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NAHOST/771: Ägypten - Seite an Seite, Wunsch nach Freiheit eint Muslime und Christen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 10. Februar 2011

Ägypten: Seite an Seite - Wunsch nach Freiheit eint Muslime und Christen

Von Adam Morrow and Khaled Moussa Al-Omrani

Christen bilden Menschenkette zum Schutz betender Muslime auf Tahrir-Platz - Bild: © Khaled Moussa Al-Omrani/IPS

Christen bilden Menschenkette zum Schutz betender Muslime auf Tahrir-Platz
Bild: © Khaled Moussa Al-Omrani/IPS

Kairo, 10. Februar (IPS) - In Ägypten ist es in den letzten Jahren wiederholt zu Spannungen und Gewalt zwischen der Mehrheit der Muslime und der Minderheit der koptischen Christen gekommen. Doch auf dem Tahrir-Platz in Kairo, dem Epizentrum der Massenproteste gegen das ungeliebte Mubarak-Regime herrscht Solidarität. "Ob Muslim oder Christ spielt keine Rolle. Wir sitzen alle im gleichen Boot", skandieren die Angehörigen beider Glaubensgemeinschaften.

Seit dem 25. Januar sind landesweit hunderttausende wenn nicht gar Millionen Menschen auf die Straße gegangen, um den Rücktritt des autokratischen Staatspräsidenten Hosni Mubarak und seiner 30-jährigen Regierung zu fordern. Bei Zusammenstößen mit der Polizei in der ersten Protestwoche kamen hunderte Menschen ums Leben, tausende wurden verletzt.

Zu den Demonstrationen hatten Aktivistengruppen wie die Protestbewegung 6. April und die Jugendfreiheitsbewegung online aufgerufen, die keiner bestimmten Religionsgruppe angehören. Dennoch wurde der Volksaufstand von einigen Kommentatoren mit der Islamischen Revolution im Iran im Jahre 1979 verglichen.

In einem Statement vom 31. Januar, das später von den westlichen Medien aufgegriffen wurde, erklärte Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu: "Unsere wahre Sorge gilt einer Situation wie in Ländern einschließlich des Irans, wo sich bereits repressive radikal-islamische Regime herausgebildet haben."


Religiöser Frieden

Doch auf Kairos Tahrir-Platz herrscht religiöser Frieden. "Die Solidarität zwischen Muslimen und Christen ist ungeheuerlich groß", meint der 32-jährige muslimische Demonstrant Ahmed Al-Assi. "Praktisch alle Rufe der Protestbewegung und der muslimischen Scheichs betonten die Bedeutung der nationalen Einheit."

Auch bei den gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Polizei und Demonstranten zeichnete sich die Protestbewegung durch eine glaubensübergreifende Kameradschaft aus. Bei mehreren Gelegenheiten schirmten christliche Demonstranten ihre muslimischen Mitstreiter vor Übergriffen der Sicherheitskräfte ab, damit sie trotz aller Schwierigkeiten in Ruhe beten konnten.

"Während der schlimmsten Zusammenstöße am 28. Januar stand hielt mir ein etwa gleichaltriger Mann beim Gebet den Rücken frei. Später fand ich heraus, dass er Christ ist", berichtet Jahia Rumi, ein 24-jähriger Demonstrant aus Kairo. "Jetzt sind wir beste Freunde und gehen immer gemeinsam zu den Protestveranstaltungen."

Dem Ruf nach nationaler Einheit sind zwei Jahre wachsender Spannungen zwischen den beiden Religionsgruppen vorangegangen, die sich bei verschiedenen Gelegenheit gewaltsam entluden. Im November letzten Jahres kam es zwischen Kopten und Sicherheitskräften zu Zusammenstößen, nachdem die Behörden die Renovierungsarbeiten an einer Kirche im Kairoer Stadtbezirk Omranija unterbanden. Bereits zuvor hatten sich die Kopten darüber beklagt, dass sie in der Regierung unterrepräsentiert sind und ihnen die Behörden beim Bau neuer Kirchen Steine in den Weg legen.

Am 1. Januar starben mehr als 20 Christen durch einen Anschlag auf eine koptische Kirche in Alexandria. Das Blutbad, für das die Behörden das Terrornetzwerk Al Kaida verantwortlich machen, führte zu frischen Spannungen zwischen Muslimen und Christen. In Ägypten lebt die größte christliche Gemeinschaft innerhalb der Region Nahost. Geschätzt wird, dass die Kopten des Landes zehn Prozent der rund 82 Millionen Ägypter stellen, die zum überwiegenden Teil Muslime sind.


Kritik an Mubarak-treuem Koptenpapst

Doch nicht alle Christen stehen hinter der Volksrevolution. So stärkte der Koptenpapst Schenuda III. unmittelbar nach Ausbruch der Massendemonstrationen dem Mubarak-Regime den Rücken. "Ich habe den Präsidenten in einem Anruf mitgeteilt, dass wir alle mit ihm sind", sagte Schenuda im staatlichen Fernsehen am 30. Januar. Fünf Tage später wiederholte er seine Solidaritätsbekundung für den bedrängten Despoten und forderte die Demonstranten auf, "ihre Proteste zu beenden und auf die Vernunft zu hören".

Doch nach Ansicht eines koptischen Priesters, der sich Anonymität ausbat, hat Schenuda innerhalb seiner Gemeinde mit dem Aufruf, den Aufständen fernzubleiben, an Legitimität verloren. "Doch trotz der offiziellen Haltung der Kirche in dieser Frage haben wir junge Kopten ermutigt, (an den Demonstrationen) teilzunehmen", sagte er in einem Beitrag der unabhängigen Tageszeitung Al-Schoruk.

"Ich weiß nicht, warum Papst Schenuda von uns Kopten verlangt, dass wir uns aus den Protesten heraushalten", meint Butros, der seit dem 30. Januar an den Demonstrationen auf dem Tahrir-Platz teilnimmt. "Geht es nur darum, Mubarak zu stützen? Oder sollen wir von unseren muslimischen Mitstreitern ferngehalten werden, von denen sich viele Kopten ein falsches Bild machen?"


Gespräche gegen Vorurteile

"In Tahrir bin ich mit vielen muslimischen Aktivisten ins Gespräch bekommen", berichtet Butros, der seinen Nachnamen nicht nennen möchte. "Sie haben erzählt, dass der Islam von Muslimen verlangt, Christen und ihre Gebetsstätten zu schützen. Ich habe erfahren, dass Muslime keinem Glauben anhängen, der unsere Rechte einschränkt oder uns Kopten bedroht."

Anders als Schenuda sympathisieren einige prominente Christen mit der Aufstandsbewegung. "Demonstrationen und Sit-ins sind gemäß unserer Gesetze und unserer Verfassung ein legitimes Recht der Meinungsäußerung", heißt es in einer Mitteilung vom 1. Februar, die von etlichen ägyptischen Katholiken, Anglikanern und koptischen Intellektuellen unterzeichnet wurde.

"Wir weisen die servile Haltung der Kirchenführung zurück, die von den Kopten verlangt, sich nicht an dem Aufstand zu beteiligen", so das Dokument weiter. "Die fortgesetzte Welle der Volksproteste hat den ägyptischen Geist trotz aller jüngsten Versuche, ihn durch die Förderung sektiererischer Umtriebe zu zerstören, wiederbelebt."

Rami Kamel, Mitglied der Koptischen Jugendbewegung, erklärte gegenüber der unabhängigen Tageszeitung 'Al-Masri Al-Jum' am 4. Februar: "Von Anfang an nehmen wir an den Demonstrationen teil, um den Rücktritt des regierenden Regimes einzufordern, dass wir für den wirtschaftlichen und sozialen Niedergang verantwortlich machen."


Respekt vor dem Glauben der anderen

Der Geist der nationalen Einheit ist aber nicht nur auf den Tahrir-Platz spürbar. Nach dem Abzug der Sicherheitskräfte von Kairos Straßen am 28. Januar gründete Abdulla Rageb, ein 42-jähriger muslimischer Regierungsangestellter in der Kairoer Altstadt ein 'Volkskomitee' zum Schutz der christlichen Kirchen. "Ich schütze diese Gotteshäuser so, als seien sie Moscheen, denn nach den Gesetzen des Islams sollen wir die christlichen Gebetsstätten schützen", so Rageb gegenüber IPS. "Als ägyptischer Moslem habe ich keinen Grund, Christen zu hassen. Wir sind immer Nachbarn gewesen und unsere Beziehungen sind ausgezeichnet."

"Es gibt keine tief sitzenden Probleme zwischen Ägyptens Christen und Muslimen", so auch Amgad Bishay, ein 26-jähriger koptischer Lehrer aus dem Norden Kairos. Er könne stets auf die Hilfe eines muslimischen Freundes zählen. "Selbst wenn wir uns mal streiten, dann nicht aus religiösen Gründen."

Viele Ägypter machen das Mubarak-Regime für die Spannungen zwischen Muslimen und Christen verantwortlich. Dafür spricht ihrer Meinung, dass es in den Wochen des Volksaufstandes zu keinem einzigen Angriff auf eine koptische Kirche gekommen ist. "Diese korrupte Regierung war zu 90 Prozent Schuld an den Problemen zwischen Ägyptens Christen und Muslimen, die Jahrhunderte lang in Harmonie koexistierten", meint Rageb. Eine Meinung, die Butros teilt. Er ist überzeugt, dass der Volksaufstand nicht nur Ägypten die Freiheit bringt, "sondern auch die religiösen Spannungen auflöst, von denen nur die regierenden Machthaber profitierten". (Ende/IPS/kb/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Februar 2011