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NAHOST/496: Störung der israelisch-türkischen Beziehungen hilft Palästinensern (Jonathan Cook)


Palästinenser profitieren von Störung in den israelisch-türkischen Beziehungen

Von Jonathan Cook, Auslandskorrespondent - 25. März 2009


Jerusalem // Ein Rechtsstreit palästinensischer Familien gegen die Übernahme ihres Viertels in Ost-Jerusalem durch jüdische Siedler hat aufgrund der jüngsten Verstimmung in den Beziehungen zwischen Israel und der Türkei bedeutende Unterstützung erhalten.

Nach dem Überfall der israelischen Armee auf den Gazastreifen im Januar wurde den Anwälten der Familien erstmals der Zugang zu osmanischen Grundbucharchiven in Ankara erlaubt, die den Beweis dafür liefern, daß die palästinensischen Angaben, die Eigentumsurkunden der Siedler seien gefälscht, stimmen.

Am Montag legten palästinensische Anwälte die osmanischen Dokumente einem israelischen Gericht vor, das sie in den nächsten Wochen auf ihre Gültigkeit prüfen soll. Die Anwälte hoffen, daß damit die Verfahren zur Vertreibung von rund 500 Anwohnern aus Scheikh Jarrah aufgehalten werden können. Der neu eröffnete Zugang der Familien zu türkischen Archiven könnte einen Dammbruch auslösen und den Einspruchsverfahren weiterer Palästinenser in Ost-Jerusalem und der Westbank, die sich vor Gericht mit Siedlern und der israelischen Regierung um Landbesitz streiten, Erfolg verschaffen.

Das Interesse an der Notlage der Einwohner von Scheikh Jarrah stieg im November stark an, als das Ehepaar Fawzija und Mohammed al-Kurd durch einen israelischen Richter aus seinem Haus vertrieben wurde. Herr al-Kurd war chronisch krank und starb wenige Tage später. Seitdem demonstriert Frau al-Kurd, 63, ihren Protest, indem sie in einem Zelt auf Ödland in der Nähe ihres früheren Wohnhauses kampiert. Die israelische Polizei hat das Zelt bereits sechsmal abgerissen, und es erwarten sie eine Reihe von Geldstrafen der Jerusalemer Stadtverwaltung.

Die Probleme, denen Frau al-Kurd und die anderen Anwohner gegenüberstehen, rühren von gerichtlichen Eingaben der Sephardi Jewry Association, daß sie das Gebiet von Scheikh Jarrah im 19. Jahrhundert gekauft habe. Siedlergruppierungen hoffen, alle Einwohner vertreiben, ihre Häuser abreißen und stattdessen 200 Apartmentwohnungen bauen zu können. Aus Sicht der Siedlerorganisationen handelt es sich um einen strategisch wichtigen Ort, weil er nahe der Altstadt und der palästinensischen Heiligtümer liegt.

Ungewöhnlicherweise haben ausländische Diplomaten, einschließlich US-Vertretern, protestiert und erklärt, daß die Vertreibung der palästinensischen Familien die Zwei-Staaten-Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts unterminiere. Die Hilfe der türkischen Regierung war jedoch entscheidend, weil Palästina ein Teil des Osmanischen Imperiums war, als die mutmaßlichen Bodentransaktionen stattfanden.

Israel und die Türkei sind über Jahrzehnte hinweg enge militärische und politische Verbündete gewesen, und Ankara hat es traditionellerweise vermieden, die Beziehungen dadurch zu strapazieren, daß es sich in den Streit um Landbesitz in den besetzten Gebieten verwickeln ließ. Aber seit der diplomatischen Verstimmung zwischen den beiden Ländern aufgrund der jüngsten Gazaoffensive Israels scheint es in der Politik der türkischen Regierung eine Wende ins Gegenteil zu geben. Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan beschuldigte seinen israelischen Amtskollegen Ehud Olmert, zu "lügen" und ihm "in den Rücken zu fallen". Laut Berichten war er wütend darüber, daß Israel seine Militäroffensive gestartet hatte, ohne ihn zuvor zu informieren. Zu dieser Zeit vermittelte die Türkei gerade bei Friedensverhandlungen zwischen Israel und Syrien. Tage nach dem Ende der Kämpfe in Gaza stürmte Herr Erdogan aus einem Treffen während des Weltwirtschaftsforums in der Schweiz, nachdem er dem israelischen Präsidenten Schimon Perez vorgeworfen hatte, sich "mit dem Töten sehr gut auszukennen".

Laut Anwälten, die die Familien in Scheikh Jarrah vertreten, hat die die Krise in den Beziehungen zu einer größeren Bereitschaft von seiten Ankaras geführt, sie in ihrem Rechtsstreit zu unterstützen. "Uns fällt ein bedeutender Stimmungswandel auf, wenn wir an türkische Beamte herantreten", erzählte Hatem Abu Ahmad, einer der Anwälte von Frau al-Kurd. "Früher haben sie es nicht gewagt, Israel zu verärgern und haben uns mit Ausreden abgespeist, warum sie uns nicht helfen können." Er setzte hinzu, daß die Anwälte der Familien im Januar endlich in die Archive eingeladen wurden, nachdem sie zuvor monatelang Anfragen an das türkische Konsulat in Jerusalem und an die türkische Gesandtschaft in Tel Aviv gerichtet hatten.

Offizielle Vertreter der Türkei haben die für die Anwälte erforderlichen Dokumente ausfindig gemacht und beeidete schriftliche Erklärungen abgegeben, daß die Ansprüche der Siedler gefälscht seien. Die Recherche in den osmanischen Archiven, sagte Herr Abu Ahmad, habe keinen Nachweis ergeben, daß das Land in Scheikh Jarrah einer jüdischen Gruppe gehöre. "Die türkischen Beamten haben zudem ihre Bereitschaft erklärt, uns auch künftig zu helfen, wann immer wir Hilfe benötigen, und entsprechende Dokumente ausfindig zu machen, die sich auf andere Fälle beziehen. Sie haben sich sogar erkundigt", merkte Herr Abu Ahmad an, "ob es noch weitere Dokumente gebe, nach denen wir auf der Suche seien."

Das könnte sich noch als wichtig erweisen, denn die Jerusalemer Stadtverwaltung droht Palästinensern mit einer neuen Aktion zum Abriß von Wohnhäusern. In der letzten Woche nannte Nabil Abu Rudeina, ein Sprecher von Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas, die jüngste Serie dutzender von Abrißanordungen in Jerusalem eine "ethnische Säuberung".

Palästinensische Rechtsinitiativen bringen regelmäßig vor, daß Siedler Dokumente fälschen, um palästinensischen Privateigentümern ihr Land wegzunehmen, haben aber große Schwierigkeiten, ihre Angaben zu belegen. Ende letzten Jahres legte die Presseagentur Associated Press einen Schwindel von Siedlern offen, der sich auf das Land bezog, auf dem sie den Außenposten Migron in der Nähe von Ramallah errichtet haben. Über 40 jüdische Familien sind dort beheimatet. Die Dokumente der Siedler waren angeblich 2004 von dem palästinensischen Besitzer Abdel Latif Sumarin in Kalifornien unterschrieben worden, obwohl er bereits 1961 gestorben war.

Die Familien in Scheikh Jarrah leben in ihren jetzigen Häusern, weil man sie aus einem Gebiet vertrieben hat, das im Krieg 1948 zu Israel wurde. Jordanien, das Ost-Jerusalem bis zur Besetzung durch Israel im Jahr 1967 kontrollierte, und die Vereinten Nationen gaben den Flüchtlingen Land, auf dem sie sich Häuser bauen konnten. Frau al-Kurd erklärte, sie werde in ihrem Zelt bleiben, bis ihr Gerechtigkeit zuteil werde. "Meine Familie stammt eigentlich aus Talbijeh," berichtete sie und bezog sich auf einen der heute wohlhabendsten Distrikte West-Jerusalems. "Man erlaubt mir nicht, auf meinen rechtmäßigen Besitz zurückzukehren, aber diesen Siedlern gibt man mein Haus, das ihnen niemals gehört hat".


weitere Informationen:

Pressemitteilung des "International Solidarity Movement", 19. November 2008
Protest tent in Sheikh Jarrah demolished by Israeli forces - one Palestinian and four internationals taken into police custody
http://palsolidarity.org/2008/11/3606 (letzter Zugriff 6.4.2009)

Die Welt, 7. Oktober 2008
Palästinenser verklagen Israel erstmals wegen Landraub - Schadenersatz für illegale Siedlungen gefordert
http://www.welt.de/welt_print/article2539830/Palaestinenser-verklagen-Israel-erstmals-wegen-Landraub.html
letzter Zugriff 6.4.2009 (Schadenersatz für die Besetzung des Berges Migron)

Wie Abdellatif Sumarin ein Grundstück nach seinem Tod verkaufte - Zwielichtige Grundstückgeschäfte zwischen der Westbank und Kalifornien
AUTOR: Associated Press. Übersetzt von Ellen Rohlfs
Quelle: Shady land deal unfolds from West Bank to California strip mall - Originalartikel veröffentlicht am 19.12.2008
http://www.tlaxcala.es/pp.asp?reference=6712&lg=de (letzter Zugriff 6.4.2009)


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Über den Autor:

Jonathan Cook ist der einzige westliche Journalist, der in Nazareth lebt, der Hauptstadt der palästinensischen Minderheit in Israel. Vor seiner Zeit als freier Journalist war er für den Guardian und den Observer tätig. Seine Artikel, die sich zumeist mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt befassen, sind bislang in den folgenden Zeitungen und Magazinen erschienen: Times, New Statesman, Le Monde diplomatique, International Herald Tribune, Al-Ahram Weekly, The Middle East Report und Washington Report on Middle East Affairs, Przekroj (Warschau), The Irish Times, The Electronic Intifada, Counterpunch und Aljazeera.net. Er hat die Bücher "Blood and Religion" (2006) und "Israel and the Clash of Civilisations" (2008) verfaßt.

Sein neuestes Buch "Disappearing Palestine: Israel's Experiments in Human Despair" ist im Oktober 2008 bei Zed Books in Großbritannien und in den Vereinigten Staaten erschienen. Weitere Informationen zum Buch unter:
http://www.jkcook.net/DisappearingPalestine.htm

Weitere Texte von Jonathan Cook findet man auf seiner Website unter:
http://www.jkcook.net/


Einige übersetzte Fassungen sind zu finden bei Rebelion (Spanisch), Tlaxcala (Französisch, Spanisch, Italienisch, Deutsch), ISM-France (Französisch)

Übersetzung aus dem Englischen:
Redaktion Schattenblick

Englischer Originaltext:
http://www.jkcook.net/Articles2/0381.htm#Top Die Originalfassung dieses Artikels wurde am 25. März 2009
in der Zeitung "The National", Abu Dhabi, veröffentlicht.
http://thenational.ae


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Quelle:
© Jonathan Cook, 25. März 2009
mit freundlicher Genehmigung des Autors
Internet: www.jkcook.net

übersetzt vom und veröffentlicht im Schattenblick zum 9. April 2009