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NAHOST/578: Doppelte Standards - die nukleare Kriegsdrohung im Nahen Osten (IPPNWforum)


IPPNWforum | 119 | 09
Mitteilungen der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwortung e.V.

Doppelte Standards
Die nukleare Kriegsdrohung im Nahen Osten

Von Matthias Jochheim


Der Nahe/Mittlere Osten ist eine zentrale und vielleicht die global gefährlichste Konfliktregion in der Welt. Iran wird verdächtigt, nach Atomwaffen zu streben, und damit nicht nur die Vernichtung Israels, sondern eine tödliche Bedrohung des ganzen Westens vorzubereiten. Um dieser behaupteten ungeheuren Gefahr zu begegnen, erscheinen alle Mittel gerechtfertigt, ein Präventivkrieg ebenso wie die Erwägung, nukleare Waffen einzusetzen. Allerdings urteilte das Friedensgutachten von fünf führenden deutschen Friedensforschungseinrichtungen 2006: "Da es zur Fortsetzung der Lösungssuche durch Verständigung und Interessensausgleich keine vertretbare Alternative gibt, muss sich die EU klar und deutlich gegen ein gewaltsames Vorgehen aussprechen."


Dies aber geschieht bisher völlig unzureichend. Verständigung und Interessensausgleich kann nicht gelingen, wenn an die verschiedenen Akteure unterschiedliche Maßstäbe angelegt werden. Doppelte Standards sind mit Friedenspolitik nicht vereinbar.


Iran auf dem Weg zur Atomwaffenmacht?

Wesentlicher Vorwurf an den Iran ist, unter dem Vorwand seines Atomenergie-Programms nukleare Aufrüstung zu betreiben. Das widerspräche dem 1974 vom Iran unterzeichneten Atomwaffensperrvertrag (Non-Proliferation-Treaty NPT). Tatsächlich hat der Iran die aus dem Vertrag erwachsenen Verpflichtungen bisher höchstens marginal verletzt. Die Urananreicherung in der umstrittenen Anlage von Natanz genügt mit 3% lediglich den Anforderungen für Brennstäbe von Kernkraftwerke. Intensive Inspektionen der IAEO in den letzten Jahren brachten keinerlei Beweise für ein iranisches Atomwaffenprogramm. Selbst die US-Geheimdienste erklärten in einem gemeinsamen Statement Ende 2007, zumindest seit 2003 gäbe es kein iranisches Atomwaffenprogramm mehr.

Die Verhandlungen der EU mit der iranischen Regierung dagegen ergaben weder verlässliche Zusagen bezüglich der Brennstoffversorgung für das iranische Atomenergieprogramm, noch nahmen die USA die militärische Bedrohung des Landes zurück.

Iran hat in den letzten Jahrhunderten seine Nachbarstaaten nie militärisch angegriffen. Im Gegenteil war er selbst immer wieder Ziel massiver Interventionen aus dem Ausland. So wurde der Putsch gegen die demokratische Regierung Mossadegh 1953 von den USA und GB mitorganisiert, um die von dieser durchgeführte Nationalisierung der Rohölproduktion rückgängig zu machen. Auch der Angriffskrieg des irakischen Saddam-Regimes von 1981-88 wurde von den Westmächten massiv unterstützt. Die USA lieferten damals pikanterweise klandestin und über israelische Häfen Waffen auch an das iranische Mullahregime, was in Präsident Reagans berüchtigtem "Irangate"-Skandal aufflog.

US-Präsident Bush setzte das Land schließlich auf seine Liste von "Schurkenstaaten", der sogenannten "Achse des Bösen". Das Ziel einer Konsolidierung US-amerikanischer Vorherrschaft im Mittleren Osten hat eine politisch-ökonomische Destabilisierung und massive militärische Bedrohung des Landes zur Folge. Laut UN-Charta ist jedoch nicht nur militärische Aggression, sondern auch die Drohung mit solcher Gewalt untersagt.


Israel- die (un-)heimliche Atomwaffenmacht im Nahen Osten

Nach ersten Abkommen mit Frankreich in den 1950er Jahren über die friedliche Nutzung der Atomenergie, berichtete 1961 die CIA über ein israelisches Nuklearwaffenprogramm. Dennoch wurde die Rüstungsunterstützung der USA unter Präsident Kennedy massiv ausgeweitet. Mitte der 1980er Jahre informierte der israelische Atomtechniker Mordechai Vanunu die internationale Öffentlichkeit über das israelische Nuklearwaffenprogramm. Kurz darauf wurde er entführt, nach Israel verschleppt und zu 18 Jahren Haft verurteilt. Erst im Jahr 2006 sprach Premier Olmert offen von Israel als Nuklearmacht - ungeklärt bleibt, ob dies ein Versehen war, oder ein offizielles Ende der Politik der Geheimhaltung. Inzwischen geht man davon aus, dass Israel über ein Arsenal von 200 bis 500 nuklearen Sprengsätzen verfügt, mit einer totalen Sprengkraft von rund 50 Megatonnen TNT - zum Vergleich: die Sprengkraft der Hiroshima-Bombe betrug 13,5 Kilotonnen TNT.

Israel hat den Atomwaffensperrvertrag nicht unterzeichnet, unterwirft sich keinerlei internationalen Kontrollen und lehnt die in UN-Resolutionen geforderte atomwaffenfreie Zone in Nahost ab. Es verfügt über modernste Trägerwaffen aus eigener, US-amerikanischer und in Gestalt der Dolphin-U-Boote aus deutscher Produktion. Die Rüstungskooperation zwischen der Bundesrepublik Deutschlands und Israel reicht bis in die 1950er Jahre zurück, schon lange bevor beide Staaten diplomatische Beziehungen aufnahmen. Dies hinderte die deutsche Rüstungsindustrie aber nicht daran, auch arabische Länder in ihren Kundenkreis aufzunehmen.

Ergebnis deutsch-irakischer Handelsbeziehungen war z.B. die Lieferung einer Chemieanlage, die angeblich der Produktion von Insektiziden dienen sollte, tatsächlich aber Giftgas für den Kriegseinsatz erzeugte. Im zweiten Golfkrieg 1991 schoss das Saddam-Regime Scud-Raketen gegen Israel ab, was bei der israelischen Bevölkerung die panische Furcht auslöste, diese Projektile könnten mit Giftgas munitioniert sein, wohlgemerkt aus einer von Deutschen gelieferten Fabrik. Sozusagen als Ausgleich erklärte sich die deutsche Bundesregierung bereit, drei hochmoderne "Dolphin"-U-Boote an Israel zu liefern. Diese Boote wurden mit Torpedorohren ausgestattet, die sich für Cruise Missiles eignen. Das sind atomar munitionierbare Marschflugkörper, die nach Beobachtungen der US-Navy von israelischen Dolphin-Booten bei Manövern bereits abgefeuert wurden.

2007 begründete Rainer Arnold, verteidigungspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, die Lieferung dieser Boote mit der Notwendigkeit einer "Zweitschlagskapazität" für Israel. Das bedeutet, im Falle eines Angriffs mit einem nuklearen Vergeltungsschlags reagieren zu können. Auch die rot-grüne Bundesregierung sagte Israel weitere zwei Boote zu. Der Bundessicherheitsrat stimmte diesem dem Sinn des Atomwaffensperrvertrags eindeutig widersprechendem Rüstungsvertrag sozusagen im Abgang nach verlorener Bundestagswahl 2005 noch zu, ohne dass das Parlament dazu noch einmal hätte Rechenschaft fordern können.

Schockiert vom massiven israelischen Militär-Angriff auf den Libanon, brachte die Kooperation für den Frieden, ein bundesweiter Zusammenschluss von Friedensorganisationen, im Herbst 2006 mit der Unterstützung von rund 10.000 Unterschriften eine Petition beim zuständigen Ausschuss des deutschen Bundestag ein. Angesichts der Kriege und Menschenrechtsverletzungen in der Nahost-Region sollten alle Rüstungslieferungen gestoppt werden, gleichgültig an welche der Konfliktparteien in der Region. Im November 2006 übergaben wir die Petition, erst im März 2009 erhielten wir ein Antwortschreiben mit dem Beschluss des Bundestags: man sehe "keine Anhaltspunkte, die Anliegen der Petition zu unterstützen" und schließe das Petitionsverfahren daher ab. Begründet wurde dies u.a. mit dem Argument, dass die Entscheidungsgrundlagen des Bundessicherheitsrates geheim seien, und sich daher einer Bewertung entzögen. Auch schätzte der Petitionsausschuss die Lieferung von Atomwaffenträgersystemen in die Nahost-Region offenbar als weniger bedeutsame Maßnahme ein. In einem abgelehnten Minderheitsvotum beantragte alleine die Fraktion der LINKEN, die Petition der Bundesregierung zur Berücksichtigung zu überweisen.


Schlussfolgerungen

Die Nahost-Politik der Bundesregierung beruht wesentlich auf der Anwendung doppelter Standards gegenüber den Akteuren dieser Region. Die Sicherheit Israels steht einseitig im Zentrum der Entscheidungen. Die westlichen Mächte und explizit auch die Bundesregierung verhindern damit Möglichkeiten zu einer politischen Lösung der tiefgreifenden Widersprüche, gerade in der Frage der nuklearen Bewaffnung. So wird nicht zuletzt auch die langfristige Sicherheit der israelischen Bevölkerung gefährdet. Kritikern dieser einseitigen Unterstützung der aktuellen israelischen Militärpolitik wird in Deutschland häufig der Vorwurf des zumindest latenten Antisemitismus gemacht.

Hierzu abschließend ein Zitat des prominenten jüdischen Denkers Tony Judt, Direktor des Remarque-Instituts an der Universität New York: "Wenn Israel die Bevölkerung in den besetzten Gebieten ausraubt und demütigt, zugleich aber jedem Kritiker mit lauter Stimme 'Antisemit' entgegengeschleudert wird, heißt das in Wirklichkeit: was im Libanon, in der Westbank und in Gaza geschieht, das sind keine israelischen, sondern jüdische Akte. Und wenn du das nicht magst, dann nur, weil dir Juden unsympathisch sind. In vielen Teilen der Welt läuft diese Position Gefahr, eine sich selbst erfüllende Prophezeiung zu werden."


Matthias Jochheim ist niedergelassener Psychotherapeut in Frankfurt und stellvertretender Vorstandsvorsitzender der IPPNW.


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Quelle:
IPPNWforum | 119 | 09, Oktober 2009, S. 10-11
Herausgeber:
Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges,
Ärzte in sozialer Verantwortung e.V. (IPPNW), Sektion Deutschland
Anschrift der Redaktion:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Dezember 2009