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NAHOST/799: Libyen - Hunderte Gefangene in der Hand von Rebellen und Armee (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 6. April 2011

Libyen: Ungewisses Schicksal - Hunderte Gefangene in der Hand von Rebellen und Armee

Von Francesca Cicardi


Bengasi, 6. April (IPS) - Im libyschen Bürgerkrieg haben beide Seiten seit Mitte Februar viele Hundert Gefangene gemacht, über deren Verbleib und Schicksal bislang nichts bekannt ist. Aufständische, die den regulären Streitkräften in die Hände fielen, landeten vermutlich in Gaddafis Hochburgen Sirte oder Tripoli in den berüchtigten Gefängnissen und gelten als vermisst. Unterdessen bemühen sich Vertreter von Menschenrechtsorganisationen, die Rebellen dazu zu bewegen, im Umgang mit ihren 'Kriegsgefangenen' international gültige Rechtsnormen zu respektieren.

Besonders schlimme Erfahrungen mit dem gefürchteten libyschen Geheimdienst Amn al-Dawla haben Menschen im Osten Libyens machen müssen. Kaum ein Einwohner von Bengasi, dessen Freunde oder Angehörige nicht unter den Folterknechten des Amn al-Dawla gelitten haben. Jetzt ist zu befürchten, dass die Vermissten in der Hand der Regierungstruppen Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt sind. Es gibt keine Möglichkeit, sich über den Verbleib der Gefangenen oder vor Ort über deren Haftbedingungen zu informieren.

Doch Sorgen bereitet den Aktivisten von Nichtregierungsorganisationen (NGO) wie 'Amnesty International' (AI) oder 'Human Rights Watch' (HRW) auch das Schicksal der von Rebellen gefangen genommenen Soldaten. Unter den Gefangenen waren auch viele ausländische Wanderarbeiter, die als vermeintliche schwarzafrikanische Söldner eingesperrt oder von einem aufgebrachten Mob verfolgt wurden.

Nach Ansicht der für Amnesty International arbeitenden Wissenschaftlerin Donatella Rovera handelt es sich bei den gefangenen Soldaten um juristisch besonders komplizierte Fälle. Im Gespräch mit IPS stellte die Expertin fest: "Derzeit gibt es praktisch keine für sie zuständigen Institutionen." In Libyen existiert nach der fast 42-jährigen Diktatur des Revolutionsführers Gaddafi keine funktionierende Justiz.

Essam Geriani, der Sprecher der Rebellentruppen und des in Bengasi als Interimsregierung auftretende 'Transitional National Council' , versicherte, man halte sich bei der Behandlung der Gefangenen an internationale Vorschriften, ermittele gegen sie und werde sie vor Gericht bringen. Allerdings mangele es den neuen Autoritäten noch an Erfahrung, so dass es auch zu Fehlern komme, räumte er ein.


Als 'Söldner' vorgeführt

Als den bislang schlimmsten Missgriff der Aufständischen bezeichnete der HRW-Krisenexperte Peter Bouckaert die Vorführung von Gefangenen, die Vertretern internationaler Medien als 'Söldner' präsentiert wurden, ohne jede Unschuldsvermutung. "Damit wurden nicht nur die vorverurteilten Gefangenen selbst in Lebensgefahr gebracht, auch ihren Familien könnten schwere Repressalien drohen" sagte Boukaert IPS.

Abgesehen von diesem Zwischenfall respektierten die Behörden der Aufständischen die Rechte ihrer Gefangenen, betonte Rovera. Sie seien um ihre Sicherheit bemüht und hielten sie vor aufgebrachten Menschenmengen versteckt. Auch Fälle von Folter habe man bislang nicht festgestellt, betonte die AI-Vertreterin. Sie hatte die Unterbringung der Gefangenen überprüfen können.

Geriani betonte: "Wir mögen sie hassen, doch ihre Grundrechte können wir ihnen nicht vorenthalten." (Ende/IPS/mp/2011)


Links:
http://www.ifrc.org/
http://www.amnesty.org/en/region/libya
http://www.hrw.org/en/middle-east/n-africa
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=55135

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 6. April 2011
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. April 2011