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NAHOST/775: Volksaufstand in Ägypten lässt Palästinenser hoffen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 17. Februar 2011

Nahost:
Volksaufstand in Ägypten lässt Palästinenser hoffen

Von Mel Frykberg


Ramallah, Westjordanland, 17. Februar (IPS) - Der Volksaufstand in Ägypten hat in Palästina Hoffnungen auf tiefgehende politische Veränderungen geschürt. Nachdem Israel mit dem geschassten ägyptischen Präsidenten Husni Mubarak einen wichtigen arabischen Verbündeten verloren hat, rückt der Wunsch vieler Palästinenser nach einen eigenen Staat in greifbare Nähe.

"Wir haben den Punkt ohne Umkehr erreicht", versicherte Samir Awad von der Birzeit-Universität in der Nähe von Ramallah. "Der Zeitpunkt für die Gründung eines unabhängigen palästinensischen Staates ist nur noch Monate entfernt. Palästinenser werden bald Teil der Vereinten Nationen sein und gleichwertige Mitglieder der internationalen Gemeinschaft."

Derweil geben sich sowohl die radikal-islamische Hamas im Gazastreifen als auch die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) im Westjordanland alle Mühe, mit konkreten Zusagen das Gespenst der Revolution aus den von ihnen regierten Gebieten zu bannen.

In den vergangenen Wochen sah sich die PA in ihren Festen erschüttert, als sie beobachten konnte, wie sich etliche autokratische Regime in arabischen Ländern dem Druck der Straße beugen mussten. In zahlreichen Hauptstädten der arabischen Welt finden Revolten statt, die den betroffenen Regierungen einen gefährlichen Balanceakt abverlangen.


Palästinenserbehörde unter politischem Druck

Die Gefahr, die von unzufriedenen Menschenmassen ausgeht, ist der Palästinenserbehörde nicht entgangen, die selbst in den letzten Jahren in der Bevölkerung an Popularität einbebüßt hat. Ihr wird nicht zuletzt angekreidet, in den letzten Jahren wiederholt ihr Versprechen gebrochen zu haben, Wahlen abzuhalten. Die Amtszeit von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas lief bereits im Januar 2009 aus, und neue Parlamentswahlen sind seit Anfang 2010 überfällig.

Während die Regierung mit Sitz in Ramallah in den letzten Wochen bestrebt war, Sympathiekundgebungen für die tunesische und ägyptische Demokratiebewegung im Keim zu ersticken, stellte sie der Bevölkerung gleichzeitig konkrete politische Veränderungen in Aussicht.

Am 14. Februar löste die PA das Kabinett auf. Der Schritt erfolgte nach der Ankündigung, im September Wahlen abzuhalten. September ist auch der Monat, den sich die Abbas-Regierung als Termin gesetzt hat, um einen palästinensischen Staat zu errichten. Nach Angaben des PA-Ministerpräsidenten Salam Fajjad wird die Palästinenserbehörde ihre Forderung nach einem eigenen Staat vor den UN-Sicherheitsrat bringen. Die Hamas will sich mit dem Argument, der PA fehle die politische Legitimität, hingegen nicht an den Septemberwahlen beteiligen.

"Die Ereignisse in Ägypten und Tunesien machen der PA Angst und sie versucht, eine ähnliche Situation wie im Westjordanland zu vermeiden, meint Samir Awad. Die jüngste Kabinettsauflösung diene dem Zweck, das Ansehen Abbas' in der Bevölkerung zu verbessern. Das Kabinett galt vielen Palästinensern als funktionsuntüchtig.

Anders als in Ägypten und auch im von Israel abgeriegelten Gazastreifen muss die PA jedoch keine sozialen und wirtschaftlichen Unruhen befürchten, denn Awad zufolge ist der Fajjad-Administration die Ausbildung einer wirtschaftlich gesicherten Mittelklasse gelungen.

Wohl aber stehe die PA unter einem erhöhten politischen Reformzwang. Auch geht ihr durch die Absetzung des ägyptischen Staatspräsidenten Husni Mubarak ein wichtiger Verbündeter gegen die Hamas verloren, die wiederum mit handfesten Vorteilen rechnen darf.

"Es gibt keinen Zweifel, dass die Hamas von der Entmachtung Mubaraks als Mitverantwortlicher der israelischen Blockade des Gazastreifen profitiert", betonte Mosche Maoz, Professor an der Hebräischen Universität in Jerusalem. "Auch der revolutionsbedingte Aufstieg ihres ideologischen Bettgefährten, der ägyptischen Muslim-Bruderschaft, kommt der Hamas entgegen."

"Auch wir im Gazastreifen haben unter dem Mubarak-Regime gelitten. Ein neues starkes, demokratisches und unabhängiges Ägypten kommt auch der arabischen Einheit zugute", unterstrich wiederum Ahmed Jussef, ein politischer Berater des im Gazastreifen lebenden Hamas-Führers Ismail Hannijeh.


Hoffnung auf palästinensische Einheit

Doch die Entwicklungen in Kairo bringen auch die Hamas-Führung im Gazastreifen unter Zugzwang. Nach Ansicht von Samir Awad steht die Hamas aufgrund der extrem großen Armut im Gazastreifen unter hohem wirtschaftlichem Druck. "Da sie fürchten muss, dass eine Unzufriedenheit mit der Situation Unruhen auslöst, zieht sie es vor, gegenüber der Fatah-Regierung im Westjordanland einen versöhnlichen Ton anzuschlagen.

Dass die Unruhen in Tunis und Kairo zu einer Neubewertung ihrer Positionen führten, lässt viele Palästinenser auf eine Wiederannäherung der beiden verfeindeten Fraktionen hoffen. "Die Führung im Westjordanland bedient sich inzwischen einer anderen Sprache", so der Hamas-Berater Jussef. "Mubarak hatte einen großen Anteil an der Inflexibilität Abbas'.

Wie der Abbas-Sprecher Ghassan Chatib erklärte, wird sich jede neue ägyptische Regierung für die palästinensische Einheit einsetzen. "Wir glauben, dass die arabischen Massen die Palästinenser weit mehr unterstützen, als dies die aus dem Amt gejagten Regime taten." Sowohl die Hamas und die Fatah eint der Gedanke, dass der Druck auf die Besatzungsmacht Israel, einer Zweistaatenlösung zuzustimmen, wachsen wird, zumal sich die USA nicht mehr automatisch auf den Rückhalt arabischer Staaten verlassen können.

Doch palästinensische Links-Parteien und unabhängige Beobachter sind der Meinung, dass Fatah und Hamas endlich im Sinne der nationalen Einheit handeln sollten. Jamil Mezher von der Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP) warf beiden politischen Rivalen vor, "sich selbst hinter ihren eigenen Interessen zu verschanzen und den Palästinensern keine andere Wahl als die Revolution zu lassen".

Mezher zufolge verlangen die Menschen ein Ende der Teilung, doch ihr Ruf stoße bei den politischen Führern auf taube Ohren. "Tausende ließen auf dem Weg in die Freiheit und Unabhängigkeit ihr Leben oder landeten im Gefängnis. Wir werden das fortgesetzte Versagen unserer Führer nicht hinnehmen." (Ende/IPS/kb/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Februar 2011