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OSTEUROPA/328: Landwirtschaft in der Ukraine (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 329 - Januar 2010
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Auf fruchtbarem Boden
Zwischen gestern und morgen - Landwirtschaft in der Ukraine

Von Anneke Jostes


Schwarzerdeböden soweit das Auge reicht, riesige Schläge, günstige Pachtpreise, manche Flächen liegen brach - diese Aussichten wirken aus ackerbaulicher Sicht durchaus verlockend. Einige Agrarexperten vermuten in der Ukraine den potentiellen Brotkorb Europas oder sogar der Welt. Kein Wunder also, dass manche deutsche und andere westeuropäische Bauern und Bäuerinnen den Versuch wagen, dort zu wirtschaften. Gute Böden allein machen allerdings noch keine landwirtschaftliche Produktion. Dietrich Treis arbeitet seit vielen Jahren als landwirtschaftlicher Berater, er unterstützt interessierte Unternehmen und Landwirte aus Deutschland dabei, in der Ukraine Fuß zu fassen. Seiner Auffassung nach ist der Systemwechsel von der Plan- zur Marktwirtschaft in der Ukraine in den Köpfen der Menschen und in den wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen noch nicht lückenlos vollzogen. "Es wird wahrscheinlich noch eine Generation dauern, bis sich die Situation grundlegend ändert. Das System ist privatwirtschaftlich, der Staat meint aber, noch zu viel kontrollieren oder regeln zu müssen", so seine Einschätzung. Die Kolchosen sollten nach der Unabhängigkeit bereits in den 1990er Jahren privatisiert werden. Dieser Prozess wurde aber erst nach Jahren des Stillstands und des Zerfalls durch einen Regierungsbeschluss im Jahre 2000 spürbar vorangetrieben. Die Ländereien wurden zu gleichen Teilen unter den Kolchosemitgliedern aufgeteilt. Das Betriebseigentum wie Gebäude, Maschinen und Tiere wurde in eine Gesellschaft überführt und die Anteile in Abhängigkeit von sozialen Faktoren wie Alter und Position in der ehemaligen Kolchose in unterschiedlicher Höhe an die Mitglieder übergeben.


Groß neben Klein

Aus den privatisierten Kolchosen entstanden sehr unterschiedliche Betriebsformen. Da der Kauf oder Verkauf von Land in der Ukraine bis heute sowohl für Einheimische als auch für ausländische Investoren verboten ist, wird auf Pachtflächen gewirtschaftet. Die meiste Fläche wird von landwirtschaftlichen Betrieben bewirtschaftet, die als GmbH, AG oder Genossenschaft organisiert sind. Sie wurden oft von einem oder mehreren ehemaligen Kolchose-Mitarbeitern gegründet. Vor allem die ehemaligen Führungskräfte verfügen über das nötige Wissen und auch das nötige Kapital, um einen Betrieb zu gründen und selbstständig führen zu können. Aufgrund der allgegenwärtigen Korruption in der Ukraine ist anzunehmen, dass sich auch die Beziehungen mancher ehemaligen und neuen Führungskräfte zu politischen Funktionären positiv auf die Betriebsgründungen auswirken. Heute bewirtschaften ca. 15.500 solcher privaten Nachfolgegesellschaften der Kolchosen mit Betriebsgrößen von mehreren Tausend Hektar mehr als 90 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche. Einige dieser Gesellschaften sind Tochterfirmen großer Agrar-Holdings. Sie sind als eigenständige Unternehmen registriert und bewirtschaften oft "nur" 2.000 bis 5.000 ha, also die Größe einer ehemaligen Kolchose. Dahinter stehen aber Unternehmen, die bis zu 330.000 ha verwalten. Nach Auskunft der ukrainischen Zeitung DELO werden bereits zehn Prozent des Ackerlandes von den 25 größten ukrainischen Agrar-Holdings kontrolliert. Es gibt Befürchtungen, dass sich ähnliche Strukturen herausbilden wie in der Schwerindustrie oder dem Bergbau. Hier ist der Markt bereits unter einigen wenigen milliardenschweren Oligarchen aufgeteilt. Am anderen Ende der Landnutzung in der Ukraine stehen die ca. 11 Mio. Haus- und Nebenlandwirtschaften. Ihnen kommt eine große Bedeutung zu, erzeugen sie doch mit Betriebsgrößen von ein bis zwei Hektar den Großteil des im Lande produzierten Gemüses und der Kartoffeln. Die größte Menge der produzierten Milch stammt von Betrieben mit fünf Kühen oder weniger.


Günstig produzieren

Zwischen diesen Gegensätzen suchen westeuropäische Landwirte ihre Chancen. Niels Petersen kommt ursprünglich aus Schleswig-Holstein, nahe der dänischen Grenze. Seine Familie zog es aber bereits nach der Wende gen Osten. Sein Vater bewirtschaftet seit 1990 700 ha in der Nähe von Rostock. Petersen war 26 Jahre alt und frischgebackener landwirtschaftlicher Meister, als er sich 2005 in der Ukraine im Rahmen eines Förderprojektes, welches deutsche Landwirte bei der Betriebsgründung in der Ukraine unterstützen sollte, umschaute. Petersen, dynamisch und voll unternehmerischen Tatendrangs, war damals auf der Suche nach etwas Eigenem und scheute dabei nicht die Herausforderung. "Da läuft einem schon eine Träne runter, man kann erstmal alles abhaken, was man so von Deutschland kennt", beschreibt er die ersten Jahre. "Die Menschen hier sind ein ganz anderes Volk mit einer ganz anderen Kultur. Sie sind nicht so arbeitswütig wie in Deutschland. Manche haben auch selbst zu Hause Schweine und Gänse und arbeiten da auch." Petersen versucht, durch entsprechende Mechanisierung unabhängig zu bleiben. Sollte ein Mitarbeiter ausfallen, kann er einen Großteil der anfallenden Arbeiten auch allein erledigen. Er baut auf 1.350 ha Pachtfläche Weizen, Raps und Sonnenblumen an und beschäftigt zwei Buchhalterinnen, drei Traktoristen und drei "Bewacher". Die Ernte geht ab Hof an das weltweit agierende Agrarhandelsunternehmen Toepfer International. Er verkauft unter Weltmarktpreis. Entscheidend sei nicht so sehr die Höhe des Ertrags, mit 5 t heim Winterweizen und 2,5 bis 3 t beim Raps je Hektar ist er zur Verwunderung mancher deutscher Kollegen durchaus zufrieden. Wichtiger sei, wie günstig man produzieren könne. Petersen baut beispielsweise keinen Hybrid-Raps an. Durch den Nachbau der Liniensorten im nächsten Jahr spart er Saatgutkosten.

Auch ein Bioland-Bauer aus dem Hunsrück versuchte 2006 sein Glück in der Ukraine. Über Bekannte und Praktikanten auf seinem heimischen Betrieb hatte er Kontakte zu Land und Leuten. "Da ist viel kaputt und verfallen, zu jeder Kolchose gehörten ein bis zwei Dörfer und diese sozialen Strukturen gab es ja dann nicht mehr. Da muss man doch was machen und wieder etwas aufbauen", beschreibt er seine Eindrücke damals vor Ort.


Menschen mehr bieten

Gemeinsam mit zwei deutschen Kollegen und einem Ukrainer pachtete er 1.000 ha. "Das sah erstmal ganz gut aus, mit den großen Schlägen und dem guten Boden. Wir wollten Bio machen. Es gab aber dann große Probleme mit Quecke und wilder Hirse." Seine Kollegen wollten den Unkräutern mit Herbiziden zu Leibe rücken. Eine konventionelle Bewirtschaftung kam für ihn aber nicht in Frage, also trennte er sich von seinen Kollegen und kehrte der Ukraine den Rücken. Heute widmet er sich wieder ausschließlich seinem ökologischen Gemischtbetrieb in Deutschland. Mit den Menschen in der Ukraine kam er gut zurecht. "Alle waren sehr freundlich zu uns. Auch die Bürgermeisterin war sehr hilfsbereit. Ich glaube, sie hatte die Hoffnung, dass es so wird wie früher, dass alle Arbeit haben. Die Angestellten muss man gut auswählen, manche lassen auch mal aus ihrer Not heraus etwas mitgehen. Sie haben sonst ja nichts. Wenn man dort einen Betrieb gründet, nimmt man ihnen etwas weg, auch wenn sie es selbst vielleicht nicht nutzen können. Man müsste ihnen mehr bieten, der Ackerbau braucht ja nur wenige Arbeitskräfte." Auch Niels Petersen wird sich zunehmend der sozialen Dimension seiner landwirtschaftlichen Unternehmung bewusst. Seit knapp einem Jahr hat er gemeinsam mit seiner ukrainischen Freundin eine kleine Tochter. "Wenn man allein, jung und agil ist, ist es erstmal kein Problem, hier zu leben. Nun mit Kind ist das schon anders." Das nächste Einkaufszentrum ist 120 km entfernt, die Berufs- und Ausbildungschancen für junge Menschen sind bescheiden. Bildung hält Niels Petersen für überaus wichtig. Also unterstützt er schon jetzt die örtliche Schule mit Spenden. So lange es Menschen sind, die das Land bewirtschaften, bedarf es dafür eben doch mehr, als der rein betriebswirtschaftlichen Produktionsfaktoren.


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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 329 - Januar 2010, S. 14
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
Bahnhofstr. 31, 59065 Hamm
Telefon: 02381/49 22 20, Fax: 02381/49 22 21
E-Mail: redaktion@bauernstimme.de
Internet: www.bauernstimme.de

Erscheinungsweise: monatlich (11 x jährlich)
Einzelausgabe: 3,00 Euro
Abonnementpreis: 36,00 Euro jährlich
(verbilligt auf Antrag 26,00 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. April 2010