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OSTEUROPA/291: Schwere Differenzen zwischen Rußland und der Ukraine (Falkenhagen/Queck)


Schwere Differenzen zwischen Russland und der Ukraine. Ein bezeichnender Briefwechsel zwischen dem russischen Präsidenten Medwedjew und dem ukrainischen Präsidenten Juschtschenko

Kommentar von Hans-Jürgen Falkenhagen und Brigitte Queck, 16.8.2009


Am Dienstag den 11. August richtete der russische Präsident Medwedjew einen Brief an seinen ukrainischen Amtskollegen Juschtschenko. Die Beziehungen beider Länder seien in eine Sackgasse geraten, heißt es in diesem Brief. Er wirft dem ukrainischen Präsidenten einen gegen Russland gerichteten Kurs der Westintegration mit dem Ziel des NATO-Beitritts und zunehmend staatlich geförderte Russlandfeindlichkeit vor. Es sei nicht hinnehmbar, dass in Kiew alles getan werde, was Amerika und der Westen von der Ukraine will. Juschtschenko betrachte die Ukraine als Frontstaat der Freiheit im westlichen Sinne. Er wolle einen Schutzwall gegen Moskau errichten und strebt dazu die NATO-Mitgliedschaft der Ukraine an. Das widerspräche dem Vertrag über Freundschaft und gegenseitige Zusammenarbeit von 1997 und anderen beiderseitigen Verträgen und Abkommen. Zur "Front der Freiheit" zähle Juschtschenko auch den Versuch, die Transitländer des russischen Erdgases auf dem Wege nach Europa unter ukrainische Kontrolle zu bringen. So könne der Gaskonflikt im Herbst 2009 oder Winter 2009/2010 wieder ausbrechen, heißt es in dem Schreiben dazu. Zudem sei Juschtschenko einer der Verfechter der Nabucco-Gasleitung, die Russland im Süden umgehen soll.


Die Vorwürfe des Medwedjew-Briefes lauten weiter im Detail: Im Georgienkonflikt habe sich Juschtschenko auf die Seite von Georgien gestellt, er beliefere bis heute Georgien weiter mit militärischen Ausrüstungen und Waffen und unterstütze weiter die territorialen Forderungen von Tbilissi auf Abchasien und Südossetien. Juschtschenko wolle noch vor Ablauf des russisch-ukrainischen Pachtvertrages die russische Flotte aus Sewastopol vertreiben und dazu das Abkommen vom 1997 nicht einhalten, das den Aufenthalt der russischen Schwarzmeerflotte bis zum 28. Mai 2017 gestattet. Unberechtigt bezichtige Juschtschenko die russische Seite der laufenden Verletzung der Vertragsbedingungen über den Flottenaufenthalt, z. B. durch angebliche Missachtung von ukrainischen Navigations-, Kommunikations- und Grundstücksrechten im Gebiet von Sewastopol.
Ferner betreibe Juschtschenko die zwangsweise Entrussifizierung in der Ukraine unter anderem durch zunehmende Diskriminierung der russischen Sprache, Kultur und auch der christlich-orthodoxen Kirche, der sich Russland verbunden fühlt. Das habe sich auch beim Besuch des Patriarchen von Moskau und ganz Russland Kyrill in der Ukraine in der ersten Augusthälfte 2009 gezeigt.
Der ukrainische Präsident sei für die zunehmenden Spannungen mit Russland verantwortlich, so z. B. durch Ausweisung von zwei russischen Diplomaten. Deswegen könne Medwedjew vorerst auch nicht die Ernennung des neuen russischen Botschafters in Kiew bestätigen. Der Erlass zur Ernennung des neuen russischen Botschafters M. Zurabov (Surabow) in Kiew erging dann aber nichts desto trotz am 14. August. Die weitere Entwicklung des russisch-ukrainischen Konflikts könne in eine geopolitische Katastrophe hinüberwachsen, betonte Medwedjew. Zwei slawische Völker, die Schulter an Schulter standen und einander gut kennen, würden in den gegenseitigen Kampf getrieben und das vor den Augen von fremden Mächten, die daraus ihren Nutzen ziehen wollen. Juschtschenko stelle die Ukraine als Opfer des russischen Imperialismus hin und verfälschte damit die ukrainische Geschichte. Auch Frau Timoschenko halte es nicht für notwendig, diesen Mythos zu beseitigen, heißt es in dem Brief weiter.
Medwedjew schlägt zur Überwindung der Konfliktsituation vor, die Arbeit auf den beiderseitigen politischen und diplomatischen Kanälen zu verstärken, gemeinsame Kommissionen z. B. der Staatsduma und der Werchowna Rada, der beiden Parlamente, zu bilden sowie die Zusammenarbeit von Bürgergesellschaften beider Staaten zu betreiben, um beide Staaten und ihre Eliten zusammenzuführen. Medwedjew geht auch auf die Frage ein, was sich hinter dieser negativen ukrainischen Politik verbirgt. Er gibt die Antwort wie folgt: Als so genannter Verteidiger der Unabhängigkeit der Ukraine und der ukrainischen Kultur sehe Juschtschenko in der Schürung des Hasses auf die Russen die einzige Chance, die Präsidentenwahlen trotz derzeit miserabler Umfragewerte zu gewinnen. Juschtschenko sei enttäuscht, dass andere Präsidentschaftskandidaten seine Auffassungen bezüglich Russlands nicht teilen.


In seinem Antwortschreiben vom 13. August versuchte Juschtschenko die Bedeutung der Worte von Medwedjew herunterzuspielen. Er könne bestätigen, dass "zwischen unseren Ländern ernste Probleme bestehen". Die Ukraine wäre aber nie von den Prinzipien der Partnerschaft, die im Vertrag von 1997 und anderen beiderseitigen Verträgen fixiert sind, abgewichen. Der Vertrag von 1997 beruhe auf der gegenseitigen Achtung der Souveränität. Letzteres meint Juschtschenko besonders betonen zu müssen. Dagegen erhebt Moskau aber keinerlei Einwendungen. Juschtschenko befürwortet, und das fällt speziell in seinem Antwortschreiben auf, nur pragmatische Beziehungen zu Russland auf wirtschaftlichem Gebiet, besonders auf dem Energiesektor, d. h. er will natürlich vorerst weiter ungestört Rohstoffe und andere wichtige Güter aus Russland beziehen und auch den diesbezüglichen Transitverkehr zu anderen Ländern sicherstellen, gleichgültig wie feindselig sich die Beziehungen Russlands und der Ukraine auf anderen Gebieten gestalten. Weiter heißt es dann im Antwortbrief Juschtschenkos: Die russische Flotte müsse aus Sewastopol abziehen, weil die ukrainische Verfassung den Aufenthalt fremder Truppen einschließlich Flotten auf ukrainischem Boden und in ukrainischen Gewässern verbiete. Das musste nun ausgerechnet Juschtschenko erklären, der fremde NATO-Truppen, NATO-Heeresverbände sowie NATO-Luftwaffeneinheiten und -Kriegsschiffe in die Ukraine hereinlassen und gegen Russland aufmarschieren lassen will.


Zur Georgienproblematik schreibt Juschtschenko: Die Lieferung von Waffen und anderen militärischen Gütern an Georgien seien durch keine Beschlüsse des Weltsicherheitsrates, der OSZE, der EU oder anderer internationaler Organisationen untersagt. Sie entsprächen der internationalen Praxis. Georgien sei auch keinen internationalen Sanktionen oder Embargomaßnahmen unterworfen, da die Ansprüche Georgiens auf Südossetien und Abchasien rechtens wären, konstatiert Juschtschenko. Er unterschlägt nur, dass es sich hier um feindselige Akte gegen Russland handelte und handelt, die eine erhebliche Gefährdung des Friedens in diesem Raume beinhalten und der völkerrechtlichen Friedenspflicht der Ukraine sowie Georgien zuwider laufen.
Russlands Bereitschaft, weiter mit der Ukraine auf gleichberechtigter Basis zum gegenseitigen Vorteil zusammenzuarbeiten und ihre Souveränität voll zu achten, stellte Medwedjew in seinem Brief mit keinem Wort in Frage. Aber muss sich Russland den NATO-Beitritt der Ukraine gefallen lassen, die 1991 freiwillig von Moskau in die völlige staatliche Unabhängigkeit entlassen wurde, nachdem sie vorher eine Sowjetrepublik war?
Zum NATO-Beitritt der Ukraine schreibt Juschtschenko Folgendes: Der Kurs auf die Mitgliedschaft in der NATO leite sich aus dem souveränen Recht der Ukraine ab, sich seine Bündnispartner frei zu wählen. Die NATO und damit auch der NATO-Beitritt der Ukraine seien nicht gegen Russland gerichtet. Zudem beruhe das Streben nach der NATO-Mitgliedschaft auf dem Konsens aller maßgebenden ukrainischen politischen Kräfte und würde nur nach einen Referendum erfolgen. Das ist in dem Antwortschreiben wohl die größte Unverfrorenheit und die unverschämteste Lüge, denn einen solchen Konsens gibt es in der Ukraine eben nicht, nicht einmal mit Frau Timoschenko, der ukrainischen Premierministerin. Die Erwähnung eines Referendums zum NATO-Beitritt ist von Seiten Juschtschenkos neu, da er diesen bisher immer entschieden abgelehnt hatte! Der überwiegende Teil der ukrainischen Bevölkerung und auch seiner Politiker ist gegen einen NATO-Beitritt des Landes und befürwortet einen militärisch neutralen Status der Ukraine und damit ihre Nichtpaktgebundenheit. Warum geht Juschtschenko darauf nicht ein, zumal es gegen eine solche Haltung der Ukraine in Moskau keinerlei Einwendungen gäbe?


Der ukrainische Präsident versucht, dass Problem des Beitritts der Ukraine zur NATO mit der Aussage zu verharmlosen, dass für Russland durch eine NATO-Zugehörigkeit der Ukraine keinerlei militärische Bedrohung ausgehen würde und die Zusammenarbeit zwischen beiden Staaten weiterhin reibungslos funktionieren könne. Das ist aber in jeder Hinsicht eine offenkundige Falschdarstellung und Verdrehung der tatsächlichen Lage. Mit dem Beitritt der Ukraine zur NATO würde sich die Ukraine einem Militärbündnis anschließen, das eindeutig auch gegen Russland, Belorussland und weitere mit Russland befreundete Staaten gerichtet ist. Wäre dem nicht so, brauchte man keine NATO als Militärallianz und die Ukraine bräuchte ihr nicht beizutreten. Eine Militärallianz erfüllt immer entweder Verteidigungsaufgaben oder dient geplanten Angriffskriegen. Da die Ukraine von Russland nicht bedroht wird, entfällt das Verteidigungsbedürfnis gegenüber Russland. Es bleibt folglich nur die aggressive Zielrichtung. Die NATO verfolgt mit der Erweiterung auf die Ukraine aggressive und expansive Absichten und Pläne. Die NATO hat ihre aggressive Rolle besonders in den letzten Jahren, vor allem seit ihrer neuen Strategie von 1999, präventive Angriffskriege gegenüber Staaten, die ein anderes Gesellschaftsmodell als das "westliche" favorisieren, gezeigt mit ihren Angriffskriegen auf das ehemalige sozialistische Jugoslawien 1999 auf Afghanistan im Jahre 2001 und auf den Irak im Jahre 2003. Eine Zugehörigkeit der Ukraine zur NATO würde bedeuten, dass Russland und auch andere Länder in der Nachbarschaft Russlands umfangreiche zusätzliche Maßnahmen zur Verteidigung und zum Schutz ihrer Grenzen und ihrer Territorien ergreifen müssten. Russland bekäme zu Lande eine zur Ukraine hin um über 1000 Kilometer verlängerte Verteidigungslinie zusätzlich zu den schon entstandenen neuen Verteidigungslinien zu Georgien, zu den baltischen Republiken und dem Kaliningrader Gebiet. Die zusätzlichen Bedrohungen vom Meere und aus der Luft sind hier gar nicht berücksichtigt. Das mit Russland verbündete Belorussland bekäme eine um über 600 Kilometer verlängerte Verteidigungslinie. Auch die bisher von Seiten Russland funktionierende atomare Abschreckung von Aggressoren würde mit einer "Ukraine in der NATO" so gut wie ausgehebelt. Ein Ausweg bestünde nur in beträchtlichen zusätzlichen Militäraufwendungen im konventionellem Bereich, zudem die Kriegsgefahr erheblich steigen würde, was allein schon durch die russlandfeindliche Einstellung von Juschtschenko und seiner Clique bedingt ist, die zudem faschistisch-chauvinistische Kräfte der Ukraine gegen das russische Brudervolk aufhetzen. Russische Militärs weisen schon jetzt auf die zunehmenden Probleme der Verteidigungsfähigkeit Russlands hin.


Juschtschenko streitet in seinem Antwortbrief ebenso ab, dass die russische Sprache und Kultur in der Ukraine unterdrückt würden.
Was diese Frage betrifft, so ist davon auszugehen, dass von den 46 Mio. Einwohnern der Ukraine 8 Millionen ethnische Russen sind und zudem 75 % aller Ukrainer und Ukrainerinnen nicht nur die russischen Sprache beherrschen, sondern sich ihrer auch im Umgang neben der ukrainischen Sprache bedienen. Das Russische wird in der gesamten Ukraine noch im Geschäftsverkehr benutzt. Russisch ist bis heute in der Ukraine Fachhochschul- und Universitätssprache. Das Ukrainische ist nur im Westen der Ukraine vorherrschend, aber auch da wohnen viele Russen und Ruthenen.
In der Tat Juschtschenko betreibt eine Zwangsukrainisierung nicht nur im Staatsapparat, sondern hat Ukrainisch auch zur alleinigen Unterrichtssprache an Grund- und Oberschulen erklärt, was viele Kinder und Jugendliche, die vom Elternhaus her Russisch sprechen, diskriminiert. Juschtschenko ist bestrebt, die russische Sprache aus dem gesamten Kulturbereich zu eliminieren. Das Drucken russischsprachiger Literatur und auch von russischsprachigen Schulbüchern, auf das sich Juschtschenko beruft, ist ein Auslaufprogramm. Der Verweis Juschtschenkos in seinem Antwortbrief, dass in Russland das Ukrainische auch nicht gefördert würde, was er mit Unterdrückung gleichsetzt, ist an den Haaren herbeigezogen, denn auf dem Gebiet des heutigen Russlands gibt es keine geschlossenen Siedlungsgebiete von Ukrainern, die Ukrainisch sprechen, man kann dort de facto nur von Besuchern und Gastarbeitern aus der Ukraine sprechen, die Ukrainisch reden. Diese können sich natürlich samt ihrer Familien der ukrainischen Sprache bedienen und ihnen stehen auch beispielsweise ukrainische Zeitungen zur Verfügung.


Es geht aber genau genommen gar nicht um einen Sprachenstreit. Russisch und Ukrainisch sind zwei eng verwandte slawische Sprachen. Beide haben gemeinsame Wurzeln im Kiewer Rus. Sowohl vom Russischen als auch vom Ukrainischen her sind beide Sprachen für den jeweils anderen relativ leicht zugänglich, verständlich und auch leicht aktiv erlernbar. Es gibt bei Berücksichtigung geringer Abweichungen in der Schreibweise, von Lautvariationen und geringer etymologischer Unterschiede eine Wortüberdeckung des Russischen und Ukrainischen von über 80 %, unter Berücksichtigung südrussischer Dialekte sogar von 90 %. Mehr als 60 % aller Wörter beider Hochsprachen sind sogar völlig identisch. Fremdworte aus dem Lateinischen und Altgriechischen gibt es in beiden Sprachen in gleicher Anzahl, weitere Lehnwörter aus nichtslawischen Sprachen sind selten. Auch die russische und ukrainische Grammatik weichen nicht wesentlich von einander ab.
Juschtschenko fördert aber eine zunehmende Amerikanisierung und Anglisierung der ukrainischen Sprache und Kultur und das macht ihn auch in der Frage der "Verteidigung der ukrainischen Identität" in nationalistischen Kreisen der Ukraine unglaubwürdig.
Beide Völker haben eine gemeinsame Religion in der christlichen Orthodoxie. Aber diese Religion leidet ebenso wie der islamische Glaube zunehmend unter dem Despotismus von Juschtschenko. Dieser erklärt zwar, dass jeder Ukrainer und jede Ukrainerin das Recht der freien Religionswahl und Religionsausübung hat, er eröffnet aber immer mehr Freiräume für westliche Religionen wie den römischen Katholizismus sowie Kirchen aus den angloamerikanischen Ländern, wie beispielsweise den Baptisten und Methodisten. All dies geschieht zum Nachteil der christlich-orthodoxen Kirche, insbesondere der christlichen Orthodoxen, die sich dem Moskauer Patriarchat verbunden fühlen. Juschtschenko versucht die ukrainisch-orthodoxe Kirche in Frontstellung zu Russland zu bringen, obwohl die russisch-orthodoxe und ukrainisch-orthodoxe Kirche traditionell Bruderkirchen sind.


Russland macht der Ukraine nicht das Recht streitig, sich als eigenständige Nation einschließlich seiner Nationalsprache weiterzuentwickeln. Natürlich hat jede Nation das Recht auf eine eigene Geschichte, Sprache, Kultur und Ethik, auch auf die Vertretung eigener Interessen, wenn sie nicht aggressiv-chauvinistischen Zielen dienen. Worauf es der russischen Politik ankommt, ist, dass zwischen beiden Staaten weiter gute partnerschaftliche Beziehungen bestehen, wie es der ukrainisch-russischen Tradition entspricht. In diesem Geiste treten auch Frau Timoschenko und z. B. der Parlamentsvorsitzende Litwin für den Weg gut-nachbarlicher und freundschaftlicher Beziehungen und der Zusammenarbeit sowie für die ständige Dialogbereitschaft bei auftretenden Problemen ein. Diese Probleme sollten nach den Worten von Julija Timoschenko und Litwin nicht auf dem Wege der Konfrontation, und der öffentlichen Polemik, sondern mit dem Willen zu einvernehmlichen Lösungen beseitigt werden. Insofern bleibt das "Problem Juschtschenko", der ständig bewusst die Feindschaft zum großen Nachbarn Russland, auch zu Belorussland schürt.
Auch die Vorwürfe Medwedjews bezüglich der Verfälschung der Geschichte des russischen und ukrainischen Volkes entsprechen den Fakten. So ist es für Russland nicht hinnehmbar, dass Juschtschenko und seine Clique den Großen Vaterländischen Krieg des Sowjetvolkes gegen die Hitler-Aggressoren und den Faschismus als Kampf zweier gleichermaßen verachtungswerter Diktaturen darstellen und in diesem Zusammenhang die ukrainische Aufstandsarmee (später in Ukrainische Nationalarmee umbenannt), auch ukrainische SS- und Polizeiverbände, die auf der Seite der Hitlerfaschisten kämpften, als ukrainisch-patriotische Armeeeinheiten und Truppen-Verbände hinstellen und ehren sowie mit Gedenktagen, Denkmälern usw. den faschistischen Geist von Gestalten wie Petljura, Bandera, Schuchewitsch und vieler anderer ukrainischer Nazi-Kollaborateure wiederbelebt haben, die während des 2. Weltkrieges mit Hitler-Deutschland zusammengearbeitet und gekämpft haben und auch an den vielen Verbrechen der Nazis mitwirkten.
Auch z. B. das Hochjubeln der Tradition des Kosakenhetmans Mazepa (Mazeppa), der mit Polen und Schweden im 17. und Anfang des 18. Jahrhunderts im Nordischen Krieg gemeinsame Sache gegen Russland gemacht hat, und die Expansionsgelüste der Schweden nach Osten unterstützte, ist dem Geist der russisch-ukrainischen Freundschaft abträglich.


Das erwähnt Juschtschenko in seinem Antwortschreiben allerdings nicht. Er rekurriert auf die Hungerjahre 1932/1933 in der früheren Sowjetunion, die nicht nur Teile der ukrainischen, sondern auch der russischen Bevölkerung betroffen haben, aber von Juschtschenko propagandistisch als Völkermord der Russen an den Ukrainern instrumentalisiert werden. Juschtschenko kann nicht leugnen, dass er auch hierbei mit Geschichtsfälschungen russenfeindliche Ziele verfolgt, obgleich er das auch in seinem Antwortschreiben abzustreiten versucht. Da wurden eben in der Ukraine nicht nur Kerzen zum Gedenken der Hungertoten angezündet, da wurden Opferzahlen, die angeblich russische Besatzer der Stalinzeit verschuldeten, maßlos aufgebauscht. In Bezug auf den sog. Golodomor, auch Hungergenozid am ukrainischen Volk genannt, wird bewusst ausgeblendet, dass gewisse zeitweise Versorgungsengpässe Ende 1932/Anfang 1933 in der Sowjetunion vor allem durch die intensive Sabotage der Kollektivierung der Landwirtschaft durch sowjetfeindliche Kräfte, auch teilweise durch eine klimatisch bedingte Missernte verursacht wurden sowie viele Todesopfer dieser Zeit auch durch eine hinzukommende Typhusepidemie und weitere Pandemien bedingt waren. Die Staatsorgane taten damals alles in ihren Kräften stehende, um diese Krise schnell zu überwinden.


Juschtschenko versuchte sich nach seinem Antwortschreiben an den russischen Präsidenten Medwedjew in seiner am 13. August gehaltenen "Rede an die ukrainische Nation" als Retter des ukrainischen Volkes hinzustellen. In Wirklichkeit aber hat er mehrfach seine Entschlossenheit bekundet, die Ukraine an das von den USA geführte internationale Finanz- und Bankenkapital und deren Militärorganisation, die NATO, zu verschachern, die Souveränität der Ukraine den USA, der NATO und der EU zu Füßen zu legen sowie den billigen Ausverkauf der Ukraine an den Westen zu betreiben. Juschtschenko übt damit im höchsten Maße Hoch- und Landesverrat an den Interessen der ukrainischen Nation.


Was den Standpunkt von Medwedjew anbetrifft, so handelt es sich hier nicht um eine Einmischung in innere Angelegenheiten der Ukraine. Der russische Präsident hat sehr wohl das Recht, auf internationale Verträge, die die Ukraine unterschrieben hat, sowie auf Verträge zwischen Russland und der Ukraine zu verweisen, die die Ukraine insbesondere verpflichten, auf feindselige und aggressive Akte zu verzichten, so z. B. auf den Vertrag über Freundschaft und Zusammenarbeit beider Länder von 1997, in dem sich beide Länder verpflichten, keine militärischen Bündnisse einzugehen, die gegen den jeweils anderen Staat gerichtet sind. Beide Staaten sind darin die Verpflichtung zur Aufrechterhaltung freundschaftlicher und friedlicher Beziehungen eingegangen. Medwedjew hat auch das Recht, darauf zu verweisen, dass das ukrainische Volk mit überwiegender Mehrheit einen NATO-Beitritt der Ukraine ablehnt. Nach der ukrainischen Verfassung ist die Außenpolitik zwar eine Domäne der ukrainischen Präsidenten, darauf verwies auch Julija Timoschenko in ihrer Stellungnahme vom 14. August zu den Briefen von Medwedjew und Juschtschenko, das heißt aber nicht, dass der ukrainische Präsident sich willkürlich über bestehende völkerrechtliche Verträge und den Willen des ukrainischen Volkes hinwegsetzen darf.


Geostrategisch ist auch Folgendes zu berücksichtigen:
Sollten Juschtschenko und seine Clique sowie der Westen mit der USA an der Spitze auf ihrer russlandfeindlichen Politik beharren, so hat Russland eine Reihe von Retorsionsmaßnahmen in petto, so in Bezug auf Afghanistan, wo es die USA und die NATO z. B. durch Störung der Nachschubwege empfindlich treffen kann. Diese Retorsionsmaßnahmen hat es auch in der Iranpolitik, auch bei der Unterstützung von Syrien, Myanmar (Burma), Nordkorea, lateinamerikanischer Staaten wie Venezuela und Nicaragua, Bolivien, Peru, Argentinien und Brasilien, verschiedener afrikanischer Staaten wie Sudan und Libyen usw. Es kann die Volksbewegungen in Honduras und in anderen Ländern unterstützen, die sich gegen die USA-Dominanz, USA-Bevormundung und Ausbeutung durch USA-Konzerne richten. Das sind nur Beispiele. Sicherlich auch deswegen eilte die deutsche Bundeskanzlerin Merkel am 14. August zu einem Krisentreffen mit Medwedjew nach Sotschi, um Beschwichtigungspolitik in Sachen der Ukraine zu betreiben. Das wurde allerdings in keinem Kommunique benannt. Vordergründig ging es um die Weltwirtschaftskrise - der G-20 Gipfel stehe bevor - obgleich in seinem Vorfeld derartige Zweiergespräche wie in Sotschi gewöhnlich nicht stattfinden. Ferner wurden nach außen bei den Gesprächen in Sotschi vorgeschoben: die Energiepolitik, der Atomstreit mit dem Iran und die Rettung der insolventen Wadan-Werften in Wismar mit russischer Hilfe, wobei hier private russische Investoren, nicht der russische Staat, tätig werden sollen. Wie immer in solchen Fällen ließ sich Frau Merkel nicht nehmen, den Fall der jüngst in Tschetschenien ermordeten "Menschenrechtlerin" Sadulajewa und ihres Mannes zu thematisieren. Diese waren im Auftrag von in Opposition zur russischen Regierung stehenden Nichtregierungsorganisationen (NGOs) tätig. Richtig ist, dass die hierfür Schuldigen bestraft werden müssen, denn Morde sind in jedem Fall Verbrechen, da hat Frau Merkel recht. Merkwürdig ist aber, dass Frau Merkel die in den letzten Tagen gehäuften Terroristenmorde in Ingutschetien und Dagestan, die an Vertretern der russischen Staatsmacht verübt wurden, so der Mordanschlag auf den Präsidenten von Ingutschetschien nicht sonderlich interessierten. Denn das fand in den Statements von Frau Bundeskanzlerin Merkel keinerlei Erwähnung. Das scheint für sie unter den "Freiheitskampf für Menschenrechte" zu fallen, weil diese "Zwischenfälle" gegen Russland gerichtet sind.


Die USA-Politik unter Barack Obama weist zunehmend erratische Züge auf:
Einmal soll Russland als Großmacht ausgeschaltet und neokolonialisiert werden, andererseits braucht man es derzeit noch als Partner, um z. B. die Afghanistankrise ausstehen zu können. Man stößt die Regierung von Myanmar vor den Kopf, indem man sich in die Rechtsprechung dieses Landes einmischt und z. B. die Verlängerung des Hausarrestes durch ein Gerichtsurteil gegen Frau Aung San Suu Kyi um 18 Monate moniert und deswegen dem Land sogar verschärfte internationale Sanktionen androht, obwohl man in Washington wissen müsste, dass weder Russland noch die VR China und die meisten anderen Länder da mitmachen würden. Dann schickt man kurze Zeit später von Washington aus einen Unterhändler nach Naypyidaw, der Hauptstadt von Myanmar, um Schadensbegrenzung zu betreiben. Man verteufelt den Iran, aber bestärkt Juschtschenko in seinem Glauben an die Nabucco-Pipeline, mit der er von russischen Erdgaslieferungen unabhängig werden könne. Das Funktionieren einer solchen Erdgasleitung, die über die Türkei nach Europa führt und auch die Ukraine von direkten Gaslieferungen aus und über Russland unabhängig machen könnte, hängt aber davon ab, ob der Westen normale Beziehungen zum Iran entwickelt, den zweitgrößten Erdgasproduzenten der Welt nach Russland. Deswegen ist auch die Türkei an einer Entspannung des Verhältnisses zum Iran so brennend interessiert. Aber die USA und Israel blocken weiter ab und drohen dem Iran sogar mit Krieg.


Quellen:
www.rg.ru/2009/08/12/rar-mnenie.htm;
www.president.gov.ua/news/14676.html;
www.president.gov.ua/news/14677.html;
www.kmu.gov.ua/control/uk/publish/article?art_id=235292344&cat_id=156156902;
http://portal.gov.ua/rada/control/uk/publish/article/news_left?art_id=165545&cat_id=37486


Über die Autoren

Brigitte Queck ist ausgebildete Wissenschaftlerin auf dem Gebiet Außenpolitik und als Fachübersetzer Russisch und Englisch sowie publizistisch tätig. Seit 10 Jahren leitet sie den Verein "Mütter gegen den Krieg Berlin-Brandenburg".
Brigitte Queck hat zwei erwachsene Kinder und vier Enkel.

Dr. Hans-Jürgen Falkenhagen wurde 1932 in Köln geboren und lebte ab 1936 in Radebeul bei Dresden. 1943 trat er in ein Gymnasium ein. Im Februar 1945 erlebte er die drei aufeinander folgenden Bombenangriffe auf Dresden.
Nach dem Abitur 1951 in Rostock studierte er Ökonomie und slawische Sprachen und war seit 1957 bis 1995 im öffentlichen Dienst tätig, insbesondere als Übersetzer, Dokumentalist und Länderbearbeiter. Er arbeitete in Auslandsinformationsabteilungen von Ministerien der ehemaligen DDR, zuletzt im Ministerium der Finanzen und für die Staatsbank der DDR. Seine Arbeitssprachen sind auch Englisch, Französisch und Rumänisch. Übersetzt hat er aus 12 Fremdsprachen, davon 9 slawische Sprachen. Er hat auch als Buchübersetzer für Verlage und als Journalist für Wirtschaftszeitungen gearbeitet. Seine Promotion erfolgte in diesem Rahmen.
Von 1990 bis 1995 war er Referent in einem Referat für ausländische Finanzen und Steuern des Bundesministeriums für Finanzen und dabei zuständig für sog. postkommunistische Staaten.
Nach Eintritt in das Rentenalter 1997 suchte er sich neue Interessengebiete und arbeitete als Sprachmittler und Journalist weiter für Zeitungen, Fachzeitschriften für Osteuropa und für Steuerrecht und ist Mitbetreiber der Homepage Goethe-Stübchen. Seit den 70er Jahren bekennt er sich zum Islam.
Dr. Falkenhagen ist verheiratet und hat zwei Kinder.


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Quelle:
Copyright by Brigitte Queck und Dr. Hans-Jürgen Falkenhagen, August 2009
mit freundlicher Genehmigung der Autoren
      


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. August 2009