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USA/335: Obamas Haushalts-Deal - Neoliberaler Durchmarsch in den USA (isw)


isw - Institut für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung e.V.

Obamas Haushalts-Deal:
Neoliberaler Durchmarsch in den USA

Von Conrad Schuhler, 3. August 2011


Das Dramolett um den angeblich drohenden Staatsbankrott der USA hatte in Wahrheit einen ganz anderen Inhalt: Welche Rolle soll dem Staat in Zukunft zukommen, welche Werte sollen die Prioritäten setzen in einer Zeit, da die öffentlichen Mittel unter dem Druck der Staatsverschuldung knapper werden? Auf der ganzen Linie hat sich die radikale Fraktion der Neoliberalen in der Republikanischen Partei durchgesetzt, der Obama und die Mehrheit der Demokraten sich schließlich fügten. Die Reichen und die Konzerne behalten ihre Steuerprivilegien, die ihnen der vorherige Präsident George W. Bush zugeteilt hatte. Zum Ausgleich soll der US-Bundeshaushalt gebracht werden, indem innerhalb von zehn Jahren knapp 2.500 Milliarden Dollar an Bundesausgaben gestrichen werden. Das sind gut 6 % der gesamten Bundesmittel in dieser Zeit, die nun vor allem bei den Sozialausgaben, bei Infrastrukturvorhaben und bei den öffentlichen Beschäftigten eingespart werden. Weniger Staat, weniger Unterstützung für Arbeitslose, Arme und Kranke, freie Fahrt für Millionäre und Großunternehmen. Wie in der Eurozone wird nun auch in den USA unter dem Deckmantel der "Sparpolitik" eine verschärfte neoliberale Gangart verfügt.


Der Trick mit der "letzten Minute" und das Scheitern Obamas

Die düsteren Meldungen von der drohenden Staatspleite, die in "letzter Minute" zu verhindern wäre, hatten vor allem den Zweck, die Öffentlichkeit an den Gedanken zu gewöhnen, jede Lösung zwischen den Parteien sei besser als gar keine. Nicht das Ergebnis des "Deals" stand im Vordergrund, sondern dass es überhaupt gelungen war, einen zustande zu bringen. Dass der Staatshaushalt zu einem vorhersehbaren Zeitpunkt an seine Schuldengrenze stößt, hat indes in den USA seine Tradition ebenso wie die Heraufsetzung der Grenze durch den Kongress. Seit den Tagen John F. Kennedys geschah dies fast 70 mal, besonders häufig praktiziert durch die Ikone der Republikaner, den damaligen Präsidenten Ronald Reagan. Präsident Obama ließ zu, dass diese im Grunde banale Auseinandersetzung zu einer prinzipiellen Kraftprobe wurde - ist der Präsident noch handlungsfähig oder kann die Rechte ihn vollends demontieren? Um seine politische Reputation zu retten, stimmte Obama einem Deal zu, der seinen Visionen eines erneuerten Amerika und seinen Wahlversprechen gegenüber den Armen und der "Mittelklasse" fundamental widerspricht. Das arme, das auf seine Arbeit angewiesene Amerika ist der große Verlierer des Schulden-Deals. Und Obama hat sein politisches Ansehen keineswegs gerettet, sondern wohl endgültig verspielt. Die Süddeutsche Zeitung nennt den 1. August 2011, als der Deal besiegelt wurde, den "Tag, an dem seine (Obamas) Präsidentschaft endete". Mit dem Regieren und Gestalten sei es vorbei, Obama sei nunmehr eher Insolvenzverwalter, seine Träume vom Wandel in Amerika müsse er beerdigen.


Der konkrete Inhalt des Deals

Die Schuldengrenze für den Bundeshaushalt wurde um 2,1 Billionen Dollar von 14,3 auf 16,4 Billionen Dollar hinaufgesetzt. Im Gegenzug wurde festgelegt, dass in den 10 Jahren von 2011 bis 2020 Haushaltseinsparungen von 2,4 Billionen Dollar stattzufinden haben. Von diesen 2.400 Milliarden Dollar Kürzungen finden 917 Milliarden Dollar ab sofort statt, weitere 1500 Milliarden Dollar Einsparungen werden von einem 12-köpfigen, von den beiden Parteien paritätisch besetzten Ausschuss bis zum 23.11.2011 im Einzelnen festgelegt. Kommt keine Einigung im Ausschuss zustande, wird ein sogenannter "Trigger" wirksam - ein Mechanismus, der alle Ausgaben reihum um insgesamt 1200 Milliarden Dollar beschneidet.

Die Kürzungen sollen also in zwei Schritten erfolgen. Im ersten, der über 900 Milliarden Dollar umfasst, werden bei den Militärausgaben 350 Milliarden gestrichen, die übrigen 567 Milliarden Dollar fallen bei den zivilen Ausgaben an. Renten- und Gesundheits- und Sozialbezüge sollen in dieser ersten Phase eingefroren werden. Für den zweiten Schritt, die weiteren 1,5 Billionen Dollar Haushaltskürzungen, gilt diese "Einschränkung" nicht mehr. Nun können auch die Renten und die Sozialbezüge gekürzt werden.

Die zivilen Kürzungen müssen sich auf eine Billion Dollar belaufen, denn nur 500 Milliarden Dollar sind für Streichungen der Militärausgaben vorgesehen.

Den Versprechungen Obamas, in dieser zweiten Phase werde es auch zu Erhöhungen der Steuern für Reiche und Konzerne kommen, ist so wenig Kredit zu geben wie seinen früheren Ankündigungen. Obama will mit seinen Verheißungen verlorengegangenes Vertrauen seiner bisherigen politischen Freunde zurückgewinnen. Die Fraktionsführerin der Demokraten im Abgeordnetenhaus, Nancy Pelosi, hatte sich von dem Deal distanziert, weil der dem Durchschnitts-Amerikaner "große Einschnitte" zumute, aber "den reichsten Leuten in diesem Land keinen roten Heller abverlangt". Fast mit denselben Worten hat der Mehrheitsführer im Senat, Harry Reid, den "imperfekten Kompromiss" kritisiert. Im Abgeordnetenhaus hatte jedes zweite Mitglied der Fraktion der Demokraten den Gesetzentwurf abgelehnt. Demgegenüber hatten Führer der Republikaner im Schulden-Deal den "Beginn eines fundamentalen Kulturwandels" bejubelt. Wieso sollten die Sieger im Deal-Tauziehen im paritätisch besetzten Ausschuss nun Steuererhöhungen für Reiche und Konzerne zustimmen, für Neoliberale aller Schattierungen das Schlimmste aller Übel? Die Wahrheit ist, dass Obama sich mit seinem Deal weiter in seiner Partei isoliert hat und keine der Gruppen, die ihn bisher getragen haben, seinen Worten noch glaubt.


Die Ursachen der Staatsverschuldung wurden nicht angegangen

Die enorme Staatsverschuldung der USA hat vor allem drei Gründe: die gewaltigen öffentlichen Ausgaben zur Rettung des zusammenbrechenden Finanzsektors und zur Vermeidung der durch das Finanzdebakel drohenden Wirtschaftskrise; die sprunghaft steigenden Ausgaben im irrwitzigen "Krieg gegen den Terror"; die riesigen fiskalischen Geschenke an Reiche und Konzerne.

In den USA nahm die Finanzkrise ihren Anfang, und der Staat USA übertraf alle "Partnerländer" bei weitem darin, die marode Finanzindustrie mit öffentlichen Mitteln zu retten. Schon die unmittelbaren staatlichen Rettungsaktionen für das angeschlagene US-Bankensystem beliefen sich auf 1100 Milliarden Dollar, das erste staatliche Konjunkturpaket wog 783 Milliarden Dollar. Joshua Holland von Alternet kommt auf insgesamt 14 Billionen Dollar, die Finanz- und Wirtschaftskrise die US-Steuerbürger kostete. Das wären fast 100 % des gesamten Bruttoinlandsprodukts der USA, mehr als das Achtfache des Haushaltsdefizits von 2011 (1,6 Billionen Dollar). Der Zusammenhang Finanzkrise/Staatsverschuldung wird an den Zuwachsraten der Staatsschulden klar: 2006 und 2007 stiegen sie um 6 %, 2008 und in den Jahren danach um jeweils rund 14 %. Die Armen und Kranken haben deshalb zu sparen, weil die "Finanzindustrie" gerettet werden musste und weiter muss.

Der zweite große Posten der Schuldenursachen ist im rasant gestiegenen Militärhaushalt der USA zu suchen. Seit 2001, als der damalige Präsident Bush den "Krieg gegen den Terror" erklärte, haben die USA 5,5 Billionen Dollar für Militär und Waffen ausgegeben. Seit damals sind die Militärausgaben um 167 % gestiegen, sie bilden den größten Etat im US-Haushalt. Allein der Krieg in Afghanistan kostet die USA jede Woche zwei Milliarden Dollar. Zwei Drittel aller US-Bürger sind für den Abzug der USA aus Afghanistan, mehr noch für das Verlassen des Iraks. Dennoch hat Präsident Obama im neuen Haushalt die Rüstungsausgaben um weitere 17 Milliarden Dollar erhöht. Da muss auf der anderen Seite, der sozialen, noch mehr gespart werden.

Der dritte große Faktor der Staatsverschuldung ist in den gewaltigen Steuerprivilegien der Reichen und der großen Unternehmen zu sehen. Die Steuerquote in den USA liegt mit 18 % niedriger als in den meisten Industriestaaten und auch niedriger als in den USA der 60er Jahre. Und sie wird aufgebracht von denen, die relativ wenig an Einkommen aufzubieten haben. Das Congressional Budget Office - also das Amt für Haushaltsfragen des US-Kongresses - hat festgestellt, dass die vom damaligen Präsidenten Bush 2003 durchgesetzten Steuererleichterungen für Hochverdiener und Großkonzerne den US-Fiskus von 2011 bis 2020 allein 3,3 Billionen Dollar kosten, also mehr ausmachen, als die gesamten, nun beschlossenen Einsparungen von 2,4 Billionen Dollar. An dieser Gegenüberstellung ist klar abzulesen, wer zu wessen Gunsten welche Opfer zu bringen hat.

So hart die Sparmaßnahmen die armen und Mittelschichten treffen werden, so reichen sie dennoch bei weitem nicht aus, einen ausgeglichenen Haushalt herzustellen. Selbst wenn schon 2011 die Einsparungen im geplanten Umfang stattfinden würden, so würden die 240 Milliarden mal gerade ein Siebtel des Jahresdefizits ausmachen. Wenn wirklich Steuererhöhungen dank des Vetos der Republikaner und dank der Nachgiebigkeit des Präsidenten ausgeschlossen sein sollten, der ausgeglichene Haushalt allein durch Einsparungen hergestellt werden soll, dann würde dies auf eine beispiellose Verarmung der Mittel- und Unterschichten der USA hinauslaufen.


Die USA auf schnellstem Weg in die nächste Krise

Die USA stehen vor dem "double dip", dem doppelten Eintauchen in eine Wirtschaftskrise. Bisher gingen die Prognosen von einem Wachstum der US-Wirtschaft im Jahr 2011 von 3 % aus. Die neuen Daten weisen ein Wachstum von 1,3 % aus bei einer anhaltenden Arbeitslosigkeit von über 9 %. Die jetzt beschlossenen Sparmaßnahmen werden im Milliarden-Maßstab sofort wirksam. Sie werden die Konjunktur weiter abwürgen. Jeder fünfte Dollar in den Geldbeuteln der Konsumenten stammt aus einem Regierungsprogramm. Die Dollar fehlen jetzt. Die Konsumentennachfrage ist aber mit 70 % der wichtigste Faktor der volkswirtschaftlichen Gesamtnachfrage. Insgesamt stehen die USA von den wirtschaftlichen Grunddaten schlechter da als 2007, kurz vor dem Ausbruch der Finanzkrise. Ihr Schuldenberg ist aber 1,5 mal höher als damals. Von der Staatsseite her wird es keine Impulse per Konjunkturprogramm mehr geben, nur die Reduktion der Nachfrage. Die USA, bei laufender Konjunktur ein Motor der weltwirtschaftlichen Entwicklung, werden zu einem zusätzlichen Problem für die kriselnde globale Wirtschaft.


Was verhindert den totalen Absturz der USA?

Die USA, schreibt der Analyst Ulrich Leuchtmann von der Commerzbank, bewegen sich auf einem "äußerst schmalen Grad zwischen ausufernden Defiziten und einem Abwürgen der Konjunktur durch harte Sparmaßnahmen". Dass der US-Kongress diesen schmalen Pfad einhält, erscheint dem Bank-Strategen "zunehmend unwahrscheinlich". So geht es den meisten Analysten und dennoch werden die großen Rating-Agenturen den USA das Dreifach-A für ihre Staatsanleihen weiter verleihen, und die Anleger werden weiterhin ihre Portfolios mit US-Anleihen bestücken, so wie sie es nach jeder der letzten Krisen in den USA getan haben. Warum?

Zum einen stehen die konkurrierenden Staaten mit ihren Anleihen kaum besser da, und auch nicht mit ihren Währungen. Die Euro-Staaten entsprechen mit ihrer Verschuldung den USA, mit ihren Problemen der Defizitbewältigung ebenfalls. Zum anderen finden die USA in ihren Gläubiger-Ländern Partner, die an einer Gesundung, jedenfalls nicht an einer plötzlichen todesgefährlichen Erkrankung der USA interessiert sind. Etwa ein Drittel der US-Staatsschulden entfällt auf Ausländer, angeführt von China mit 1.200 Milliarden Dollar und Japan mit 912 Milliarden Dollar. Würden diese Länder ihre US-Staatsanleihen abstoßen, wären die USA pleite. Aber die bisherigen Gläubiger hätten auch Riesenverluste. Würde der Dollar um 10 % im Wert sinken, hätte China einen Vermögensverlust von 120 Milliarden Dollar. China hat sich mit seinen Riesenguthaben in den USA bis zu einem gewissen Maß an das Fortkommen der USA gebunden. Die USA können hoffen auf einen Verbund der Blessierten und global Kooperierenden."


Quellen:
- Bernau, Patrick: Der amerikanische Albtraum. Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 31.7.2011
- Holland, Joshua: Welcome to the Tea Party's Austerity Recession. www.alternet.org 1.8.2011
- Kaiser, Stefan: Sparzwänge der USA bedrohen Weltwirtschaft. Spiegel Online, 1.8.2011
- Koch, Moritz: Sparen statt höherer Steuern. Süddeutsche Zeitung, 2.8.2011
- Ruch, Mathias: Demokraten hadern mit Obamas Sparplan. Financial Times Deutschland, 2.8.2011
- Schmid, Fred: Schulden-Supermacht USA. http://www.isw-muenchen.de/
- The Washington Post: Behind the government showdown. www.washingtonpost.org


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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. August 2011