Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → AUSLAND

NAHOST/783: Ägypten - Entführung, Folter, Mord, Brennende Fragen an Mubaraks Geheimpolizei (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 7. März 2011

Ägypten: Entführung, Folter, Mord - Brennende Fragen an Mubaraks Geheimpolizei

Von Emad Mekay


Kairo, 7. März (IPS) - In Ägypten hat die berüchtigte Geheimpolizei mit der Vernichtung ihrer Archive begonnen. Die Pro-Demokratie-Bewegung mobilisiert die Bevölkerung über Facebook und Twitter, um die Zerstörung der Unterlagen zu verhindern, von denen sie sich Einblicke in die Repressionsmaschinerie des gestürzten Staatspräsidenten Husni Mubarak verspricht. 30 Jahre lang konnten die Mitglieder von Amn Al-Dawla ungehindert schalten und walten, ohne dass sie fürchten mussten, für Fälle von Entführung, Folter und Mord zur Verantwortung gezogen zu werden.

Hunderte von Demonstranten versuchten am 5. März, die Verbrennung von Aktenordnern und Dokumenten in der Amn-Dawla-Zentrale in der Stadt 6. Oktober 20 Kilometer südlich von Kairo zu verhindern. Die Armee kam der Behörde mit Panzern und gepanzerten Fahrzeugen zu Hilfe und trieb die Demonstranten auseinander, die nur wenige Dokumente retten konnten.

Zu ähnlichen Protesten kam es in der Mittelmeerstadt Alexandria und in der Provinz Scharkia im Nordosten Kairos. Dort verlangten die Demonstranten nach Gerüchten über die Verbrennung von Geheimunterlagen die Auflösung von Amn Dawla, deren Menschenrechtsverbrechen bereits während des Mubarak-Regimes politischen Zündstoff boten. Augenzeugen in Alexandria berichteten gegenüber lokalen Fernsehsendern, dass im Gebäude befindliche Sicherheitskräfte auf Demonstranten geschossen und mindestens drei Personen verletzt hätten.

Amn Dawla erinnert an den ebenso gefürchteten Nachrichtendienst 'Savak' aus der Zeit des persischen Schahs in den 1970er Jahren, den die Islamische Revolution später auflöste. Die Abschaffung der berüchtigten Geheimpolizei ist der nächste Schritt, den die ägyptische Revolution anstrebt, seitdem sie am 11. Februar den Sturz des westlich gestützten Mubaraks und kurz darauf die Auflösung des Parlaments herbeiführte.


Gefährlich und einflussreich

Mitarbeiterzahl und Etat der einflussreichen ägyptischen Sicherheitspolizei sind weitgehend unbekannt, umso größer ist das Wissen um ihren politischen Einfluss. Wer in den Staatsdienst aufgenommen werden wollte, bedurfte ihrer Zustimmung. Auch konnte die Regierung niemanden ernennen, der nicht von ihr gebilligt worden wäre. Amn Dawla wachte zudem mit Argusaugen über junge Armeeangehörige, um sicherzustellen, dass sie Mubarak treu ergeben waren, und schickte Spione aus, die die Stimmung im Lande und Regimekritiker auskundschafteten.

"Sie verbot sogar allen Männern über 60 Jahren, dass sie sich in den Moscheen versammelten, um aus dem Koran zu lesen", berichtet Hadsch Mohammed Ali. "Versammlungen waren grundsätzlich verboten. Die Geheimpolizei wollte uns mit eiserner Faust kontrollieren."

Dem Lehrer Sajed Al-Gazzar ist das Schicksal seines Bruder Khaled nur allzu präsent, den Amn Dawla-Mitglieder drei Tage lang aufs Schwerste folterten, nachdem sie ihn ohne Personalausweis aufgegriffen hatten. "Khaled verließ die Haft als kranker Mann", berichtet Al-Gazzar. Ein Jahr später sei der zutiefst traumatisierte Bruder gestorben.


Ruf nach Rettung der Geheimarchive

Solche Berichte geben Forderungen Auftrieb, die Geheimpolizei aufzulösen und deren Menschenrechtsverletzungen zu ahnden. In sozialen Netzwerken wie Facebook und Twitter wird inzwischen der Ruf laut, die Büros der Sicherheitspolizei zu umzingeln und die Archive des Grauens zu retten, um eine strafrechtliche Verfolgung der Täter möglich zu machen.

Die Gruppe 'Koalition der Revolution vom 25. Januar' (benannt nach dem ersten großen Protesttag in Ägypten), ein Zusammenschluss junger Anführer des Volksaufstands, hat bereits angekündigt, landesweite Sit-ins zu veranstalten, sollte die Armee nicht dafür sorgen, dass die Vernichtung des Beweismaterials durch die Geheimpolizei eingestellt wird.

"Unsere unmissverständliche Forderung ist die Auflösung dieser Polizeitruppe", heißt es in einem an IPS weitergeleiteten Statement. "Wir werden unseren Druck in den nächsten Stunden erhöhen (...) Dazu gehört auch, dass wir Ägyptens Massen auffordern werden, solange zu demonstrieren, bis die Geheimpolizei abgeschafft ist."

Doch das Überspringen der Proteste auf andere Amn Dawla-Büros könnte mehr Gewalt nach sich ziehen. Die Geheimpolizisten sind bewaffnet und haben auch in der Vergangenheit nicht lange gefackelt, wenn es darum ging, Demonstranten niederzuschießen.

Der neue Ministerpräsident Essam Scharaf ist offenbar geneigt, die verhassten Einheiten aufzulösen und deren Verbrechen zu ahnden. Innenminister Mahmud Wagdi, ein Mitglied der alten Garde, ist gegen die Abschaffung und für die Erneuerung von Amn Dawla.

Menschenrechtsorganisationen und Pro-Demokratie-Aktivisten wollen auch weiterhin dafür sorgen, dass in Zukunft alle Vertreter des Mubarak-Regimes von der Macht verschwinden. Am 3. März veröffentlichte das Arabische Netzwerk für Menschenrechtsinformation eine Reihe durchgesickerter Geheimdokumente zu den Amn-Dawla-Verbrechen und kündigte an, dass der "Coundown" für die Abschaffung des Geheimdienstes bereits laufe. (Ende/IPS/kb/2011)


Links:
http://www.anhri.net/en/
http://ipsnews.net/news.asp?idnews=54728

© IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH


*


Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 7. März 2011
IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 28 482 361, Fax: 030 28 482 369
E-Mail: redaktion@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. März 2011