Treffen mit Nachrichtenchefs und führenden Redakteuren vor. Die gäben ihren Medien die Richtlinien vor, seien aber durchaus zu beeinflussen. Schließlich wird sich »Occupy Wall Street« mit der linken Gretchenfrage der offiziellen Politik der USA auseinandersetzen müssen: wie hältst du es mit der Demokratischen Partei und dem demokratischen Präsidenten? Denn Ende Januar wird der zweite Gang im Präsidentschaftswahlkampf für die Wahlen im November des Jahres eingelegt. Es wird nicht nur Politiker der Demokraten geben, die auf der Welle der Sympathie reiten wollen, die »Occupy Wall Street« in der Bevölkerung genießt. Der Präsident höchstpersönlich wird Integrationsangebote aussenden. Wenn »Occupy Wall Street« eine Massenbewegung werden will, muß sie darauf klug antworten.


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Quelle:
Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Dezember 2011