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OSTEUROPA/325: Ukraine - Abwahl der Regierung Timoschenko (Falkenhagen/Queck)


Ukraine: Abwahl der Regierung Timoschenko

Von Hans-Jürgen Falkenhagen und Brigitte Queck, 9. März 2010


Nachdem Julija Timoschenko die Stichwahlen für die ukrainische Präsidentschaft am 7. Februar 2010 verloren hatte und sie sich als störrische Wahlverliererin gebärdete, ist sie nun auch am 3. März ihr Premierministeramt losgeworden. An diesem Tag sprach das Parlament in Kiew ihr mit 243 Stimmen das Misstrauen aus. Das bedeutet das Ende der Timoschenko-Regierung, die neben dem schon in der ersten Wahlrunde am 17. Januar 2010 ebenfalls abgewählten ukrainischen Präsidenten Juschtschenko den tiefen Fall der ukrainischen Wirtschaft im Jahre 2008/2009 zu verantworten hat (Rückgang der Wirtschaftsleistung um über 16 % allein im Jahr 2009).

Wie war das Wahlverhalten der einzelnen Fraktionen bei der Abstimmung über den Misstrauensantrag?

Betrachten wir zunächst die Zusammensetzung des ukrainischen Parlaments (der Werchowna Rada) nach Fraktionen:

Partei der Regionen
172 Abgeordnete
Fraktion des "Block Julija Timoschenko" (politische Parteien
Allukrainische Vereinigte Vaterlandspartei und Ukrainische
Sozialdemokratische Partei "Reform und Ordnung")

155 Abgeordnete
Fraktion "Block Unsere Ukraine-Selbstverteidigung des Volkes"
(Volksunion "Unsere Ukraine"; Politische Partei "Vorwärts Ukraine";
Volksbewegung Ruch der Ukraine; Ukrainische Volkspartei; Ukrainische
Republikanische Partei "Sobor"; Partei der Christlich-Demokratischen
Union; Europäische Partei der Ukraine; Bürgerpartei "PORA"; Partei der
Vaterlandsverteidiger)




72 Abgeordnete
Fraktion der Kommunistischen Partei
27 Abgeordnete
Fraktion "Block Litwin" (Volkspartei, Partei der Arbeit der Ukraine)
20 Abgeordnete
Fraktionslos
4 Abgeordnete

Von den 450 Abgeordneten des ukrainischen Parlaments) waren 286 am 3. März 286 bei der Abstimmung im Plenarsaal des Parlaments anwesend, 164 waren abwesend.

Von den 286 im Plenarsaal anwesenden Abgeordneten stimmten 243 mit Ja (für die Amtsenthebung von Premierministerin Timoschenko), 10 dagegen, 2 enthielten sich der Stimme und 31 stimmten nicht mit ab.

Von den 172 Abgeordneten der Partei der Regionen stimmten 172 mit Ja, von den 155 Abgeordneten der Fraktion "Block Julija Timoschenko" stimmten immerhin auch 7 Abgeordnete mit Ja, 5 dagegen und 141 Abgeordnete waren bei der Abstimmung nicht anwesend.

Von der Fraktion "Block Unsere Ukraine-Selbstverteidigung des Volkes" stimmten 15 mit Ja, 5 dagegen, ein Abgeordneter enthielt sich der Stimme und 23 waren nicht anwesend. Von den 27 kommunistischen Abgeordneten stimmen alle 27 mit Ja. Vom Block Litwin stimmten 19 mit Ja, einer, das war der Parlamentsvorsitzende Litwin, enthielt sich gemäß einer Verpflichtung zur Neutralität der Stimme. Von den 4 fraktionslosen Abgeordneten stimmten 3 mit Ja, einer enthielt sich der Stimme.

So wurde die Partei der Regionen, von der die Initiative zur Regierungsabwahl ausging, immerhin nicht nur erwartungsgemäß von den Kommunisten und dem Litwin-Block unterstützt, sondern auch mit 15 Ja-Stimmen des Blocks "Unsere Ukraine-Selbstverteidigung des Volkes" und sogar 7 Ja-Stimmen aus dem "Block Julija Timoschenko", ferner von 3 fraktionslosen Abgeordneten.

Mit dem ausgesprochenen Misstrauen gegen Premierministerin Timoschenko ist das gesamte Ministerkabinett abgewählt. Die Amtsgeschäfte des Regierungschefs übt bis zur Neuwahl einer Regierung der bisherige 1. Stellvertreter der Premierministerin, O. Turschinow aus. Frau Timoschenko ließ sich unverzüglich von der Regierungsarbeit beurlauben. Sie hatte vor der Abstimmung noch erklärt, dass im Falle, dass gegen sie eine Mehrheit im Parlament zustande kommt, sie mit ihrem gesamten Kabinett die Arbeit sofort beenden wolle, was allerdings laut Verfassung so nicht zulässig ist, denn eine abgewählte Regierung muss als Übergangsregierung provisorisch solange weiter fungieren, bis sich eine neue Regierung konstituiert hat.

Die neue ukrainische Regierung muss nun laut Verfassung innerhalb von 4 Wochen, gerechnet ab dem 3. März, gebildet sein. Dazu ist eine Parlamentsmehrheit von mindestens 226 Abgeordnetenstimmen erforderlich. Nach einer Ankündigung des Parlamentsvorsitzenden Litwin soll die neue Koalition für die Regierungsbildung bis kommende Woche, somit bis zum 20. März stehen. Voraussichtlicher Regierungschef wird Mykola Asarow, der derzeitige Führer der Partei der Regionen, der in der Regierungsarbeit schon über langjährige Erfahrungen verfügt. Er wird voraussichtlich eine Koalition seiner Partei mit der Kommunistischen Partei und dem Litwin-Block sowie einigen Abgeordneten des "Blocks Unsere Ukraine-Selbstverteidigung des Volkes" bilden. Das ukrainische Parlament verabschiedete am 9. März dazu mit 235 Ja-Stimmen ein Gesetz, dass die Bildung einer Regierungskoalition nicht nur aus Fraktionen, sondern auch mit einzelnen Abgeordneten gestattet. Damit können einzelne Abgeordnete auch der Fraktionen "Unsere Ukraine-Selbstverteidigung des Volkes", auch aus dem Timoschenko-Block sowie fraktionslose Abgeordnete eine neue Regierung unter Führung der Partei der Regionen mittragen. Denkbar wäre auch eine Neuauflage der Koalition des "Blocks Julija Timoschenko" und des "Blocks Unsere Ukraine-Selbstverteidigung des Volkes", allerdings ohne Frau Timoschenko als Premierministerin, denn dafür kann eine Mehrheit in jedem Falle ausgeschlossen werden. Wenn es zu keiner tragfähigen Regierungskoalition kommt, muss Präsident Janukowitsch laut Verfassung das Parlament auflösen und vorgezogene Parlamentsneuwahlen ausschreiben. Solche Neuwahlen werden derzeit aber gerade vom "Block Julija Timoschenko" und auch vom "Block Unsere Ukraine-Selbstverteidigung des Volkes, hier vor allem von den Anhängern des früheren Präsidenten Juschtschenko gefürchtet. Sie wären wie alle prowestlichen Kräfte relativ chancenlos und müssten mit erheblichen Stimmenverlusten rechnen. Es droht zudem ein Zerfall des Blocks von Julija Timoschenko und des Blocks "Unsere Ukraine - Selbstverteidigung des Volkes" in Einzelparteien. Neu ins Parlament würden höchstwahrscheinlich solche Gruppierungen wie der Tigipko-Block und auch wieder die Sozialistische Partei von Moros gelangen.

Der neu gewählte Präsident Janukowitsch absolvierte nach seinem Besuch in Brüssel am 5. März einen Staatsbesuch in Moskau, wo er Gespräche mit dem russischen Präsidenten Medwedjew und Ministerpräsidenten Putin führte. Viktor Janukowitsch erklärte die Bereitschaft und Notwendigkeit zu gutnachbarschaftlichen Beziehungen beider Länder. Auch Medwedjew erklärte, dass nach den Spannungen in den vergangenen Jahren nun ein neues Kapitel im Verhältnis Moskau und Kiew aufgeschlagen werden könne, dass ein Neustart der Beziehungen begonnen werden müsse. Janukowitsch sprach von den Synergieeffekten der Kooperation, die es jetzt im Verhältnis beider Länder und zu weiteren GUS-Ländern umfassend zu nutzen gelte. Anknüpfend an die traditionellen Beziehungen zwischen der Wirtschaft beider Länder gelte es, die Zusammenarbeit zügig zu erneuern und zu erweitern. Janukowitsch hatte zuvor schon erklärt, dass er die Erdgaspreise neu verhandeln wolle. Dieser legt derzeit für die Ukraine bei 305,6 USD je 1000 Kubikmeter. Für Weißrussland beträgt er nur etwa die Hälfte davon. Er wolle auch die Gründung eines Konsortiums zur Betreibung der Transitpipelines durch die Ukraine vorschlagen. An einem solchen Konsortium könnten Firmen aus der Ukraine, Russland und EU-Staaten, ev. auch von Weißrussland beteiligt werden. Ein Hindernis stellt die seinerzeit unter der Präsidentschaft von Juschtschenko vollzogene Mitgliedschaft der Ukraine in der WTO dar, ohne dass seinerzeit gleichzeitig Russland und Weißrussland WTO-Mitglieder werden konnten.

Medwedjew und Janukowitsch sprachen auch über den Ausbau der kulturellen Beziehungen. Der Kulturaustausch soll wesentlich verstärkt werden. In der Ukraine soll die Rolle der russischen Sprache und in Russland die Rolle der ukrainischen Sprache stärker gefördert werden. An die Deklarierung des Russischen zur 2. Amtssprache der Ukraine ist vorerst nicht gedacht.

Im Gespräch mit dem russischen Ministerpräsidenten Putin wurde beiderseits unterstrichen, dass u.a. auch die vom Westen ausgehende Finanz- und Wirtschaftskrise den Menschen sowohl in der Ukraine als auch in Russland die Augen geöffnet hat, wie wichtig das Zusammenwirken beider Staaten ist. Janukowitsch unterstrich, dass in der Ukraine in beiden Präsidentenwahlgängen über 70 Prozent der Wähler und Wählerinnen für Kandidaten gestimmt haben, die Programme unterstützen, die die Notwendigkeit einer engen Zusammenarbeit mit Russland betonen. Nicht zuletzt zeigt derzeit das Beispiel Griechenland, wie Staaten von der Europäischen Gemeinschaft (EU) im Regen stehen gelassen werden, wenn sie in eine besondere Notlage geraten. Den Beitritt zur EU und Euro-Zone haben die Griechen wie auch andere europäische Völker schon mit drastischen Lebensstandardverlusten bitter bezahlen müssen. Hinzu kommt bei einem EU-Beitritt der Ukraine die Drohung umfangreicher Restitutionsforderungen seitens von Polen, Rumänen, Tschechen, Deutschen und Juden usw. vor allem in der Westukraine. Alles das ist auch für EU-Anhänger in der Ukraine ernüchternd und desillusionierend.


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Quelle:
Copyright 2010 by Brigitte Queck und Dr. Hans-Jürgen Falkenhagen
mit freundlicher Genehmigung der Autoren


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. März 2010