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LATEINAMERIKA/1208: Peru - Aufklärung kriegsbedingter Sexualdelikte in Verzug (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 23. Dezember 2010

Peru: Vergewaltigungsopfer zuletzt - Aufklärung kriegsbedingter Sexualdelikte in Verzug

Von Milagros Salazar


Lima, 23. Dezember (IPS) - In Peru treten die Untersuchungen über die sexualisierte Gewalt gegen Frauen im 'schmutzigen Krieg' von 1980 bis 2000 zwischen der Staatsmacht und den Rebellen des Leuchtenden Pfades weiter auf der Stelle. Mehr als 500 Fälle hatte die Wahrheits- und Versöhnungskommission (CVR) vor sechs Jahren zusammengetragen, seither sind mehr als 1.000 Anzeigen hinzugekommen. Dennoch wurde bisher keiner der Täter rechtskräftig verurteilt.

Die Justiz ist mit dem Schicksal von acht Frauen aus der Ortschaft Llusita im südperuanischen Departement Ayacucho befasst. Die Frauen waren mit ihren Kindern und Dutzenden Dorfbewohnern am 24. April 1983 festgenommen und gefoltert worden. Einen Tag später fielen sie am Militärstützpunkt von Cangallo Gruppenvergewaltigungen zum Opfer.

Wie der Missbrauch vonstatten ging, geht aus den Schilderungen einer Überlebenden hervor, die ihren Namen aus Sicherheitsgründen nicht nennen wollte. Die Kommission für Menschenrechte (Comisedh) reichte ihre Anzeige an die Staatsanwaltschaft von Ayacucho weiter. Die Frau war mit ihrem Säugling von den anderen Dorfbewohnern getrennt und von drei Soldaten vergewaltigt worden. "Ich konnte mich nicht wehren, sie hielten meine Beine fest", berichtete sie. "Als mein kleines Mädchen weinte, steckten sie ihm ihren Hoden in den Mund."

Die Untersuchung des Falls kommt nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen ebenso wenig voran wie 20 andere Verfahren in Ayacucho und den benachbarten Departements Huancavelica, Apurímac, Cusco, Junín, Pasco und Lima.


Vergewaltigungen als Mittel der Kriegsführung

Im Rahmen des 20-jährigen Konflikts wurden Vergewaltigungen als Foltermethode oder als Maßnahme der Bestrafung und Unterdrückung in 15 der 24 Departements des südamerikanischen Landes angewandt. Dem CVR-Bericht zufolge gingen die meisten dieser Verbrechen auf das Konto von Armeeangehörigen.

Die CVR hatte 2004 538 Vergewaltigungsopfer registriert. Nur drei Prozent dieser Fälle sind Gegenstand der schleppenden Untersuchungen, und nur zwei Strafrechtsverfahren kommen voran: die Vergewaltigungen von Frauen auf den Militärbasen Manta und Vilca in der Region Huancavelica. Doch ist es bisher zu keiner Verurteilung gekommen.

In den vergangenen Jahren hat der Nationalrat für Reparationszahlungen weitere 1.150 Anzeigen von Vergewaltigungsopfern des Bürgerkriegs angenommen. Hinzu kommen weitere 697 Anzeigen, die noch geprüft werden müssen.

Wie Gloria Cano betont, Anwältin der Vereinigung für Menschenrechte, kommen die Justizbehörden mit den Fällen deshalb nicht voran, weil sie die Vergewaltigungen nicht als Form der Kriegsführung betrachten und die Umstände ignorieren, die eine Identifizierung der Täter verhindern. So wurden die Opfer meist in geheimen Haftzentren oder während einzelner Militärpatrouillen vergewaltigt, und die Täter benutzten Decknamen oder waren maskiert.

Die Menschenrechtsanwälte vermissen bei den Anklägern und Richtern konkrete Strategien zur Überführung der Verbrecher. Sie monieren beispielsweise die Entscheidung, die kriegsbedingten Vergewaltigungen von anderen Kriegsverbrechen wie Morden, Folter und Verschwindenlassen zu trennen.


Abenteuerliche Ermittlungsstrategien

"In Llusita hatten alle Verbrechen System. Die Vergewaltigungen von den übrigen Menschenrechtsverletzungen zu trennen, macht keinen Sinn. Dadurch werden die Chancen geschmälert, die Befehlsgeber oder Anführer von Patrouillen rechtlich zur Verantwortung zu ziehen", meint der Comisedh-Anwalt Gustavo Campos.

Die Organisation, die den Frauen aus Llusita Rechtsbeistand leistet, hat den damaligen Chef der Militärbasis von Cangallo, Arnulfo Arévalo Torres, und den Armeehauptmann Edgar Acevedo López, Chef des Militärstützpunktes von Huancapi, verklagt. Auch der Anwalt Carlos Rivera vom Institut für Rechtsschutz (IDL), das der Staatsanwaltschaft untersteht, schließt sich indirekt der Kritik der Menschenrechtler an. Es sei ein Fehler, sich bei den Ermittlungen auf Untersuchungsmethoden zu stützen, die bei gängigen Sexualdelikten angewendet werden.

Aus Ayacucho wird die Hälfte der kriegsbedingten Vergewaltigungen berichtet. Dort hatten Polizisten 1981 auch die damals 6-jährige Georgina Gamboa vergewaltigt. Der Fall war zunächst zu den Akten gelegt und 2004 nach einer neuerlichen Anzeige wieder aufgerollt worden. Im Februar 2006 wurde die junge Frau aufgefordert, sich medizinisch untersuchen zu lassen und dem Gericht ein gynäkologisches Gutachten vorzulegen.

"Solche Untersuchungen sind völlig sinnlos, zumal die Vergewaltigung 20 Jahre zurückliegt", kritisiert die Menschenrechtsanwältin Cano. "Indem die Behörden auf solche Formalitäten beharren, sorgen sie dafür, dass sich die Betroffenen erneut als Opfer fühlen."

Die Menschenrechtsorganisationen plädieren dafür, dass die Gerichte bei der Aufklärung von Vergewaltigungen ähnlich verfahren, wie die Sondertribunale für Ex-Jugoslawien und Ruanda oder wie der Interamerikanische Menschenrechtsgerichtshof: indem sie die Berichte der Opfer mit anderen Beweismitteln und Indizien abgleichen. Darüber hinaus fordern sie, Experten unterschiedlicher Disziplinen wie Psychologen, Ärzte, Juristen, Anthropologen, Historiker und Personen, die die Sprache der Opfer sprechen, in die Untersuchungen einzubeziehen. (Ende/IPS/kb/2010)


Links:
http://comisedh.blogspot.com/
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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 23. Dezember 2010
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Dezember 2010