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RUSSLAND/140: Kremlgrößen loben Mittelschichten-Protest (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 1 vom 6. Januar 2012
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Kremlgrößen loben Mittelschichten-Protest
Weitere Aktionen gegen Wahlfälschungen in Russland

von Willi Gerns


Die Demonstrationen und Kundgebungen gegen die Fälschungen bei den Duma-Wahlen in Russland gehen weiter und haben am 24. Dezember einen neuen Höhepunkt erreicht. An dutzenden Orten sind landesweit viele Zehntausende auf die Straßen gegangen. Zahlreiche dieser Veranstaltungen wurden von den Kommunisten organisiert. Davon erfährt man allerdings sowohl in den staatlich gelenkten russischen wie auch in den westlichen Medien so gut wie nichts. Sie beschränken sich in ihrer Berichterstattung fast ausschließlich auf die Kundgebung, die auf dem Sacharow-Prospekt in Moskau stattfand.

Dies war unbestritten die größte Veranstaltung, wenn die von den Veranstaltern angegebene und den meisten westlichen Medien übernommene Zahl von 120.000 Teilnehmern auch ebenso weit übertrieben ist wie die Angabe von 29.000 durch die Moskauer Polizei untertrieben ist. Der Wahrheit am nächsten kommen dürfte die nach der Auswertung von Luftaufnahmen ermittelte Zahl von etwa 60.000 Teilnehmern kommen. Die Größe der Veranstaltung ist aber sicher nicht der alleinige und wohl auch nicht einmal der Hauptgrund für die einseitige Berichterstattung. Dieser wird eher in antikommunistischen Ressentiments sowie in der sozialen Struktur und der politischen Orientierung derjenigen zu suchen sein, die auf dieser Kundgebung den Ton angegeben haben.

Nach Ansicht russischer Medien - bestätigt durch Umfragen der beiden größten Meinungsforschungsinstitute - stellten Angehörige der städtischen Mittelschichten den Löwenanteil der Teilnehmer. Die politische Präferenz der Befragten galt vorrangig den "Liberalen". Unter denen, die auf dem Sacharow-Prospekt als Redner auftraten, waren Boris Nemzow, ehemaliger stellvertretender Ministerpräsident unter Jelzin, Michail Kassjanow, Finanzminister unter Jelzin und erster Ministerpräsident unter Putin sowie andere aus der Riege derjenigen Politiker, die nach der Zerschlagung der Sowjetunion auf Weisung des Internationalen Währungsfonds, der Weltbank und anderer westlicher "Berater" durch die kriminelle Privatisierung der Staatsbetriebe zugunsten der Oligarchen, die Aufhebung der Preisbindung und die Öffnung des Marktes für westliche Importe, die russische Wirtschaft in den Abgrund und die Masse des Volkes in tiefe Armut stürzten. Heute betätigen sich diese im Westen als "Demokraten" und "Liberale" gepriesenen und von dort unterstützten Politiker als dessen trojanische Pferde.

Zu den Rednern - und mit dem stärksten Beifall bedacht - gehörte auch der neue Star der russischen "Demokratie-Bewegung", Alexei Nawalny. Sein Name ist inzwischen auch bei uns in Presse, Rundfunk und Fernsehen allgegenwärtig. Über den politischen Werdegang Nawalnys und die von ihm vertretenen Positionen erfährt man aber kaum etwas, es sei denn, dass er Putin-Gegner und Blogger ist. Eine Ausnahme bilden die deutsch- und russischsprachigen Ausgaben der Enzyklopädie Wikipedia. Hier erfährt man, dass es sich bei Nawalny schlicht und einfach um einen russischen Nationalisten und Rassisten handelt.

Sein politischer Weg begann damit, dass er 1999 der Partei Jabloko beitrat und 2007 nach Auseinandersetzungen mit deren Vorsitzenden Grigori Jawlinski aus der Partei ausgeschlossen wurde. Im selben Jahr wurde er Mitbegründer und einer der Vorsitzenden der nationaldemokratischen Bewegung "Narod" (Volk). Nawalny nahm 2006 und 2008 sowie 2011 am "russischen Marsch" teil, zunächst als Beobachter von "Jabloko" und dann als Vertreter der Bewegung "Narod". Es ist dies eine jährlich am 4. November stattfindende Demonstration nationalistischer Kräfte, bis hin zu offenen Faschisten. 2011 gehörte er sogar zum Organisationskomitee des "Marsches".

2011 begann Nawalny nationalistische und rassistische Slogans zu verbreiten. In einem Video vergleicht er militante Kaukasier mit Kakerlaken, die anders als die Schabe nicht mit einer Fliegenklatsche oder einem Pantoffel, sondern nur mit einer Pistole zu bekämpfen seien. So sehen im Westen gefeierte "Demokraten" aus. Bezeichnender Weise ist Nawalny ein World Fellow der amerikanischen Yale University.

Der Mittelschichten-Protest auf dem Sacharow-Prospekt ist so ganz nach dem Geschmack der "Demokraten" und "Liberalen" vom Schlage Boris Nemzows, der gegenüber der Zeitung "Nesawisimaja Gaseta" erklärte, es sei angenehm, nicht vor "Arbeitslosen, Gastarbeitern und Verarmten" aufzutreten, sondern "das kreative, intelligente Moskau" vor sich zu haben.

Auch der Kreml scheint geradezu begeistert darüber zu sein, es bisher vorrangig mit diesem Protestpotential und weniger mit der russischen Arbeiterklasse zu tun zu haben. So ist sich Wladimir Surkow, der Vizechef der Präsidentenadministration, wie die Net-Zeitung "Russland-Aktuell" berichtet, sicher: "Das ist der beste Teil der Gesellschaft!" Sein Chef Sergej Iwanow lobt die Meinungsfreiheit, die auf den Demos zum Ausdruck kommt, und KatastrophenschutzMinister Sergej Schoigu erklärt den Protestierenden seine "volle Unterstützung".

Nach Ansicht russischer Medien unternimmt der Kreml mit diesem Lobgesang den Versuch, die Proteste zu instrumentalisieren und sich selbst zunutze zu machen. Offenbar hat auch Putin nichts gegen diese Vereinnahmungsversuche. Schließlich ist der vor kurzem nach einem Konflikt mit Präsident Medwedjew entlassene Finanzminister Alexei Kudrin nach Absprache mit Putin mit einer beschwichtigenden Rede auf dem Sacharow-Prospekt aufgetreten. Allerdings konnte er seine Rede nur unter Pfiffen vieler Kundgebungsteilnehmer vortragen. Die russische Führung scheint davon auszugehen, dass die unter Putin herausgebildete, in ihrer sozialen Lage relativ sichergestellte und zufriedene russische Mittelschicht, der es vorrangig um demokratische Mitwirkungsmöglichkeiten geht, durch einige das System nicht gefährdende Reformen zufrieden gestellt werden kann. Ob da die jüngsten Ankündigungen Medwedjews, wenn sie wirklich umgesetzt werden, ausreichen, wird sich zeigen. Möglicherweise deuten die Lobpreisungen aber auch darauf hin, dass der Kreml bereits seine Fühler ausstreckt, um im Notfall durch ein Agreement mit den "Liberalen" Pflöcke gegen einen linken Ausweg aus der politischen Krise zu setzen.


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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 44. Jahrgang, 1 vom 6. Januar 2012, Seite 11
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Januar 2012