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NAHOST/833: Syrien - Offensive gegen Aufstand (ZLV)


Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek - 15. Juni 2011

Offensive gegen Aufstand
Schwere Kämpfe in Syrien - Einwohner fliehen aus der betroffenen Region

Karin Leukefeld, Damaskus


Mit einer massiven Offensive geht das syrische Militär seit Sonntag gegen bewaffnete Aufständische in Dschisr Al-Schughur vor. Der 50.000 Einwohner zählende Ort liegt nur wenige Kilometer von der Grenze zur Türkei entfernt. Das Militär setzt bei der von Maher Assad, dem Bruder des syrischen Präsidenten, befehligten Operation Panzer und Hubschrauber ein. Baschar Al-Assad selbst hat sich seit Tagen nicht mehr öffentlich zu den Ereignissen im Land geäußert. Auf Seiten der Aufständischen werden Panzerfäuste und Dynamit eingesetzt, Brücken und Straßen wurden vermint. Unbestätigten Berichten zufolge sollen mindestens ein Dutzend Panzer zerstört und zwei Hubschrauber abgeschossen worden sein, was auf schwere Waffen der Aufständischen hinweist.

Nach Angaben türkischer Behörden und dem türkischen Roten Halbmond sollen bisher 5.000 Einwohner aus Dschisr Al-Schughur über die Grenze gekommen sein, vorwiegend Frauen und Kinder. Tausende weitere sollen auf syrischer Seite an der Grenze warten. Der türkische Rote Halbmond hatte offenbar in Erwartung einer Flüchtlingswelle bereits vor Wochen Lager errichtet. Reportern internationaler Medien ist der Zutritt zu diesen aber untersagt.

Einige Personen, die direkt nach dem Grenzübertritt befragt wurden, dementierten die offizielle syrische Darstellung, daß es in Dschisr Al-Schughur bewaffnete Auseinandersetzungen gebe. Ein Mann sagte dem türkischen Fernsehsender NTV, syrische Panzer beschossen die Stadt, es gäbe aber keine Kämpfe, weil alle Menschen geflohen seien. Die Armee habe Felder in Brand gesetzt und Vieh getötet. Ein namentlich nicht genannter westlicher Diplomat in Damaskus bezeichnete gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters die staatliche Darstellung der Ereignisse als »unwahrscheinlich«. »Die meisten Menschen haben Dschisr Al-Schughur verlassen, nachdem sie die Politik der verbrannten Erde des Regimes gesehen haben«, so der Diplomat.

Rund 20 Vertreter ausländischer Fernsehanstalten und Agenturen wurden am Wochenende von der syrischen Armee »eingebettet« und in zur Operation in Dschisr Al-Schughur mitgenommen. Sie wurden Zeugen von Kämpfen und Festnahmen, einige Reporter gerieten dabei offenbar selbst ins Kreuzfeuer. Die vorwiegend sunnitisch-muslimische Bevölkerung des Ortes soll die in Syrien verbotene Muslimbruderschaft unterstützen. 1980 war ein Aufstand in Dschisr Al-Schughur blutig niedergeschlagen worden. Auslöser der aktuellen Militäroperation ist der Tod von mehr als 100 Polizisten und Soldaten, die vor einer Woche von bewaffneten Aufständischen getötet worden sein sollen. Am Samstag öffnete das syrische Militär eine Grube am Rande des Ortes, aus der acht Leichen von Sicherheitsleuten geborgen wurden, die schwere Verstümmelungen aufwiesen.

Unterdessen wurde bekannt, daß es sich bei der syrischen Bloggerin »Amina Arraf«, die nach Angaben einer »Cousine« vor einigen Tagen von syrischen Sicherheitskräften verschleppt worden sein soll, um eine Fälschung gehandelt haben dürfte. Das berichten übereinstimmend britische und US-amerikanische Medien, die zuvor ausführlich über die »Aktivistin für Freiheit und Demokratie« berichtet hatten. Als tatsächlicher Autor des angeblich aus Damaskus stammenden Blogs nannte der britische »Guardian« den Studenten Tom MacMaster. Die »New York Times« berichtete unterdessen, daß die USA-Regierung die heimliche Kommunikation von Regimekritikern in Ländern des Nahen Ostens unterstütze. Auch in Syrien helfe sie beim Aufbau alternativer Handynetze, damit Aufständische und Oppositionelle sich besser vernetzen könnten.


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Quelle:
Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Juni 2011