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LATEINAMERIKA/1462: Noch immer im Kalten Krieg? - Die Beziehungen zwischen Lateinamerika und den USA ... (FES)


Friedrich-Ebert-Stiftung
Internationale Politikanalyse

Noch immer im Kalten Krieg?
Die Beziehungen zwischen Lateinamerika und den USA fernab von strategischer Allianz und gleicher Augenhöhe

von Claudia Detsch
April 2014



• Das Verhältnis zwischen Lateinamerika und den USA ist historisch belastet. Auch wenn Lateinamerika im vergangenen Jahrzehnt international an Präsenz gewonnen hat, bestimmen die Beziehungen der lateinamerikanischen Regierungen zu den USA bis heute maßgeblich ihre Außenpolitik.

• Der fortwirkende Antiimperialismus in Teilen der Linken und die mangelnde Einheit in der Region behindern nicht nur die regionale Integration und schwächen Lateinamerika auf dem internationalen Parkett - sie hemmen auch die Vertiefung der Demokratie nach innen.

• Doch die USA zeigen ebenfalls kein Interesse, Lateinamerika auf Augenhöhe in geostrategische Entscheidungen einzubeziehen, und verweigern sich wichtigen Debatten wie der über die zukünftige Drogenpolitik.

• Für einen grundlegenden Wandel in den Beziehungen zwischen den beiden Subkontinenten sind einige zentrale Reformen unabdingbar. Der Schlüssel hierfür ist ein Neubeginn im Verhältnis zwischen den USA und Kuba.

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Längst gilt Lateinamerika nicht mehr als die chronische Krisenregion von einst; daran werden auch die jüngsten Turbulenzen an den Finanzmärkten der Schwellenländer oder die Unruhen in Argentinien, Brasilien und Venezuela nichts ändern. Vielmehr hat die Region in den letzten Jahren an internationaler Präsenz gewonnen. Selbstbewusst können die Lateinamerikaner_innen auf ihre Erfolge verweisen, sei es bei der friedlichen Lösung regionaler Konflikte oder bei der Armutsbekämpfung. In der EU wird heute eher lamentiert, Lateinamerika habe das Interesse an Europa verloren. Mit den USA verhält es sich naturgemäß anders. Zwar ist auch diese Beziehung nachhaltigen Veränderungen unterworfen: Die einst üblichen Belehrungen und Drohungen aus Washington ist man nicht länger bereit hinzunehmen; eher scheinen Sprach- und Orientierungslosigkeit heute das Verhältnis beider Subkontinente zu prägen. Und doch - die Verflechtung mit den USA ist in der lateinamerikanischen Außenpolitik wie auch bei den innerregionalen Integrationsinitiativen noch immer maßgeblich und stilprägend. Die oft unheilvolle gemeinsame Geschichte wirkt fort, die Emanzipation von den USA steht für die Region noch aus.


Antikommunismus und Big Business - Interventionen der USA zugunsten von Sicherheit und Profit

Die Liste US-amerikanischer Interventionen in Lateinamerika ist lang und blutig: verdeckte Operationen, offene Interventionen, logistische Unterstützung für »Antikommunisten« jedweder Couleur - selbst eine unvollständige Auswahl nur der emblematischsten Fälle lässt schnell den Überblick verlieren. Offizielle Kolonien der USA gab es in Lateinamerika nie, doch de facto hatten einige Territorien einen ganz ähnlichen Status. Lateinamerika war ein Schlachtfeld des Kalten Krieges, und diese Prägung wirkt bis heute nach. So scheint für die ideologische Verortung lateinamerikanischer Politiker_innen nichts so zwingend zu sein wie ihr Verhältnis zu den USA.

Die berühmt-berüchtigte Monroe-Doktrin aus dem Jahr 1823 begründete im 19. Jahrhundert die Interventionsbestrebungen der USA. Diese Erklärung richtete sich gegen neuerliche koloniale Ambitionen der Europäer_innen auf dem amerikanischen Kontinent. Das las sich zunächst gut. Tatsächlich aber leitete Washington daraus das Recht ab, im Interesse der eigenen Sicherheit auch im südlichen Teil des Doppelkontinents zu intervenieren. Als endgültiges Initial gilt der spanisch-amerikanische Krieg von 1898, ausgelöst durch den Aufstand Kubas gegen die spanische Krone. Die beträchtlichen Investitionen der US-Amerikaner_innen auf der Karibikinsel schienen in Gefahr - ein Eingreifen zugunsten der Kubaner_innen ließ sich auch moralisch als Gebot der Stunde verstehen. Bereits nach drei Monaten war Spanien vernichtend geschlagen; Außenminister John Hay sprach von einem »splendid little war«.

Die Einstellung Washingtons zu Interventionen im Süden radikalisierte sich in den Folgejahren. »Wiederholtes Fehlverhalten oder eine generelle Unfähigkeit« seitens der lateinamerikanischen Regierungen könnten, so Theodore Roosevelt 1903, zu einem Eingreifen führen. 1904 dann verkündete der Präsident in einem nach ihm benannten Zusatz zur Monroe-Doktrin offiziell, dass die Souveränität der lateinamerikanischen Nationen unter dem Vorbehalt US-amerikanischer Sicherheitsinteressen stünde. Sein Nachfolger William Taft führte 1912 ein weiteres Motiv ins Feld: Den »rückständigen Völkern« solle Fortschritt und Demokratie gebracht werden.

Doch es waren nicht nur Finanzchaos und Anarchie in Teilen Lateinamerikas, die Washington zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf den Plan riefen. Es winkten zudem lukrative Einnahmen für nordamerikanische Unternehmen. Als Inkarnation des sogenannten Dollar-Imperialismus gilt die United Fruit Company. Mit Unterstützung Washingtons konnte sie die Bananenproduktion in Lateinamerika monopolisieren. Das politische und wirtschaftliche Leben der Anbauländer lag in den Händen des Konzerns - Regierungen wurden je nach Interessenlage eingesetzt oder gestürzt. Die Einheit von Big Business und Politik führte zu einer Serie von Interventionen in Mittelamerika und der Karibik. Erst Franklin D. Roosevelt beendete diese Phase und begründete eine Politik der »guten Nachbarschaft«. Roosevelts Regierungszeit in den 1930er und 40er Jahren bedeutete eine kurze Blütezeit in den Beziehungen zu den lateinamerikanischen Ländern. Deren Souveränität wurde im Rahmen der »Konferenz für den Erhalt des Friedens« 1936 in Buenos Aires und der 8. Konferenz der Amerikanischen Staaten 1938 in Lima bekräftigt. Diese Phase der Nichtintervention und Akzeptanz hatte nur bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges Bestand - dem Druck des Kalten Krieges aber war sie nicht gewachsen. Im Kampf gegen die »kommunistische Bedrohung« räumte sich Washington umfassende Rechte ein, politisch und militärisch zu intervenieren.

Der nationale Sicherheitsrat erklärte 1950 praktisch alle Maßnahmen für legitim, die der Verteidigung der Demokratie und - in dieser Lesart - dem Kampf gegen sozialistische Initiativen dienten. Dies war der Auftakt zu zahllosen Interventionen, nun auch in Südamerika. Der Auslandsgeheimdienst CIA erging sich in demokratisch und moralisch nicht zu legitimierenden Maßnahmen, die Zehntausende das Leben kosteten. Erst nach dem Fall der Berliner Mauer und dem Ende des Kalten Krieges entspannten sich die Beziehungen kurzzeitig. Doch die Reaktion der USA auf die Anschläge des 11.9.2001 schürte alte Ängste: Die Sicherheitsdoktrin der USA aus dem Jahr 2002, die ein Recht auf frühzeitige Präventivschläge im Widerspruch zum Völkerrecht einräumt, weckte in Lateinamerika tiefes Misstrauen.

Die USA nähren dieses Misstrauen immer wieder: durch die Rückkehr der vierten Flotte in die Gewässer Lateinamerikas im Jahr 2008 - 58 Jahre nach ihrer Demobilisierung -, durch den Abhörskandal um die NSA, welche sowohl lateinamerikanische Regierungschef_innen wie die Präsident_innen Mexikos und Brasiliens belauscht als auch strategisch wichtige Wirtschaftsunternehmen wie das brasilianische Mineralölunternehmen Petrobras ausspioniert, und auch durch die geplante Einrichtung neuer Militärbasen in Kolumbien, Peru und Zentralamerika. Zwar droht dort nicht ernsthaft eine militärische Intervention - auch wenn die Präsidenten Kubas und der selbsterklärten sozialistischen Regierungen des 21. Jahrhunderts, Bolivien, Ecuador, Nicaragua und Venezuela, diese Gefahr gern betonen, um die Reihen ihrer Landsleute zu schließen. Doch gilt es besonders in der lateinamerikanischen Linken als ausgemacht, dass infolge der Doktrin die USA wieder einmal ihre wirtschaftlichen Interessen mit militärischen Mitteln und mithilfe des Geheimdienstes durchsetzen.



Ideologie als Kompass

In Lateinamerika hat das Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines Landes hohen Stellenwert. Die Bedeutung der nationalen Souveränität kann, gerade für die Linke, kaum überschätzt werden - herrscht doch verbreitet das Gefühl vor, diese Souveränität erst jetzt, 200 Jahre nach der formellen Unabhängigkeit, wirklich erlangt zu haben. Entsprechend stößt das 2005 von den UN beschlossene Prinzip zur Schutzverantwortung - responsibility to protect (r2p) - auf ein geteiltes Echo. Wie in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern wird auch in Lateinamerika befürchtet, dieser Grundsatz könne zum Einfallstor für militärische Interventionen der Industriestaaten und zur Verletzung der nationalen Souveränität werden. Als Mechanismus zum Sturz missliebiger Regime ist die r2p eher gefürchtet denn geachtet. Das Beispiel Libyens hat das Misstrauen noch bestärkt. Allerdings nimmt Lateinamerika in dieser Frage keine einheitliche Haltung ein. Länder wie Argentinien, Chile, Guatemala und Mexiko unterstützen traditionell die Anwendung des Prinzips, basierend auf humanitären Gründen und dem Schutz der Menschenrechte. Bolivien, Ecuador, Kuba, Nicaragua und Venezuela - allesamt Mitglieder des Integrationsbündnisses Bolivarianische Allianz für die Völker unseres Amerika (ALBA) - sehen eher die Gefahr des Missbrauchs zur Rechtfertigung ausländischer Interventionen. Brasilien hat zunächst gezögert, unter der Regierung von Dilma Rousseff aber inzwischen einen eigenen Vorschlag zur r2p präsentiert.

Das Abstimmungsverhalten innerhalb der UN ist wenig überraschend - so stimmte Kolumbien 2012 bei sechs von acht vom US-Außenministerium als besonders wichtig erachteten Abstimmungen mit den USA, die fünf genannten ALBA-Mitglieder nie. Doch Chile und Mexiko z. B. votierten ebenfalls nur bei einem guten Drittel der Abstimmungen auf einer Linie mit Washington. Auf ähnliche Werte kommen auch Argentinien und Brasilien. Bei den ALBA-Staaten wird das Verhalten bestimmt durch die kritische Position gegenüber den USA, die eine Zustimmung zu US-Initiativen verbietet.


Regionale (Des-)Integration im Schatten der USA

Die hier zutage tretende Divergenz innerhalb der Region zeigt sich auch in den diversen Integrationsforen. Dabei stimmt man durchaus darin überein, dass Lateinamerika eine größere Unabhängigkeit von Washington anstreben sollte - die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) erfreut sich allgemein keiner großen Beliebtheit. Deren Gründung erfolgte bereits 1948 auf Initiative der USA. Ziel war es, den Einfluss der Sowjetunion zurückzudrängen. Die Organisation mit Sitz in Washington wurde zur politischen Unterstützung der Invasionen in der Dominikanischen Republik, Guatemala und Kuba herangezogen. Von einer derartigen Instrumentalisierung für US-amerikanische Interessen hat sie sich bis heute nicht erholt, zumal sie finanziell weiterhin von der US-Regierung abhängig ist. Zudem sind Expert_innen aus Nordamerika in ihren Reihen überproportional vertreten. Die OAS ist ein zahnloser Tiger, der dennoch von der Linken mit Argwohn bedacht wird. Diese blockiert mit dem Vorwurf der Parteilichkeit auch lohnenswerte Mechanismen der OAS oder weist inhaltlich begründete Kritik pauschal mit dem Hinweis auf imperialistische Handlangerschaft zurück.

2010 wurde mit der Gemeinschaft Lateinamerikanischer und Karibischer Staaten (CELAC) ein Integrationsmodell ohne Beteiligung der USA und Kanadas geschaffen, dafür aber - anders als die OAS - mit Kuba. CELAC geht auf eine Initiative des verstorbenen venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez zurück - auch über den Tod hinaus neben Fidel Castro die zentrale Identifikationsfigur der Linken in Lateinamerika. Die Gründung der CELAC erscheint folgerichtig, gibt es doch de facto derzeit zwischen den USA und Lateinamerika weder eine gemeinsame Agenda noch einen solchen Wertekanon.

Doch auch CELAC leidet wie die übrigen innerlateinamerikanischen Integrationsbemühungen darunter, dass es bislang wenig greifbare Resultate gibt. Tatsächlich scheint zuletzt nur ein Bündnis nennenswerte Fortschritte gemacht zu haben: Ausgerechnet die umstrittene Pazifik-Allianz kann eine gewisse Dynamik vorweisen. In der Auseinandersetzung um diese Allianz manifestiert sich die Spaltung der Region entlang ideologischer Linien. Die linken Regierungen plädieren für politisch- und entwicklungsorientierte Allianzen, die über reine Handelserleichterungen weit hinausgehen. Dem steht die Pazifik-Allianz der Gründungsmitglieder Chile, Kolumbien, Mexiko und Peru gegenüber. Ihr explizites Ziel ist der freie Austausch von Gütern, Dienstleistungen, Kapital, Investitionen und Arbeitskräften.

Auch der Disput um die regionale Integration kommt nicht ohne den Rückgriff auf die Weltmacht im Norden aus. Die ALBA nahestehenden Bewegungen und Parteien sehen in der Pazifik-Allianz eine Wiederauferstehung des verhassten ALCA-Projekts - dem Amerikanischen Freihandelsraum, einst von George W. Bush ausgerufen und durch den Widerstand der Staaten des regionalen Integrationsbündnisses Gemeinsamer Markt des Südens (MERCOSUR) verworfen. Entsprechend halten sie den Mitgliedern der Pazifik-Allianz vor, die geopolitischen Interessen der USA zu vertreten. Aus diesem Blickwinkel ist die Allianz vom Imperialismus initiiert, um die regionale Integration Lateinamerikas zu behindern. Gestützt wird diese These durch die Mitgliedschaft Kolumbiens und Mexikos in der Allianz, die beide zu eng mit den USA liiert sind, um großen Einfluss in Lateinamerika geltend machen zu können. Ausgerechnet die Pazifik-Allianz scheint so den seit dem Tod von Hugo Chávez geschwächten antikapitalistischen und antiimperialistischen Kräften neues Leben eingehaucht zu haben. Die als sozialdemokratisch verorteten Regierungen wie die uruguayische oder die zweite Regierung Bachelet in Chile dagegen sehen in der Pazifik-Allianz v. a. wirtschaftliches Potenzial. Ähnlich der brasilianischen Regierung unter Dilma Rousseff neigen sie eher zu pragmatischen Herangehensweisen als zu ideologischen Grundsatzentscheidungen.

Am Beispiel der Pazifik-Allianz zeigt sich, dass die Außenpolitik der lateinamerikanischen Regierungen und v. a. das Verhältnis zu den USA noch heute stark vom Freund-Feind-Denken des Kalten Krieges geprägt sind. Einige Regierungen wie die von Guatemala, Honduras, Kolumbien, Panama und Peru suchen aus meist sicherheits- oder wirtschaftspolitisch motivierten Gründen den Schulterschluss mit den USA; sie übernehmen deren außen- und handelspolitische Orientierung bzw. verhalten sich bei Abstimmungen aus nordamerikanischer Perspektive zumindest unauffällig. Die ALBA-Mitglieder dagegen sehen Washington als Antipode und suchen Beziehungen zu den tatsächlichen oder vermeintlichen Widersachern, darunter solch umstrittenen Regenten wie Al-Assad, Gaddafi und Ahmadinedschad. Diese Nähe mag unappetitlich wirken, stellt aber kein Bedrohungspotenzial auf internationaler Ebene dar. Eine ernsthafte militärische Unterstützung solcher Regenten durch die ALBA-Regierungen ist nicht zu befürchten. Allerdings zeugen beide Haltungen nicht eben von dem souveränen Habitus, der 200 Jahre nach dem Erlangen der formellen Unabhängigkeit in der Region betont wird. An Argentinien, Brasilien, Chile und Mexiko aber zeigt sich, dass gerade die größeren Länder ihre Außen- und Handelspolitik zunehmend eigenständig und differenziert gestalten.



Skizzen eines Neuanfangs

Doch auch Washington ist in seinem Verhältnis zu Lateinamerika in der Zeit des Kalten Krieges stehen geblieben. Noch immer nehmen es die Nordamerikaner_innen ihren südlichen Nachbarn übel, wenn diese in der Außenpolitik eigenen Prämissen folgen. Diese Erfahrung mussten etwa die Brasilianer_innen machen, als ihre Regierung unter Luiz Inácio Lula da Silva 2010 gemeinsam mit der Türkei einen Kompromiss zur Lösung des iranischen Nuklearkonflikts vorschlug. Washington ließ die Initiative kurzerhand ins Leere laufen, nicht zuletzt, um eine alternative Diplomatie aufstrebender Mächte zu verhindern. Erkennbar sind die USA nicht daran interessiert, den globalen Süden bei geostrategischen Entscheidungen auf Augenhöhe einzubeziehen. Das kommt im zunehmend selbstbewusst auftretenden Lateinamerika nicht gut an.

Die US-Administration verweigert sich zudem einer Debatte der für Lateinamerika zentralen Punkte, seien es Drogenpolitik, Waffenexporte oder Migration. Die Lateinamerika-Bilanz von Barack Obama ist bislang enttäuschend. Die Gelegenheit zur Entspannung wurde verpasst, und es sieht nicht so aus, als könnte sich während seiner letzten Amtsjahre daran etwas ändern. Für eine Neuaufstellung der Beziehungen sind Reformen in einigen zentralen Bereichen unabdingbar.

Ein Schlüssel zur Besserung des Verhältnisses ist Kuba. Bei den bisher zwischen Washington und Havanna vereinbarten Maßnahmen zur Entspannung ihrer Beziehungen handelt es sich eher um Schönheitskorrekturen als um wirkliche Reformen. Die Conditio sine qua non ist die Aufhebung des Handelsembargos. Washingtons Versuch, Kuba zu isolieren und als antidemokratischen Paria zu diskreditieren, ist eklatant gescheitert. Im Gegenteil bewirkt dies in Lateinamerika weit über die Linke hinaus eine bis heute fortdauernde Idealisierung des Castro-Regimes, in ausgeprägter Ignoranz der Menschenrechtsverletzungen. Weitestgehend isoliert steht vielmehr Washington da. Das jahrzehntealte Handelsembargo hat nicht im Mindesten zur Besserung der Menschenrechtslage auf Kuba beigetragen. Die Strategie der USA, von außen einen Regierungswechsel herbeizuführen, wirkt in Lateinamerika überaus abschreckend. Dort setzt man auf einen sanften Übergang zu mehr ökonomischen und politischen Freiheiten - sofern man überhaupt auf einen Übergang setzt.

Auch im Verhältnis zu den Global Playern der Region sollten die USA einen Neuanfang wagen. Brasilien muss als strategischer Partner in Washington endlich anerkannt, Mexiko stärker gehört werden. Neben den bereits genannten Themen sollten eine gemeinsame Energie- und Klimapolitik sowie eine Reform der internationalen Institutionen und eine equitative Neuausrichtung der Handelsbeziehungen auf die gemeinsame Agenda gesetzt werden. Washington verfolgt derzeit allerdings mit dem geplanten Pazifischen Abkommen eine Handels- und Investitionspolitik ganz nach dem tradierten Muster, die eigenen Konzerne einseitig zu begünstigen. Überdies verlangt Lateinamerika nach einer neuen Balance der globalen Beziehungen mit einer Aufwertung des Südens.

Nicht unerwähnt aber sollte bleiben, dass Lateinamerika sich auf internationalem Parkett selbst schwächt durch seine mangelnde Einheit und den Vorrang des Ideologischen; dies gilt für geostrategische Debatten wie auch etwa in den erwähnten Handelsfragen. Aus der Region kamen in den letzten Jahren gute Vorschläge zu Reformen in den unterschiedlichsten Bereichen, sei es zum Einbezug der Zivilgesellschaft in den Integrationsforen, sei es zu einem alternativen Investitionsschutzsystem oder zu ambitionierteren Zielen in den Klimaschutzverhandlungen. Häufig aber verschwinden diese hinter überzogener anti-nordamerikanischer Rhetorik, oder sie leiden unter mangelndem Rückhalt in der eigenen Region. Brasilien mag Erfolg damit haben, seine Verbündeten in anderen Teilen der Welt zu suchen - die übrigen lateinamerikanischen Staaten sind jedoch dringend auf den Rückhalt der Region angewiesen, wollen sie global gehört werden.

Die reflexhafte Rückbesinnung auf den Antiimperialismus als identitätsstiftendes Element der Linken in Lateinamerika ist aber nicht nur außenpolitisch nachteilig. Sie hemmt auch die Vertiefung der Demokratie nach innen. So sieht die lateinamerikanische Linke über gesellschaftspolitisch reaktionäre Ansichten an ihrem Rand großzügig hinweg. Äußerungen, die jedem/r konservativen Politiker_in aufs Schärfste angekreidet würden, etwa zur Abtreibung oder zur Gleichstellung homosexueller Partnerschaften, werden ignoriert. Die von einigen linken Regierungen oft bemühte Warnung vor einer Destabilisierung von außen dient der Verteidigung autoritärer Maßnahmen wie etwa Eingriffen in die Pressefreiheit oder einer Einschüchterung der Zivilgesellschaft. Skeptiker_innen werden gebrandmarkt als Handlanger_innen der Yankees - der schlimmste Vorwurf in Lateinamerika. Mit den Inhalten der Kritik muss man sich in dieser Lesart nicht mehr auseinandersetzen. Es zeigt sich, dass die Doppelmoral, die gerade die lateinamerikanische Linke den USA häufig vorwirft, ihr selbst ebenso zu eigen ist. Solange sie aber zu einer emanzipierten Differenziertheit nicht bereit ist, kann die Region auf globaler Ebene nichts zur Lösung bestehender Konflikte beitragen. Das ist angesichts ermutigender Initiativen überaus bedauerlich.



Über die Autorin

Claudia Detsch ist Direktorin der Zeitschrift Nueva Sociedad der Friedrich-Ebert-Stiftung mit Sitz in Buenos Aires, Argentinien.

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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. April 2014