Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → AUSLAND

LATEINAMERIKA/1004: Costa Rica - Im Gespräch mit Victor Valle (planet)


planet - ZEITUNG DER GRÜNEN BILDUNGSWERKSTATT # 56
DEZEMBER 2008/JÄNNER 2009

Die Wege des Lebens

Daniela Ingruber im Gespräch mit Victor Valle


In Costa Rica, einem Land, das stolz darauf ist, seit 1948 keine Armee zu besitzen, gibt es eine Friedensuniversität mit UN-Mandat. PLANET sprach mit dem Leiter des Instituts für Medien, Friedens- und Konfliktforschung an der University for Peace, Victor Valle, über die politische Situation seiner Heimat El Salvador und sein Engagement während der Bürgerkriegsjahre und danach.


*


PLANET: Jahrzehntelang galt Zentralamerika als Hinterhof der USA. Kann die Wahl Barack Obamas zum US-Präsidenten daran etwas ändern?

VICTOR VALLE: An der Grundsituation wird sich nichts ändern. Diese ist geopolitisch bedingt. Doch es könnte sich ein wenig an der Art der Beziehung ändern. Die "Latin Votes" haben die Wahl Obamas mitbestimmt und einige seiner engsten Mitarbeiter haben politische Erfahrung mit Zentralamerika. Allein der Umstand, dass sie sich auskennen, könnte einen positiven Wandel in den Beziehungen bewirken.

PLANET: Und was El Salvador betrifft?

VICTOR VALLE: 25% unserer Bevölkerung leben in den USA. Das bewirkt einen transkulturellen Austausch. Und die Geldsendungen nach El Salvador machen einen Wert von fast 20% unseres BIPs aus. Der Einfluss der USA ist eine Realität.

PLANET: Sie selbst hatten eine wesentliche Rolle in der Geschichte El Salvadors.

VICTOR VALLE: Geschichte wird von Völkern gemacht wird, nicht von Individuen. Das ist ein Grundprinzip für mich. Ich bin historisch nicht entscheidend gewesen sondern eher ein Augenzeuge, da es mir gelungen ist, fünf Jahrzehnte Politik in El Salvador zu überleben. Ich war Studentenführer, Mitglied der Gewerkschaft für Universitätsangestellte und wurde Teil der so genannten Revolutionären Front. Ich war eng mit der politischen Linken, insbesondere der Kommunistischen Partei, verbunden. So wurde ich Mitglied und später Generalsekretär des Movimiento Nacional Revolucionario (MNR, Nationale Revolutionäre Bewegung), der einzigen Partei El Salvadors, die Mitglied der Sozialistischen Internationalen war. Ich hatte die Gelegenheit politisch und auf diplomatischer Ebene für den Widerstand zu kämpfen, während ich für die OAS (Organisation Amerikanischer Staaten) in Washington D.C. arbeitete. Als ich 1991 nach El Salvador zurückkam, arbeitete ich für die Nationale Kommission zur Konsolidierung des Friedens, die während der Friedensverhandlungen zwischen FMLN (Nationale Befreiungsfront Farabundo Martí; ehemals größte Guerrillaorganisation El Salvadors wandelte sich 1992 zur politischen Partei, Anm.d.Red.) und der Regierung gegründet worden war. Davon ausgehend wurde ich auch Generalinspektor der im Friedensvertrag verankerten Neuen Zivilpolizei. Ich hatte diese Position neun Jahre lang inne.

PLANET: Wie beurteilen Sie dieses Friedensabkommen heute, 17 Jahre nach dessen Unterzeichnung?

VICTOR VALLE: Ich glaube fest daran, dass es ein positiver Einschnitt in der salvadorianischen Geschichte war. Es brachte Reformen und Fortschritte im politischen System. Das Abkommen diente dazu, die Menschenrechte und die Versöhnung in der Gesellschaft zu ermöglichen - und den Konflikt zu beenden. Doch was die Demokratisierung des Landes betrifft, fehlt noch einiges. Es gibt nach wie vor eine Polarisierung in der Gesellschaft. Die Hymne der rechten Partei ARENA beinhaltet noch immer eine Zeile, die besagt, dass El Salvador das Grab für die Kommunistische Partei sein wird. Und diese Hymne wird tatsächlich gesungen.

Andererseits gibt es nach wie vor Leute in der FMLN, die die UdSSR vermissen oder Che Guevara und Fidel Castra anhimmeln. Und heute bewundern sie Chavez und den so genannten Modernen Sozialismus des 21. Jahrhunderts.

PLANET: Wie steht es heute um die Versöhnung?

VICTOR VALLE: Da ist noch viel offen, etwa das Problem der Straflosigkeit, besonders für jene Morde, in die die Regierung verwickelt war, die Ermordung Bischof Romeros, der Tod der Jesuiten und tausender anderer Menschen. Das andere ist die Demokratie. Es gehen zu wenige wählen und wir haben kein Wahlrecht für AuslandssalvadorianerInnen. Unsere Demokratie ist so gesehen beschränkt.

Eines der Produkte der Friedensverhandlungen war die Schaffung eines Menschenrechtsombudsmanns. Den haben wir nun, das ist ein Erfolg, doch die Qualität hängt noch sehr von der jeweiligen Person ab.

Was die sozialen und politischen Menschenrechte betrifft, werden sie respektiert. Es gibt keine Folter, keine Verschwundenen mehr, was ja früher gängige Praxis war. Aber die sozio-ökonomischen Rechte stehen noch aus. Wir haben extreme Armut im Land und Verstöße gegen das Recht auf Entwicklung.

PLANET: Im März 2009 finden Wahlen in El Salvador statt. Was ist zu erwarten?

VICTOR VALLE: Die FMLN hat in den letzten 15 Jahren politische Erfahrung gewonnen. Seit 1994 ist sie im Parlament vertreten und hat in den großen Städten Wahlen gewonnen. Sie hat erfahrene Personen wie Gerson Martinez oder Oscar Artiz, den früheren Guerrillakommandanten, der seit zwölf Jahren Bürgermeister von Santa Tecla ist. Aber bereits 1994 begann ein Problem der FMLN, das eine Konstante darstellt: die Meinungsverschiedenheiten der Linken untereinander. Das ist der größte Feind der Linken: Sie sind nicht fähig sich zu einen.

PLANET: Wie stehen die Chancen, dass die FMLN die Wahlen gewinnt?

VICTOR VALLE: Laut Umfragen sehr hoch. Aber die Wahlen sind in mehr als drei Monaten. Die regierenden Rechten besitzen die Massenmedien. Und sie haben die Ressourcen einen Wahlkampf zu führen, in dem sie die Angst in der Bevölkerung schüren oder der Mittelklasse einreden, dass die FMLN eine Bedrohung sei. Der rechte Spitzenkandidat hat auch ein gutes Image. Er war nach den Friedensverhandlungen Polizeichef. Auch der Kandidat für den Vizepräsidenten, Arturo Zablah, der bereits Minister war, hat das Image der Unabhängigkeit. Vor fünf Jahren war er als Kandidat der FMLN im Gespräch. Und noch vor wenigen Monaten als Kandidat für die Mitte-Koalition. Er besitzt Glaubwürdigkeit.

PLANET: Was sind die großen Themen nach den Wahlen?

VICTOR VALLE: Ich bin überzeugt davon, dass - wer auch immer die neue Regierung stellen wird - als ersten Schritt Brücken innerhalb der Gesellschaft gebaut werden müssen. El Salvador ist in einer verzweifelten Situation: Wir haben Geld und Ressourcen aber das größte Geschäft des Landes ist es, Leute ins Ausland zu treiben. Und wir leiden unter sehr viel Gewalt, auch sozialer Gewalt und Mangel an Respekt vor dem Leben.

Und es fehlt an Intellektuellen. Unser Land befindet sich nach dem, was die Militärdiktatur und die politische Rechte innerhalb von 120 Jahren angerichtet haben, in einem grauenhaften Zustand. Der einzige Weg eine neue Nation und eine stabile Demokratie aufzubauen ist folgender: Wenn wir fähig waren zu einem Friedensabkommen zu kommen, dann müssen wir auch fähig sein ein Demokratie- und Entwicklungsabkommen zu erreichen. Vor 20 Jahren ging es darum den Krieg und das Töten zu beenden. Heute aber gibt es noch immer strukturelle und physische Gewalt. So hat El Salvador eine der höchsten Mordraten weltweit.

Wenn die neue Regierung kein solches Abkommen erreicht, wird es in einigen Jahren noch schlimmer aussehen.

PLANET: Sie arbeiten jetzt an der University for Peace in Costa Rica. Ist das ein Zufall oder eine natürliche Entwicklung für Sie?

VICTOR VALLE: Es gibt ein argentinisches Lied: "Los caminos de la vida no son como yo pensaba" (Die Wege des Lebens sind nicht wie erwartet) und der spanische Philosoph Ortega y Gasset sagte etwas wie: Menschen sind sie selbst und ihre Umstände. Für mich ist das, was ich tue, die Konsequenz dessen, was ich mein ganzes Leben getan habe. Ich arbeite gerne in der Bildung, ich war daran beteiligt einen bewaffneten Konflikt zu beenden, führte eine politische Partei und als ich den öffentlichen Dienst 1999 verließ, beschloss ich grünere Gefilde zu suchen. Ich ging zurück nach Costa Rica, wo ich von 1972 bis 1979 im Exil lebte, und bekam aufgrund der Dinge, die ich in meinem Leben getan hatte, diese Arbeit angeboten.

Ich bin hier als Konsequenz meiner Lebensgeschichte. Alles, was ich tat, geschah aufgrund meiner Einbindung in die Politik. Ich bin 67 Jahre alt, und: ich bin hier.

(Übersetzung: Daniela Ingruber)

Victor Valle arbeitete zunächst an der Universität von El Salvador, ehe er ins Exil nach Costa Rica gehen musste. Von 1980-1991 war er in Washington D.C. für die OAS tätig. Diese Zeit nützte er, um auf diplomatischer Ebene für die Interessen der Guerilla in El Salvador zu kämpfen. Er wurde ins Weiße Haus eingeladen, doch blieb seine Stimme ungehört. Als der langjährige Parteivorsitzende der MNR, Guillermo Manuel Ungo, 1991 starb, ging er auf dessen Wunsch zurück nach El Salvador und übernahm die Parteiführung. Bald widmete er sich ganz der Umsetzung des Friedensabkommens. Von 1995-1999 war Valle als Generalinspektor der neu gegründeten "zivilen" Polizei tätig, die er mitbegründete. Seit dem Jahr 2000 ist er Dekan an der University for Peace.


*


Quelle:
planet - Zeitung der Grünen Bildungswerkstatt # 56,
Dezember 2008/Jänner 2009, S. 3
Medieninhaberin/Herausgeberin: Grüne Bildungswerkstatt
vertreten durch den Bundesvorstand
Neubaugasse 8, 1070 Wien, Österreich
Telefon: 0043/1/526 91 16
Telefax: 0043/1/526 91 15
Mail: planet@gruene.at
Web: www.planet-zeitung.at

"planet - Zeitung der Grünen Bildungswerkstatt" ist
den Grundsätzen der Grünen inhaltlich verpflichtet
und wendet sich an alle politisch Interessierten.
Einzelpreis: 1,00 Euro, Normalabo: 5,00 Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Januar 2009