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USA/341: Irak - Dämpfer für Obamas Gegner, Truppenrückzug stößt in USA auf breite Zustimmung (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 9. November 2011

Irak: Dämpfer für Obamas Gegner - Truppenrückzug stößt in USA auf breite Zustimmung

von Jim Lobe


Washington, 9. November (IPS) - Wenige Wochen nachdem US-Präsident Barack Obama den Rückzug aller US-Truppen aus dem Irak bis Ende Dezember angekündigt hat, werfen neokonservative 'Falken' und prominente Republikaner dem Staatschef vor, den Irak seinem Nachbarn Iran, einem langjährigen Feind Washingtons, zu überlassen.

Die Kritiker Obamas gewinnen allerdings nicht an Boden, da die Öffentlichkeit in den USA inzwischen kriegsmüde ist. Zudem argumentieren einige politische Beobachter, dass der Abzug den USA längerfristig strategisch nutzen könnte.

Die Falken lassen dennoch nicht locker. Obama soll die Entscheidung getroffen haben, als nach monatelangen Verhandlungen feststand, dass das irakische Parlament den 3.000 bis 5.000 Soldaten, die die USA aus 'Ausbilder' für die dortigen Streitkräfte im Land belassen wollten, keine Immunität zusichern würde.

"Der Iran hat gerade die Vereinigten Staaten im Irak geschlagen", erklärten Fred Kagan vom konservativen Thinktank 'American Enterprise Institute' (AEI) und seine Frau Kimberley Kagan, Präsidentin des unabhängigen 'Institute of War'. "In dem Jahr, in dem der 'Arabische Frühling' stattfand, wird der Iran im Irak und im gesamten Nahen Osten aufsteigen", schrieben die beiden Wissenschaftler in der 'Los Angeles Times'. "Die Stellvertreter-Milizen des Irans werden wahrscheinlich ihre Trainingscamps im Südirak ausbauen und von dort aus ihre Operationen am Persischen Golf planen", sagten sie voraus.


Konservative Hardliner warnen vor Erstarkung des Irans

Der ehemalige General Jack Keane, einst strategischer Irak-Berater der Regierung von Präsident George W. Bush, sprach von einem "absoluten Desaster". Im Januar 2007 hatte er gemeinsam mit Kagan die Studie 'Choosing Victory: A Plan for Success in Iraq' veröffentlicht. Darin wurde empfohlen, rund 30.000 weitere US-Soldaten für mindestens 18 Monate in den Irak zu entsenden. "Wir haben den Krieg gewonnen und verlieren nun den Frieden", sagte er der 'Washington Times'.

"Drei Jahre und ein gewonnener Krieg haben Obama Gelegenheit gegeben, eine dauerhafte strategische Allianz mit der zweitgrößten Macht in der arabischen Welt zu schmieden", schrieb kürzlich der führende neokonservative Kolumnist der 'Washington Post'. "Unsere Freunde mussten nicht in der Kälte stehen und Schutz beim Iran suchen."

Die Kolumne unter der Überschrift 'Wer hat den Irak verloren?' erinnerte an die giftige Debatte unter dem Motto 'Wer hat China verloren?', die in der McCarthy-Zeit in den frühen fünfziger Jahren aufkam. Der Autor erklärte, dass Obama und seine politischen Berater so gut wie alle Bemühungen des Pentagons sabotiert hätten, eine Einigung mit dem irakischen Ministerpräsidenten Nouri Al-Maliki darüber zu erzielen, mindestens 20.000 US-Soldaten auf unbestimmte Zeit im Irak stationiert zu halten.

Ähnlicher Ansicht sind mehrere führende Republikaner, darunter der gescheiterte Präsidentschaftskandidat von 2008, Senator John McCain. Die Iraner nähmen den geplanten Truppenabzug bereits als großen Sieg auf und hätten damit sogar Recht, sagte McCain. Andere politische Beobachter, wie die Redaktionsleitung des konservativen 'Wall Street Journal', fragten sich dagegen, wie die USA nach acht Jahren Krieg alle Truppen aus dem Irak abziehen könnten, wo sie doch nach dem Zweiten Weltkrieg noch jahrzehntelang 300.000 Soldaten in Deutschland belassen hätten. Zehntausende US-Militärangehörige seien zudem in Japan und Südkorea stationiert geblieben.


US-Bevölkerung vor allem durch Wirtschaftskrise beunruhigt

Von der breiten Öffentlichkeit erhalten die Hardliner aber kaum Zustimmung. Die US-Bürger scheinen eher in Sorge über die schwierige Wirtschaftslage zu sein. Die Nachricht von dem Truppenabzug dürfte daher eher für Erleichterung gesorgt haben, wie auch Kagan und andere 'Falken' einräumten.

Bei Gallup-Umfragen Ende Oktober erklärten drei Viertel der Interviewten, dass sie mit Obamas Entscheidung einverstanden seien. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam eine Umfrage von 'ABC News/Washington Post' Anfang November.

Obwohl bis auf einen alle republikanischen Präsidentschaftskandidaten Obamas Entscheidung unverzüglich kritisierten, rückten sie das Thema nicht ins Zentrum ihrer Wahlkampagnen, auch wenn sie extrem aggressiv Position gegen den Iran und sein Atomprogramm bezogen haben.

Nicht nur die Regierung, die ein Strategisches Rahmenabkommen mit Maliki anstrebte, versetzte den 'Falken' einen Dämpfer. Von dem irakischen Ministerpräsidenten, der im Dezember Washington besuchen will, erhofft sich Obama die Zusage, Dutzende Militärberater im Irak lassen zu können.


Regionale Experten teilen Sicht Obamas

Auch Nahost-Experten stärken Obama den Rücken. Sie gehen davon aus, dass der geplante Truppenabzug ebenso wie der Rückzug der USA und der NATO aus Afghanistan bis 2014 die Position Washingtons gegenüber dem Iran längerfristig verbessern kann.

Wenn die USA nicht mehr im Irak seien, gerieten sie nicht mehr in den Blickpunkt der Opposition in beiden Staaten, meinte der Politologe Vali Nasr. "Stattdessen kann der Iran an Stelle der USA zur Zielscheibe des Volkszorns werden und dafür verantwortlich gemacht werden, dass die Regierung die Bedürfnisse der Bevölkerung nicht erfüllt."

Selbst Unterstützer der US-Invasion im Irak 2003 und der Truppenaufstockung 2007 stellen sich nun hinter Obama. Der einflussreichste Kolumnist der 'New York Times', Tom Friedman, schrieb kürzlich, er sei sicher, "dass Amerikas Truppenpräsenz im Irak in den vergangenen Jahren dem Iran größeren Einfluss in Bagdad verschafft habe". Washington sei "zum Blitzableiter für die Frustrationen vieler Iraker über die schlechten Leistungen der Regierung und die US-'Besatzung' geworden".


Erinnerung an Abu Ghraib im Irak schürt Ressentiments

"Unser Versuch, mit Hilfe des irakischen Parlaments zu einer Einigung zu kommen, wäre selbstzerstörerisch gewesen", kommentierte Brett McGurk, ein ehemaliger Sicherheitsberater von Bush und Obama. Das liege am Stolz, an der Geschichte und am Nationalismus der Iraker: Selbst die größten Iran-Gegner unter den irakischen Beamten hätten sich nicht öffentlich für einen Verbleib der US-Truppen aussprechen wollen.

Nach Ansicht von Andrew Parailiti, Direktor des Washingtoner Büros des 'International Institute for Strategic Studies' in London sieht eine Immunität für US-Offiziere nicht nur wegen der post-kolonialen Erfahrungen der Iraker als problematisch. Auch die Geschehnisse im Gefängnis Abu Ghraib und andere Fälle von Misshandlungen und Tötungen von Irakern durch US-Soldaten spielten eine große Rolle. (Ende/IPS/ck/2011)


Links:
http://www.aei.org/
http://www.aei.org/paper/25396
http://www.understandingwar.org/
http://www.washingtonpost.com/opinions/who-lost-iraq/2011/11/03/gIQAUcUqjM_story.html
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=105755

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 9. November 2011
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. November 2011