Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → AUSLAND

NAHOST/696: Arabische Welt - Kleine Erfolge auf Weg zur Abschaffung der Todesstrafe (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 23. September 2010

ARABISCHE WELT:
Kleine Erfolge auf Weg zur Abschaffung der Todesstrafe

Von Cam McGrath


Alexandria, Ägypten, 23. September (IPS) - In den arabischen Ländern im Nahen Osten und im Maghreb sind im vergangenen Jahr etwa 860 Menschen hingerichtet worden. Menschenrechtsexperten haben nun auf einer Konferenz im ägyptischen Alexandria über Strategien beraten, mit denen sie die Staaten der Region von der Abschaffung der Todesstrafe überzeugen können.

Das Treffen, an dem Nichtregierungsorganisationen (NGOs) aus aller Welt teilnahmen, knüpfte an eine Konferenz im Mai 2008 an, auf der die Staaten zu einem Moratorium für die Todesstrafe aufgefordert worden waren.

Alle Nahost- und Mahgreb-Staaten verhängen die Todesstrafe, allerdings wird sie nicht überall vollstreckt. Seit fast zwei Jahrzehnten sind etwa in Algerien, Marokko und Tunesien keine Menschen mehr exekutiert worden. In Ägypten und Saudi-Arabien werden jedoch regelmäßig Straftäter gehenkt, geköpft oder erschossen.

"Die meisten Länder der Welt schaffen die Todesstrafe ab. In der Maghreb-Region werden jedoch mehr Hinrichtungen vollstreckt als in anderen Ländern. Sogar in China ist die Rate niedriger", sagte die Rechtsberaterin von 'Amnesty International', Mervat Reshmavy.

Gegner der Todesstrafe wiesen in Alexandria erneut darauf hin, dass Hinrichtungen keine abschreckende Wirkung hätten und eine Form staatlich legitimierter Rache sei. In den meisten arabischen Ländern würden Verbrechen, auf die die Höchststrafe steht, vor Sondergerichten verhandelt, kritisierten die Teilnehmer der Konferenz. Oftmals stützten sich die Urteile auf Geständnisse, die unter Folter erpresst worden seien.


Scharia bietet Strafmilderung an

Die Menschenrechtsgruppen kritisierten auch, dass das islamische Recht - die Scharia - als Vorwand für eine breite Anwendung der Todesstrafe benutzt werde. "In einigen arabischen Staaten steht auf rund 350 Straftaten die höchste Strafe", sagte der syrische Islamwissenschaftler Mohamed Habbash. "Der Koran schreibt sie dagegen nur in fünf Fällen vor. Und selbst dann gibt es immer noch die Möglichkeit, die Strafe zu mildern."

Die Regionalkonferenz wurde von der Organisation 'Penal Reform International', dem Arabischen Zentrum für die Unabhängigkeit der Justizberufe und dem Schwedischen Institut in Alexandria organisiert. Die Teilnehmer sahen das Treffen als Chance dafür, ihre Zusammenarbeit auszubauen und eine regionale Koalition gegen die Todesstrafe zu bilden.

Die NGOs wollen die Regierungen dazu bringen, die von der UN-Vollversammlung 2007 verabschiedete Resolution 62/149 zu befolgen. Darin wird ein sofortiges Moratorium für die Todesstrafe und in einem zweiten Schritt deren vollständige Abschaffung verlangt. Diese Zielsetzungen bekräftigte die UN später in der Resolution 63/430.

Algerien ist der einzige Maghreb-Staat, der in der Vollversammlung für beide Resolutionen votiert hat. Bahrain, Jordanien, der Libanon, Marokko, Oman und die Vereinigten Arabischen Emirate enthielten sich 2008 der Stimme. Politische Beobachter interpretierten dies als mögliches Zeichen dafür, dass diese Staaten über die Abschaffung der Todesstrafe nachdenken.

Im kommenden November wird die UN-Vollversammlung über eine dritte Resolution gegen die Todesstrafe beraten. "Wir hoffen, dass dieses Mal mehr arabische Länder für ein Moratorium stimmen werden", sagte der PRI-Regionaldirektor Taghreed Jaber im Gespräch mit IPS. "Selbst wenn wir nur einige dieser Staaten dazu bewegen können, sich der Stimme zu enthalten, wäre dies bereits ein Fortschritt."

Die Menschenrechtsorganisationen konzentrieren sich vor allem auf die Staaten, die von einer harten Haltung zugunsten der Todesstrafe abgerückt sind. Marokko, wo seit 1993 kein Todesurteil mehr vollstreckt wurde, hat signalisiert, möglicherweise ein De-Facto-Moratorium anzunehmen.


Tunesien unter Druck der Nachbarländer

Hoffnungen richten sich außerdem auf Tunesien, dessen Delegierte bei den früheren Abstimmungen abwesend waren. "Auch eine Enthaltung wäre schon ein Sieg", erklärte David Nichols von Amnesty International. "Leider üben die Nachbarländer großen Druck aus, damit Tunesien für die Beibehaltung der Todesstrafe votiert."

Ägypten, wo im vergangenen Jahr 269 Hinrichtungen ausgeführt wurden, lehnte beide UN-Resolutionen strikt ab. Die Regierung soll sogar hinter den Kulissen daran gearbeitet haben, Kampagnen gegen die Todesstrafe zu hintertreiben. Auch Saudi-Arabien und Syrien gelten in diesem Zusammenhang als Hardliner.

Die UN-Resolutionen sind rechtlich nicht bindend, gelten aber als Zeichen für einen wachsenden internationalen Konsens gegen die Todesstrafe. Mehr als 100 Staaten votierten für die letzte Resolution. Die Menschenrechtsaktivisten sehen eine positive Entwicklung. "Beim Abstimmungsverhalten gab es beim zweiten Mal große Unterschiede", sagte Jaber. Es sei nun zu hoffen, dass arabische Staaten wie Jordanien beim Votum für die dritte Resolution ihre Haltung änderten und sich gegen die Todesstrafe aussprächen. (Ende/IPS/ck/2010)


Links:
http://www.penalreform.org/
http://www.swedenabroad.com/Start____5296.aspx
http://www.acijlp.org/home.htm
http://www.amnesty.org/
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=52932


*


Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 23. September 2010
IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 28 482 361, Fax: 030 28 482 369
E-Mail: redaktion@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. September 2010