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NAHOST/1071: Das Dubai-Modell - Stabilisierung durch Stadtentwicklung (inamo)


inamo Heft 89 - Berichte & Analysen - Frühling 2017
Informationsprojekt Naher und Mittlerer Osten

Das Dubai-Modell - Stabilisierung durch Stadtentwicklung

von Christian Steiner


Die auf den Bau hyperrealer Großprojekte und ikonischer Gebäude ausgelegte Stadtentwicklungsstrategie Dubais fand bis zum Ausbruch der Finanzkrise 2008/09 eine enorme globale Aufmerksamkeit und war Vorbild für viele arabische Staaten. Der vorliegende Artikel diskutiert daher die grundlegende Funktionsweise des Dubai-Modells der Stadtentwicklung. Es zeichnet sich ab, dass neben erheblichen ökonomischen Gewinnen vor allem auch ein politischer Legitimationsgewinn mit dem Bau hyperrealer Projekte erzielt werden kann, der dazu dient, die herrschenden Machtverhältnisse zu stabilisieren.

Gerade im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends war die Berichterstattung über Stadtentwicklung in den arabischen Golfstaaten geprägt von der Ankündigung und dem Bau immer noch spektakulärerer Großprojekte, die weltweit Faszination hervorriefen.


Stadtentwicklung als Wettlauf um Anerkennung

Es schien, als befänden sich die Golfstaaten in einem Wettrennen um die Errichtung künstlicher Inseln und neuer Stadtteile im oder am Meer (bspw. The Palm und The World Islands in Dubai, The Pearl in Qatar, Two Seas Islands in Bahrain oder The Wave im Oman). Es wurden immer neue architektonisch spektakulärere und imagebildende Hochhäuser (z.B. der Burj Khalifa in Dubai oder der Kingdom Tower in Riyadh) und Hotels wie aus Tausendundeiner Nacht (wie das Burj Al Arab in Dubai oder das Emirates Palace Hotel in Abu Dhabi) gebaut. Architektonisch eindrucksvolle Museumsneubauten (wie der Louvre und das Guggenheim Museum in Abu Dhabi oder das Museum of Islamic Art in Doha) wetteifern wiederum mit extravaganten Shopping Malls (wie der Ibn Battuta oder der Dubai Mall in Dubai) und aufsehenerregenden Sportanlagen (so der Ski Dubai Hall, den WM-Fußballstadien in Qatar oder den Formel-Eins-Rennstrecken in Bahrain und Abu Dhabi) um Beachtung. Die Liste der Architekten, die für diese Projekte engagiert wurden, liest sich wie das Who's Who der internationalen Architekturszene mit Namen wie Norman Forster, Frank Gehry, Jean Nouvel, Zaha Hadid, Tadao Ando und I.M. Pei. Als Ergebnis dieses Wettlaufs um globale Aufmerksamkeit und Anerkennung haben sich die Stadtlandschaften in den arabischen Golfstaaten in den letzten zwanzig Jahren tiefgreifend verändert.

Die Schattenseiten dieser Entwicklungen wurden in der globalen Öffentlichkeit jedoch nur sehr unzureichend zur Kenntnis genommen, obwohl Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und Human Rights Watch immer wieder von sklavenähnlichen Ausbeutungsverhältnissen der Heerscharen von Arbeitsmigranten aus Südasien berichten, die in der Bauwirtschaft beschäftigt sind. Sie müssen nicht nur ihre Flüge an den Golf abarbeiten, sondern bekommen oft ihre Pässe abgenommen, so dass sie den Arbeitgeber nicht wechseln und das Land nicht verlassen können, müssen häufig in engen und teils unklimatisierten Unterkünften in der Wüste wohnen und bei Temperaturen bis 40°C im Schatten schwer körperlich arbeiten, nur um mit weniger als 150 USD/Monat regulär entlohnt zu werden. Blendete man derartige frühkapitalistisch anmutenden Arbeitsverhältnisse fast vollständig aus, glich hingegen das vorläufige Ende der städtebaulichen Boomphase einem globalen Paukenschlag, nachdem Dubai Ende 2009 beinahe zahlungsunfähig geworden war. Dies war auch deshalb ein Schock, weil sich Dubai gleichsam als ein Modell für die Stadtentwicklung in der Golfregion und weit darüber hinaus etabliert hatte.

Die dynamische Stadtentwicklung in den Golfstaaten lässt sich daher kaum verstehen, wenn man sich nicht auch mit der grundlegenden Funktionsweise des Dubai-Modells und der ihr zugrundeliegenden Verflechtung von Politik und Wirtschaft im Emirat beschäftigt. Um zu verstehen, worin genau die wirtschaftliche und politische Attraktivität einer solchen auf aufsehenerregende Großprojekte ausgelegten Stadtentwicklungsstrategie für die sie vorantreibenden lokalen Eliten begründet liegt, wird der Blick im Weiteren vor allem auf die Zeit vor Ausbruch der Finanzkrise gelenkt.


Die politische Ökonomie der Stadtentwicklung in Dubai

Die politisch-ökonomischen Wurzeln des Booms in Dubai reichen zurück bis in die 1990er Jahre, die von einem weltweiten Überschuss an Investmentkapital geprägt waren. Auch in die Golfregion strömte eine große Menge Kapital, das hauptsächlich aus drei Quellen stammte: [1] erstens aus Iran und Irak, deren Volkswirtschaften aufgrund der gegen sie verhängten Sanktionen sowie der steigenden politischen Spannungen und der Kriege in der Region keine Kapitalverwertungsmöglichkeiten mehr für deren Eliten bereit hielten. Zweitens aus den USA, aus denen arabische Anleger nach dem 11. September 2001 in großem Umfang Anlagekapital abzogen, nachdem die USA gedroht hatten, arabische und islamische Investitionen einzufrieren. Und drittens aus den Exporteinnahmen des Erdöls, dessen Preis von 25 USD im Jahr 2002 bis auf 147 USD im Juli 2008 kontinuierlich und extrem angestiegen war und hunderte Milliarden USD in die Kassen der golfarabischen Eliten spülte.

Genauso wie es einen "Überfluss" an Kapital gab, war auch Land im Überfluss verfügbar, denn der Boden gehört in den arabischen Golfmonarchien traditionell den Herrscherfamilien. Um die bisher ungenutzten und bis dahin wertlosen Wüstenareale im Umfeld der bestehenden Städte in Wert zu setzen, gründeten Familien aus den Herrscherhäusern und der lokalen wirtschaftlichen Elite eigene Gesellschaften zur Investitions- und Immobilienentwicklung. Auch hier fungierte Dubai als eine Art Modell für die anderen Golfstaaten. Sheikh Mohammed bin Rashid Al Maktoum steuerte die Entwicklung des Emirats mit Hilfe eines großangelegten Konglomerats öffentlicher, halböffentlicher und privater Unternehmen und Banken, die durch gegenseitige Beteiligungen untereinander verflochten waren. Unabhängig von den Rechts- und Beteiligungsformen befanden sich alle diese Unternehmen unter dem direkten oder indirekten Einfluss des Sheikhs. Dieser kontrollierte sie über die Regierung des Emirats, oder sie gehörten ihm zumindest mehrheitlich privat, weshalb der Internationale Währungsfonds (IWF) später auch von der "Dubai Incorporated" sprach. [2] Während die Stadtverwaltung zwar offiziell für die räumliche Entwicklungsplanung der Stadt verantwortlich ist, wurden letztlich die wichtigen Entscheidungen jedoch am Hofe des Sheikhs getroffen.

Eine entscheidende Rolle in der Entwicklung des Emirats spielten hierbei dessen Banken, Finanzinstitutionen und Projektentwickler. Die Dubai Investment Corporation (DIC), die sich im Eigentum der Regierung des Emirats befindet, finanzierte mit ihren Tochtergesellschaften direkt oder indirekt die meisten Großprojekte oder plante und baute sie sogar selbst, wie im Falle des Projektenwicklers Emaar (z.B. die Dubai Mall und den Burj Khalifa). [3] Wie eng die Verquickungen zwischen den einzelnen Institutionen des Emirats waren, zeigt sich darin, dass die DIC eigentlich von der Dubai International Financial Centre Authority kontrolliert werden sollte, die jedoch ebenfalls im Besitz der Regierung des Emirats ist. Auch wenn die (Interessen-) Verflechtungen der DIC bereits erheblich waren, bildeten das Herzstück der Stadtentwicklung im Emirat jedoch zwei andere Unternehmen. Zum einen war dies Dubai World, ein privatwirtschaftlich agierendes Holding-Unternehmen im Eigentum der Regierung, das mit seinem Projektentwickler Nakheel beispielsweise die "Palm" und die "World Islands" baute. Die zweite Hauptrolle kam der sich im persönlichen Eigentum des Sheikhs befindlichen Dubai Holding zu, der unter anderem zahlreiche Hotels gehören, wie das berühmte Burj Al Arab. [4] Das durch die Unternehmen der "Dubai Inc." im Emirat investierte Kapital wurde dadurch vervielfacht, dass einige der Unternehmen an die Börse gingen sowie im großen Stil Immobilienfonds und Unternehmensanleihen auflegten. [5]

Trotz des Zuflusses externen Kapitels wurde so Dubais Stadtentwicklung zu einem überwältigend großen Teil auf dem einen oder andern Weg durch den Sheikh und seinen Hof finanziert, organisiert und kontrolliert. Wichtig ist dabei, dass sich die Kontrolle des Sheikh nicht nur auf das Kapital und die ausführenden Projektentwickler erstreckt, sondern er auch das Land, die rechtlichen Rahmenbedingungen, die Genehmigungsbehörden und die Entscheidungsprozesse in der Hand hat. Dieser umfassende Zugriff wird dadurch noch begünstigt, dass in den autoritären Golfmonarchien extrem unterentwickelte und undurchsichtige rechtliche Regulationsmechanismen im Baubereich vorherrschen sowie jedwede öffentliche Beteiligung der lokalen Bevölkerung an den Planungsprozessen fehlt. [6] Demgegenüber würden derartig teure und großmaßstäbliche Stadtentwicklungsprojekte in Europa in der Regel heftige und kontroverse Debatten in der Öffentlichkeit hervorrufen, die nicht nur den Planungs- und Bauverlauf verzögern, sondern auch das eine oder andere Projekt verhindern würden - sei es aus ökologischen, sozialen oder finanziellen Gründen.

Vor diesem Hintergrund verwundert es kaum, dass die Planungs- und Bauphasen für Großprojekte in Dubai im Vergleich zu Deutschland unglaublich kurz sind. Die äußerst dynamische und schnelle Stadtentwicklung Dubais und der anderen Städte am Golf kann daher nicht losgelöst von deren undemokratischen politischen Systemen und autoritären Herrschaftsstrukturen verstanden werden.


Vom Nutzen aufmerksamkeitsheischender Großprojekte

Auch wenn diese politökonomischen Strukturen verständlich machen, warum die lokalen Eliten in der Lage sind, aufmerksamkeitsheischende Großprojekte zu realisieren, erklären sie noch nicht die Gründe dafür, dies auch zu tun. Gerade die teuren Großprojekte erscheinen in besonderer Weise geeignet, ein neues Image der Golfstaaten zu kreieren, das ideal globalen Marketingerfordernissen entspricht und der herrschenden Eliten einen erheblichen ökonomischen und politischen Nutzen bietet.

Um dies zu verstehen, erscheint es sinnvoll, sich des von Jean Baudrillard entworfenen Konzepts der Hyperrealitäten zu bedienen. [7] Ihm zufolge zeichnen sich Hyperrealitäten dadurch aus, dass sie die Differenz zwischen Original und Kopie so stark verwischen, dass sie "wirklicher" erscheinen als ihre Vorbilder - und in diesem Sinne hyperreal werden. Die meisten der Großprojekte in Dubai stellen genau solche Hyperrealitäten dar. Einige von ihnen imitieren mehr oder weniger genau historische oder natürliche Vorbilder. "Traditionelle" Souks wie der Souk Al Arsah im benachbarten Sharjah oder "Kulturerbe"-Stätten wie das Hatta Village oder das Dubai Heritage Village referieren durchaus noch auf historische Vorbilder und Wurzeln. Sie wurden jedoch zumindest auch partiell wiederaufgebaut, um ein geschöntes und aseptisches Bild arabischer Golfarchitekturen präsentieren zu können. Auch die "Ski Dubai"-Halle gehört zu dieser Art Hyperrealitäten; allerdings ist ihr bereits eine gewisse Paradoxie nicht abzusprechen, schließlich bringt sie eine Skisporteinrichtung in eine Wüstengesellschaft.

Während derartige Projekte reale Vorbilder noch mehr oder weniger zu kopieren und imitieren suchen, macht die Hyperrealisierung der Städte am Golf an dieser Stelle keineswegs Halt. Immer mehr Projekten fehlt eine klare räumliche, historische und soziale Einbettung in ihren jeweiligen Kontext. Sie kombinieren und zitieren eklektisch Architektur- und Kunststile aus unterschiedlichen Epochen und Räumen, um so ein neues, postmodernes Bild des Orients zu erschaffen. Shopping Malls wie die Ibn Battuta Mall in Dubai dienen in diesem Sinne dann nicht mehr nur als Einkaufszentren, sondern stellen eine Art architektonischen "Edutainment-Park" dar, der vorgibt, zahlreiche historische Architekturstile und Artefakte vom Maghreb bis China lehrreich zu präsentieren. Die Reihenfolge der ausgestellten Elemente folgt dabei der Reiseroute des berühmten marokkanischen Geographen Ibn Battuta; die Auswahl versucht so die Mall in einer kosmopolitischen Lesart der arabischen Geschichte zu verorten.

Auch in Medinat Jumeirah werden diverse Elemente der regionalen Architektur neu kombiniert. Diese sind angereicht mit Zitaten aus der indischen Architekturgeschichte. Nachbauten historischer Windtürme werden beispielsweise mit einer Fassadengestaltung kombiniert, die eher an diejenige eines indischen Maharaja-Palastes erinnert als an die eines arabischen Innenhofhauses, das nach außen eher schlicht auftritt. So kann ein "authentischer" golfarabischer Baustil geschaffen werden. Damit soll vor allem die Attraktivität des dortigen "Bazars" und des angeschlossenen Hotels gesteigert werden. Andere Gebäude in der Stadt, wie das Royal Mirage Hotel oder die Wafi Mall, kombinieren noch eklektischer Kunst- und Architekturelemente aus unterschiedlichen Epochen, die zudem aus unterschiedlichen Ländern der arabischen Welt wie Marokko, Ägypten, Syrien und den Golfstaaten stammen.

Solche willkürlichen Stilkombinationen sind keineswegs nur als Ausdruck einer um sich greifenden postmodernen Beliebigkeit in der Architektur zu sehen. Vielmehr führen sie zu einer Art "Orientalisierung des Orients" [8], die die im Westen verbreiteten exotischen und orientalistischen Bilder der arabischen Welt aufgreift, materialisiert und so eine neue Hyperrealität des Orients schafft. Diese ist noch "märchenhafter" als das imaginierte "Original" und weist damit über die historisch gewachsene, soziokulturelle Realität weit hinaus. Das so produzierte "authentisch"-neue Bild des Orients ist allerdings im Gegensatz zur Realität klinisch rein, kalkulierbar und frei von jedweden unangenehmen Erfahrungen und Überraschungen. Eine derartige Stadtentwicklung transformiert die Stadt zunehmend in einen Disneyland ähnlichen Themenpark, der entsprechend postmoderner Konsumbedürfnisse gestaltet wird. [9] Um diesen Zweck zu erfüllen, muss diese Art von Projekten jedwede eindeutige räumliche, historische und soziale Bezugnahme vermeiden. Sie verliert damit einerseits an lokaler Einbettung. Andererseits sind derartige Projekte aufgrund ihrer Beziehungslosigkeit als Symbole nicht bereits mit Bedeutung aufgeladen und eignen sich ideal, um ein neues, artifizielles Image im Rahmen von Stadtmarketingkampagnen zu schaffen.

Dass hierzu Architektur eine besondere Rolle spielen kann, ist keineswegs neu. Auch New York, Bilbao, Shanghai oder Sydney haben bewusst Architektur genutzt, um auf der globalen Landkarte sichtbar zu werden. Durch die Fokussierung auf den Bau hyperrealer Imageträger ist es den Projektentwicklern am Golf jedoch möglich, hierfür nicht an gewachsene sozio-historische Identitäten anschließen zu müssen. Am effizientesten dazu haben sich aufsehenerregende, ikonische Megaprojekte erwiesen. Dubai hat diese Strategie sicherlich auf die Spitze getrieben und so sein gesamtes Stadtimage mit immer neuen Superlativen - das höchste, das größte, das teuerste, das luxuriöseste - komplett umgeschrieben. [10]

Die gigantischen Waterfront-Projekte in Dubai wie der Bau der Palm and The World Islands sind gute Beispiele für eine solche Strategie. Sie verlängern zunächst die Küstenlinie des Emirats extrem und bieten so viele wertvolle Grundstücke mit Meereszugang, die man teuer verkaufen kann. Darüber hinaus ist ihre Gestalt jedoch eigentlich nur aus der Luft wahrnehmbar, nicht aber, wenn man sich auf ihnen bewegt. Ihre Form dient ausschließlich dazu, das Image des Emirats grundlegend zu verändern, indem sie als dessen medial verstärktes Symbol dienen. Nicht umsonst kreierte der sich in staatlicher Hand befindliche Projektentwickler Nakheel für seine beiden Projekte den Werbeslogan: "The Palm puts Dubai on the map - The World puts the map on Dubai".

Die globale Aufmerksamkeit, die beiden Projekten zuteilwurde, erhöhte wiederum die erzielbaren Preise nicht nur für die Grundstücke und Häuser auf den beiden künstlichen Inseln selbst, sondern auch in deren städtischem Umfeld. Die gleichen immobilienpreissteigernden Effekte lassen sich auch im Stadtteil Jumeirah in der Umgebung des berühmten Hotels Burj Al Arab feststellen. Das laut Eigenwerbung einzige Sieben-Sterne-Hotel der Welt wurde nicht nur als angeblich luxuriösestes und höchstes Hotelgebäude der Welt errichtet, sondern soll mit seiner Form auch an das Segel einer traditionellen arabischen Dhau, eines früher in der Region verbreiteten Segelschiffes, erinnern. Dieser Bezug steht natürlich in keinem inneren Zusammenhang mit der Funktion des Gebäudes. Er ermöglicht es aber, Dubai mit einer global wahrgenommenen Identität zu versehen, die zumindest irgendwie noch lokale soziokulturelle Bezüge reflektiert. Der Burj Al Arab wurde zweifellos zum Symbolgebäude Dubais schlechthin und erreichte damit einen Bekanntheitsgrad wie der Eiffelturm in Paris, das Brandenburger Tor in Berlin oder das Empire State Building in New York.

Gerüchteweise wurde berichtet, dass die Refinanzierungzeit des Burj Al Arab mehr als einhundert Jahre betrage. Unabhängig davon, ob diese Gerüchte stimmen oder nicht, hat sich das Hotel bereits bezahlt gemacht. Die enorme mediale Beachtung ermöglichte es dem Emirat, ein völlig neues Image der Destination Dubai zu kreieren, das die Grundlage für den touristischen Boom in der Stadt zu Beginn des 21. Jahrhunderts legte. Bis zum Ausbruch der Finanzkrise trugen Dubais Restaurants und Hotels bereits 2,5% zum BIP des Emirats bei. Die Touristen zeichneten darüber hinaus für etwa 55% des Umsatzes im Einzelhandel verantwortlich. Insgesamt, so schätzte das Dubai Department of Tourism and Commerce Marketing, erwirtschaftete der Tourismus durch weitere direkte und indirekte Effekte sogar 30% des BIP des Emirats.

Alles in allem konnte Dubai so zwischen 1990 und 2010 sein BIP rund vervierfachen. Neben dem Tourismus trug hierzu besonders der boomende Bau- und Immobiliensektor bei. Vor 2009 lag der Anteil der Bauwirtschaft am BIP des Emirats mit 12% höher als in allen anderen Ländern weltweit, die wie Spanien, Irland oder Island ebenfalls eine außerordentlich starke Bauaktivität aufwiesen. Hinzu kamen nochmals 18% Anteil am BIP, die die Statistik für den ebenfalls rasch wachsenden Bereich der "Real Estate and Business Services" ausweist. Da der Sheikh einen großen Teil der Firmen, die diese Entwicklung trugen, unter seiner Kontrolle hatte, liegt es nahe, dass die auf diesem Weg erwirtschafteten Profite zu einem erheblichen Prozentsatz in die Tasche der Herrscherfamilie geflossen sein dürften.


Vom politischen Wert hyperrealer Räume

Auch auf politischer und gesellschaftlicher Ebene verfügen die genannten hyperrealen Projekte über einen erheblichen symbolischen Wert. Sie schaffen in den sich extrem stark wandelnden und modernisierenden arabischen Gesellschaften am Golf eine neue zeitgemäße Identität, an der es inhärent zu mangeln scheint. Diese neu geschaffenen Identitätsangebote sind jedoch hochgradig exklusiv. Sie müssen sich nicht nur durch immer neue Superlative von anderen Projekten in der Golfregion und darüber hinaus abgrenzen, um ihre eigene Identität herausbilden zu können, sie müssen auch eine soziale Differenz herstellen, um ihre Exklusivität und damit Marktgängigkeit nicht zu gefährden. Zugangsbeschränkungen, die von Sicherheitsleuten durchgesetzt werden, Eintrittsgebühren, eine hoher Mindestverzehr in Restaurants und Clubs und ihre schiere Extravaganz sorgen dafür, dass die neuen Identitätsorte nur von denjenigen angeeignet werden können, die hierfür über die finanziellen Möglichkeiten verfügen. Die große Masse der in den Golfstaaten lebenden und gering verdienenden Arbeitsemigranten, die allein in Dubai fast 90% der Wohnbevölkerung ausmachen, hat zu derartigen Orten allenfalls als Arbeitskräfte Zugang. Politisch gesehen, kann durchaus davon ausgegangen werden, dass dies gewünscht ist. Denn so spiegelt sich auch der sozioökonomische Statusunterschied zwischen der einheimischen Bevölkerung und den billigen Arbeitskräften aus Asien in der neuen Identität des Emirats wider.

Die Schaffung exklusiver hyperrealer Orte dient jedoch nicht nur Marketingzwecken oder als Beitrag zur Identitätsfindung in einer wirtschaftlich aufstrebenden postkolonialen Gesellschaft. Sie verleiht ihren Eigentümern auch Prestige und Anerkennung und - viel wichtiger - daraus abgeleitet auch politische Legitimation. Bereits der Soziologe Pierre Bourdieu hat hierzu festgestellt, dass ökomische Macht dauerhaft nur dadurch in politische Macht umgewandelt werden kann, dass ökonomisches Kapital dafür verwendet wird, sich symbolisch von anderen abzuheben, womit die Anerkennung in der eigenen Gruppe steigt. [11]

Der politische Wert hyperrealer Bauten und Stadtlandschaften scheint für diese Zwecke besonders hoch zu sein. Da sie als Symbole keinen realen Bezugspunkt haben, werden sie vor allem mit den Eliten assoziiert, die sie bauen ließen. Der Prestigegewinn durch den Bau solcher Projekte ist fraglos in autoritären Staaten wie den Golfmonarchien besonders zweckdienlich, da deren Herrscher heutzutage ihre Macht viel schwieriger legitimieren können, als dies früher der Fall war oder in demokratischen Systemen möglich ist. In diesem Sinne ist das Stadtentwicklungsmodell Dubais eben nicht nur darauf ausgelegt, durch die "Dubai Inc." die Entwicklung der Stadt zu lenken, zu kontrollieren und sich auf diesem Wege an unterschiedlichen Stellen möglichst viel der damit verbundenen Wertschöpfung anzueignen. Die Strategie, Stadtentwicklung durch den Bau hyperrealer und konsumdienlicher Räume voran zu treiben, trägt neben ihren ökonomischen Vorteilen auch dazu bei, die herrschenden politischen Machverhältnisse zu stabilisieren.

Im Zuge der globalen Finanzkrise im Jahr 2009 wäre das Emirat dennoch beinahe zahlungsunfähig geworden. Es konnte nur mit finanzieller Hilfe des reichen Nachbarn Abu Dhabi vor der Pleite gerettet werden und wird seitdem bei der Wiederherstellung seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit vom IWF begleitet. Die wesentlichen Gründe für Dubais Schwierigkeiten lagen in einem überhitzten Immobilienmarkt und einer sehr hohen Verschuldung der Unternehmen der "Dubai Inc." verbunden mit kurzen Kreditlaufzeiten. Als das Vertrauen in die Immobilien- und Finanzmärkte im Zuge der amerikanischen Finanzkrise 2008 global erodierte und es lokal zu immer mehr Kreditausfällen der Immobilienkäufer in Dubai kam, litten die Unternehmen zunehmend unter Liquiditätsproblemen. Einerseits brachen die Verkaufserlöse im Immobiliengeschäft ein, andererseits sahen sich die Banken steigenden Kreditausfällen gegenüber, während gleichzeitig die Refinanzierungsmöglichkeiten abrupt austrockneten. Die Unternehmen im staatlichen oder quasi-staatlichem Besitz waren jedoch zu diesem Zeitpunkt bereits so stark verschuldet, dass sich die Gesamtverschuldung des Emirats im In- und Ausland auf rund 138% seines BIP aufaddierte. Dubai geriet folglich immer mehr in Zahlungsschwierigkeiten. Zum Höhepunkt der Krise wurde Dubai auf den internationalen Finanzmärkten als sechst-schwächster (!) Schuldner der Welt eingestuft. Seit der Rettung durch Abu Dhabi und mit Hilfe des IWF hat sich Dubai vor allem auf eine Restrukturierung seiner Schuldenlast konzentriert, ohne seine grundlegenden finanziellen Probleme bislang lösen zu können. Die städtebauliche Dynamik des Emirats hat vor diesem Hintergrund stark nachgelassen.

Dennoch hat dies der Attraktivität und Strahlkraft seines Stadtentwicklungsmodells in anderen Teilen der arabischen Welt offenbar wenig Abbruch getan - wie die weiteren Artikel in diesem Heft zeigen, versuchen Städte wie Kairo noch immer dem Vorbild Dubais nachzueifern. Ob und wann es allerdings Dubai dauerhaft gelingt, sich aus der Krise zu befreien, scheint gerade vor dem Hintergrund fraglich, dass die Öleinnahmen seiner Nachbarn sinken und damit auch die Zuflüsse von Tourismuseinnahmen, Einzelhandelserlösen und Investitionskapital aus der Region nach Dubai bedroht sind.


Christian Steiner hat Geographie, Politikwissenschaften und Öffentliches Recht studiert und am Center for Research on the Arab World des Geographischen Instituts der Universität Mainz promoviert. Seit 2016 ist er Professor für Humangeographie an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt.


Anmerkungen

[1] Siehe Martin Hvidt: The Dubai model: an outline of key development-process elements in Dubai. International Journal of Middle East Studies, 41(2009), S. 397-418.

[2] International Monetary Fund: United Arab Emirates: Selected Issues and Statistical Appendix. Washington DC: IMF 2011, S. 5.

[3] Emaar ist mittlerweile weit über die Region hinaus mit Entwicklungsprojekten tätig und trägt so zur Verbreitung des Dubaier Modells des Stadtentwicklung erheblich bei. Vgl. hierzu auch den Artikel von Felix Hartenstein in diesem Heft.

[4] Die umfangreichsten Informationen zu den Verflechtungen im Emirat gibt IMF, op. cit., 2011. Erst nachdem Dubai angesichts der finanziellen Turbulenzen 2009 gezwungen gewesen war, den IWF um Hilfe zu ersuchen, mussten die formal privaten Unternehmen ihre bis dahin meist undurchsichtigen Eigentumsverhältnisse offenlegen.

[5] In den anderen Staaten und Emiraten der Region verlief die Entwicklung ähnlich. Vgl. Christian Steiner: Iconic spaces, Symbolic Capital and the Political Economy of Urban Development in the Arab Gulf. In: Steffen Wippel et al. (Hrsg.): Under Construction. Logics of Urbanism in the Gulf Region. Farnham: Ashgate, 2014, S. 20.

[6] Vgl. Yasser Elsheshtawy: From Dubai to Cairo: competing global cities, models and shifting centres of influence? In: Diane Singermann/Paul Amar (Hrsg.): Cairo Cosmopolitan. Politics, Culture, and Urban Space in the New Globalized Middle East. Cairo: The American University in Cairo Press, 2006, S. 28.

[7] Vgl. hierzu vor allem Jean Baudrillard: Simulations. New York: Semiotext(e), 1983 und Simulacra and Simulation. Michigan: University of Michigan Press, 2007.

[8] Ala Al-Hamarneh: Orientalizing the Orient - Postmodern Geographies of Tourism in the Arab World. Conference proceedings of the Second World Congress of Middle Eastern Studies, 11-17 June 2006, Amman, Jordan.

[9] Vgl. für andere Orte bereits George Ritzer/Allan Liska: 'McDisneyization' and 'Posttourism'. Complementary perspectives on contemporary tourism, In: Chris Rojek/John Urry (Hrsg.): Touring Cultures. Transformations of Travel and Theory. London: Routledge, 2000, S. 96-109.

[10] Yasser Elsheshtawy: Dubai: Behind an Urban Spectacle. London: Routledge, 2010.

[11] Vgl. Pierre Bourdieu: Entwurf einer Theorie der Praxis auf der ethnologischen Grundlage der kabylischen Gesellschaft. Frankfurt/Main: Suhrkamp, 1979, S. 349.

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Inhaltsverzeichnis - inamo Nr. 89, Frühling 2017

Gastkommentar
- Mossul ...
... droht die vollständige Zerstörung. Von Jürgen Guilliard

Stadtentwicklung
- Wege zur Neuerfindung der Stadt im Nahen und Mittleren Osten. Von Christian Steiner und Steffen Wippel
- Das Dubai-Modell: Herrschaftsstabilisierung durch Stadtentwicklung. Von Christian Steiner
- Neoliberale Rekonfigurationen und urbane Regeneration in Muscat und Doha. Von Jonas Margraff und Nadine Scharfenort
- Wenn Firmen Städte bauen: El Gouna als Pionier einer unternehmerischen Stadtvision. Von Felix Hartenstein
- Stadtentwicklung im postrevolutionären Kairo: Spiegelbild Dubais oder Keynesianismus auf Droge. Von Khaled Adham
- Tunis und Casablanca: Stadtentwicklungspolitiken zwischen "Worlding" und Sozialverträglichkeit. Von Raffael Beier
- Tanger: Stadtum- und -ausbau zwischen Globalisierung und Fragmentierung. Von Steffen Wippel
- Mekka und Medina, die heiligen Städte Arabiens am Kreuzweg der Geschichte. Von Atef Alshehri
- Zwischen Spiritualität und Kulturtourismus: Neo-Osmanische Stadtentwicklung in Eyüp, Istanbul. Von Ayse Öztürk
- "Duschanbe goes global" - Tadschikistan zwischen Golfisierung und Islamisierung. Von Manja Stephan-Emmrich

Syrien
- John Kerrys Eingeständnis: "Die USA halfen ISIS in Syrien und Russland bekämpfte den Terror". Von Philipp Weiss
- Fünf Fehler, die der syrischen Opposition zum Verhängnis werden. Von Sami Kleib

Saudi-Arabien
- Saudi-Arabiens Traum der dominanten Kraft in der muslimischen Welt ist geplatzt. Von Patrick Cockburn

Palästina/Israel
- Aus der Traum: Das Friedenskino von Jenin weicht einem Einkaufszentrum. Von Irit Neidhardt
- U-Boote und Korvetten von thyssenkrupp für Israel. Von Shir Hever

Sudan/Südsudan
- Sudan-Sanktionen gelockert, Südsudan-Waffenembargo gescheitert. Von Roman Deckert

Essay

- Islamischer Messianismus. Von Reinhard Möller

Nachruf
- Der Teufel hat das Fragen erfunden - Sadik J. Al-Azm, Weltbürger und Enfant Terrible. Von Kai-Henning Gerlach

Wirtschaftskommentar
- Der niedrige Ölpreis birgt Turbulenzen. Von Karin Kneissl

Zeitensprung
- 1798: Mit Napoleon kam der Buchdruck nach Ägypten. Von Norbert Mattes

Ex mediis
- Tayfun Guttstadt: Gestrandet. Geflüchtete zwischen Syrien und Europa - Eine Reportage aus der Türkei. Von Jan Rübel
- Judit Tavakoli: Zwischen Zelten und Häusern - Identitätskonzepte saharauischer Flüchtlinge in Algerien. Von Friedemann Neumann
- Abdallah Laroui: Philosophie et histoire, und Zineb El Rhazoui: Détruire le fascisme islamique. Von Jörg Tiedjen

Nachrichtenticker

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Quelle:
INAMO Nr. 89, Jahrgang 23, Frühling 2017, Seite 6-10
Berichte & Analysen zu Politik und Gesellschaft des Nahen und Mittleren Ostens
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Februar 2018

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