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RUSSLAND/155: Verheerende Folgen des russischen WTO-Beitritts (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 27 vom 6. Juli 2012
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Verheerende Folgen des russischen WTO-Beitritts
Kommunisten warnen vor Ratifizierung des Vertrages

von Willi Gerns



Im Dezember 2011 haben die Vertreter der russischen Regierung die Übereinkunft über den Beitritt Russlands zur WTO unterschrieben. Damit erfolgte zugleich die Zustimmung zu den Verpflichtungen des "Allgemeinen Abkommens über den Handel mit Dienstleistungen" (GATS). Für das Inkrafttreten des Vertrages ist jetzt noch die Ratifizierung durch die DUMA erforderlich. Sie soll am 4. Juli erfolgen. Besonders gravierende Folgen für die soziale Lage der Menschen hat das GATS-Abkommen. Es stand kürzlich im Zentrum einer parlamentarischen Expertendiskussion, bei der die Politologin Aleksandra Shdanowskaja betonte, innerhalb weniger Jahre würden sich die Menschen in Russland entsprechend den Regeln dieses Abkommens daran gewöhnen müssen, dass Heilbehandlungen ebenso zu einer Ware werden, für die es keine staatliche Unterstützung gibt, wie für das Wäschewaschen oder die Autoreparatur. GATS fordere die "Öffnung der Märkte" für das Gesundheitswesen, für Bildung und Verkehr, die Wasserversorgung, die Wohnungen und kommunalen Dienstleistungen zum Zwecke der Kommerzialisierung und damit der Profitmacherei für private Investoren. Im Gefolge würden die Preise für diese Dienstleistungen unaufhörlich steigen und die Kluft zwischen Arm und Reich sich noch weiter vertiefen.

Unter umfassenderen Gesichtspunkten analysiert der KPRF-Vorsitzende Genadi Sjuganow in einer in der "Sowjetskaja Rossija" veröffentlichten Erklärung die mit dem WTO-Beitritt verbundenen Folgen. Er stellt fest: "Nach 18-jährigen Verhandlungen hat der Westen schließlich grünes Licht für den Eintritt Russlands in die Welthandelsorganisation (WTO) gegeben. Der Zeitpunkt wurde zweifellos günstig gewählt. Mit dem Beitritt erhält der Westen angesichts seiner sich verschärfenden ökonomischen Krise einen rettenden Absatzmarkt, billige Arbeitskräfte und Zugang zu den kolossalen Naturressourcen Russlands." Anders, so Sjuganow, sieht die "Beitrittsdividende" für Russland aus: "Das Land tritt vollkommen unvorbereitet und unter ungünstigen Bedingungen der WTO bei. Die von den Resten der russischen Industrie erzeugten Produkte finden auf den internationalen Märkten praktisch keine Nachfrage". Unter der übermächtigen Konkurrenz der ausländischen Konzerne auf dem russischen Binnenmarkt würden vor allem die kleinen und mittleren Betriebe und die Leichtindustrie leiden. Zugleich verzichte Russland in vielem auf die letzten Instrumente zur Verteidigung seiner strategischen Zweige. Man habe sogar der Forderung zugestimmt, die Inlandspreise für Energieträger den Exportpreisen anzupassen und auf die Unterstützung der Luftund Raumfahrtindustrie, der Basis für Hightech-Produkte, zu verzichten.

"Im Ergebnis des WTO-Beitritts werden die durchschnittlichen Importzölle auf 7,8 Prozent gegenüber 10 Prozent in 2011 gesenkt, darunter auf landwirtschaftliche Produkte - von 13,2 auf 10,8 Prozent und für Industriewaren - von 9,5 auf 7,3 Prozent. Das geht zu Lasten des Budgets, dessen Einnahmen gegenwärtig zu 37 Prozent aus Zollgebühren bestehen." Finanzminister Siluanow habe mit Blick auf die Staatsfinanzen eingestehen müssen, dass dem Budget der RF im Gefolge des WTO-Beitritts im Jahr 2013 310 Mrd. Rubel (etwa 7,5 Mrd. Euro) und bis 2020 insgesamt rund 26 Billionen (russ. Trillionen) Rubel (etwa 626,5 Mrd. Euro) verloren gehen.

Russland, so der KPRF-Vorsitzende weiter, habe sich verpflichtet, alle fünf Jahre die ohnehin niedrigen staatlichen Ausgaben für den Agrarsektor um 5-10 Prozent zu senken. Im Unterschied zu den USA, wo die Farmer mit 750 Dollar pro Hektar unterstützt werden, erhalten russische Bauern nicht mehr als 35 Dollar. Ähnlich sehe es bei den Zöllen aus. So werde die Einfuhr von Zucker in der EU z. B. mit 215 Prozent Zoll belegt, in der RF mit 30 Prozent, Rindfleisch - 174 Prozent EU und 15 Prozent RF, Weizen - 173 Prozent EU und 5 Prozent RF.

Die WTO fordert gleichen Zugang des ausländischen Privatkapitals zu allen Dienstleistungen und offene Konkurrenz. Das bedeute, so der KPRF-Vorsitzende, "dass das schwache russische Finanzsystem und der Bankensektor endgültig unter die Kontrolle der internationalen Banken und des globalen Spekulationskapitals geraten". Was die verheerenden Folgen des WTOBeitritts für diejenigen Dienstleistungen angeht, die die lebenswichtigen Bedürfnisse der Menschen betreffen, so wurden sie bereits am Anfang dieses Beitrages angesprochen.

Die WTO drängt energisch auf die weitere Privatisierung des russischen Staatseigentums. Am 7. Juni bestätigte die Regierung denn auch den Plan zur beschleunigten Privatisierung großer Unternehmen im Energie-, Bergbau-, Infrastruktur- und Bankensektor. Der Staat will sich u. a. ganz zurückziehen bei "Rosneft", "Roshydro", "Aeroflot", bei der Landwirtschaftsbank und beim Diamantenproduzenten "ALROSA". Teilprivatisiert werden sollen u. a. die Russischen Eisenbahnen und die Sparbank. Der stellvertretende Ministerpräsident Schuwalow erklärte in diesem Zusammenhang, dass die russischen Staatsorgane bei der Privatisierung keine Diskriminierung von ausländischen Interessenten dulden werden.

Abschließend ruft der KPRF-Vorsitzende dazu auf, "die Ratifizierung des Vertrages über den Beitritt Russlands zur WTO nicht zuzulassen. Der Inhalt der Verpflichtungen, die Russland damit gegenüber der WTO übernimmt, ist der Bevölkerung praktisch nicht bekannt. Der Beitritt zur WTO schafft eine reale Gefahr für die nationale Souveränität und Sicherheit des Landes. Die Machtorgane sind verpflichtet sich zu besinnen und nicht die ohnehin kritische Lage Russlands weiter zu verschärfen."

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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 44. Jahrgang, Nr. 27 vom 6. Juli 2012, Seite ...
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Juli 2012