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LATEINAMERIKA/1458: Kolumbien - Starke Präsenz von Paramilitärs im neuen Parlament (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 12. März 2014

Kolumbien: Starke Präsenz von Paramilitärs im neuen Parlament

von Constanza Vieira


Bild: © VerdadAbierta.com

Ein Drittel der Senatoren und Abgeordneten, die über die Friedensabkommen abstimmen werden, stehen unter dem Verdacht, Verbindungen zum Paramilitarismus zu unterhalten
Bild: © VerdadAbierta.com

Bogotá, 12. März (IPS) - Im Juli 2004 hatte der Chef der kolumbianischen Paramilitärs, Salvatore Mancuso, vor dem Parlament des Landes erklärt, dass 35 Prozent der Sitze mit seinen Leuten besetzt seien. Zehn Jahre später zeigt sich ein ähnliches Bild: So setzt sich das neue Parlament zu einem Drittel aus 'Parapolitikern' zusammen, wie in Kolumbien Politiker mit paramilitärischen Verbindungen genannt werden.

Darauf hat die Stiftung Frieden und Versöhnung aufmerksam gemacht, die die am 9. März gewählten Abgeordneten näher unter die Lupe nahm. Sie rückt 33 der frisch gewählten Senatoren - das entspricht 32,4 Prozent der 102 Senatsmitglieder - und 36 Abgeordnete - 21,7 Prozent der 166 Unterhausmitglieder - in die Nähe der Paramilitärs.

Dieser Personenkreis wird entweder direkt mit den Paramilitärs oder mit den aus ihnen im Zuge des Demobilisierungsprozesses entstandenen kriminellen Banden in Verbindung gebracht. Die Demobilisierung wurde von Ex-Präsident Alvaro Uribe (2002-2010) eingeleitet, dem die Nähe zu den Paramilitärs bereits Ermittlungen eingebracht hat. Auch gegen 15 der neuen Senatoren und elf der Abgeordneten des Repräsentantenhauses wird nach Erkenntnissen des Internet-Portals 'VerdadAbierta.com' ermittelt.

Die Parlamentswahlen, denen 56,42 Prozent der Wahlberechtigen fern geblieben waren, gelten als die wichtigsten der letzten 50 Jahre. Die aus ihnen hervorgegangenen Abgeordneten werden letztlich über die Friedensabkommen entscheiden, die die Regierung von Staatspräsident Juan Manuel Santos derzeit mit den linken Rebellen in Havanna aushandelt. Bei den Revolutionären Streitkräften Kolumbiens (FARC) handelt es sich um die größte Guerilla des Landes, die vor 50 Jahren aus einer bäuerlichen Bewegung heraus entstanden war.


Friedensprozess kommt voran

Bei den Friedensverhandlungen konnten inzwischen für zwei der insgesamt sechs Punkte auf der Agenda Vorabkommen geschlossen werden. Auch sind offenbar in einem weiteren Punkt - dem illegalen Drogenhandel - Fortschritte erkennbar. Nun geht es ans Eingemachte. Die Unterhändler müssen sich über eine Beendigung des Konflikts einigen. Dabei geht es um die konkrete Umsetzung der Abkommen, den Umgang mit den Opfern und die Wahrheitsfindung.

Die Santos-Regierung kann zudem Verhandlungserfolge bei den Sondierungsgesprächen mit dem prokubanischen Nationalen Befreiungsheer (ELN), der zweitgrößten Guerilla des Landes, verbuchen.

Abgesehen von den vielen Stimmenthaltungen waren die Wahlzettel von mehr als 2,3 Millionen der 14,3 Millionen Kolumbianer, die sich an den Wahlen beteiligt hatten, für ungültig erklärt worden. Weitere 885.375 Wähler, mehr als sechs Prozent der Wahlberechtigten, waren dem Aufruf sozialer Netzwerke gefolgt und hatten leere Stimmzettel abgegeben, wie die vorläufige amtliche Stimmenauszählung ergab.

Keine Partei hat mehr als 20 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen können, was die Zerrissenheit der Eliten im Hinblick auf die Frage zeigt, ob der Krieg militärisch oder politisch gelöst werden sollte. Diese starke Polarisierung gilt als eigentlicher Grund für das Vorankommen der Friedensverhandlungen.

Santos ist seit 2010 im Amt und strebt seine Wiederwahl (2014-2018) an. Ihm ist es in den zurückliegenden Jahren gelungen, fünf Parteien für seine Friedenspläne einzunehmen, um einen Runden Tisch der nationalen Einheit zu schaffen: die U-Partei, den Radikalen Wandel, die rechte Konservative Partei, die Liberalen (Mitte) und die Grüne Allianz (Mittelinks). Dieses Parteienbündnis wird künftig 80 der 102 Senatoren stellen, wobei 100 von ihnen einer bestimmten Partei zuzuordnen sind und zwei aus dem indigenen Umfeld kommen.


Wiederwahl von Santos gilt als sicher

Santos schneidet in den Meinungsumfragen recht gut ab, und seiner Wiederwahl am 25. Mai scheint nichts im Wege zu stehen. Analysten gehen jedoch davon aus, dass er einen zweiten Wahldurchgang (15. Juni) brauchen wird, um sich durchzusetzen. Sollten sich die Meinungsumfragen bestätigen, könnte sich Santos in der nächsten Legislaturperiode, die am 20. Juli beginnt, auf die Unterstützung von 46 Senatoren - ohne die Konservativen, die sich gespalten haben - und von 92 Abgeordneten des Unterhauses verlassen.

Allgemein wird davon ausgegangen, dass die Konservativen, die drei von 22 Sitzen verloren haben, als Zünglein an der Waage fungieren und sich die Unterstützung in Form von Verwaltungsposten und Verträgen teuer bezahlen lassen werden. Gegen vier ihrer neu gewählten Abgeordneten laufen Ermittlungsverfahren wegen möglicher Verbindungen zum Paramilitarismus.

Die U-Partei verfügt nur noch über 21 Sitze, sieben weniger als zuvor, bleibt aber nach wie vor die meist gewählte politische Kraft im Lande. Bei acht ihrer Parlamentarier soll es sich um Parapolitiker handeln, gegen die Untersuchungen eingeleitet wurden. Der Radikale Wandel verbucht einen Zuwachs von neun Sitzen, wobei im Zusammenhang mit dem Paramilitarismus Verfahren gegen vier Abgeordnete laufen. Die Liberalen verfügen wie bisher über 17 Senatoren, von denen sieben Verbindungen zu Paramilitärs unterhalten sollen.

Die grüne Allianz konnte sich fünf Sitze sichern. Einer davon geht an Claudia López, der wichtigsten Ermittlerin der Beziehungen zwischen Politik und Paramilitarismus. Laut VerdadAbierta stehen insgesamt 16 Prozent der Abgeordneten aus den Reihen des Radikalen Wandels und 14 Prozent der U-Partei in Verdacht, Beziehungen zu den Paramilitärs zu unterhalten.

Eine weitere Partei, die einige Initiativen von Santos unterstützt hat, ist die Option Mitte. Sie ist aufgrund ihrer Beziehungen zum rechtsextremen Paramilitarismus besonders umstritten. Der Verdacht richtet sich gegen 27 Prozent ihrer Abgeordneten. Der Demokratische Alternative Pol, eine Mittelinkspartei, ist im Senat nur noch mit drei von bisher fünf Mitgliedern vertreten. Dieser kleine Block, der die Kommunistische Partei aus seinem Umfeld verbannt hat, ist ein Verbündeter im Friedensprozess.

Die größte Gefahr für den Frieden geht nach Ansicht vieler Beobachter derzeit von der extremen Rechten und deren neuer Partei Demokratisches Zentrum aus, die von Uribe gegründet wurde und die sich die 19 Parlamentssitze eingeheimst hat, die die U-Partei und die Konservative Partei verloren haben.


Ex-Präsident fordert Kompromisslosigkeit im Umgang mit der FARC

Uribe ist ein strikter Gegner einer politischen Lösung des 50-jährigen Bürgerkriegs. Er will, dass die Guerilla militärisch gezwungen wird, die Waffen zu strecken, und die Rebellen für ihre Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden, ohne dass sie in den Genuss einer sogenannten 'Übergangsgerechtigkeit' beziehungsweise politischer Rechte kommen. Seine Forderungen kommen einem Anschlag auf die Friedensverhandlungen gleich.

Die Polarisierung und Entfremdung zwischen dem ehemaligen und dem derzeitigen Präsidenten zeigt sich in Form der vielen Gerichtsverfahren und Zeitungsbeiträge, die sich mit mutmaßlichen Versuchen Uribe nahestehender Geheimdienstagenten beschäftigen, die mit Menschenrechtsverbrechen in Verbindung gebracht werden und die Santos und seine Friedensunterhändler ausspioniert haben sollen.

Uribe ist es indes nicht gelungen, sich ein Drittel aller Senatssitze zu sichern, wie er dies vorgehabt hatte. Allerdings konnte das Demokratische Zentrum mehr als 14 Prozent der Parlamentssitze erringen, was sie - mit mehr als zwei Millionen Stimmen - zur zweitstärksten politischen Kraft im Lande macht. (Ende/IPS/kb/2014)


Link:

http://www.ipsnoticias.net/2014/03/un-tercio-del-nuevo-parlamento-de-colombia-es-paramilitar/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 12. März 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. März 2014