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NAHOST/972: Iran - Machtkampf nimmt drastische Formen an, Revolutionsführer scheint geschwächt (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 14. Februar 2013

Iran: Machtkampf nimmt drastische Formen an - Revolutionsführer scheint geschwächt

von Yasaman Baji



Teheran, 14. Februar (IPS) - Im Iran haben die jüngsten politischen Konfrontationen die tiefen Risse in den Beziehungen zwischen den führenden Politikern aufgezeigt. Befürchtet wird, dass sie sich im Vorfeld der Wahlen im Juni zu einem Krieg aller Fraktionen ausweiten könnten. Der einzige, der die Machtkämpfe kontrollieren könnte, wäre der Religionsführer Ali Chamenei. Doch den scheinen die Ereignisse aus der Bahn geworfen zu haben.

Die Politik in der Islamischen Republik war schon immer für Überraschungen gut gewesen. Doch das, was in den ersten Februartagen vor sich ging, ist kaum zu toppen. Den Anfang machte das Parlament mit der Entscheidung, ein Amtsenthebungsverfahren gegen den Minister für Kooperativen, Arbeit und soziale Wohlfahrt, Abdolresa Scheicholeslami, einzuleiten.

Die Abgeordneten warfen dem Minister vor, die Entlassung des ehemaligen Richters und Generalstaatsanwalts von Teheran, Said Mortasawi, aus seinem Amt als Direktor der Sozialversicherungsorganisation (SSO) hintertrieben zu haben. Sie erbost besonders der Umstand, dass die dem Ministerium unterstehende SSO öffentliche Vermögenswerte an regierungsnahe Personen und Unternehmen veräußert hat.

Bereits zuvor hatte das Verwaltungsgericht die Entlassung Mortasawis gefordert. Als Begründung hieß es, dass Mortasawi nicht über die für den Job notwendigen Qualifikationen verfüge und wegen zahlreicher Gerichtsverfahren gegen seine Person als Richter entlassen worden sei.


Ränkespiel

Die Regierung vereitelte jedoch die Umsetzung des Urteils, indem sie zunächst der SSO einen neuen Namen gab und die Organisation dem Büro des ersten Vizepräsidenten unterstellte. Mortasawi wurde zwar aus dem Amt des Direktors entfernt, dann aber bis zur Ernennung eines neuen SSO-Chefs wieder eingesetzt. Bei den Parlamentariern löste die Farce Empörung aus. Da sie verfassungsrechtlich keine Handhabe gegen den ersten Vizepräsidenten hatten, enthoben sie Scheicholeslami seines Amtes.

Doch während des Amtsenthebungsverfahrens, das live im Radio übertragen worden war, kam es zum Eklat. Empört über den Umgang des Parlaments mit seinem Vertrauten Mortasawi, zu dessen Verhalten der Staatschef befragt werden sollte, spielte Ahmadinedschad eine Tonaufnahme über eine angebliche Geheimunterredung zwischen Mortasawi und Fasel Laridschani, dem jüngeren Bruder des mächtigen Parlamentspräsidenten Ali Laridschani, ab, in der Fasel Mortasawi aufgefordert haben soll, ihm profitable Verträge zuzuschanzen.

Fasel Laridschani wies die Vorwürfe zurück und kündigte gerichtliche Schritte gegen Ahmadinedschad und Mortasawi an. Sein Bruder Ali Laridschani, ein erbitterter Gegner des Staatspräsidenten und möglicher Nachfolger, berichtete später, man habe ihm damit gedroht, die Tonaufnahme abzuspielen, sollte er das Amtsenthebungsverfahren nicht stoppen. Doch die gewaltige Stimmenmehrheit zugunsten der Absetzung Scheicholeslamis gilt als Abstrafung Ahmadinedschads für sein fragwürdiges Auftreten.

Nachdem sich die Iraner zunächst über das politische Hickhack amüsierten, macht sich bei vielen inzwischen ein Gefühl der Beklemmung breit. Ahmadinedschads Vorliebe, Politikern damit zu drohen, sie als korrupt bloßzustellen, wurde erstmals bei seiner Wiederwahl zum Präsidenten 2009 sichtbar, als er Schlüsselfiguren der Islamischen Republik wie den ehemaligen Staatspräsidenten Akbar Haschemi Rafsandschani und den früheren Parlamentspräsidenten und Präsidentschaftskandidaten Ali Akbar Nateq Nuri heftig anging. Doch sein Frontalangriff auf die Laridschani-Familie gilt als bisheriger Höhepunkt.

Mortasawi wurde nach dem Amtsenthebungsverfahren wegen der widerrechtlichen Aufnahme eines Gesprächs unverzüglich festgenommen. Die Entscheidung der Justiz beruhigte die Geister und erweckte den Eindruck, dass Ahmadinedschad endlich an die Kette gelegt werde. Auch die Presse war zufrieden, denn Mortasawi hat als Richter die Festnahme zahlreicher Journalisten und die Schließung vieler reformistischer Zeitungen zu verantworten.

Wie ein politischer Analyst gegenüber IPS erklärte, verspüren viele Iraner neben der Genugtuung, dass es den auch für Menschenrechtsverletzungen verrufenen Mortasawi endlich an den Kragen ging, auch die Hoffnung, dass der Revolutionsführer Chamenei dem Staatschef Ahmadinedschad und dessen Freunden deren gravierende Rechtsverstöße nicht länger durchgehen lässt. Doch Mortasawis Freilassung am nächsten Tag hat dieser Hoffnung einen Dämpfer aufgesetzt. Vollends starb sie dann am 10. Februar, als der Parlamentspräsident während seiner Rede zum Jahrestag der Revolution in der Stadt Qom, die er im Parlament vertritt, mit Gegenständen beworfen wurde.


Angst vor einem entfesselten Präsidenten

Der bekannte Kleriker Mohammad Dschawad Hodschati Kermani hatte am 6. Februar in der Tageszeitung 'Ettela'at' erklärt, jeden Tag für das Wohlergeben Chameneis zu beten. "Im Fall seines Todes möchte ich mir gar nicht ausmalen, was dann in diesem Land, in diesem Staat geschehen (...) und was dieser übergriffige, verleumderische und hitzige (Ahmadinedschad) unserem Volk antun wird."

Die meisten Beobachter sind der Meinung, dass der Revolutionsführer gar nicht über die nötige Macht verfügt, um den Staatschef in die Schranken zu verweisen. Ein Universitätsprofessor, der sich Anonymität ausbat, vertrat die Meinung, dass die seit 2001 verfolgte Strategie Chameneis, den Staatschef während dessen auslaufender Amtszeit kontinuierlich zu schwächen, nicht aufgegangen ist. Er fürchtet, dass Chamenei aus dem Gleichgewicht geraten ist und nicht weiß, was er tun soll.

Einem weiteren Beobachter zufolge gibt es zwei Gründe für die Unentschlossenheit Chameneis. So habe er Angst, dass bei Ahmadinedschads 'Enthüllungen' auch eine Verwicklung seiner eigenen Kinder in Korruptionsfälle und die Wahlmanipulationen 2009 zutage treten könnten. Außerdem könnte er sich genötigt sehen, zuzugeben, mit der Unterstützung Ahmadinedschads nach den Wahlen 2009 einen Fehler begangen zu haben.

Nun warten die Menschen auf seine Stellungnahme zu den jüngsten Ereignissen, die er in seiner letzten Rede angekündigt hatte. Bleibt abzuwarten, ob sich das Spiel mit dem Feuer in diesem Monat zu einem Brand ausweiten wird. (Ende/IPS/kb/2013)


Link:

http://www.ipsnews.net/2013/02/khamenei-looks-off-balance-after-dramatic-week/

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IPS-Tagesdienst vom 14. Februar 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Februar 2013