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LATEINAMERIKA/1464: Kolumbien-Friedensprozess - Kein Frieden ohne Aufarbeitung (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 19 vom 9. Mai 2014
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Kein Frieden ohne Aufarbeitung
Dem Kolumbien-Friedensprozess droht ein vorzeitiges Ende

von Günter Pohl



Die Friedensverhandlungen zwischen kolumbianischer Regierung und den Aufständischen der Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC) befinden sich augenblicklich im dritten der sechs vorgesehenen Kapitel, bei dem es um die illegalen Drogenanpflanzungen geht. Zuvor hatte es partielle Übereinkünfte bei der Landverteilungsfrage und der Teilhabe im politischen System Kolumbiens gegeben.

Die Verhandlungen starteten im November 2012 in Havanna. Nach einer schwierigen Phase im August des letzten Jahres waren sie zwar langsam, aber kontinuierlich weitergegangen. Jetzt, wo bereits die letzten Themen (Waffen, Opferentschädigung und Bestätigung der Verhandlungsergebnisse) parallel vorbereitet werden, drohen wieder Hindernisse, da die Regierung sich nicht dem Geist der ursprünglichen Vorvereinbarung für einen "dauerhaften und gerechten Frieden in Kolumbien", veröffentlicht im Sommer 2012, verpflichtet fühlt. Für die FARC ist im Hinblick auf eine Übereinkunft die Bestätigung von Endergebnissen nur mit einer Verfassunggebenden Versammlung denkbar; genau das aber lehnen die Regierenden und Herrschenden ab (zu den Inhalten des FARC-Vorschlags siehe UZ vom 10. Januar), die das Ganze allenfalls parlamentarisch bestätigen wollen. Auch geht die Regierungsdelegation auf den letztes Jahr vorgebrachten Wunsch nach einer Wahrheitskommision nach nordirischem und südafrikanischem Vorbild nur dergestalt ein, dass diese erst nach einer Waffenübergabe der FARC angegangen werden solle. Der kolumbianischen Oberschicht ist die Beteiligung des Volkes seit jeher ein Graus; zum anderen wollen sie die FARC-Kommandanten nach Havanna im Gefängnis sehen. Für die FARC sind die Friedensgespräche jedoch beendet, wenn es die Wahrheitskommission nicht gibt und stattdessen ein "Nürnberger Tribunal" gegen ihre Kommandanten eingerichtet wird. "Man wird die FARC keine Unterschrift unter ein Ende des Konflikts leisten sehen, wonach die Kommandanten ins Gefängnis gehen. Ich bin immer frei durch Kolumbien gegangen, von der ecuadorianischen zur brasilianischen oder venezolanischen Grenze, und niemand hat mich je gefangen genommen. Sollen wir auf diese Freiheit verzichten, die wir durch unsere militärische Fähigkeit haben, um am Ende im Gefängnis zu sein?", fragte Andrés París, einer der Verhandlungsführer in Havanna, in der vergangenen Woche.

Medial vorbereitet hatte die Regierung ihren Vorstoß gegen Forschungen zur Verantwortung des Staates an den Verbrechen im seit 1948 anhaltenden Krieg mittels einer Studie des "Zentrums der geschichtlichen Erinnerung", die alle Schuld nur bei den Guerillas sieht. Nach der 2013 veröffentlichten Untersuchung gab es bis 2012 etwa 220 000 Tote, 25 000 Verschwundene und 5,7 Millionen Vertriebene. Angaben praktisch aller nationalen oder internationalen Gruppen, sei es aus dem Sektor der Nichtregierungsorganisationen oder auch vom UN-Kommissariat für Menschenrechte oder Flüchtlingsfragen, würden dagegen allein diese Zahlen den staatlichen und parastaatlichen Kräften zuordnen. Verbrechen seitens der diversen Guerillas stehen dabei allenfalls für fünf Prozent der Opferziffern, unabhängig von deren wirklicher Höhe. Wobei die völlig ungleichen Kriegsführungsmöglichkeiten und -zwänge, die auf Seiten der Guerilla zuweilen unabdingbar zu überstürzten und nicht immer kontrollierten Rückzugsgefechten führen, nicht einmal berücksichtigt sind.

Derzeit werden die Verhandlungen natürlich auch von den für den 25. Mai geplanten Präsidentschaftswahlen beeinflusst. Präsident Juan Manuel Santos versucht im Lichte von Havanna zu Hause zu punkten: gegenüber dem Kandidaten von rechts, dem Uribe-Mann Óscar Zuluaga, mit einer harten Haltung gegenüber den FARC - gegenüber den Konkurrenten, die eher eine ausgehandelte Lösung befürworten, mit der Aussicht auf ebensolche Möglichkeiten. Immerhin liegt er derzeit mit seinem Bündnis "Unidad Nacional" nach Umfragen mit kaum 30 Prozent vor Zuluaga und Enrique Peñalosa vom "Grünen Bündnis" in Führung. Auf Platz 4 liegt derzeit die Kandidatin der Konservativen Partei, Marta Lucía Ramírez, knapp vor Clara López. Die Kandidatin des Alternativen Demokratischen Pols hatte sich mit Aída Avella (Patriotische Union) auf eine gemeinsame Kandidatur der Linkskräfte verständigt, nachdem beide bei den Parlamentswahlen im März zu den Verlierern gehört hatten.

Die FARC werden mit egal wem weiter verhandeln: "Unser Kandidat ist sowieso die Verfassunggebende Versammlung als Bestätigungsmechanismus der Verhandlungen", sagt Andrés París. Dabei sind die Guerillaführer "nicht mit Maximalforderungen nach Havanna gefahren, sondern mit Minimalvorschlägen, mit denen die Türen für eine Demokratie mit offenen Debatten ohne Gefahr von Kugeln des Staatsterrorismus gegen die Opposition geöffnet werden", so die Chefunterhändler Iván Márquez und Jesús Santrich in einem Interview mit der Nachrichtenagentur PIA. Wenn aber die Verhandlungen scheitern, geht der Krieg genauso weiter wie er auch schon während der letzten eineinhalb Jahre nicht gestoppt wurde, weil die Regierung mehrere einseitige Waffenstillstände der FARC nicht positiv erwidert hatte. Fidel Rondón, einer der FARC-Unterhändler in Havanna und ehemaliger Kommunalabgeordneter der von Paramilitärs in den 80er Jahren nahezu vollständig ausgelöschten Patriotischen Union, sagte in einem Interview auf eine entsprechende Frage: "Wir sind in der Lage dem Establishment politische Zugeständnisse abzuringen, wenn es nötig ist, aber wir sind auch in der Lage den Guerillakampf auf unbestimmte Zeit zu verlängern, wenn es nicht zu substantiellen Änderungen kommt, die Frieden mit gesellschaftlicher Gerechtigkeit möglich machen."

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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 46. Jahrgang, Nr. 19 vom 9. Mai 2014, Seite ...
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Mai 2014