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LATEINAMERIKA/1138: Peru - UN-Sonderberichterstatter beklagt neues Klima der Straflosigkeit (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 13. September 2010

Peru: UN-Sonderberichterstatter beklagt neues Klima der Straflosigkeit

Von Ãngel Páez


Lima, 13. September (IPS) - Nach Ansicht des UN-Sonderberichterstatters Martin Scheinin kommen in Peru die Gerichtsverfahren gegen Menschenrechtsverletzer in Uniform viel zu langsam voran. Dadurch sei ein Klima der Straflosigkeit entstanden, monierte der Finne zum Abschluss seines Besuchs in dem südamerikanischen Land.

Irritiert zeigte sich Scheinin über das Gesetzdekret 1097, das der peruanische Staatspräsident Alan García am 1. September bekannt gegeben hat. Befürchtet wird, dass es diejenigen begünstigt, die im Kampf gegen die Guerilla in den Jahren 1980 bis 2000 schwere Menschenrechtsverbrechen an Zivilisten begangen haben.

Die Veröffentlichung des Dekrets, das aufgrund einer parlamentarischen Sonderbefugnis für García Gesetzescharakter hat, verstärke diesen Eindruck, sagte der UN-Vertreter und betonte zwei strittige Aspekte: die Verjährungsfrist für Menschenrechtsverbrechen, die vor dem 9. November 2003 begangen wurden, und die Einstellung der Verfahren nach Ablauf von 36 Monaten, die für die Beweisaufnahme angesetzt werden.


Legislativgesetz "verfassungswidrig"

Wie Scheinin gegenüber IPS berichtete, halten von ihm befragte peruanische Rechtsexperten das Legislativdekret für "verfassungswidrig". Danach darf es nicht angewendet werden, da es Personen begünstigt, die in laufende Gerichtsverfahren verwickelt sind.

Der UN-Sondergesandte befürchtet, dass das Dekret 1097 den Ruf des Landes zerstört, wirksam und in Übereinstimmung mit internationalen Standards gegen Menschenrechtsverbrecher wie den ehemaligen Guerillachef Abimael Guzmán und Ex-Präsident Alberto Fujimori (1990-2000) vorzugehen. Allerdings mache sich bei einigen staatlichen Stellen der Wunsch bemerkbar, "strafbare Handlungen unter den Teppich zu kehren".

Zurzeit ist ein Prozess im Zusammenhang mit den Menschenrechtsverbrechen der 'Gruppe Colina' in Gang, einer zwischen 1991 und 1992 aktiven Todesschwadron, die sich aus Agenten des Geheimdienstes SIE zusammensetzte. Der Gruppe wird ein Massaker an 15 Zivilisten in Barrios Altos, einem Viertel der peruanischen Hauptstadt Lima, angelastet sowie die Ermordung von neun Bauern in El Santa an der Nordküste und das 'Verschwinden' des Journalisten Pedro Yauri.

Ein weiteres Verfahren richtet sich gegen den ehemaligen Fujimori-Berater Vladimiro Montesinos, Ex-Heereschef Nicolás Hermoza und gegen die Collina-Kommandanten Santiago Martin Rivas und Carlos Pichilingüe. Sie alle müssen sich wegen eines Massakers von 1992 an neun Studenten und einem Professor der Universität La Cantuta gerichtlich verantworten. Für diese Verbrechen wurde Fujimori im vergangenen Jahr zu 25 Jahren Haft verurteilt.


Bewusste Fehlinterpretation

Die Angeklagten im Fall Barrios Altos und La Cantuta beharren darauf, dass die Konvention über die Unverjährbarkeit von Kriegs- und Menschenrechtsverbrechen für Peru erst ab dem 9. November 2003 gültig ist. Dies gehe aus einem Urteil des Verfassungsgerichts hervor, auf das sich das neue Gesetzesdekret berufe, argumentieren sie. Ihre Anwälte haben einen entsprechenden Antrag bereits gestellt.

Doch nach Aussagen des ehemaligen Verfassungsrichters Magdiel González wurde das besagte Urteil falsch interpretiert, um den angeklagten Militärs einen unrechtmäßigen Nutzen zu verschaffen. Das Verfassungsgericht habe zu keiner Zeit erklärt, dass die Unverjährbarkeit von Menschenrechtsverbrechen erst ab 2003 gelte, sondern nur, dass die Konvention über die Unverjährbarkeit der Kriegs- und Menschenrechtsverbrechen am 9. November 2003 in Kraft trete, sagte er. "Das ist nicht dasselbe, zumal auch in der Verfassung steht, dass solche Verbrechen nicht verjähren."

Wie die Anwältin der Angehörigen der Opfer von La Cantuta, Gloria Cano, erläutert, hat das neue Legislativgesetz Ähnlichkeiten mit dem Amnestiegesetz, das Fujimori 1995 erlassen hatte, um die wegen Menschenrechtsverletzungen inhaftierten Militärs und Polizisten zur Freiheit zu verhelfen. "Beide Gesetze verfolgen das gleiche Zeit, diejenigen Uniformierten widerrechtlich zu helfen, die unschuldige und unbewaffnete Zivilisten ermordet haben."

Cano weist ferner darauf hin, dass das neue Gesetz in dem Augenblick veröffentlicht wurde, als die Verfahren gegen Vladimiro Montesinos und die ehemaligen Polizeichefs und SIE-Agenten in die letzte Etappe eintraten.

Verteidigungsminister Rafael Rey wiederum erklärte kürzlich auf einer Pressekonferenz, das Gesetzesdekret 1097 sei mit internationalen und nationalen Recht kompatibel und beuge juristischen Winkelzügen gegen das Militärpersonal vor, "die hingebungsvoll den Terrorismus bekämpft haben". (Ende/IPS/kb/2010)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. September 2010