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LATEINAMERIKA/1278: El Salvador - Mit Wehrpflicht gegen Jugendkriminalität, Pläne umstritten (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 28. Juni 2011

El Salvador: Mit Wehrpflicht gegen Jugendkriminalität - Regierungspläne umstritten

Von Edgardo Ayala


San Salvador, 28. Juni (IPS) - In El Salvador wächst der Widerstand gegen Pläne der Regierung von Präsident Mauricio Funes, einen obligatorischen Militärdienst für Jugendliche zwischen 16 und 18 Jahren einzuführen. Damit soll verhindert werden, dass Jugendliche in die Kriminalität abrutschen.

Schätzungen der Regierung zufolge ließen sich theoretisch 5.000 junge Männer und Frauen in den ersten sechs Monaten von Armeeoffizieren in militärischer Disziplin unterweisen. Eine Ausbildung an der Waffe ist nicht vorgesehen. Die jungen Wehrpflichtigen sollen später zum Schutz der Bürger eingesetzt werden. Die Ausbildung verfolgt das Ziel, gefährdete Jugendliche in die Gesellschaft einzugliedern und sie von der Kriminalität fernzuhalten.

"Die Regierung weiß nicht, was sie tut", kritisierte Benjamin Cuellar, der Direktor des Instituts für Menschenrechte an der Zentralamerikanischen José-Simeón-Cañas-Universität (IDHUCA). Cuellar warnte davor, dass die Jugendlichen den Drogenkartellen und anderen Gangs nach ihrem Militärdienst erst recht nützen könnten.

Präsident Funes würde besser daran tun, Sport- und Arbeitszentren für die jungen Leute zu eröffnen, meinte Cuellar. Zugleich müsste er ihnen Jobs garantieren. Denn nach den bisherigen Plänen kehren die Jugendlichen nach dem Militärdienst in ihre alte Umgebung zurück.

Den offiziellen Plänen zufolge soll die Armee den Nachwuchs in Klettern und anderen Sportarten unterweisen sowie Hilfe bei der Berufsvorbereitung leisten. Während des einjährigen Militärdienstes ist ein Lohn von monatlich umgerechnet 250 US-Dollar vorgesehen. "Ich würde zum Militär gehen, damit meine Eltern beruhigt sind", sagte dazu die junge Süßwarenverkäuferin Karen Lisbeth Martinez.


Eines der gefährlichsten Länder Lateinamerikas

Funes, der 2009 mit Unterstützung der ehemaligen Guerillaorganisation FMLN in sein Amt gekommen war, verfügte nach seinem Wahlsieg, dass der nationalen Polizei unverzüglich 2.500 Soldaten zur Seite gestellt wurden, um für Sicherheit auf den Straßen zu sorgen. 2010 wurde diese Maßnahme um ein weiteres Jahr verlängert.

El Salvador gehört zu den Ländern Lateinamerikas mit der höchsten Kriminalitätsrate. Auf jeweils 100.000 Einwohner kommen jährlich durchschnittlich 83 Morde. In El Salvador sind auch zwei der mächtigsten Verbrecherbanden der Region beheimatet: die 'Mara Salvatrucha' und 'Barrio 18', die sich blutige Fehden liefern.

Die Panamerikanische Gesundheitsorganisation spricht von einer Epidemie der Gewalt, wenn die Rate von zehn Morden pro 100.000 Einwohner überschritten wird. In El Salvador hat sich dieser Durchschnittswert seit 2005 vervielfacht, wie das UN-Entwicklungsprogramm UNDP in seinem Bericht für 2009 und 2010 feststellte.

Ebenso wie die Nachbarstaaten Honduras und Guatemala hat auch El Salvador große Probleme, kriminelle Umtriebe unter Kontrolle zu halten. Die Banden haben seit den achtziger Jahren aufgrund des wachsenden sozialen Elends immer mehr Zulauf gefunden. Vor allem Jugendliche, die mit ihren Eltern in die USA ausgewandert waren, aufgrund krimineller Machenschaften dann aber ausgewiesen wurden, prägten die Gangs in ihren Heimatländern.

Geschätzt wird, dass etwa 40.000 Jugendliche in El Salvador kriminellen Banden angehören. Nach UNDP-Angaben hängt dies unter anderem damit zusammen, dass rund 70 Prozent der Jugendlichen in den Städten keinen Zugang zu höherer Bildung haben und damit dem Teufelskreis der Armut nicht entkommen können.


Mehr als ein Drittel der Bevölkerung lebt in Armut

Etwa 37 Prozent der rund 5,7 Millionen Salvadorianer leben unterhalb der Armutsgrenze. 18,9 Prozent davon sind im Alter zwischen 15 und 19 Jahren, wie amtliche Statistiken belegen. Wie die Regierung ankündigte, würde die Einführung der Wehrpflicht für 16- bis 18-Jährige rund 55 Millionen Dollar kosten. Wie diese Summe aufgebracht werden soll, ist noch unklar.

Die salvadorianische Verfassung sieht eine Wehrplicht für 18- bis 30-Jährige vor. 16- bis 18-Jährige konnten bisher nur mit Einwilligung ihrer Eltern zum Militär gehen. Während des Bürgerkriegs von 1980 bis 1992 warb das Heer vorwiegend Söhne aus armen Bauernfamilien an. Sprösslinge aus wohlhabenden Kreisen leisteten dagegen fast nie Dienst an der Waffe.

Nach dem Ende des Konflikts mit 75.000 Toten, 8.000 Verschwundenen und 40.000 Verletzten mit dauerhaften Behinderungen war die Wehrpflicht de facto außer Kraft gesetzt. Das Heer brauchte nicht mehr so viele Rekruten, und die Wunden des Krieges mussten in der Gesellschaft noch verheilen. (Ende/IPS/ck/2011)


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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Juni 2011