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NAHOST/444: Über Kollaboration und Widerstand der Unterdrückten (EI)


The Electronic Intifada - 3. Januar 2009

Über Kollaboration und Widerstand der Unterdrückten

Von Ziyaad Lunat


1835 erklärte Thomas Macaulay, ein Offizier der britischen Kolonialarmee in Indien: "Wir müssen unser Bestes dafür tun, eine Klasse zu formen, die als Dolmetscher zwischen uns und den Millionen fungieren kann, die wir regieren, eine Klasse von Personen indischen Blutes und indischer Hautfarbe, aber englisch in Geschmack, Ansichten, Worten und Verstand." Europäische Kolonialmächte benutzten häufig politisches Outsourcing über ein Netzwerk von eingeborenen Kollaborateuren als bequemen Weg, die Massen zu unterwerfen. Diese Kollaborateure zähmten die Kolonisierten im Namen ihrer Herren, die auf diese Weise vor öffentlichem Aufruhr geschützt wurden. Dennoch war dieses Verfahren nicht immer ganz zu kalkulieren. Im Jahr 1857 revoltierten die Sepoys, mit der britischen Herrschaft verbündete indische Soldaten, gegen ihre Kolonialherren. Die britische Antwort war brutal. Über 100.000 Sepoys und hunderttausende Zivilisten wurden kaltblütig ums Leben gebracht. Bekannt wurde dies als der erste Kampf Indiens um die Unabhängigkeit, die 1947 schließlich realisiert wurde.

Ein Jahr später errichteten europäische Siedlerkolonisten den Staat Israel mit Hilfe einer gezielten Kampagne ethnischer Säuberung gegen die einheimische palästinensische Bevölkerung. Trotz Uneinigkeit unter den arabischen Regierungen und der eigennützigen Instrumentalisierung der palästinensischen Notlage, war Widerstand die Antwort und entsprach in der Regel den Gefühlen der arabischen Massen. Die Folge war, daß westliche Regierungen jahrzehntelang daran gearbeitet haben, diese Regierungen durch Druck gefügig zu machen, indem man sie dazu zwang das Gebiet eines dem Wesen nach rassistischen, jüdischen Staates in ihrer Mitte zu akzeptieren.

Da Israel die Palästinenser in Gaza nun erneut niederschlachtet, könnte man fragen, was mit dieser arabischen Stimme geschehen ist. Es ist keine Überraschung, daß die Supermächte der Erde den israelischen Genozid in Gaza verzeihen. Kolonisierung, Sklaverei, Apartheid, Genozid und ethnische Säuberung waren feste Konstanten der westlichen Kolonialunternehmungen. Was jetzt eine neue Stufe erreicht hat, ist die offene verbale und aktive Unterstützung des Massakers am palästinensischen Volk durch arabische Regierungen. So wie einst die indischen Sepoys sind nun neue Kollaborateure dem Chor der Stimmen beigetreten, die das Blutbad vergeben.

Die Grenze von Rafah zwischen Gaza und Ägypten ist ein typisches Beispiel und symbolisiert diese neue schmerzliche Realität. Hosni Mubaraks Regierung in Ägypten und die nichtgewählte palästinensische Autonomiebehörde in Ramallah haben aktiv mit Israel kollaboriert, erst in dem erfolglosen Versuch, die Hamas in Gaza gewaltsam zu stürzen und dann darin, die Palästinenser in Gaza zu ersticken, indem man ihnen Lebensnotwendiges wie Nahrung, sauberes Wasser, ärztliche Behandlung und eine anständige Bildung versagt. Während sich dieser "Holocaust im Werden" ereignete, wie ihn der UN-Sonderberichterstatter Richard Falk passenderweise beschrieb, machten Mahmoud Abbas, der Präsident der palästinensischen Autonomiebehörde und seine Kumpane mit Israel gemeinsame Sache und stationierten Sicherheitskräfte in den Städten der Westbank, um den Widerstand gegen die Besetzung zu brechen. Wie US-General Keith Dayton es nannte, wurde diesen Sicherheitskräften beigebracht, daß sie "nicht hier seien, um zu lernen, wie man gegen die israelische Besetzung kämpft" sondern dafür, "die gesetzlosen Elemente innerhalb der palästinensischen Gesellschaft" zu bekämpfen.

Wenig überraschend gab Abbas der Hamas die Schuld an dem sich ereignenden Blutvergießen, und führte dabei an, daß sie sich geweigert hätten, die Waffenruhe zu verlängern. Das Beste, mit dem er angesichts der wachsenden öffentlichen Unzufriedenheit herauskommen konnte, war eine "Drohung", die Verhandlungen (sprich: Kollaboration) mit Israel zu unterbrechen. Hamas hatte sich in Wirklichkeit bereit gezeigt, die Waffenruhe zu verlängern, jedoch unter der Bedingung, daß die illegale Blockade beendet würde. Dies läuft auf das gleiche hinaus wie die Forderung nach grundlegenden Menschenrechten für die Palästinenser, etwas, das Abbas in seinem Umgang mit Israel nie zur Bedingung gemacht hat.

Ägypten, Israels anderer Verbündeter, hat die Hamas beschuldigt, die Verwundeten daran zu hindern, den israelischen Angriffen zu entkommen und läßt dabei praktischerweise die eigene dauerhafte Weigerung außer Acht, Palästinenser über die Grenze bei Rafah aus- und einreisen zu lassen. Laut der in London ansässigen Tageszeitung al-Quds al-Arabi weckte der ägyptische Geheimdienstminister Omar Suleiman in der Hamas den falschen Glauben, daß Israel den Gazastreifen nicht angreifen würde, solange es seine Streitkräfte ausschickte, um die Grenze in Vorbereitung eines israelischen Angriffes abzuriegeln. Ägyptische Sicherheitskräfte eröffneten später das Feuer auf Palästinenser, die dem Blutbad zu entkommen suchten.

Diese Form der Heuchelei fand Ausdruck in der gesamten arabischen Welt. In den Vereinigten Arabischen Emiraten zum Beispiel wurden Solidaritätskundgebungen für die Palästinenser verboten oder streng überwacht. Die Arabische Liga, mit gewohnter Inkompetenz, war bemerkenswert langsam in ihrer Reaktion, indem sie zunächst ihr Treffen tagelang verschob und dann eine bedeutungslose, an alle Parteien gerichtete Erklärung herausgab, die Gewalt einzustellen, was keine Lösung für die verzweifelte Notlage der belagerten Palästinenser anbot.

Eine weit wichtigere Frage ist allerdings, wie die arabischen Massen und die Menschen, die ein Gewissen haben, weltweit reagieren. Was sind ihre wirklichen demokratischen Wünsche? Während die arabischen Regierungen ihre eigenen niedrigen Standards noch unterschritten haben, indem sie die Rechte der Palästinenser mit Füßen traten, haben die arabischen Massen ihre Entschlossenheit erneuert, die ausländische Vorherrschaft zurückzuweisen, da man sie jedesmal ihrer Würde beraubt. Der Geist des Widerstandes gegen Unterdrückung ist neu erwacht. In der ganzen arabischen Welt herrscht ein neuer Geist des Umschwungs und der Entschlossenheit, an der Seite der Palästinenser zu stehen und ihren Kampf mit der Sache der Iraker unter Okkupation und anderer zu einen, die unter repressiven Regimen leiden, die der Westen fördert.

In einer sehr sachlichen Ansprache an das ägyptische Volk, hat der Generalsekretär der Hizbollah, Hassan Nasrallah, erklärt: "Laßt das ägyptische Volk mit seiner Millionenzahl auf die Straße gehen. Kann die ägyptische Polizei Millionen Ägypter verhaften? Nein!" Diese Worte resümieren, warum Hamas und Hizbollah heute in der öffentlichen arabischen Meinung mehr Respekt und Berechtigung gewonnen haben als irgendeines der korrupten arabischen Regime. Die Widerstandsorganisationen repräsentieren die Sehnsucht der einfachen Menschen, die ihre Rechte und ihre Freiheit wiederhergestellt haben wollen, und nicht, weil diese den Terrorismus unterstützen oder Untermenschen sind, wie viele westliche Medien sie porträtieren. Israel und seine Verbündeten säen die Saat von mehr Radikalismus und größerer Instabilität im Nahen Osten. Während man ohnmächtig die Massaker in Gaza beobachtet, läßt sich nicht unterscheiden, ob diese Instabilität ein Mittel oder ein Ziel in sich ist. Was die korrupten arabischen Regime angeht, so bleiben ihnen zwei Möglichkeiten: Entweder sie hören auf ihre Bürger, oder sie werden sich einer anhaltenden Revolte des Volkes gegenübersehen. Die Geschichte hat uns gelehrt, daß Unterdrückung nie existiert hat, ohne den Aufstand für die Befreiung und für Rechte zu provozieren.

Abbas und seine Lakaien können viel aus der Sepoy-Rebellion in Indien und aus Ghandis gewaltlosem Freiheitskampf lernen, der darauf folgte. Seit der Unterzeichnung der Oslo-Verträge 1993 haben die 15 Jahre der Kollaboration mit Israel mehr Siedlungen, Tausende zerstörte Häuser, Entführungen und Massaker hervorgebracht - und die Wahrheit ist, daß die Führer nichts haben, was sie den Menschen im Gegenzug vorweisen können. Für die palästinensischen Fraktionen ist die Zeit gekommen, sich hinter den Volksmassen zu vereinen, um die aktive und passive Legitimierung der israelischen Aktionen zu beenden und zum wesentlichen zurückzukehren. Widerstand gegen die israelische Besetzung kann am effektivsten sein im gewaltlosen Kampf um die gleichen Rechte wie die israelischen Okkupatoren in einem säkularen Staat. Es wird Zeit, daß wir die grundlegende Voraussetzung in Anspruch nehmen, auf der der Westen für sich selbst besteht: daß Freiheit nicht verhandelbar ist.


Ziyaad Lunat ist Ehrenmitglied der London School of Economics (LSE) auf Lebenszeit und ein Aktivist für Palästina.


Übersetzung aus dem Englischen: Redaktion Schattenblick
Originalartikel unter: http://electronicintifada.net/v2/article10103.shtml


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Quelle:
The Electronic Intifada, 3. Januar 2009
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Januar 2009