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NAHOST/894: Iran - Konfliktforscher halten Nuklearabkommen für machbar (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 24. Februar 2012

Iran: Verhandlungslösung trotz Kriegsgeläut - Konfliktforscher halten Nuklearabkommen für machbar

von Jim Lobe


Washington, 24. Februar (IPS) - Die Konfliktforscher der 'International Crisis Group' (ICG) räumen einem Abkommen zwischen den westlichen Staaten und dem Iran über Teherans kontrovers diskutiertes Atomprogramm trotz aller Kriegsrhetorik immer noch Chancen ein. So könnte der Iran durch konkrete Angebote dazu gebracht werden, umfangreichen Kontrollen seiner Nuklearanlagen zuzustimmen.

Es bestehe eine reelle Chance, dass sich Teheran bereit erklären könnte, alle Fragen zum Stand seiner Atomwaffenforschung vor 2003 zu beantworten und seine angereicherten Uranbestände von derzeit 20 Prozent gegen Kernbrennstäbe aus dem Ausland zu ersetzen.

Im Gegenzug müssten die sogenannten P5+1-Länder - die fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats USA, Großbritannien, Frankreich, Russland und China sowie Deutschland - auf die Verhängung weiterer Sanktionen verzichten. Darüber hinaus müssten sie dem Iran das Recht einräumen, bis zu fünf Prozent seines Urans anzureichern, und die bestehenden Sanktionen gegen das Land schrittweise abbauen.

Der 45 Seiten starke Bericht 'In Heavy Waters: Iran's Nuclear Program, the Risk of War and Lessons from Turkey' appelliert an die Vereinigten Staaten und die EU, sich an der Türkei ein Beispiel zu nehmen, die für eine komplette Einbindung des Irans eintritt anstatt für eine Politik der Isolation, Sanktionen, Sabotage und Drohungen.

"Für eine Weltgemeinschaft, die dringend auf neue Denkansätze angewiesen ist, gibt es schlechtere Dinge, als von der türkischen Erfahrung zu lernen und deren Anschauungen in Erwägung zu ziehen", heißt es in dem Bericht. Der Iran müsse auf allen Ebenen einbezogen werden. Auch gelte es eine große Vielfalt von Staaten einschließlich der Schwellenländer zu beteiligen, denen sich der Iran stärker verbunden fühle.


Krieg als Armutszeugnis

"Wirtschaftlicher Druck ist im besten Fall vergeblich, im schlimmsten Fall konterproduktiv", heißt es in dem Report. So solle man Teheran einen realistischen Vorschlag unterbreiten. Schließlich seien Sanktionen und Militäreinsätze kein Ausweg, sondern "ein erbärmliches Versagen".

Der Bericht erscheint zu einer Zeit, in der über einen möglichen israelischen Angriff auf die iranischen Nuklearanlagen spekuliert wird. Die US-Regierung von Barack Obama steht zudem unter dem wachsenden Druck israelischer Kongressabgeordneter, neue Sanktionen gegen den Iran zu verhängen und konkrete Maßnahmen wie die Entsendung weiterer Kriegsschiffe an den Golf zu ergreifen, sollte sich der Iran nicht zu einer Einstellung seines Atomprogramms entschließen.

Der Report folgt ferner den beiden Besuchen hochrangiger Delegationen der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), bei denen den Gästen der Besuch einer Militärbasis untersagt worden ist, auf der angeblich Atomwaffen getestet wurden. Darüber hinaus konnten sich die Gesprächspartner nicht auf einen Zeitplan für die Klärung aller noch ausstehenden Fragen zur iranischen Atomforschung einigen, die nach Ansicht westlicher Staaten Teil eines Waffenprogramms ist.


Verhandlungen wiederbeleben

Obwohl die IAEA-Missionen erfolglos verlaufen sind, messen die ICG-Forscher der neuerlichen Bereitschaft Teherans, in den von EU-Außenkommissarin Catherine Ashton im Namen der P5+1 übermittelten Vorschlag einer Wiederaufnahme der seit einem Jahr stagnierenden Gespräche einzuwilligen, eine große Bedeutung bei. Dadurch wachsen die Chancen für eine neue Gesprächsrunde, die Experten zufolge Ende März oder April in Istanbul stattfinden könnte.

Seitdem die Spannungen zwischen Israel und Iran zunehmen, mehren sich die Vorschläge, wie ein Krieg in der Region verhindert werden kann. Anfang Februar hatten die beiden hochrangigen US-Diplomaten, der ICG-Vorsitzende Thomas Pickering und William Luers, in einem Meinungsbeitrag in der New York Times die IAEA und den UN-Sicherheitsrat dazu aufgefordert, ein iranisches Atomprogramm unter bestimmten Voraussetzungen zuzulassen. So sollten sie unter der Bedingung, dass die IAEA-Inspektoren den vollständigen Zutritt zum Atomwaffenprogramm erhalten, einer Urananreicherung von bis zu fünf Prozent zustimmen.

Ein solches Tauschgeschäft als Teil einer übergreifenden Initiative, die der Vertrauensbildung und der Zusammenarbeit zwischen den USA und dem Iran in beiderseits wichtigen Bereichen förderlich ist, könnte nach einer Umsetzung der Regelung die schrittweise Abschaffung von UN-Sanktionen gegen den Iran nach sich ziehen.

Dieser Vorschlag fand bei dem emeritierten Vorstandsvorsitzenden des einflussreichen 'Council on Foreign Relations', Leslie Gelb, ein offenes Ohr. "Natürlich wissen wir nicht, ob sich der Iran diesmal darauf einlassen wird", meinte er. "Wenn wir aber nicht wenigstens versuchen, den Verhandlungsweg einzuschlagen, werden wir mit einem Krieg voller Unsicherheiten und Gefahren konfrontiert sein", schrieb er im Nachrichtenmagazin 'Daily Beast'.

Für einen Deal, der beiden Seiten Zugeständnisse abringt, ist auch Seyed Hossein Mousavian, ein iranischer Diplomat und ehemaliger Sprecher des Nuklearverhandlungsteams, der an der 'Princeton University' lehrt. Wie er in einer Kolumne der 'Bloomberg News' Mitte Februar schrieb, sollte der Iran gegenüber dem IAEA ein Höchstmaß an Transparenz an den Tag legen, die Anreicherungsaktivitäten auf unter fünf Prozent begrenzen und die offenen Fragen der IAEA zum iranischen Nuklearprogramm beantworten. Der Westen wiederum müsse das Recht Teherans auf Anreicherung anerkennen und Sanktionen als Teil des russischen Stufenplans aufheben.

Den vielleicht überraschendsten Beitrag leistete Dennis Ross, einst Obamas Chef-Iran-Berater, der in der Nuklearfrage lange den Falken zugeordnet wurde. In einem Meinungsbeitrag in der Times ließ er durchblicken, dass Washington bereit sein könnte, einem Abkommen zuzustimmen, das Inspektionen gegen eine begrenzte Urananreicherung vorsieht. Auch begrüßte er den russischen Stufenplan, ohne allerdings konkrete Angaben zu machen, wann und wie die bestehenden Sanktionen gelockert werden könnten.


Vorbild Türkei

Der neue ICG-Bericht hält fest, dass die Türkei, die jeden Militärschlag gegen den Iran ablehnt, über nützliche Erfahrungen im Umgang mit der iranischen Nuklearfrage verfügt, die von den gemeinsam mit Brasilien 2010 unternommenen Bemühungen herrühren, ein vertrauensbildendes Abkommen zustande zu bringen, das sowohl die P5+1 als auch den Iran zufriedenstellt.

Glaubwürdig sei die Türkei aufgrund ihres Widerstands gegen umfangreiche Subventionen und ihrer Unterstützung eines Dialogs mit dem Iran. Ähnliche Positionen nehmen Russland und China ein. "Das heißt nicht, dass die Türkei dafür ist, dass der Iran Atomwaffen besitzen sollte", heißt es in dem Bericht. "Doch vertritt die Türkei die Ansicht, dass der Westen nicht einfach vorschreiben könne, welches Land nukleare Kapazitäten haben sollte." Zudem sei die Türkei entspannter, was den Status des iranischen Programms angehe, und der Meinung, dass ein Atomwaffenstaat Iran eine entfernte und unsichere Option sei. (Ende/IPS/kb/2012)


Links:
http://www.crisisgroup.org/en/regions/middle-east-north-africa/iraq-iran-gulf/iran/116-in-heavy-waters-irans-nuclear-program-the-risk-of-war-and-lessons-from-turkey.aspx
http://www.thedailybeast.com/articles/2012/01/30/leslie-h-gelb-on-how-president-obama-should-handle-iran.html
http://www.bloomberg.com/news/2012-02-17/how-the-u-s-iran-standoff-looks-from-iran-hossein-mousavian.html
http://www.nytimes.com/2012/02/15/opinion/give-diplomacy-with-iran-a-chance.html?_r=1
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=106870

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 24. Februar 2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Februar 2012