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OSTEUROPA/391: Ukraine - Krieg ... 13.05.2022 (Gerhard Feldbauer)


Besuch in Washington

Draghi drängte Biden zu Friedensverhandlungen in der Ukraine
Meinungsverschiedenheiten unübersehbar

von Gerhard Feldbauer, 13. Mai 2022


Italiens Premier Mario Draghi hat noch am Donnerstag nach seiner Rückkehr vom zweitägigen Besuch bei US-Präsident Biden den Ministerrat über die Ergebnisse informiert, berichtete ANSA. Im Mittelpunkt des Gesprächs der beiden Regierungschefs standen der Krieg in der Ukraine, seine wirtschaftlichen Folgen und die "Friedensziele", deren Notwendigkeit Draghi wiederholt bekräftigt habe. Es müßten jetzt alle Anstrengungen unternommen werden, alle Verbündeten, aber insbesondere Russland und die Vereinigten Staaten, an einen Tisch zu bringen, an dem natürlich die Ukraine der Hauptdarsteller ist. In diesem Zusammenhang erklärte Draghi, dass ein direkter Kontakt zwischen Biden und Putin einen Wendepunkt in Richtung Deeskalation markieren könnte. Die Kontakte müßten wieder aufgenommen und auf allen Ebenen intensiviert werden. Es sei an der Zeit, "in die Zukunft zu blicken", auch auf den Wiederaufbau nach dem Krieg, bei dem Europa gemeinsam handeln müsse.

Zu der für die Ukraine zu leistenden Hilfe habe Draghi einen "Marshallplan" vorgeschlagen und erklärt: "Italien ist bereit, seinen Teil dazu beizutragen". Es gäbe keine Meinungsverschiedenenheiten zwischen den beiden Seiten des Atlantiks und sei darum gegangen, sich zu verständigen. Allerdings seien die Verhandlungen, wie Draghi einräumte, noch "sehr schwierig".

Während die USA mit der BRD im Gefolge die Ukraine mit Waffen vollpumpen, um eine kriegerische Lösung zugunsten der Ukraine zu erreichen, erklärte der italienische Premier nach dem Gespräch mit Biden auf einer Pressekonferenz unmissverständlich: Neben der Unterstützung der Ukraine "müssen wir anfangen, über den Frieden zu sprechen". Es müsse eine nachhaltige Lösung geschaffen werden, nicht ein dem einem vom anderen aufgezwungener Frieden, der sich in einer Katastrophe verwandeln würde, weil ihn niemand respektieren könne. Alle Parteien, auch die USA, müssten sich bemühen, an einen Tisch zu kommen. Draghi betonte: "Wir dürfen nicht versuchen zu gewinnen, der Sieg ist nicht definiert". Für die Ukraine gehe es darum, die Invasion zu beenden, aber "wir müssen uns fragen, wie wir Frieden schaffen können". Zu den Waffenlieferungen habe Draghi erklärt, dass "Italien bereits einen ausreichenden Beitrag geleistet" hat und "wir unseren Teil getan haben".

Angesprochen habe er auch die Energieprobleme, so ANSA weiter, bei denen die "Meinungen nicht einheitlich sind" und nach einer gemeinsamen Antwort mit Europa gesucht werden müsse. Er habe Biden wegen der Gaspreise (die in den USA bedeutend höher liegen als die bisherigen in Russland) angesprochen, die man begrenzen müsse. Ebenso müsse über eine Ölpreisobergrenze nachgedacht werden. Draghi habe die Idee, "ein Kartell von Käufern zu schaffen" oder, was vielleicht noch besser wäre, "die OPEC zur Steigerung der Produktion" zu bringen, ins Spiel gebracht. Ziel bleibe, den massiven Preisanstieg einzudämmen, um den sozialen Auswirkungen des Konflikts entgegenzuwirken.

Es sei entschieden worden, "dass wir bald darüber sprechen werden". Der frühere EZB-Chef habe unterstrichen, dass die Situation in der EU sich sehr von der in den USA unterscheidet. Die Nahrungsmittelkrise werde durch die Blockade verschiedener Getreidearten aus der Ukraine verursacht, weil die Häfen blockiert sind. Deren Freigabe könnte "ein erster Schritt zur Aufnahme eines Dialogs" zwischen den beiden Seiten sein.

Über Bidens Äußerungen zu dem Gespräch mit seinem italienischen Amtskollegen wurde von ANSA nichts vermeldet. Bei der Preisverleihung des Atlantic Council an Draghi als "Politiker des Jahres" versuchte die Vorsitzende des Repräsentantenhauses, die Italo-Amerikanerin Nancy Pelosi, am Endes der Staatsvisite die Wogen zu glätten.

Das Echo in den Medien blieb in Rom verhalten bis skeptisch. Manifesto schrieb, dass die Differenzen zwischen den USA und der EU nach dem Gipfel mit Biden bestehen geblieben sind. Davon zeuge, so das linke Blatt, dass sich Biden, während Draghi nach Rom zurückflog, zu einem Besuch bei den ASEAN-Staaten aufmachte, um sie in einen Sanktionskrieg gegen Russland zu zerren und die Front gegen China, den Verbündeten Moskaus in Südostasien, zu stärken. Selenskyj beharre demonstrativ und ohne bei Biden auf Widerspruch zu stoßen darauf, "sich nur an einen Tisch zu setzen, wenn die Russen abziehen", war in der römischen La Repubblica zu lesen.

Es ist nicht zu übersehen, dass Draghi mit seinem Auftreten in Washington der BRD ihre führende Rolle in der EU streitig mach will. Innenpolitisch hat er seine Position als Regierungschef gestärkt. M5S-Führer Giuseppe Conte, der sonst immer wieder androht, die Regierung zu verlassen, begrüßte, dass Italien beim Konflikt in der Ukraine und bei den Waffenlieferungen eine klare und transparente Position bezieht. Es gebe "in der Ukraine eine ausreichende Konzentration von Rüstungsgütern".

Es wird erwartet, dass Draghis Besuch in Washington auch die Diskussion über sein Verbleiben im Amt nach den Wahlen im Frühjahr 2023 (was er bisher ablehnt) oder seine Aufstellung als Nachfolger von Staatspräsident Mattarella neu entfachen dürfte.

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Quelle:
© 2022 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 14. Mai 2022

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