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LATEINAMERIKA/1130: Peru - Quechua-Frau leitet parlamentarischen Bildungsausschuss (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 6. September 2010

Peru: Kleine Revolution - Quechua-Frau leitet parlamentarischen Bildungsausschuss

Von Ãngel Páez

Hilaria Supa vor dem peruanischen Parlamentssitz - Bild: Virgilio Grajeda/IPS

Hilaria Supa vor dem
peruanischen Parlamentssitz
Bild: Virgilio Grajeda/IPS
Lima, 6. September (IPS) - Hilaria Supa hat in ihrem Leben viele Hindernisse genommen. Jetzt ist die Quechua-Sprecherin angetreten, das "diskriminierende und ausschließende" Bildungssystem umzukrempeln: Sie ist Vorsitzende des parlamentarischen Bildungsausschusses ihres Landes Peru - und hat nie eine Schule besucht.

In ihrer farbenprächtigen, traditionellen Indigena-Kleidung bewegt sich Hilaria Supa souverän durch das imposante Parlamentsgebäude im historischen Stadtzentrum der Hauptstadt Lima. Vor zwei Jahren noch hätten die Sicherheitskräfte ihr womöglich den Zugang zum Gebäude verwehrt. Doch jetzt leitet die die 52-jährige Abgeordnete der Nationalistischen Peruanischen Partei (PNP) sogar einen Parlamentsausschuss.

Supa wurde in Huallacocha, in der Provinz Anta geboren. Der Ort liegt vier Autostunden von der berühmten Inka-Stadt Cusco im peruanischen Hochland entfernt. Sie ist das älteste von 14 Kindern einer landlosen Bauernfamilie, in der sie von klein auf bis zu 17 Stunden arbeiten musste, damit die Familie überleben konnte. Was sie zu lernen hatte, brachten ihr die Großeltern bei.

Abgeordnete der Peruanischen Apristenpartei (PAP) des amtierenden Präsidenten Alan García und Angehörige des Bündnisses für die Zukunft (Alianza por el Futuro), das aus Anhängern des wegen Korruption verurteilten Ex-Präsidenten Alberto Fujmori besteht, gehen die indigene Abgeordnete hart an. Ohne Schulabschluss sei Supa überhaupt nicht in der Lage, einen parlamentarischen Ausschuss zu leiten, der den Bildungskurs des Landes vorgibt.


Lebenserfahrung statt Doktortitel

"Die mit den Doktortiteln hatten bereits den Vorsitz der Ausschüsse inne, unternahmen aber nichts zugunsten der Völker, die ich repräsentiere und die historisch gesehen immer marginalisiert wurden", kontert Supa im Interview mit IPS: "Ich bin eine Kämpferin der sozialen Bewegung, die für die Rechte der Bauern eintritt. Diesen Titel erhält man nicht an einer Universität."

Bereits als Jugendliche trat sie dafür ein, dass sich die Bauern selbst organisieren müssten, um der Willkür von Großgrundbesitzern und korrupten Behörden entgegenzutreten. Ihr Großvater sei beim Kampf für die Rechte der Bauern umgekommen, erzählt sie.

Als junge Frau arbeitete Hillaria Supa als Hausmädchen in Cusco und in der mehr als 1.000 Kilometer von ihrer Heimat entfernten Hauptstadt Lima. Mit 22 Jahren starb ihr Lebenspartner bei einem Unfall, woraufhin sie mit zwei Töchtern und einem Sohn zurück in ihr Dorf ging.


Ausgrenzendes Bildungssystem

Sie weiß genau, wozu sie ihre Position nutzen wird. Sie will das "ausgrenzende und diskriminierende" Bildungssystem in Peru demokratischer machen. "Ich bin nicht zur Kämpferin geworden, weil ich einer Partei angehöre. Ich habe Marginalisierung am eigenen Leib erlebt. Einfach nur, weil ich eine arme und indigene, Quechua sprechende Bauersfrau war." Ausbildung sei für ihresgleichen verboten gewesen, erklärt Supa.

Etwa 28 Prozent der 30 Millionen Peruaner sprechen Quechua, weitere zehn Prozent Aymara oder andere indigene Sprachen als erste Muttersprache. 78 Prozent der indigenen Bevölkerung leben in Armut. "Ich bin ins Parlament gekommen, weil mich meine indigenen Brüder und Schwestern gewählt haben. Und ich repräsentiere sie hier", unterstreicht sie.


Von der Aktivistin zur Abgeordneten

Nach der Rückkehr in die Heimat begann sie gemeinsam mit anderen Frauen gegen die herrschenden Verhältnisse zu protestieren. Sie organisierte Essensausgaben für Kinder. 1991 wurde sie Geschäftsführerin der Frauenorganisation von Anta (Femca). "Als Leiterinnen von Femca haben wir Frauen und Kinder in Quechua alphabetisiert, Workshops über die Gefahren von Pestiziden in der Landwirtschaft gegeben oder dafür gesorgt, dass die Kenntnisse der traditionellen Medizin weitergegeben werden", erzählt sie. Supa wurde schnell im ganzen Departement Cusco für ihren Enthusiasmus und ihre Tatkraft bekannt. Das führte sie 1995 zur vierten Welt-Frauenkonferenz nach Peking.

Im Jahr 2006 wurde Hilaria Supa als Abgeordnete der PNP ins Parlament gewählt, deren Vorsitzender Ollanta Humala damals erst in einer umstrittenen Stichwahl dem jetzigen Präsidenten Alan García unterlag. Es gilt als sicher, dass Supa wiedergewählt wird, wenn sie wieder als Abgeordnete für die Wahlen im kommenden Jahr kandidiert.


Aufruhr im Parlament

"Wenn es ein Thema gibt, von dem sie keine Ahnung hat, dann ist es Bildung", polemisiert Martha Hildebrandt, ehemalige Vorsitzende des parlamentarischen Bildungsausschusses, Linguistin und Fujimori-Anhängerin. Doch Supo lässt sich von solchen Attacken nicht beirren: "Ich bin Autodidaktin, und darauf bin ich sehr stolz", sagt sie.

Wilmer Calderón, Abgeordneter der PAP mit einem Doktortitel in Erziehungswissenschaften, will in der Ernennung von Hilaria Supa zur Vorsitzenden des Bildungsausschusses als einen "Akt der Demagogie" erkennen. Dies lasse erahnen, dass die PNP bei einem eventuellen Wahlsieg im kommenden Jahr verantwortungsvolle Posten an Personen ohne ausreichende Kompetenz vergeben werde, erklärte er im Interview mit IPS. "Ich bin auch Quechua-Sprecher, aber das allein qualifiziert mich nicht. Dafür ist eine wissenschaftliche Ausbildung notwendig." Die Marginalisierung könne nicht auf diese Weise bekämpft werden.

Supa bleibt angesichts dieser Einwände gelassen. Sie nehme in solchen Äußerungen einen gewissen Rassismus zur Kenntnis, erklärt sie und gibt sich unbeirrt und kämpferisch: "So hat man immer über uns gesprochen: Ihr seid Indigene, ihr seid zu überhaupt nichts imstande. Nein, verehrte Herren und Damen Doktoren: Jetzt sind wir an der Reihe. Die Ergebnisse werdet ihr sehen."


Begegnung mit dunklen Kapiteln

Im letzten Jahr von Garcías Amtszeit wurde Alejandro Aguinaga zum Vizepräsidenten des Parlaments gewählt. Aguinaga war unter Fujimori (1990-2000) für die Zwangssterilisierung von Indigenen mitverantwortlich. Ein Strafverfahren, bei dem auch Aguinaga angeklagt gewesen war, wurde in Peru 2009 eingestellt. Doch das Kapitel sei noch nicht beendet, erklärt Supa. Der Interamerikanische Gerichtshof habe ein Urteil zugunsten der Indigenen gefällt, das der peruanische Staat akzeptieren müsse.

"Wenn er mir begegnet, sieht er weg", so Hilaria Supa, die eine Tochter hat, die zwangssterilisiert wurde. "Es ist eine Beleidigung für mich, ihn als Vizepräsidenten des Parlaments zu sehen. Ich werde alles tun, was in meiner Macht steht, damit er seine Verantwortung für das übernehmen muss, was er tausenden Frauen angetan hat", unterstreicht sie.


Hilaria Supa als Buchautorin

Supa will auch noch eine erfreuliche Neuigkeit loswerden: Ihre schon lange vergriffene Biografie 'Los hilos de su vida' ('Der Faden des Lebens - in Deutschland unter dem Titel 'Awayu' erschienen) " wird neu aufgelegt werden. Grund dafür sei der Erfolg der englischen und deutschen Version des Buches, sagt sie stolz. "Man hat mir gesagt, dass mein Buch in deutschen Schulen behandelt wird", erklärt sie stolz. "Was soll also dieses Gerede der Doktoren, die mir erzählen wollen, meine Erfahrung tauge nichts? Sie irren sich. Und sie müssen noch viel lernen." (Ende/IPS/beh/2010)


Link:
http://www.amazon.de/Awayu-Quechua-Frau-Hilaria-Huam%C3%A1n-erz%C3%A4hlt/dp/3000166092
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=96274

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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. September 2010