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NAHOST/750: Jonathan Pollak - "Ich gehe mit hocherhobenem Kopf ins Gefängnis" (Israelis gegen die Besatzung)


Israelis gegen die Besatzung - 27. Dezember 2010

Israelischer Aktivist Jonathan Pollak zu drei Monaten Gefängnis verurteilt
Dem Richter gegenüber erklärt er: "Ich gehe mit hocherhobenem Kopf ins Gefängnis"


Pollak wurde heute Morgen vom Amtsgericht in Tel Aviv zu drei Monaten Gefängnis für seine Teilnahme an einer Protestradtour im Jahr 2008 gegen die Blockade von Gaza verurteilt. Er wird die Haft am 11. Januar antreten.

Richter Yitzhak Yitzhak vom Amtsgericht in Tel Aviv sprach Pollak wegen seiner Teilnahme an einer 'Critical Mass'-Radtour im Januar 2008 gegen die Blockade von Gaza einer illegalen Versammlung für schuldig und verhängte dann eine dreimonatige Haftstrafe mit Beginn am 11. Januar 2011. Pollak war der einzige, den man bei besagtem Protest verhaftete und unter Anklage brachte, nur weil er genauso mit dem Rad gefahren war, wie alle anderen Protestierenden auch. Der Schuldspruch aktiviert ein älteres Urteil zu drei Monaten auf Bewährung, die in einem früheren Verfahren wegen Protestes gegen den Bau der Trennmauer gegen Pollak verhängt worden waren. Für die aktuelle Verurteilung wurde eine zusätzliche Strafe von drei Monaten Gefängnis ausgesprochen, die im Anschluß abzuleisten ist.

In seiner Einlassung zu Schuldspruch und Strafmaß erklärte Pollak: "Ich sehe mich nicht in der Lage, in diesem Fall Reue zum Ausdruck zu bringen [...]. Wenn Euer Ehren beschließen, fortzufahren und auch die ausgesetzte Haftstrafe anzuordnen, werde ich mit ganzem Herzen und mit hocherhobenem Kopf ins Gefängnis gehen. Das Justizsystem selbst müßte meiner Meinung nach im Angesicht des Leidens, das über die Einwohner von Gaza gebracht wird, die Augen niederschlagen, so wie es täglich die Augen senkt und den Blick abwendet, wenn es mit der Besatzungsrealität konfrontiert wird."


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Am 31. Januar 2008 nahmen etwa 30 Demonstranten an einer 'Critical Mass'-Radtour durch die Straßen von Tel Aviv teil, um gegen die Blockade von Gaza zu protestieren. Während des Protestes wurde Pollak von Polizisten in Zivil verhaftet, die ihn von früheren Protesten her erkannt hatten und die - wie sie vor Gericht aussagten - angenommen hätten, er sei Organisator und Leitfigur der Aktion. Der Protest durfte nach Pollaks Festnahme ungehindert weiter stattfinden und endete ohne weitere Zwischenfälle oder Verhaftungen.

Die Festnahme und die darauffolgende Anklage scheinen eher das Ergebnis polizeilicher Rachsucht zu sein, als auf Pollaks Verhalten während des Ereignisses zu gründen. Pollak war nichts als einer von vielen in einer Gruppe Protestierender, die sich genauso benahmen wie er, dennoch war er der einzige, den sie herausgriffen. Abgesehen davon finden regelmäßig 'Critical Mass'-Veranstaltungen zu Umweltfragen in Tel Aviv statt, denen noch nie mit einer solchen Antwort begegnet worden ist. Andere Proteste, die weit schwerere Behinderungen des Verkehrs verursachten (wie zum Beispiel der Protestkonvoi Tausender von Motorrädern), führten nicht zu Verhaftungen und ganz gewiß nicht zur Erstattung von Strafanzeigen und zu Gefängnisstrafen.

Gaby Lasky, Pollaks Anwältin: "Die Polizei hat nicht allein Pollak aus einer Menge von Menschen herausgesondert, die alle das gleiche taten, sondern hat sich auch den ganzen Protest aus keinem anderen Grund als wegen seiner politischen Ausrichtung ausgesucht. In Tel Aviv finden regelmäßig ähnliche Aktionen statt, ohne daß die Polizei eingreift, ganz zu schweigen von Verhaftungen und Anklagen."


Pollaks Schlußwort:

Euer Ehren, einmal schuldig gesprochen, ist es für den Angeklagten üblich, das Gericht um Nachsicht zu bitten und Reue für das Vergehen zum Ausdruck zu bringen. Dennoch sehe ich mich nicht in der Lage, etwas derartiges zu tun. Von Beginn an gab es bei diesem Verfahren praktisch keine unterschiedlichen Meinungen über den Sachstand. Wie die Anklage besagt, bin ich in der Tat mit meinem Fahrrad an der Seite von anderen durch Tel Avivs Straßen gefahren, um gegen die Blockade Gazas zu protestieren. Und tatsächlich mögen wir, während wir auf unseren Rädern fuhren, die als Fahrzeuge von Rechts wegen auch auf die Straße gehören, den Verkehr in gewissem Maße verlangsamt haben. Die einzige und unerhebliche Meinungsverschiedenheit in diesem ganzen Fall dreht sich um die Zeugenaussagen, die ich von Polizeibeamten gehört habe, die behaupten, daß ich die ganze Zeit der Protestradfahrt über eine führende Rolle gespielt hätte - etwas, das sowohl ich als auch die anderen Zeugen der Verteidigung bestreiten.

Wie ich gerade sagte, ist es an diesem Punkt des Verfahrens üblich, Reue zu zeigen, und ich würde in der Tat gern mein Bedauern hinsichtlich eines Aspektes der Ereignisse jenes Tages zum Ausdruck bringen: Wenn ich Reue in meinem Herzen verspüre, dann, weil ich - wie ich während der Verhandlung argumentierte - bei dem Protest an jenem Tag keine herausragende Rolle gespielt und aus dem Grund nicht meine Pflicht erfüllt habe, alles in meiner Macht Stehende zu tun, um die unerträgliche Lage der Bewohner von Gaza zu ändern und Israels Kontrolle über die Palästinenser zu beenden.

Euer Ehren haben während des Prozesses erklärt - und werden es höchstwahrscheinlich in Zukunft wieder tun -, daß ein Gerichtsverfahren keine Frage der Politik, sondern des Rechtes ist. Darauf erwidere ich, daß an diesem Gerichtsverfahren kaum etwas anderes dran ist, als ein politischer Dissens. Dieses Gericht mag den Aufbau einer angemessenen Verteidigung verhindert haben, indem es sich weigerte, Argumente anzuhören, die sich auf die politische Selektivität der Polizeiaktion bezogen, doch auch aus den zugelassenen Zeugenaussagen wurde deutlich, daß eine solche Selektivität existiert.

Die Basis meines angeblichen Vergehens sowie die dahinterstehende Motivation waren politisch. Daran kommt man nicht vorbei. Der Staat Israel unterhält eine unrechtmäßige, inhumane und illegale Blockade des Gazastreifens, der nach internationalem Recht noch immer besetztes Gebiet ist. Diese Blockade, die in meinem Namen und auch ihn Ihrem, Sir, in der Tat in unser aller Namen stattfindet, ist eine grausame kollektive Bestrafung, die normalen Bürgern auferlegt wurde, den Bewohnern des Gazastreifens und rechtlosen Untertanen unter israelischer Besatzung.

Angesichts dieser Realität und als Stellungnahme dagegen beschlossen wir, am 31. Januar 2008 die Redefreiheit zu nutzen, die jüdischen Bürgern Israels zusteht. Es scheint jedoch, daß sogar diese Freiheit hier in unserer einen-von-vielen-falschen-Demokratien im Nahen Osten nicht länger frei gewährt wird, nicht einmal den privilegierten Söhnen der Gesellschaft.

Die Entscheidung des Gerichts, mich zu verurteilen, überrascht mich nicht, auch wenn es aus meiner Sicht keinen Zweifel daran gibt, daß unsere Aktion an jenem Tag mit der grundlegendsten, elementarsten Definition des Rechts einer Person, Protest einzulegen, übereinstimmte.

In der Tat hing zur Zeit des Fahrradprotestes, wie die Staatsanwaltschaft es darlegte, eine zur Bewährung ausgesetzte Gefängnisstrafe drohend über meinem Kopf, nachdem man mich zuvor aufgrund eines identischen Gesetzesartikels verurteilt hatte. Und auch, wenn ich nach wie vor darauf bestehe, keinen wie auch immer gearteten Rechtsbruch begangen zu haben, war ich mir der Möglichkeit bewußt, daß mein Bewährungsurteil unter der israelischen Rechtsprechung vollzogen werden könnte.

Ich muß hinzufügen, daß ich, sollten Euer Ehren beschließen, Ernst zu machen und meinen Bewährungsspruch zu aktivieren, mit ganzem Herzen und mit hocherhobenem Kopf ins Gefängnis gehen werde. Das Justizsystem selbst müßte meiner Meinung nach im Angesicht des Leidens, das über die Einwohner von Gaza gebracht wird, die Augen niederschlagen, so wie es täglich die Augen senkt und den Blick abwendet, wenn es mit der Besatzungsrealität konfrontiert wird."


Anmerkung der Schattenblick-Redaktion:

'Critical Mass' - Aktionsform mit mehr oder weniger spontan organisierten Fahrradfahrten rein zur Freude, zur Rückeroberung der Straße, zu sozialen und politischen Themen und auch als Protestdemo


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Quelle:
Israelis gegen die Besatzung
Pressemitteilung, 27.12.2010
E-Mail: kritischeisraelis@googlemail.com
in einer Übersetzung des Schattenblick aus dem Englischen


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Januar 2011