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NAHOST/724: Einzelhaft und Handschellen rund um die Uhr - Verstöße in Israels Gefängnissen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 12. November 2010

Nahost: Einzelhaft und Handschellen rund um die Uhr - Verstöße in Israels Gefängnissen

Von Mel Frykberg


Ramallah, 12. November (IPS) - Samer Hamdan (Name geändert) verbüßt derzeit eine neunjährige Haftstrafe wegen Mitgliedschaft in einer illegalen Vereinigung. Er sitzt im israelischen Ketziot-Gefängnis in der Wüste Negev ein. Misshandlungen, so der 26-jährige Palästinenser, seien dort an der Tagesordnung.

Er selbst wurde nach eigenen Angaben solange geschlagen, bis Blut spritzte. Blutüberströmte und schreiende Häftlinge seien in Ketziot die Norm. "Am Ende gestehst du alles, nur damit die Übergriffe aufhören", sagt Hamdan, ein ehemaliges Mitglied der Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP), in einem Telefongespräch mit IPS. "Zum Zeitpunkt meiner Verhaftung war ich 17 Jahre alt und hatte große Angst vor den Verhören."

Wie Hamdan berichtet, darf ihn seine Mutter einmal im Monat - 45 Minuten - besuchen, sein Vater nur alle vier Monate. Die Mutter schafft es nicht immer, denn die Fahrt von ihrem Dorf im Norden des Westjordanlands dauert mehrere Stunden. Die Anreise erfolgt im Bus des Roten Kreuzes, der etliche israelische Checkpoints passieren muss.

Manchmal bringt die Familie Kleidung und Bücher mit. "Die werden mir aber nicht immer ausgehändigt", sagt Hamdan. "Das hängt von der Laune der Soldaten ab." Dass der Palästinenser überhaupt nach außen telefonieren kann, verdankt er einem korrupten israelischen Soldaten, dem er das Mobiltelefon abgekauft hat. Handys werden in Ketziot für das Zehnfache des Ladenpreises gehandelt.

2007 durchsuchten israelische Sicherheitskräfte mitten in der Nacht die Zellen nach Mobiltelefonen und anderen verbotenen Gütern. Dabei hatten sich Vertreter der Gefangenen und der Strafvollzuganstalt darauf verständigt, solche nächtlichen Razzien künftig zu unterlassen. In der Folge kam es zu gewaltsamen Zusammenstöße, die international für Schlagzeilen sorgten, nachdem Betten in Brand gesetzt und ein Gefangener erschossen worden war.


Schlechte Ernährung

Die Palästinensische Behörde (PA) zahlt für alle palästinensischen Häftlinge einen monatlichen Betrag. Auf das Geld sind die Betroffenen dringend angewiesen, wie Hamdan versichert. "Die Nahrungsmittel, die wir erhalten, reichen nicht aus und die Qualität ist schlecht. Mit dem Geld der PA können wir in der Gefängniskantine einkaufen."

Der 26-Jährige teilt sich mit fünf weiteren Häftlingen eine Zelle. Die Matratzen, auf denen die Männer schlafen, sind dünn und schmutzig. Hamdan zufolge sind die Haftbedingungen jedoch längst nicht mehr so schlimm wie in dem Monat, in dem die Verhöre stattfanden. "Ich wurde Tag und Nacht verhört und unter Schlafentzug gesetzt. Während der Befragungen wurde ich gefesselt und geschlagen, dazwischen in einem Kellerverlies bei Dauerbeleuchtung in Einzelhaft gehalten. Ich durfte meine Kleider nicht wechseln und auch nicht duschen. Und die Toilette wurde nur sporadisch geleert."

Hamdan steht mit seinen Erfahrungen nicht allein da, wie ein Bericht belegt, den zwei israelische Menschenrechtsorganisationen in diesem Monat vorgelegt haben. Darin kommen 121 Insassen eines israelischen Gefängnisses zu Wort, die den Haftbehörden schwere Rechtsverstöße vorwerfen.

Handschellen zu jeder Tages- und Nachtzeit, Schlafentzug, Einzelhaft, Schläge und unhygienische Zuständen kennzeichneten das Leben palästinensischer Häftlinge in Israels Gefängnissen, so das Fazit von 'B'Tselem' und dem 'Hamoked - Centre for the Defence of the Individual'. Obwohl den Gefängnisbehörden hunderte Beschwerden vorlägen, sei man den Vorwürfen nie nachgegangen.


Jahrzehntelange Menschenrechtsverletzungen

Laut Saeed Al-Haj von der Gefangenenhilfsorganisation 'Palestinian Prisoners' Society' in Ramallah sind palästinensische Häftlinge seit Jahrzehnten Opfer von Menschenrechtsverletzungen. "Einige Häftlinge werden Wochen, wenn nicht gar Monate in Einzelhaft gehalten", berichtet er.

Als Beispiel führt er den Fall Wafa El Biss aus dem Gazastreifen an, eine Palästinenserin, die seit Wochen in Einzelhaft sitzt und rund um die Uhr an den Händeln gefesselt ist. Ihr Zugang zu den Toiletten ist begrenzt und sie muss warten, bis ein Wärter kommt und ihr die Handschellen abnimmt. Sie schläft bei Dauerbeleuchtung.

Die meisten Zellen befinden sich im Kellergeschoss. Das Licht brennt 24 Stunden am Tag und sorgt dafür, dass die Gefangenen Tag und Nacht die Orientierung verlieren, an Kopf- und Augenschmerzen sowie Wahrnehmungsproblemen leiden. 13 der 121 befragten Häftlinge sprachen von einem Schlafentzug von mehr als 24 Stunden. 36 Prozent der Häftlinge gaben an, bei den Verhören gedemütigt worden zu sein. 56 Prozent berichteten über Drohungen und neun Prozent von gewaltsamen Übergriffen. (Ende/IPS/kb/2010)


Links:
http://www.btselem.org/English/Publications/Summaries/201010_Kept_in_the_Dark.asp
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=53527


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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 12. November 2010
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. November 2010